Zum Inhalt springen

ADB:Göldlin von Tiefenau, Franz Bernhard

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Göldlin von Tieffenau, Franz Bernhard“ von Alois Lütolf in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 9 (1879), S. 334–337, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:G%C3%B6ldlin_von_Tiefenau,_Franz_Bernhard&oldid=- (Version vom 6. November 2024, 01:59 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Band 9 (1879), S. 334–337 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Franz Bernhard Göldlin von Tiefenau in der Wikipedia
Franz Bernhard Göldlin von Tiefenau in Wikidata
GND-Nummer 11670392X
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|9|334|337|Göldlin von Tieffenau, Franz Bernhard|Alois Lütolf|ADB:Göldlin von Tiefenau, Franz Bernhard}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=11670392X}}    

Göldlin: Franz Bernhard G. von Tieffenau, apostolischer Generalvicar und Stiftspropst zu Beromünster, Kanton Luzern, Sohn des Johann Baptist G. und der Regina Balthasar, geboren zu Luzern den 4. Februar 1762, † zu Beromünster den 16. September 1819. Zufolge den Urkunden des Familienarchivs in Luzern wohnten seine Vorfahren bis gegen das Ende des 14. oder den Anfang des 15. Jahrhunderts zu Pforzheim in der Markgrafschaft Baden, wo sie Bürger waren, in angesehener Stellung und hatten namentlich an der dortigen Pfarrkirche St. Michael ein von ihnen gegründetes Kirchenlehen zu vergeben. Sie ließen sich dann in Folge eines Zerwürfnisses mit dem Markgrafen Bernhard von Baden in Zürich nieder, wo am 15. Febr. 1413 Heinrich an der Propsteikirche eine Familienpfründe stiftete. Unter seinen Nachkommen nahm der Bürgermeister Ritter Heinrich G. eine hervorragende Stellung ein, zumal auch im Burgunderkriege. Sein jüngerer Sohn, Ritter Rennward, that sich in den italienischen Feldzügen hervor, heirathete die Tochter des Schultheißen Ludwig Seiler in Luzern, wo er 1507 das Bürgerrecht erwarb. Noch er vergab als der Aelteste des Geschlechtes das Kirchenlehen zu Pforzheim und starb [335] 1555 mit Hinterlassung eines gleichnamigen Sohnes, der Chorherr zu Beromünster und dann, durch den Einfluß des römischen Gardehauptmanns Jost Segesser und seines Vetters, des Stadtschreibers Rennward Cysat, Domherr von Basel ward, als welcher er „der letzte seiner Linie“, nach Errichtung eines Familienstipendiums zu Freiburg im Breisgau 1600 starb. Von Ritter Rennwards Brüdern befehligte Georg G. 1531 die Züricher in der Schlacht bei Kappel; Kaspar G. war nach Rapperswil gezogen und focht im katholischen Heere, er wurde Landammann zu Schwiz. Seine Linie, die sich G. von Tieffenau schrieb, ist es, die mit dem Aussterben der Linie Rennwards in Luzern den Stamm fortpflanzte; und gingen aus ihr und den Seitenlinien Männer von großer Kriegstüchtigkeit hervor, wie vorzüglich der in der Schlacht bei Mollwitz am 10. April 1741 gefallene österreichische General-Feldmarschall Peter Christoph G. – Nach der kirchlichen Richtung hin erstieg das Geschlecht mit Franz B. G. seinen Höhepunkt. Als jüngerer Sohn wurde er, wie damals üblich war, zum geistlichen Stande bestimmt. Damals lehrten in Luzern auch nach Aufhebung des Ordens dem Willen der Regierung entsprechend immer noch Jesuiten unter dem Namen „Professoren des Xaverianischen Hauses“; bei ihnen studirte G. alle Classen