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ADB:Hedrich, Franz

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Artikel „Hedrich, Franz“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 50 (1905), S. 561–567, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hedrich,_Franz&oldid=- (Version vom 18. Dezember 2024, 10:26 Uhr UTC)
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Hedrich *): Franz H., Dramatiker und Erzähler, wurde (zwischen 1823 und) 1825 zu (? Podskal bei) Prag geboren, als Sohn eines armen Fagottisten am dortigen Ständischen Theater. Fast mittellos, da die ihn früher unterstützende Schwester seiner Mutter, des reichen Prager Großhändlers Popelka Gattin, irrsinnig wurde, wuchs er „zwischen nackten Wänden“ in Abgeschlossenheit und Druck bitterer Armuth auf, früh verbittert. Wilde Energie und Hochmuth bekundete er, „in dessen Wesen glühende Phantasie und eiskalter verschlagener Verstand beisammen waren“ (so Meißner), schon gegenüber den Mitschülern und forderte von ihnen Gehorsam: sie haßten ihn, doch folgten sie dem ersichtlich Begabten. Aus czechischem Familienkreise, lernte er erst spät Deutsch, aber, ungeachtet er darin ein fleißiger und gewandter Schriftsteller ward, nie mit voller Sicherheit. Seine Ausbildung brach er, wol nothgedrungen, mit dem Untergymnasium ab und so blieb sie lückenhaft, zumal er früher wie später blutwenig Neueres gelesen hat. Vielmehr warf sich der Jüngling ganz der Poesie in die Arme, voll Ehrgeiz, dem in ihm wogenden Dichtertriebe zu genügen. So kam er in den Kreis moderngesinnter Schriftsteller Prags, des „Jungen Böhmen“, einer eigenen Gruppe des vormärzlichen Jung-Oesterreich, und hier führte ihn um Neujahr 1848 Moritz Hartmann dem schon hochgefeierten Dichter – „Gedichte“ 1845, „Ziska“ 1846 – Dr. med. Alfred Meißner (geb. 1822; s. d.) als fördernswerthes Talent zu. Meißner, von Haus aus gutmüthig, nahm sich des Manuscripte-reichen, sonst besitzlosen und unbekannten Hedrich an, nachdem ihm dieser die wunderliche Tragödie „Lady Esther Stanhope, die Königin von Tadmor“ (erst 1853 umgearbeitet gedruckt), mit ihrer, nach späterer Aussage des Ohrenzeugen Josef Bayer, modernen Abenteuerlichkeit, Bizarrerie, Talentstärke, sofort vorgelesen hatte. Im April 1848 wurde H. für den nordostböhmischen Bezirk Tannwald zum Frankfurter Parlament, vom Prager deutschen Wahlausschusse als Ersatzmann aufgestellt, gewählt. Im Sommer ging er statt des verzichtenden Abgeordneten nach der Mainstadt, wo er sich bei der äußersten Linken der Fraction des Donnersbergs anschloß, ohne indeß viel an Club- oder Gesammtsitzungen theilzunehmen, wie es ihm ja eigentlich nur auf die „Sinekure und Diäten“ (so M.) ankam. Nur einmal machte er dort von sich reden: ein ihm von Meißner, der mit ihm, obwol in demselben Hause wohnend, wenig verkehrte, im Mai 1849 aus dem Revolutions-Paris mitgebrachtes scharlachrothes Flanellhemd kam, als H. in der Parlamentssitzung rasch aufstehend den Rock aufknöpfte, absichtlich über der Weste zum Vorschein: „scharfen Blick für das Wirksame“ und Vorliebe für Grelles heben später auch seine litterarischen Beurtheiler an H. hervor und finden darin einen Maßstab, seinen Antheil an den mit Meißner gemeinsam verfaßten Romanen auszuscheiden. In Stuttgart, wohin er, trotz vorheriger Abberufung der österreichischen Abgeordneten, Anfang Juni mit dem „Rumpfparlament“ übersiedelte, blieb H. ein Jahr fast