ADB:Haßler, Hans Leo
Familie, deren Mitglieder sämmtlich ausübende Musiker waren. Sein Vater Isaac H. war „ein fürnemer Musikus in der Kayserlichen Berckstadt S. Joachimsthal“, der „um der Kunst und anderweitiger Förderung willen, sich nach Nürnberg gewendet“ hatte, wie es in der zu Leo Haßler’s Begräbnißfeier von dem kursächsischen Hofprediger Daniel Hähnichen gehaltenen Leichenpredigt (siehe einen Auszug daraus von Philipp Spitta, Monatshefte für Musikgeschichte, Jahrgang III, 1871, Nr. 2 und 3, S. 25) wörtlich heißt. Dort wurden ihm eine Tochter und drei Knaben, nämlich Jacob, Kaspar und im J. 1564 unser Hans Leo geboren. In welchem Altersverhältnisse diese Geschwister zu einander standen, ist noch nicht ermittelt. Alle drei Brüder widmeten sich der Musik, von denen jedoch unser Hans Leo der weitaus bedeutendste und fruchtbarste war. Der Vater sandte den hochbegabten Sohn, der zur Musik „von Natur inclinirte“, wie der obige Bericht bemerkt, im J. 1584 behufs weiterer Ausbildung nach Venedig zu dem berühmten Organisten an der Marcuskirche Andrea Gabrieli, wozu er von dem reichen Augsburger Kaufmannshause der Fugger eine Unterstützung erhielt, wie H. selbst in der Vorrede zu seiner Ausgabe mehrstimmiger Messen vom J. 1599 ausdrücklich bekennt. Die darauf bezügliche Stelle der an Ottaviano II. Fugger gerichteten Dedication lautet nämlich wie folgt: „Norunt enim hic quam plurimi, quae illustris generositatis tuae propensa voluntas, qui ardens sit amor in pium illum Musicae usum; norunt quae ab annis quatuordecim ejusdem illustris generositatis tuae in me artis illius divinae studiosum beneficia extent.“ Nach seiner Rückkehr aus Italien trat er 1585 in die Dienste des Grafen Ottaviano [11] II. Fugger zu Augsburg als „Organist“, wie er sich selbst auf dem Titel seines Erstlingswerkes, einer Sammlung italienischer Canzonetten zu 4 Stimmen, datirt vom 1. Decbr. des J. 1589, bezeichnet. In dieser Stellung verweilte H. bis zum J. 1601, wo er Unterhandlungen mit dem Nürnberger Magistrate wegen einer Uebersiedelung von Augsburg nach Nürnberg anknüpfte, wie die darauf bezüglichen Actenstücke (siehe Monatshefte für Musikgeschichte, Jahrgang 1, 1869, S. 15–19, veröffentlicht von Franz Witt) evident nachweisen. Das Motiv zu dieser Uebersiedelung scheinen weniger seine pecuniären Verhältnisse abgegeben zu haben, die er in Augsburg bis auf 400 Gl. jährlich veranschlagt, während ihm in Nürnberg nur 200 Gl. geboten und gewährt werden konnten, als vielmehr die Aussicht auf einen größeren künstlerischen Wirkungskreis. Dies scheint aus einer Stelle des Reverses (siehe ebendaselbst) hervorzugehen, den er an dem Tage seines Amtsantrittes und seiner Vereidung in Nürnberg, den 16. August 1601, eigenhändig unterschrieben und mit seinem Petschaft versehen hat. „So soll und will ich“, heißt es daselbst, „nicht allein mit Anstellung der Musik Iren Herrlichkeiten als oft sie es mir bevehlen und schaffen werden, es sei in welcher Kirchen auch an was andere ort es woll, vnd also wo sie mich hinweisen, willig und gern neben andern, so darzu verordnet werden, aufwarten und dienen, sondern auch gemainer Stadt bestellten Stadtpfeifern vnd andern Musicis, die sich zur Musik gebrauchen lassen, hülflich, räthlich vnd beiständig mich erzeigen, damit durch meine anweisung vnd wolmeinlich getrewe Instruction gemainer Stadt zu desto mehrerem ruhm vnd menniglichs wolgefallen die Musik zu etwas besserm aufnehmen vnd mehrer zierlichkeit gebracht werden möge etc.