hinauf mit aller Auszeichnung, bis er 1784 das Diöcesanseminar zu Mersburg am Bodensee beziehen konnte. Schon im folgenden Jahre erhielt er die Pfarrei Inwil unweit Luzern und zeichnete sich bald als guter Kanzelredner aus, weshalb ihm 1786 an der vierten Säcularfeier der Sempacher Schlacht die übliche Festrede übertragen wurde. Bereits 1790 erhielt er ein Canonicat in Beromünster, wozu ihm schon im Lyceum die Anwartschaft ertheilt worden war. Sein Wirken galt sofort geistiger Hebung des Chorherrenstiftes im Sinne der alten Satzungen, galt der Stiftsbibliothek, der Liturgie und der Stiftsschule, der Vertheidigung der Stiftsrechte widmete sich seine gutgeführte Feder, zumal er 1794 zum Stiftssecretär ernannt wurde und die Revolutionswogen auch die 800jährige von den Lentzburger Grafen gegründete Berona zu verschlingen drohten. Der Sturz der alten auf aristokratischer Grundlage ruhenden Verfassung des eidgenössischen Standes Luzern am 31. Januar 1798, wie die bald darauf erfolgte Invasion des französischen Heeres mit der Schöpfung der einen und untheilbaren Republik entkleidete nicht blos die Vaterstadt Göldlin’s, dessen Familie zu den verhältnißmäßig wenigen regimentsfähigen gehörte, ihrer Vorrechte über die Landschaft, sondern entriß auch seinem Stifte nebst einem großen Theile des Vermögens (auch des privaten) die bisherige Gerichtsherrlichkeit, sowie allen früheren ausschließlich aristokratischen Charakter und Glanz, auf einige Zeit sogar die Selbstverwaltung. G. half mit großen Opfern retten, was zu retten war und hatte hierbei ein wesentliches Verdienst, indem die schwierigsten Aufgaben stets ihm zufielen, wie die beiden theils im Auftrage des Stiftscapitels, theils der gesammten Landgeistlichkeit des Cantons an das helvetische Directorium gerichteten Zuschriften vom 17. März 1800. Fast gleichzeitig mußte der friedsame Mann zur Polemik sich entschließen; er veröffentlichte zur Abwehr gegen einen Angriff: „Bemerkungen über des Freiheitsfreundes sichere Kennzeichen des katholischen Priesters und Pfaffen“, 1800. Mit der Mediationsverfassung vom 19. Februar 1803 gestaltete sich das Verhältniß zwischen Staat und Kirche wieder freundlicher und damit auch die Lage des nunmehr im Geiste der Zeit regenerirten Stiftes, an dessen durch den Tod erledigte Propstei am 28. März gedachten Jahres nun G. gewählt wurde. Seine bisherigen für das Stift ausgeführten Arbeiten waren für ihn eine Schule der Diplomatie, wie der Diplomatik gewesen. Genöthigt bei der Ausarbeitung seiner verschiedenen Denkschriften mit den Urkunden seines Gotteshauses genauere Bekanntschaft zu machen, lernte er dessen Geschichte aus den Quellen kennen und [336] gewann damit zugleich manchen helleren Blick in die Geschichte des Vaterlandes. Zudem hatte er im Archiv und in der Bibliothek der eigenen Familie frühzeitigen Anlaß gehabt, Geschichtsstudien zu machen. Mit den Familien Cysat und Tschudi, wo die Geschichtspflege so leuchtende Vorbilder hatte, waren seine Vorfahren in verwandtschaftlichen Verhältnissen gestanden. Die erste Frucht seiner historischen Studien zeitigte das Jahr 1808, mit welchem gerade jetzt in der Uebergangszeit von der alten zur neuen Eidgenossenschaft seit der vermeintlichen Befreiung von österreichischer Vögtegewalt das halbe Jahrtausend sich erfüllte. Was G. auch als diesjähriger Festredner an der