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ADB:Senfl, Ludwig

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Artikel „Senfl, Ludwig“ von Robert Eitner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 34 (1892), S. 27–30, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Senfl,_Ludwig&oldid=- (Version vom 3. Dezember 2024, 18:33 Uhr UTC)
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Band 34 (1892), S. 27–30 (Quelle).
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Senfl: Ludwig S., neben Heinrich Finck, Thomas Stoltzer und Paul Hoffhaimer der bedeutendste deutsche Componist aus der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts und der letzte Vertreter des alten deutschen Liedes. S. nennt sich mit Vorliebe „ein Schweizer“; doch ist der Ort seiner Geburt zweifelhaft. Peutinger nennt zwar in dem Sammelwerke „Liber selectarum cantionum“ von 1520 im Nachworte „Augusta Rauracorum“, d. i. Basel-Augst als Geburtsort (siehe M. f. M. III, 94 und VIII, 43), da aber mit Augusta Rauracorum auch Basel selbst bezeichnet wird, so bleibt es immer zweifelhaft, welcher der beiden Orte gemeint ist. Die Geburtsregister von Basel führen ihn nicht auf, auch würde sich S. wol selbst einen Baseler und nicht blos einen Schweizer genannt haben, wenn er nicht das kleine Dorf Basel-Angst zum Geburtsorte gehabt hätte. Ueber das Jahr seiner Geburt fehlt jegliche Nachricht und man kann nur durch Combination verbürgter Thatsachen ungefähr einen Schluß auf sein Alter ziehen. Heinrich Isaac, der nebenbei bemerkt kein Deutscher, sondern ein Flanderer ist und gegen 1517 in Florenz gestorben, wie das von ihm aufgefundene Testament bekundet (siehe M. f. M. XXII, 64), stand in Diensten des Kaisers Maximilian I. als Hofcomponist und lebte von 1497 bis 1515 am Hofe zu Innsbruck (l. c. XIX, 55). S. ist ein Schüler Isaac’s, wie Peutinger bezeugt, er muß also in obiger Zeit Isaac’s Unterricht genossen haben, und da er 1515 der Nachfolger Isaac’s wurde (nach Peutinger und M. f. M. XIX, 55), so muß er in diesem Jahre bereits in einem Alter gestanden haben, welches ihn berechtigte, ein so hervorragendes Amt zu bekleiden. Da nun S. gegen 1550–1555 gestorben ist, so muß er 1515 etwa 25 Jahre alt gewesen sein, wäre demnach 1490 geboren und hätte 1550 sechzig Jahre gezählt. Die kaiserliche Hofcapelle war damals eine Privatangelegenheit des jeweiligen regierenden Kaiser und wurden die Mitglieder derselben bei jeder Thronbesteigung entlassen. Auch unseren S. traf nach dem Tode Maximilian I. im Jahre 1519 dieses Loos. Karl V. stellte ihn nicht wieder an, wies ihm aber „d. d. Augsburg, 19. Februar 1520 fünfzig Gulden rheinisch als Provision aus Engelhartszell“ an (siehe M. f. M. IV, 211). Bei Engelhartszell lag ein Cistercienserkloster mit reichen Pfründen, welche an verdiente Männer vergeben wurden. Wie lange S. im Genusse derselben sich befand, ist unbekannt. Die Zeit der Muße benützte S., um das bedeutende oben schon erwähnte [28] Sammelwerk, welches 1520 in Augsburg von Grimm und Wyrsung gedruckt wurde (siehe meine Bibliographie der Musik-Sammelwerke 1877 S. 14/15) zusammen zu stellen und zu redigiren. Von seinen eigenen Compositionen befinden sich 5 Motetten und ein Canon darin, ebensoviele von seinem Lehrer H. Isaac u. a. In Baiern regierte der kunstsinnige Fürst Wilhelm IV. und bei ihm fand S. endlich eine ihm gebührende Stellung. In den baierischen Acten über die Capelle ist über diese Zeit kein Document vorhanden und nur aus einem Druckwerke Senfl’s von 1526 erfahren wir, daß er bereits in diesem Jahre als Cantor in München angestellt war. „Musicus intonator“ nennt er sich auf dem Titel der „Quinque salutationes D. N. Jesu Christi“, d. h. wol nichts andres als erster Sänger, dem die Capellmitglieder untergeordnet waren. In späterer Zeit erhielt der Inhaber dieser Stellung den Titel „Capellmeister“. In den Horazischen Oden von 1534 nennt er sich des Fürsten Wilhelm von Baiern „Musicus primarius“. Briefe von S. aus den Jahren 1532–1538, abgedruckt im 4. Bande der Publication älterer praktischer und theoretischer Musikwerke (Leipzig 1876, Breitkopf & Haertel S. 75 ff.) belehren uns, daß er in dieser Zeit den Titel „fürstlicher Componist“ führte. Ueber die Zeit seines Todes besitzen wir zwei Documente, welche das Jahr ungefähr