ohne Verbindung mit Meißner. Diesem trat er 1851, nach Oesterreich zurückgekehrt, wieder näher. Wegen der dauerhaften Theilnahme beim Parlament vor Gericht [562] gezogen, wurde er im Dorfe Traunkirchen bei Gmunden interniert. Meißner – vgl. dessen Skizzenbuch „Am Stein“ (1853) – zog dort im einsamen Gasthaus „Am Stein“ mit dem nervös Ueberfurchtsamen zusammen und „glaubte einen Bund fürs Leben mit ihm geschlossen zu haben“. Sie regten sich gegenseitig an; Meißner theilte mit H., was er geistig und materiell besaß, und händigte diesem, als er im Herbst 1852 den Zwangspaß „zur Auswanderung“ erhielt und sofort wie ein Verbrecher über die Grenze transportirt wurde, alles was ihm, dem selbst fianziell ziemlich Beschränkten, zur Verfügung stand, ein. Ueber Prag, das er fürder nie wieder betreten, ging H. nach Weimar, von dort ausgewiesen, nach Gotha. Meißner ist besonders in jenen Jahren Hedrich’s unermüdlicher Wohlthäter, ja wie immer sein Retter „in den ärgsten Wendepunkten“, sein „letzter Halt“ gewesen, wie dieser selbst in mannichfach wechselnden Ausdrücken warm dankend emphatisch ausruft. Meißner hatte 1851 nach langen Bemühungen „Kain. Dramatisches Gedicht in drei Akten“, Hedrich’s hervorragendste Jugendarbeit, für 50 Thlr. Honorar beim Leipziger Verlage Herbig – nicht Grunow, wie er später glaubte – untergebracht. Nun hat H. das Trauerspiel „Moccagama, Sultan von Sudan“, dessen Stoff ihm Meißner in häufigem Gespräch überlassen, in Weimar ausgearbeitet; enthusiastisch, wie immer, Hedrich’s Arbeit rühmend, ließ es Meißner 1853 auf seine Kosten drucken.

Hedrich’s rasch wechselnden Aufenthaltsort bildeten damals nach einander Weimar und Gotha wiederholt, die nahen Sommerfrischen Tabarz und Blankenburg, dann Coburg, Streitberg in der Fränkischen Schweiz, auch München. Mehrmals hat Meißner Wohnsitz und Haushalt daselbst mit ihm getheilt, ihn auch Ende Februar 1856 von Coburg zu viermonatiger Anwesenheit nach Paris abgeholt, sodann im März 1857 von Gotha zu längerem Durchstreifen Italiens und der Schweiz, wobei sie in Intra am Lago Maggiore und Genua sich je über drei Monate niederließen. So ging es, während H. sich inzwischen immer wieder in Coburg ansiedelte, bis in den Mai 1860. Von da an bis 1868 hat er den Sommer immer im oberbairischen Gebirge, den Winter meist in München geweilt. Während jenes ersten, wesentlich in Thüringen zugebrachten Zeitraums ist nun H. zu Meißner in das eigenthümliche schriftstellerisch-geschäftliche Verhältniß getreten, das dann für beide Männer litterarisch sowie menschlich verhängnißvoll werden sollte und, mag die Sache liegen wie sie will, auch Hedrich’s Dasein vergiftet und gebrochen, an Meißner’s seelischer wie dichterischer Kraft gezehrt, ja, diese schließlich zerstört hat. Am 24. December 1853 hatte H. von München aus Meißner aufgefordert, einige Skizzen aus seiner, Hedrich’s Feder „à la Dumas“ vom Genfer See als Meißner’sche „Tagebuchsarbeit“ der „Ostdeutschen Post“ Ignaz Kuranda’s anzubieten. Diese Thatsache belegt erstlich, daß solche Art Betrug von H. zuerst angezettelt worden ist, zweitens, daß er vom guthonorirten Namen des berühmten Collegen – dies besagt sein Nachsatz „So würde ich doch ein wenig herauskommen“ – geschäftlich zu profitiren hofft. Und dies ist die nächsten Jahrzehnte hindurch auf die Dauer, bald mehr, bald weniger verhüllt, sein Standpunkt geblieben; das zeigt auch sein sofortiges Schweigen und beruhigtes