Sempacher Feier vor glänzender Versammlung voll patriotischer Begeisterung aussprach, wollte er im Anschluß an Virgil’s Heu pietas, heu prisca fides, invictaque bello dextera in urkundlich historischer Begründung durchführen und schrieb den „Versuch einer urkundlichen Geschichte des drey Waldstätte-Bundes oder der ältesten freyen Verfassung und Verbindung der drey Cantone Uri, Schwyz und Unterwalden als Grundlage der schweizerischen Eidgenossenschaft. Ein Beitrag zur vaterländischen Jahresfeier“ u. s. f., 1808. Der Propst unterzeichnete sich zugleich als „Bürger von Luzern und Landmann zu Schwyz“, wo der ruhmvoll bekannte Alois Reding, jetzt Mitglied des Directoriums, zu seinen besten Freunden zählte. Es gereichte ihm zur Genugthuung, in der Vorrede jene denkwürdigen Worte abdrucken zu lassen, die Napoleon an Göldlin’s Freund, Vinzenz Rüttimann, den damaligen Landammann der Schweiz auf den gleichen Anlaß geschrieben hatte: „Mögen die Ursachen, welche bisher seine (des schweizerischen Vaterlandes) Dauer gewährleistet haben, Ihrer Nation stets vor Augen schweben. Ihrem Muth und der Einfalt ihrer Sitten hatte sie diese lange Aufrechthaltung zu danken. Bewahren Sie diese und hinterlassen Sie auch nach Ihnen das Gedächtniß dieser alten Tugenden und die Schweiz wird weiter auf meine Zuneigung zählen können“. – G. fuhr fort als Historiker auf die Tugenden der Alten hinzuweisen und gab, voll Verehrung für den Mann, den er unter seine mütterlichen Ahnen zählte, 1808 die zweite Auflage der schon vor zwei Jahren zum ersten Male erschienenen Schrift „Geist des sel. Bruders Klaus zur Förderung eines guten Sinnes und Lebens“, heraus. An dieses Buch reihte sich dann sein bestes und besonders in kulturgeschichtlicher Hinsicht verdienstvolles an: „Geist der letzten Hälfte des XV. und der ersten Hälfte des XVI. Jahrhunderts in der Schweiz in politischer, litterarischer und religiöser Hinsicht, oder Konrad Scheuber von Altsellen, ein Tochter-Sohn des sel. Bruder Niklaus von Flüe“. Zwei Theile, 1814. Die Absicht war die frühere, diesmal mit Boethius’ Worten ausgesprochen: Utinam modo nostra redirent in mores tempora priscos. – Jetzt aber mußten die historischen Studien der Bethätigung auf dem kirchenpolitischen Gebiete weichen. Mit dem Beginne des neuen Jahrhunderts und der neuen Zustände brach immer mehr der Gedanke sich Bahn, den schweizerischen Antheil des alten Bisthums Constanz von demselben zu trennen und dieser Gedanke ward vorzüglich da gehegt, wo man mit Generalvicar Wessenberg’s kirchlichem Vorgehen nicht einverstanden war. Der Diöcesanclerus schied in zwei Parteien sich aus: die eine, vorzüglich im badischen Lande, aber auch im Canton Luzern durch den Stadtpfarrer und bischöflichen Commissar Thadeus Müller vertreten, stand zu Wessenberg; die andere, die aus der Landshuter Schule Sailer’s tüchtigen jungen Zuwachs erhielt, die Professoren Gügler und Widmer an der Spitze, fand ihren Mann in G., der seinerseits an den päpstlichen Nuntius in Luzern sich anlehnte. Der Trennungsgedanke war besonders in den Urcantonen beliebt und wurde durch verschiedene Zwischenfälle, wie durch das Concordat Dalberg’s mit Luzern vom 19. Februar 1806 und 1812 durch die Berufung Deresers an das Priesierseminar in Luzern lebhaft genährt, jedoch [337] durch das Ansehen, das Dalberg bei Napoleon genoß, lahm gelegt bis