bestimmen. Georg Forster, der Herausgeber der 5 Theile Liederbücher, bezeichnet S. im 5. Theil im Vorworte, gezeichnet mit „Nürnberg, den 31. Januar 1556“ als „Herren Ludwig Senffel seligen“ und David Köler in Zwickau spricht in der Vorrede zu seinen 10 Psalmen von 1554 von S. als von einem noch Lebenden. Somit wird das Jahr 1555 als das zutreffendste bezeichnet werden können. – S. nähert sich seinem großen Meister Isaac in mehrfacher Weise: als Componist von Motetten ist sein Stil ernst und erhaben und steigert sich bis zur Herbheit des echten Niederländers, wogegen er im deutschen Liede eine Innigkeit und Zartheit zeigt, die sich nur bei Isaac’s besten deutschen Liedern wiederfindet, wie z. B. in dem vierstimmigen Liede „Innsbruck ich muß dich lassen“. Von seinen Zeitgenossen wurde er über Alles geschätzt und alle Aussprüche gipfeln in dem Ausdrucke der höchsten Bewunderung. Bekannt ist die hohe Verehrung, welche Luther seiner Meisterschaft zollte. Er wechselte mehrmals Briefe und litterarische Gaben mit ihm, und zwar, um ihn bei seiner katholischen Umgebung nicht zu compromittiren, durch Vermittlung Hier. Baumgärtner’s. Johann Ott, der gelehrte Herausgeber und Buchhändler in Nürnberg, ein Zeitgenosse Senfl’s, räumt ihm den nächsten Platz nach Josquin Deprès und Isaac ein und fügt hinzu, daß sich in ihm der Geist seines unübertrefflichen Lehrers Heinrich Isaac verrathe. Der erfahrene und geübte Kunstkenner bewundere aber an ihm noch eine besondere Kraft und wahrhaft deutsche Würde, die Plato in der Musik so vornehmlich empfehle, während er die Verweichlichung und Schlaffheit, in welcher heutigen Tages die anderen Nationen befangen zu liegen scheinen, als nicht würdig genug für Männer, ja sogar als gefährlich für die Sitten verwerfe (Vorwort zum „Novum opus musicum“ von 1537). Ein genaues Verzeichniß der selbständigen Sammlungen seiner Werke findet man in dem oben angezeigten 4. Bande der Publication S. 10, 71 und 79 ff. Ich führe sie hier nur kurz an: 1) „Varia carminum genera, quibus tum Horatius tum alij“ … Noribg. 1534. 4 Stimmbücher. (Die 5 Salutationes von 1526, von denen bis jetzt sich aber noch kein Exemplar aufgefunden hat, sind bereits oben erwähnt.) 2) „Magnificat octo toni 4 et 5 voc.“ Noribg. 1537. Zahlreicher sind die in Handschriften erhaltenen Compositionen, von denen die Staatsbibliothek in München 7 Messen, 22 Motetten, 37 Hymnen und Sequenzen und 35 deutsche Lieder besitzt: andere finden sich in der Proske’schen Bibliothek in Regensburg, in der Wiener Hofbibliothek, der Universitätsbibliothek in Basel, in Zwickau und Grimma. Die königliche Bibliothek in Berlin besitzt [29] nur Weniges, aber sowohl in alten Handschriften als in moderner Partitur. Noch reichhaltiger ist er aber in den gedruckten Musik-Sammelwerken des 16. Jahrhunderts vertreten. In meiner Bibliographie werden 83 lateinische Motetten u. a., 188 Lieder und 9 Oden verzeichnet. Daß werthvollste Vermächtniß, welches S. der Nachwelt hinterlassen hat, sind seine mehrstimmigen deutschen Lieder. In ihm erreichte dieß deutsche Lied seine höchste Blüthe und etstarb mit ihm, verdrängt durch die Niederländer, die nach ihm in Deutschland festen Fuß faßten. Wie in der Motette dem Tenor ein gegebener Cantus firmus zugetheilt wurde, so war es im deutschen mehrstimmigen Liede Gebrauch geworden, dem Tenor ein Volkslied zu geben, oder der Componist schuf erst selbst eine Weise und benützte sie als Cautus firmus. Schon am Ende des 15. und Anfange des 16. Jahrhunderts sind uns durch diesen Gebrauch die schönsten Blüthen deutscher Poesie und Melodik aufbewahrt worden. Die Kunst der Tonsetzer zeigte sich nun in der Art, wie sie die übrigen Stimmen, die von zwei bis sieben Stimmen stiegen, zu behandeln verstanden. Oft begnügten sie sich dieselben nur im einfachen Contrapunkte zu setzen, so daß sie sich fast unserem heutigen Chorale nähern. Finck, Stoltzer und besonders S. schufen Kunstsätze, in denen die Liedmelodie sich nur wie ein rother Faden in Verse abgetheilt hindurchzieht. Ihnen war es nicht mehr darum zu thun die Liedmelodie in ihrer Reinheit zu erhalten, sondern sie benützten sie nur als Gerippe, um welches sie das kunstvolle Gewand schlangen. Das Charakteristische ihrer Behandlungsweise bestand daher in der selbständigen melodischen Führung jeder einzelnen