Einlenken bei den bis 1885 immer wieder zwischen diesen litterarischen Gesellschaftern ausbrechenden Zerwürfnissen, sobald ihm der gequälte Meißner den drohenden Mund mit einer unverhältnißmäßigen große Summe stopfte. Vom August 1854, wo sie in Tabarz zusammenwaren, datirt endgültig ihre litterarische Compagnie-Arbeit nach der Methode französischer Dramatiker, wie solche in Deutschland für die Bühne wol zuerst Eduard Jacobson (s. d.) bald danach eingeführt hat: Alexander Dumas d. Ae. pflegte sich ja derartiger Helfer als Stoffsammler, sogar [563] als Ausarbeiter zu bedienen, wie zu seinem Verderben Alfred Meißner einen für eine Reihe von Romanen an H. gefunden hat. Die folgenden Romane bezw. kürzeren Erzählungen (die Jahresziffer bedeutet das Druckjahr, während die umstrittene Entstehung aus Beider Zusammenwirken sich in der Regel länger hinzog) hat H. 41/2 Jahre nach Meißner’s Tode durch sein, außerordentliches Aufsehen erregendes Buch „Alfred Meißner – Franz Hedrich. Geschichte ihres litterarischen Verhältnisses auf Grundlage der Briefe, die A. M. seit dem Jahre 1854 bis zu seinem Tode 1885 an F. H. geschrieben“ (1890) öffentlich ganz oder größtentheils für sich reclamirt: „Der Pfarrer von Grafenried“ (1855), neu als „Zwischen Fürst und Volk“ (1861); „Der Freiherr von Hostiwin“ (1855), erweitert zu dem Cyclus „Sansara“ (1858); „Neuer Adel“ (1861); „Schwarz-gelb“ (1862–1864); „Charaktermasken“ (1863); „Novellen“ (1865), nämlich „Ophelia“, „Der Klub der Stillvergnügten“, „Moses Amsterdam“, „St. Prokop in Brieslau“; „Lemberger und Sohn“ (1865); „Babel“ (1867); „Die Kinder Roms“ (1870); „Die Prinzessin von Portugal“ (1882); „Norbert Norson. Leben und Lieben in Rom 1810 und 1811“ (1883). Denselben Anspruch erhebt H. auf Meißner’s bekanntes nekrologisches Buch „Heinrich Heine. Erinnerungen“ (1856), in geringerem Grade auf den Roman „Feindliche Pole“ (1878) und die Tragödie „Der Prätendent von York“ (1857), obwol er auf letztere weniger Gewicht legt und im übrigen Meißner’s Dramatik gleich seiner Lyrik (und Versepik) unbeanstandet läßt. Nun sind aber gerade die letzteren zwei Gebiete gemäß dem fast einstimmigen Spruche der maßgeblichen Richter diejenigen, auf denen Alfred Meißner sehr Gelungenes, theilweise sogar Hervorragendes geleistet hat, ohne jeden Zweifel aber die, welchen er seinen, dann von H. mitbenutzten Namen verdankte und die sein Fortleben in der Litteraturgeschichte verbürgen. Am drastischsten hat Karl Braun, der Jurist und Litterat in einer Person, die Voraussetzung formulirt, unter der man an eine Prüfung der Sachlage herantreten muß: „Wenn A. Meißner überhaupt einen Anspruch auf Unsterblichkeit haben sollte, so hat er ihn durch seine lyrischen und dramatische Gedichte errungen … Die unter dem Namen Meißner erschienenen Romane dagegen, mögen sie nun herrühren von wem sie wollen, sind für das Bedürfniß und das Interesse des Tages geschrieben und werden schon heute, [1890!; geschweige denn 1905!] nicht mehr gelesen [vgl. den Nachlaßhonorar-Ausweis bei Byr; „Die Antwort A. Meißner’s“, S. 64]. Für sie existiert eine Unsterblichkeit nicht, man kann daher auch nicht streiten über diesen Gegenstand, denn er existiert nicht“. So stimmt auch ohne weiteres F. Lemmermayer bei, „daß die ganze Geschichte weniger litterarischer als vielmehr psychologischer und moralischer Natur ist“, oder, wie die „Neue Freie Presse“ sofort sagte, vermögensrechtlicher.