“ Somit scheint er mehr ein Oberaufsichtsrecht über die ganze städtische musikalische Amtspflege mit der Bedingung zur Lieferung von Compositionen erhalten und nur nebenbei als Organist an der Liebfrauenkirche fungirt zu haben. Er selbst hat sich wenigstens in den Werken, welche in den Nürnberger Aufenthalt fallen, nie wieder der früheren Bezeichnung „Organist“ bedient, sondern stets gezeichnet: „Norimbergensis“ oder „von Nürmberg, Römisch. Kayserl. Majestät Hofdiener“, wenngleich die amtlichen Schreiben ihn stets nur kurzweg „Organist“ nennen. Dieser so eben erwähnten Auszeichnung, welche zugleich mit der Adelsverleihung von Seiten des römisch-deutschen Kaisers Rudolf II. verknüpft gewesen sein soll, wird allerdings in der oben angeführten Leichenpredigt von Daniel Hähnichen ausdrücklich mit den Worten gedacht: „Vnd dannenhero von dem wailand allerdurchlauchtigsten großmächtigsten Kaiser Rudolph II. zum Diener gnedigst verordnet und mit der Nobilitet vmb seiner kunst vnd underthenigsten Dienstleistung willen bedacht worden.“ Auch das Verzeichniß, welches unmittelbar nach erfolgtem Ableben des Kaisers am 20. Febr. 1612 Morgens in der Früh zwischen 7 und 8 Uhr auf dem Schlosse zu Prag von dem kaiserlichen Hofcontroleur angefertigt wurde (siehe Riegger’s Archiv der Geschichte und Statistik Böhmens, Bd. II, S. 193) führt H. unter der Rubrik: Capelle: unmittelbar hinter dem Vicecapellmeister Alexander Horologio, wie folgt an: „Diener auf zwei Pferden Hans Leo Haßler vom 1. Januar 1602 monatlich 15 Gl.“ Gleichwol schwebt über dem Verhältniß Haßler’s zum kaiserlichen Hofe insofern ein Dunkel, als durch Actenstücke (Monatshefte für Musikgeschichte, Jahrgang I, 1869, S. 16–19) unzweifelhaft nachgewiesen worden ist, daß H. einen persönlichen Aufenthalt am kaiserlichen Hofe wenigstens auf die Dauer nicht gehabt haben kann. Daß er im J. 1601 wie Doppelmayr in seinen historischen Nachrichten von Nürnberger Künstlern (S. 211) mittheilt, nach Wien gereist und daselbst vom Kaiser Rudolf II. als Hofmusikus angenommen worden sei, mag in der That wohl begründet sein, wenngleich es bis jetzt nicht erwiesen ist. Denn nach einer Nürnberger städischen Acte vom [12] 20. November 1604 war er damals nicht nur noch „Organist“, sondern lebte auch dort: „Hansen Leo Haßler Organisten soll man ein Jahr lang zu Ulm bei seinem Schweher zu wohnen erlauben, ihm aber seine Besoldung nichts desto weniger verabfolgen lassen, doch das er inmittels, wann man seiner bedarff, herabkomme, auch die Losung zahle. Man soll ihm auch einen schriftlichen Schein geben, das ihm auf ein Jahr lang erlaubt worden.