Stimme, die an und für sich wieder eine Melodie bildete und sich durch langathmige Melismen kennzeichnete. Der Text kam dabei allerdings sowohl im Tenor, dem Cantus firmus, als den übrigen Stimmen zu kurz und mußte sich fügen. Man legte so wenig Werth auf eine wohl überlegte Wortunterlage, daß der Text weder in Handschriften, noch in Drucken unter die Stimmen (mit Ausschluß des Tenors) gesetzt wurde, sondern daß es dem jeweiligen Sänger, seiner Willkür und seinem aesthetischen Geschmack überlassen blieb, den Text sich selbst unter die Noten zu legen. S. ist der ausgesprochenste Vertreter dieser Richtung und hat sowohl in der Masse als in der höchsten Vollendung dieser Gattung alle übrigen übertroffen. Sowohl aus eigenem Antriebe, als wol ganz besonders durch buchhändlerische Aufträge sah er sich immer wieder gedrängt Neues in dieser Form zu schaffen. Die Herausgeber Johann Ott (1534 und 1544), Georg Forster in Nürnberg (1539–1556), Peter Schöffer in Straßburg (1536) waren die hauptsächlichsten Verbreiter seiner deutschen Lieder. Schon 1556, also ein Jahr nach dem Tode Senfl’s, wird die Gattung so wenig mehr gepflegt, daß schon Forster gezwungen ist zu außerdeutschen Componisten zu greifen und den Chansons von Crecquillon und Willaert deutsche Texte unterzulegen. Als nun gar die Niederländer in Deutschland zu den höchsten Stellen an den Capellen gelangten und begannen auch deutsche Lieder in ihrer Art zu schreiben, so war es um die alten Weisen und ihre contrapunktisch melodische Behandlung gänzlich geschehen. Der erste der neuen Richtung in Deutschland war Matthaeus Le Maistre, der sächsische Capellmeister, der 1566 sein erstes deutsches Liederheft herausgab. Noch findet man hier Anklänge an die alten deutschen Melodien, und dies giebt uns den Beweis, daß sie in seiner Umgebung noch fleißig gesungen wurden, so daß er sich ihnen nicht ganz entziehen konnte, wenn seine Lieder überhaupt Anklang finden sollten. Auch die Behandlung der contrapunktisch geführten Stimmen läßt sein Vorbild noch deutlich erkennen. Annähernd ähnlich behandelt auch Orlandus de Lassus 1567 sein erstes deutsches Liederheft, obgleich er die alten Melodieen nicht mehr benützt, auch das Melisma nur theilweise anwendet und dafür den Text mehr zur Geltung bringt durch gleichzeitig kurz ausgesprochene Silben. Die Contrapunktik [30] tritt dadurch in den Hintergrund und der homophone Satz wird vorherrschend. Hollander, Ivo de Vento, beide um 1570 und Regnart 1576 erheben die letztere Art nun vollkommen zur allgemein gültigen und die Deutschen beeilen sich Besitz davon zu ergreifen, lassen ihr schönes Volkslied in Vergessenheit gerathen und kehren der Contrapunktik den Rücken. Doch auch ein Italiener nahm daran theil und hat vielleicht durch seine wahrhaft bestrickende Art zu declamiren und Solo mit Chor abwechseln zu lassen, hauptsächlich dem deutschen Liede den Todesstoß gegeben, nämlich Antonio Scandello, der Nachfolger Le Maistre’s am sächsischen Hofe. Erst Hans Leo Haßler gelang es wieder das deutsche Lied auf neuer Grundlage zu Ehren zu bringen und den fremden Einfluß zu vernichten. – Noch sei erwähnt, daß S. noch ein Vermächtniß seines Lehrers Isaac zur Vollendung und zum Druck brachte. Es ist dies das große Officienwerk, betitelt Choralis Constantini tom. I–III, welches im 1. Theile die Officien de Domenica a Trinitate usque ad Adventum Domini im 4stimmigen Satze enthält, im 2. und 3. Theile die Officien de Sanctis. Das Werk erschien in den Jahren 1550 bis 1555 bei Formschneider (Grapheus) in Nürnberg in 4 Stb. Wie weit S. sich überhaupt an der Fertigstellung des Werkes betheiligt hat, ist nicht ersichtlich; wir erfahren seine Betheiligung überhaupt nur durch Joh. Ott aus der Vorrede zum Opus musicum, worin er verspricht, das Isaac’sche Werk, welches unvollendet hinterlassen ist und an dessen Vollendung S. arbeite, nächstens durch den Druck bekannt zu machen. Auch Ott erlebte die Vollendung nicht und erst Formschneider war es vorbehalten, das Werk der Welt durch den Druck zu erhalten. Exemplare besitzen die Bibliothek München, Stadtbibliothek Breslau, die Bibliotheken in Berlin und Upsala. Die königliche Bibliothek zu Berlin besitzt außerdem eine von Paminger ausgeführte Copie, in der sich auch Sätze von S. befinden. (Sign. Z 24 Musikabtheilung.)