Es haftet nämlich seit dem Uebereinkommen beider Contrahenten über den Schwindel, Erzählungen, die unter mehr oder weniger stärkerem Antheil Hedrich’s erwuchsen, dem Verleger, dem Buchhandel, der Lesewelt, der Kritik, der Litteraturgeschichte allein unter A. Meißner’s zugkräftger Flagge vorzulegen, ein nie zu löschender Makel: ein Makel, von dem sich der von Gewissensbissen und Hedrich’s Aengstigungen, endlich Erpressungen gepeinigte Meißner wiederholt zu befreien suchte, indem er Hedrich’s Anforderungen, die durch das Zugeständniß der halben Honorare von allen Werken „A. Meißners“, auch der von letzterem selbständig hervorgebrachten, eigentlich übergenug gedeckt waren, durch Zahlung von Gesammthonoraren, schließlich durch große Vorschüsse sich loszukaufen unternahm, und wirklich wähnte er wenigstens zweimal den „Räuber“, „Teufel“, „Jago“, seinen „Jäger“ abgeschüttelt zu haben. Jedoch er blieb in Hedrich’s Schlinge hangen, die er sich selbst zusammengezogen. [564] Erst soll anderthalb Jahrzehnte lang aus Furcht vor Meißner’s diesen pecuniär stützendem Vater, dann seit 1869 wegen der Scham, sich vor Meißner’s soeben angeheiratheter Verwandtschaft oder vor der Familie, in die H. durch die im Januar 1871 mit der sehr reichen Engländerin Jeannette Annie Barron in Edinburg geschlossene Ehe trat, zu compromittiren, das seltsame Geheimniß unterdrückt worden sein. Freilich hat Meißner ersichtlich die Veröffentlichung des ungewöhnlichen Zusammenarbeitens, um seine feste litterarische Position nicht zu gefährden, wieder und wieder hinausgeschoben und den wol scheinbar drängenden H. vertröstet, wie andererseits diesem durch einen Bruch oder die Lösung der Verhältnisses seine wesentliche Einnahmequelle abgeschnitten gewesen wäre. Seit Anfang der siebziger Jahre hat H. mit seiner Gattin, deren Mitgift oder Vermögen während der sechsjährigen Lücke seiner Beziehungen zu Meißner, 1871–76, draufgegangen zu sein scheint, alljährlich eine Zeitlang in Süddeutschland, in der Schweiz und zwar besonders in Bern und am Genfersee, sowie an der Riviera – vornehmlich in Monte Carlo! – zugebracht, schließlich seit Herbst 1883, um dem seit 1869 in Bregenz ansässigen Meißner, mit dem er mehrfach den Conflict wegen der Publication der Compagniearbeit auf die Spitze getrieben, auf dem Nacken zu sitzen, zu Lindau am Bodensee. Kurz vorher hatte sich Meißner von H. bereden lassen, einen selbständigen Roman Hedrich’s, „Die Schätze von Sennwald“, auf seinen, Meißner’s, Namen Redactionen anzubieten, um ihn so erscheinen zu lassen. Merkwürdigerweise ließ sich dieser aber nicht unterbringen, nachdem sogar Meißner daraufhin an H., den und dessen Gattin er „am Spieltisch in Monaco erhalten“ hatte sollen, 8000 Mark Vorschußhonorar ausgezahlt hatte. Ehe diese Angelegenheit geregelt wurde, machte Meißner, von H. immer mehr gepeinigt, am 21. Mai 1885 einen Selbstmordversuch, an dessen Folgen er in schwerer Nervenzerrüttung am 29. starb. H. hat im Laufe des nächsten Dreivierteljahrs bei Rittmeister K(arl) E. v. Bayer – als Romanschriftsteller bekannt u. d. N. „Robert Byr“ – dem