“ Ich schließe mich daher ganz der Ansicht Witt’s an (Monatshefte, Jahrgang I, 1869, S. 18), daß jene Bezeichnung „Römisch. Kais. Majestät Hofdiener“ nur eine Auszeichnung gewesen ist, die zwar mit einem Ehrengehalte, aber nicht mit einer persönlichen Dienstleistung von Dauer verknüpft war (auch Ambros Bd. III, S. 557 ist darnach zu berichtigen). Aus der angesehenen Stellung als Organist in Nürnberg schied H. noch wenige Jahre vor seinem Tode 1608 aus, um einem ehrenvollen Rufe an den kursächsischen Hof nach Dresden als Kammerorganist Folge zu leisten. Diesen Uebertritt in kursächsische Dienste wollen zwar einige Schriftsteller wie z. B. v. Winterfeld (Evangel. Gemeindegesang, Tom. I., S. 373) als unwahrscheinlich in Abrede stellen. Er ist aber durch Actenstücke nachzuweisen. Nicht nur heißt es in obiger Leichenpredigt: Ingleichen er denn auch Herrn Christiano II., Herzogen zu Sachsen etc., sowohl Herrn Johann Georgen Herzogen zu Sachsen etc. nunmehr über die vier Jahr für einen fürnehmen Musicanten und Cammerorganisten vnderthenigst auffgewartet.“ Ich habe aber auch im königl. Geh. Staatsarchiv in Dresden zwei Actenstücke gefunden, deren eines, eine vom Kurfürsten Christian II. an den Hofmarschall Thomas Lebzelter in Leipzig unmittelbar nach Haßler’s Anstellung erlassene Verfügung lautet: „Lieber Getreuer! Wir haben belängsten Hans Leo Haslern vor einem Musicum an unsern Hoff annehmen und bestellen lassen, auch itzo gnädigst bewilligt, daß ihm 500 Gl. abrechnungs seiner ihm gewährten Besoldung ausgezahlt werden sollen. Begehren derowegen hiermit gnädigst, Du wollest ihm gedachte 500 Gl. zustellen, die sollen Dir aus unsrer Rentkammer gegen Belegung dieses unsers Scheins wieder gut gemacht werden.“ Datum Schleinitz, am 28. October 1608. Die andere, ebenfalls an Lebzelter, lautet: „Lieber Getreuer! Nachdem wir gerne gesehen, das unserm bestellten Musico Hans Leo Haslern itzigen Michaelismarkt 500 Gl. auff seine Besoldung ausgezahlt wurde, als begehren wir gnädigst, Du wollest so möglichen, soviel Geldes gegen seine Quittung hergeben und künftig die Wiedererstattung aus unsrer Rentkammer erwarten.“ Datum Dreßden, den 31. September anno 1610. Die Höhe dieser Geldbewilligungen, selbst wenn sie nur als Vorschüsse auf seine Besoldung aufzufassen sind, lassen auf die hohe Gunst schließen, in welcher H. bei seinem Fürsten stand, dem er schon vor seinem Eintritte in kursächsische Dienste im J. 1607 eines seiner Hauptwerke, die berühmten „Psalmen, künstlich auf contrapunktweise gesetzt“ zugeeignet hatte. Auch scheint H. sich noch besondererer Gnadenbezeugungen von dem Kurfürsten zu erfreuen gehabt zu haben, denn es befand sich in seinem Nachlasse noch ein Instrument, welches von Paul Schürern angefertigt, ihm von dem Kurfürsten geschenkt worden war, wie ein Bericht (siehe Königl. Sächs. Staatsarchiv, Kammersachen, 1612, Tom. I, Loc. 7320) einen Monat nach Hasler’s Tode vom 10. Juli 1612 ausdrücklich in einer Nachschrift erwähnt. Leider sollte sich H. dieser künstlerisch wie pecuniär befriedigenden Stellung nicht lange erfreuen, da er seit etlichen Jahren schon an der Schwindsucht litt, wie denn auch die Beurlaubung im J. 1604 aus dem Nürnberger Dienste auf ein ganzes Jahr zu seiner verheiratheten Schwester nach Ulm auf einen schon höchst bedenklichen Krankheitszustand schließen läßt. Auch spricht die Leichenpredigt von demselben in beweglichen Ausdrücken: „Seine Krankheit anlangend, hat er sich etzliche Jahre hero mit der Schwindsucht geschleppet, welche ihn auch allmehlich so lente absumirt und verzehret, daß gar [13] keine Hoffnung des Lebens mehr vorhanden.