zum Sturze des Imperators. Jetzt sprach ein päpstliches Breve unterm 7. October 1814 die Trennung aus und noch am letzten Tage gleichen Jahres wurde sie durch die Nuntiatur vollzogen. G. wurde als apostolischer Generalvicar an die Spitze gestellt, 10. Januar 1815. Hatten diese Ereignisse ihm schon seit Jahren, da sie vorbereitet wurden, der Mühen und Sorgen unzählige gekostet, so lud ihm die neue, persönlich nicht gesuchte Würde nicht weniger Opfer auf. Das alte Constanzer Domcapitel erhob wider das Geschehene mit Zuschrift vom 31. Januar gl. J. an die schweizerische Tagsatzung Protest; Dalberg blieb bis zu seinem Tode (10. Februar 1817) mit Wessenberg im Ganzen einig, mochte er auch gegentheilige Anwandlungen haben, und beide zählten in der Schweiz viele Verehrer. Nicht blos den Schwierigkeiten von dieser Seite sah G. sich ausgesetzt, sondern auch solchen von der entgegenstehenden Partei. Den persönlichen Angriffen gegenüber erschien von ihm endlich: „Ein Wort zur Zeit gegen die Zeit oder Hirtenbrief zu seiner Selbstvertheidigung, ins Deutsche übersetzt“, 1816. Lieber freilich wäre ihm gewesen, wenn man rascher aus dem provisorischen Zustande heraus zur vollen Lösung der Bisthumsfragen gelangt wäre, zumal seine Gesundheit in solchem Grade abnahm, daß er in Rom ernste Schritte thun ließ, um des apostolischen Vicariates enthoben zu werden. Da trat der Tod schneller als erwartet ins Mittel. Der schönste Lorber ward dem Verblichenen gerade von der Seite auf den Sarg gelegt, von welcher er bei Lebzeiten am meisten bekämpft worden war, Zschokke’s „Schweizerbote“ schrieb am 30. September 1819: „Der Verewigte hatte durch Reinheit der Sitten, durch einen redlichen und milden Charakter und durch historische sowol als theologische Kenntnisse, sich die Achtung und Liebe Derer, die ihn in der Nähe oder aus der Ferne kennen zu lernen den Anlaß hatten, erworben. Seine Ernennung zum apostolischen Generalvicar konnte vor fünf Jahren als eine Huldigung der ihn zu dem Amte gleichsam bezeichnenden öffentlichen Meinung angesehen werden und das Vertrauen in die trefflichen Eigenschaften des Gewählten war es auch, was den Anstoß vorzüglich beseitigen half, der aus seiner mit Uebergehung des Landesherrn durch den päpstlichen Nuntius geschehenen Einsetzung und Beeidigung sich ergeben hatte und dadurch die anfangs verweigerte Anerkennung des gleichsam aufgedrungenen Seelenhirten von Seite der Cantone nach und nach erzielt ward. Indessen waren die Umstände so schwierig und wurden es noch immer mehr, daß sie den redlichen Mann hindern mußten, alles das Gute zu thun, zu dessen Erwartung sein vortrefflicher Wille im Einklang mit seinen Einsichten berechtigt hatte, und daß man mit Wahrheit sagen kann, er sei als Märtyrer seiner Berufstreue und der ihm auferlegten allzuschweren Bürde gestorben“.

Archiv der Familie G. v. Tieffenau in Luzern; Eidgenössische Abschiede passim; Geschichtsfreund Bd. V. Kothing, Die Bisthumsverhandlungen der schweiz.-constanz. Diöcesanstände von 1803–62, Schwyz 1863. Lütolf, Domherr. L. Schiffmann, als Beitrag zur Charakteristik der Sailerschule in der Schweiz, Luzern 1860. Monatsrosen des schweiz. Studentenvereins, Jahrg. 1876 und 1877, Stans, worin von B. Fleischlin: F. B. G. v. Tieffenau, Generalvicar und Stiftspropst. K. Pfyffer, Geschichte des Cantons Luzern, 2 Bde., Luzern 1861.