Schwager und Nachlaßverwalter Meißner’s, mehrfach, mit Nachdruck und anmaßenden argen Uebertreibungen, seine vermeintlichen weiteren Anrechte zur Geltung gebracht, die Bayer tactvoll, aber entschieden zurückwies. Infolge seiner Geldverlegenheiten war H. nach Meißner’s Tode und auf dem Aufhören von dessen Honorarhälften nach Edinburg verzogen, wo er bei seiner wohlhabenden Schwiegermutter wohnte und dieser wie den andern Anghörigen vorspiegelte, er sei durch Meißner, der viele von H. geschriebene Bücher als seine eigenen Erzeugnisse und lediglich zum eigenen Nutzen veröffentlicht habe, um etwa 10 000 Pfund Sterling (!) übervortheilt und in Armuth gebracht worden; übrigens habe er den von ihm angestrengten Proceß in Deutschland gewonnen und sei dadurch als Autor aller Werke Meißner’s erwiesen. Durch Kreuz- und Querzüge suchte der seitens seiner schottischen Schwäger in die Enge getriebene sich herauszuwirren, und als dies nicht gelang, trat er im Herbst 1889 mit der oben genannten sog. documentarischen Enthüllung hervor. Bayer-Byr hat mit Offenheit und Würde sofort den Aussagen Hedrich’s „Die Antwort Alfred Meißner’s“ authentisch entgegengesetzt, und so frappirt, ja, gegen Meißner stark eingenommen, die öffentliche Meinung und die litterarische Kritik im ersten Augenblicke auch waren, im großen Ganzen stellten sich beide rasch ziemlich unumwunden auf die Seite des freilich stark discreditirten Todten, woran auch Hedrich’s Nachtrag „Alfred Meißner – Franz Hedrich. Replik“ (1890) nichts zu ändern vermochte. Es ist letzterem mißglückt, sich nachträglich auf Kosten des Chefs der 30 Jahre – mit längeren Pausen – von ihm mit gehaltenen „Firma“ (so Hedrich’s eigener Ausdruck) Ruhm und Ehre sowie materielle Consolidirung zu erwerben, und jener mit so viel Hitze [565] umstrittene eigene Roman Hedrich’s „Die Schätze von Sennwald“ ist nie erschienen, trotzdem der Verfasser ein Originalmanuscript besessen haben will und sein Fürsprecher O(tto) v. L(eixner) in des Hedrich-Verlegers Otto Janke „Deutscher Roman-Zeitung“ im Frühjahr 1890 für das nächste Quartal darin den Abruck angekündigt hat. Erstaunt, scheint es, über den unerwartet ungünstigen Ausgang seiner Sache, hat H. die Hände in den Schoß sinken lassen und ist, zumal nach seinem erfolglosen Anrempeln von Bayer’s Vorgehen (s. u.), als Prätendent auf litterarischen Namen und mit dessen finanzieller Verwerthung gescheitert, dann ein Siebziger am 31. October 1895 zu Edinburg vergessen gestorben. Wie Meißner’s Ruf, auch bei seinen wärmsten Vertheidigern, durch die Affaire ganz empfindlich gelitten hat, so wird man andererseits H. als dem trotz unzweifelhaft relativ umfänglicher Mitwirkung bei vielen erzählenden Leistungen „Meißner’s“ völlig im Dunkel gebliebenen Schriftsteller von Begabung und Geschick ein Mitleid nicht versagen dürfen, mag er auch unsern Glauben an seine angebliche Unterdrückung seitens des Firmenträgers durch eigene bösartige Entstellungen, Verdrehungen, offenbare, theilweise halbeingeräumte Lügen, verscherzt theils auch durch Bayer-Byr’s unumwundene Darlegungen völlig verloren haben.