“ – Trotz seiner schweren Krankheit begleitete H. seinen neuen Herrn, den Kurfürsten Johann Georg I. 1612 doch noch auf den Kurfürstentag nach Frankfurt a. M., wo er Montags den 8. Juni, früh gegen 1 Uhr sanft und selig entschlief. Die Leichenpredigt sagt: „Nachdem er vermerket, daß seines Lebens Ende vorhanden, hat er sich am abgewichenen Freitag nach der Predigt mit Gott versöhnt, in wahrer herzlicher Reu und Leide sein Sünde erkannt, und nach empfangener Absolution und Vergebung seiner Sünden, den wahren Leib und Blut Christi genossen. Ein solches Bekenntniß hat er am Sonntage noch repetirt und wiederholt, und daß er nochmals bis in den Tod verharren wollte, mit Hand und Mund zugesagt: Sehen wir allhier einander nicht mehr, so wollen wir, ob Gott will, dort im ewigen Leben einander sehen.“ – Diese Stelle gibt uns zugleich Aufschluß über Haßler’s Glaubensbekenntniß, über welches bei den verschiedenen Stellungen, in denen er sowol katholischer als auch protestantischer Seits thätig war, allerdings noch Zweifel herrschen könnte. Denn sein erster Dienst als Organist bei dem katholischen Grafen Fugger war gewiß an einer katholischen Kirche wie die daselbst zuletzt veröffentlichte Sammlung von 8 Messen wol unzweifelhaft darthut. Andererseits schrieb er zu Nürnberg für den Dienst der Kirche zu Unserer lieben Frauen, die meines Wissens nur dem katholischen Cultus gewidmet war, die berühmten Tonsätze für protestantische Singweisen im einfachen Tonsatze von 1608, von denen er selbst in der Vorrede dazu bekennt, daß „man sie in den Kirchen zu Nürnberg, allermeist aber und zwar anfänglich, in der Kirche bey unsrer Frauen durch das gantze jar zu singen geübet und gewohnet.“ Alle diese scheinbaren Widersprüche, die sich durch den Gedanken seiner ursprünglichen Abstammung aus dem böhmischen Gebirgsstädtchen „Joachimsthal“, an seine Reise nach Wien zu dem Kaiser Rudolf II., an die dort erhaltene kaiserliche Gnadenbezeugung und Verleihung des Adelsstandes, sowie an andere derartige Umstände leicht noch vermehren ließen, löst nun der obige Bericht über sein Lebensende definitiv. Derselbe läßt keinen Zweifel mehr zu, daß H. in dem lutherischen Glaubensbekenntnisse gelebt und gestorben. H. war seit dem J. 1605 verheirathet und zwar mit Cordula, geborene Cläusin, wie die Leichenpredigt sie nennt. Seine siebenjährige Ehe war kinderlos geblieben. Ein Porträt von ihm findet sich in Freher’s Theatrum mundi. – So einfach im Ganzen die äußeren Lebensverhältnisse dieses hoch begabten Künstlers zu nennen sind, so bedeutend und fruchtbringend muß dessen innere künstlerische Thätigkeit bezeichnet werden. Auf allen Zweigen der damals üblichen Kunstpflege war H. heimisch und thätig, und zwar in einer Weise, die ihn hoch über alle seine Zeit- und Kunstgenossen erhebt. Vom geringsten zur Belustigung der heitern Jugend gesetzten Tanze für Instrumente, vom kleinsten anspruchlosesten zur Unterhaltung am häuslichen Herde bestimmten, für wenige Stimmen berechneten weltlichen