Den Grad von Hedrich’s wirklichem Antheil an den hergehörigen Arbeiten, welche unter Meißner’s Schild laufen, einigermaßen abzumessen und danach Hedrich’s eigenes Talent zu beurtheilen ist schwierig. K. E. Franzos hat das ausführlich und geschickt in Angriff genommen und es muß hier auf seine Behandlung des Themas (s. u.) verwiesen werden. Franzos wendet sich da, ohne irgendwie subjectiv für den ihm gut bekanntne Meißner Partei zu nehmen, nachdrücklich gegen Hedrich’s Verfahren während des ganzen Handels vor und nach Meißner’s Tode. Jedoch gesteht er H. nach sorgfältigem Vergleiche zu: Erfindungsgabe, scharfen Blick für das Wirksame, rohe ungeschulte Kraft, Kenntniß des Volkslebens, namentlich in dessen Nachtseiten und den untersten Schichten, auch Verständniß für das Wilde, Dämonische, für grobe, große, grelle Züge. Mit all diesen Eigenschaften ergänzte er die intimere, liebevolle, malende, freundliche, abtönende Art Meißner’s, der ihm stilistisch weit überlegen war und auch im Drama Hedrich’s behaupteter Hilfe leicht entrathen konnte, weil diesem „die dramatische Technik selbst ein Buch mit sieben Siegeln war“. Auf die feinsinnige, aber natürlich etwas problematische Ausscheidung der beiderseitigen Beisteuern bei Franzos sei hier, wo nur Lebens- und Charakterskizze geliefert werden soll, aufmerksam gemacht. Was nun aber die außer den angeführten unter Hedrich’s Namen vorhandenen Dichtungen anlangt, so ist an deren Herauskommen Meißner nicht unbetheiligt, indem er sie, meistens zum Theil sogar auf seine Kosten, fast alle aber nach mühevollem Hausiren, in Druck gebracht hat; bei etlichen stammt, seiner Angabe gemäß, die Idee von ihm, einige unterzubringen ist ihm allerdings fehlgeschlagen, doch gewiß wegen ihrer geringeren Qualität. Gedruckt wurden noch: „Baron und Gräfin“, Drama (1855, Manuscript); „Nachtstücke aus dem Hochgebirge“ (1862), mit einem Vorworte von A. Meißner, wo dieser die Leser auf das „Talent, das sich in stolzer, sich selbst genügender Zurückhaltung vielleicht noch lange dem Publicum vorenthalten hätte“, hinweist; die Novelle „Balbina“ (1865 Nr 27–31 d. „Gartenlaube“); die Novellen „Der Dorftartuffe“ und „Miß Septimia“ (im Feuilleton kleiner Zeitungen). Ungedruckt sind wol geblieben die fertigen, von Meißner überallhin vergebens versandten: das Drama „Clara“, das von ihm H. eingegebene Lustspiel „Clairon in Bayreuth“ (1856), der Operntext „Albano“; unvollendet das Drama „Enklizia“ von 1854. Daß H. keins dieser Erzeugnisse, ferner während der langen Spanne seiner fleißigen Schriftstellerei, besonders auch in [566] dem letzten Decennium zwischen beider Tod, keinerlei selbständige Darbietung der Oeffentlichkeit vorgelegt hat, vornehmlich den letzten vieldiscutirten Roman, auch kein einziges Gedicht, wie er deren von sich 40–60 in Meißner’s Nachlaß witterte, fällt ungemein auf und erschüttert das Vertrauen in seine Ehrlichkeit ebenso bedenklich wie in seine Schöpferkraft, die er innerhalb des unlauteren Bundes mit Meißner allein sich zuschreibt. Schatten und Schuld in dieser mysteriösen Angelegenheit tragen beide, freilich in verschiedener Weise. Im übrigen trifft R. Frenzel’s Wort zu, der aus eigenem Wissen Meißner von mancher seitens Hedrich’s reclamirten Anleihe entlastet: der Fall stehe in der Eigenthümlichkeit seiner Verknüpfung und der Tragik seiner Lösung, in der Weltlitteratur einzig da. Und dadurch, ferner durch das Sensationelle dieses tragischen Seelen- und Dichterromans und durch das große Aufsehen, das er hervorgerufen, rechtfertigt sich auch gewiß unsere Gründlichkeit, zumal die Materialien zum objectiven Urtheil heute sehr zerstreut sind.

Man vgl. Hedrich’s „Enthüllungs“-Schrift („1890“, 1889 erschienen) und Polemik gegen Bayer-Byr’s Acten-Broschüre (1889) nebst letzterer (s. o. S. 564)); P. W. Heinrich, „‚Für‘ und ‚Wider‘ Alfred Meißner. Klarstellung des litterar. Verhältnisses zwischen A. M. und Frz. Hedrich …“ (1890), eine geradezu unglaublich compilirte und einseitig zu Hedrich’s Ungunsten verschiebende Paraphrase aus Meißner’s „Geschichte m. Lebens“ (1884), Hedrich’s Angriffsbuch und Bayer’s Polemik, fügt aber doch eben deren Mittheilungen fast sammt und sonders aneinander, auch das ganze ausgezeichnete Feuilleton Karl Frenzel’s „Ein Trauerspiel der Freundschaft“ „Nat.-Ztg.“ v. 1. Dec. 1889, Mrg.-Ausg., sowie die Angaben über die Reibereien zwischen Hedrich u. Byr nach „Frkf. Ztg.“ v. 23. Jan. 1890 (3. Mrgbl., S. 1, Feuill.) u. „Berl. Tgbl.“ v. 4. März 1890; Prof. Joseph Bayer, „Der Fall Meißner-Hedrich“, zwei gehaltreiche Feuilletons dieses Jugendbekannten beider Männer, „N. Fr. Presse“, Mrgbl. 16. u. 17. Jan. 1890; K. E. Franzos „A. M. – F. H.“, i. s. „Dtsch. Dichtung“ VII (1889/90), 141–147, 196–203, 221–228, 271–276, 290–300, eine eingehende peinliche u. gerecht abwägende in den Hauptpunkten maßgebliche Beleuchtung, dazu ebd. VIII (1890), 146–151, „Zur Affaire Meißner-Hedrich“; Karl Braun, „Hedrich contra Meißner. Eine litterar. Controverse rechts- u. culturwissenschaftl. erörtert“, i. „Vierteljahrschr. f. Volkswirtsch., Polit. u. Culturgesch.“, 108. Bd. (1890), S. 155–167 (vergleicht Mirabeau - Reybaz, Bismarck - Lothar Bucher, Herm. Wagener – Eug. Dühring als Paralellen); Fritz Lemmermayer, „Ein modernes Nachtstück der deutschen Litteratur“, „Unsere Zeit“, 1890, I, 547–56; alle vorstehenden erklären sich energisch gegen Hedrich, während O. v. L(eixner) i. d. „Dtsch. Roman-Ztg.“, 27. (1890) Jahrg. I, 714 f., allerdings nur nach Hedrich’s 1. Schrift, dessen Beweis für erbracht ansieht; für Meißner entscheidet sich, übrigens mit gerechter Rücksicht auf Hedrich’s Dramen, Feod. Wehl, „Alf. Meißner. Erinnerungen“ (1892), S. 28–35 u. 42–45 (verweist S. 35 auf einen Aufsatz Dr. Frdr. Corssen’s im „Hamburgisch. Correspondenten“ über den Verschwender, unstäten, leidenschaftlich spielenden Hedrich); von Litteraturhistorikern erklären sich Gottschall (6IV, 449–57; relatives Lob für Hedrich’s „Kain“ III, 584), Leixner (2 S. 972 f.), R. M. Meyer (2 S. 514 f.), Ad. Bartels (II, 400 f.) in der hier gegebenen Reihenfolge mehr für Meißner bezw. mehr für Hedrich; zur Biographie s. Frz. Brümmer, Lexik. d. dtsch. Dicht. d. 19. Jhrhs. II4 465, 5495, III5 47. Bezüglich Alfred Meißner’s, den i. d. A. D. B ein eigener Artikel behandeln wird, sehe man Ernst Ziel, „Literar. Reliefs“ III (1888) besonders S. 23, 29, 39–50. In Kürschner’s Litteraturkalender, in den er [567] sich laut Drohungen an Meißner so hineingesehnt hat, ist H. erst mit seinem Tode gekommen (XVIII, 1896, I, 40) als Hederich. Zur Aufnahme der Affaire vgl. „N. Fr. Presse“ 1889 Abendblätter 9061 S. 1, 9070 S. 2, 9073 S. 1, Mrgbl. 9071 S. 4. Eine Novelle aus H.s „Nachtstücken“ (s. o.) im Prager „Dtsch. Volkskldr. f. 1890“ erneuert.

[561] *) Zu S. 96.