Liede bis zum größten erhabensten zur Andacht und Erhebung componirten acht- und mehrstimmigen geistlichen Kunstgebilde in Motetten- und Messenform hat sich eine jede dieser Kunstformen seiner besonderen Pflege und Fürsorge zu erfreuen gehabt. Das chronologische Verzeichniß und die Beschreibung seiner sämmtlichen Werke nebst den verschiedenen Ausgaben ist von R. Eitner ausführlich zusammengestellt (siehe Beilage zu den Monatsheften für Musikgeschichte V. und VI. Jahrgang). Hier genüge ein kurzer Ueberblick. H. begann seine Künstlerthätigkeit mit einem Bande „Italienischer Canzonetten“ zu 4 Stimmen, 1590, den er selbst in der Vorrede als sein „Erstlingswerk“ bezeichnet. Diesem folgen in schnellen Pulsen seine „Cantiones sacrae de festis“, 4–8 voc., 1591, „Madrigali“ a 5–8 voc., 1596, ein anderer Band „Madrigalien und Canzonetten“ mit 4–6 St. in demselben Jahre 1596, ein Band „Messen“ zu 4–8 Stimmen, 1599, zwei [14] Jahre später die „Sacri concentus“ zu 4 und 12 Stim., 1601, in demselben Jahre der hochbedeutende „Lustgarten weltlicher Lieder“ zu 4–8 Stimmen,1601, desgleichen eine vermehrte Ausgabe der „Sacri concentus“, 1601, ferner die „Psalmen und christlichen Gesänge auf contrapunctsweise gesetzt“, mit 4 und 5 Stimmen von 1607 und endlich sein wichtigstes und reifstes Werk, „Kirchengesäng und geistliche Lieder“ mit 4 Stimmen, 1608, im einfachen Tonsatze. Diesen schließen sich noch zwei Werke an, die erst nach seinem Tode erschienen, nämlich eine Sammlung weltlicher Stücke, „Venusgarten“, neue lustige Tänze zu 4, 5, 6 Stimmen, 1615, – welche aber nur ältere schon veröffentlichte Nummern bringt – und eine „Litaney“, deutsch zu 2 Chören für 7 Stimmen von 1619. Alle diese Werke enthalten zusammengenommen an 365 Tonsätze, zu denen noch eine kleine Serie hinzukommt, die sich in verschiedenen gleichzeitigen wie späteren Sammlungen vorfindet, 26 Nummern an der Zahl. Bedenkt man, daß unter diesen circa 400 Tonstücken einige von nicht unbedeutendem Umfange sind, wie z. B. die acht Messen, ferner die Mehrzahl der geistlichen Compositionen zu mehr als vier Stimmen, so kann man sich von der Thätigkeit dieses Meisters in quantitativer Beziehung einen ungefähren Begriff machen. Doch nicht die Quantität, sondern die Qualität bestimmt den Werth des Künstlers. Eine allgemeine Würdigung seiner Werke hat schon Ambros (Tom. III, S. 556 ff.) gegeben, auch Fr. Witt (siehe Monatshefte, Jahrg. I, 1869, S. 15) läßt ihm, wenn auch nur auf Grund der acht Messen, die vollste Gerechtigkeit widerfahren. Doch scheint mir bei allen Lobeserhebungen im Allgemeinen eine Charakteristik im Einzelnen doch immer noch zu fehlen. Drei Gebiete sind es vorzüglich, auf denen H. Ausgezeichnetes nicht blos für seine Zeit, sondern für alle Zeiten geleistet hat, auf welchen unserm Meister die Palme zuerkannt werden muß, auf welchen Keiner von seinen Kunst- und Zeitgenossen ihn übertrifft, Keiner ihn auch nur von fern erreicht. Diese sind einmal in dem Tonsatze zu dem deutschen weltlichen Liede, zweitens in der fugweisen, thematischen Bearbeitung protestantischer Singweisen, endlich drittens in dem einfachen Tonsatze zu dem protestantischen Gemeindeliede nota contra notam. Im deutschen weltlichen Liede erringt er sich diese hohe Stellung durch seinen Lustgarten, 1601, ein Muster- und Meisterwerk aller weltlichen Liedercomposition in Deutschland. Dasselbe zählt nicht mehr zur Masse der älteren Volksweise, die mit Senfl, ihrem letzten namhaftesten Vertreter, ihren Abschluß fand, zählt vielmehr zur Masse, die an das italienische Madrigal anschließt, wiewol noch einzelne Anklänge an ältere deutsche Art vorkommen. wie z. B. das herrliche Liebeslied auf M. A. R. I. A.: Mein Gemüth ist mir verwirret (Nr. 24). Als eine der duftigsten Blüthen dieser kostbaren Liedersammlung kann wol füglich außer dem oben genannten fünfstimmigen jenes sechsstimmige Lied: Ach süße Seel, mich nit so quel (Nr. 29 und 30) bezeichnet werden. Auf dem Gebiete der geistlichen Tonweise legte H. seine hohe Meisterschaft in dem Werke: „Psalmen und christliche Gesänge“ zu 4 Stimmen auf die Melodien fugweise componirt vom J. 1607 nieder; Contrapunkte zwar von anderer Gattung als jene des italienischen Meisters Palestrina über die Hymnen, aber von kaum geringerem Werthe, denen selbst in der allgemeinen Verflachung und Gesunkenheit des musikalischen Geschmackes am Ende des vorigen Jahrhunderts eine solche Anerkennung zu Theil wurde, daß von denselben 1777 eine neue Auflage in Partitur auf Anregung der musikalisch gebildeten Prinzessin Amalie von Preußen durch Kirnberger veranstaltet wurde. Endlich setzte H. seiner reichen künstlerischen Thätigkeit durch sein letztes und weitaus reifstes Werk die Krone auf, die ihm auch bis auf den heutigen Tag nicht hat streitig gemacht werden können, durch die Herausgabe seiner einfachen Tonsätze zu protestantischen Gemeindeliedern [15] für 4 Stimmen vom J. 1608, eines geistlichen Liederbuches, das durch seine nervige Modulation auf tonischer Grundlage, durch seine edle, bedeutungsvolle schwerwiegende Tonreihe aller Stimmen, durch die Energie und Kraft seiner Harmonieführung nicht nur eins der besten, sondern das beste Liederbuch im einfachen Tonsatze ist, das die protestantische Kirche überhaupt besitzt. So ergibt sich denn H. als der wahre Mittelpunkt des älteren Tonsatzes, und zwar einmal zur weltlichen Liedweise, sodann zum geistlichen contrapunctirten Liede, endlich drittens zum protestantischen Gemeindeliede, als der Künstler, den die Weihe der Kraft weitaus über alle anderen erhebt, dem das protestantische Deutschland eine Stellung einzuräumen bis jetzt versäumte, wie sie ihm gebührte, eine Stellung, würdig neben den größten Heroen der katholischen Kirche neben einem Palestrina italienischer Seits und einem Jacobus Gallus deutscher Seits genannt zu werden. Ich kann daher nur aus vollster Ueberzeugung in die inhaltschweren Worte des ehemaligen Nürnberger Rathsherrn G. Volckhamer mit einstimmen, der seinen Collegen diesen hochbedeutenden Künstler 1601 nicht besser zu empfehlen wußte, als durch die unumwundene Erklärung: „Sintemal außer Zweifels, daß dieser Zeit seines gleichen in Teutschland nit ist, und auch unter den Teutschen bis auf diese Zeit kein solcher Componist gefunden worden.“
Haßler: Hans Leo H. (1564–1612), einer der größten deutschen Tonsetzer. Er stammt aus einer