ADB:Holtzendorff, Franz von (liberaler Politiker)
[14] Ehre und Redlichkeit vertrauen, so lange das Gegentheil noch nicht erwiesen ist; noch schlimmer aber handelt der, wer an der Krone Wahrheit zweifelt.“
Holtzendorff: Franz v. H., aus dem Hause Vietmannsdorf, zu Berlin geboren am 8. Februar 1804 als achtes Kind der mit 10 Kindern gesegneten Ehe Joachim Philipp Albrechts v. H. (1761–1815), † am Ostersonntag 1871. Seine Erziehung genoß er theils auf dem Friedrich-Wilhelms-Gymnasium, theils in dem Cadettencorps in Berlin. Er übernahm bei der Erbtheilung die Rittergüter Vietmannsdorf, Basdorf und Gollin. Einer damals bevorzugten Gesellschaftsclasse durch Geburt und Grundbesitz angehörig, wandte er, auf Grund einer königl. Cabinetsordre im höheren Verwaltungsdienste während der Jahre 1839 und 1840 in Berlin und Potsdam verwendet, seine Aufmerksamkeit und eingehende Studien den Gemeindegegenständen zu, d. h. – wie er selbst es später bezeichnete: „denjenigen Bedingungen, worauf das Leben im gesellschaftlichen Verbande und dessen Vervollkommnung beruhen muß, und woraus das in der Menschennatur begründete Streben Nahrung erhält.“ Auf dem Kreistage zu Templin hielt er am 8. Juli 1843 einen Vortrag „Ueber die politische Stellung der Stände, ihr Verhältniß zu den Kreistagsversammlungen und dieser zu den Provinziallandtagen“ (in zwei Auflagen bei Brockhaus 1844 erschienen) und erhob seine Stimme für die Einführung einer reichsständischen Verfassung mitten in dem Heerlager derjenigen, denen die Anbetung des absoluten Staatswesens als Lehnspflicht galt. Er bat, man möge ihm als Kreisstand gestatten, auf dem nächsten Kreistage einen Vortrag über Gemeinden, Steuern und Stände zu halten. Allein er erhielt den Bescheid, „daß so allgemein bezeichnete Gegenstände nicht in das Kreistags-Convocatorium aufgenommen werden könnten“. So sah er sich denn veranlaßt, auch diesen Vortrag dem Druck zu übergeben – in einer Zeit, wo durch Zusammenkünfte und Berathungen über Gemeindegegenstände in den meisten deutschen Staaten die Angelegenheiten des socialen Lebens sich nicht fördern ließen, weil solche Versammlungen verboten waren und die Stimmen derjenigen, deren Beruf es ist, die öffentliche Meinung auszusprechen und zu vertreten, sich nicht geltend machen konnten. Und er that Recht daran. Denn diese Schrift: „Gemeinden, Steuern und Vertretung“, Leipzig, Druck von Brockhaus, 1844, ist mit ihrer gediegenen Besprechung und Beurtheilung der einzelnen Steuern und dem Grundgedanken hinsichtlich der Vertretung auch heute noch ein lesenswerthes, von den edelsten Gesinnungen eingegebenes Werkchen. Er sagt darin: „Wir sind durchdrungen von einer Wahrheit, der Wahrheit nämlich, daß es nur eine rechtlich politische Grundform und ein nationales Lebensgesetz geben könne, aus dem Wohlstand, Sicherheit und Kultur, überhaupt aber höheres Volksleben, worauf das Christenthum gegründet ist, hervorgehen kann. Diese Grundform besteht in Nationalfreiheit. Sie sucht eine Vertretung im Bunde und deshalb sollte durch den deutschen Bund ein Nationalverein gegründet werden mit einer Repräsentation des Volkes. Nicht soll der Bund sein ein Fürstenverein mit einer Fürstenrepräsentation“. Und wenn er so dem Volk gab, was des Volkes ist, so gab er auch dem König, was des Königs ist. Wer könnte zweifeln, fährt er weiter fort, daß jene (die bekannten) Verheißungen in Erfüllung gehen? Die schönste Perle in der preußischen Krone ist die Gerechtigkeit; ihr haben wir Ehrfurcht zu bewahren. Wer kann durch schnöde Zweifel das Heiligste entweihen, es rauben wollen in revolutionären, lasterhaften Zweifeln? Wer ein Diadem, eine Krone der Unwahrheit bezichtigt, oder wer ihr nur mißtraut, der ist der höchsten Strafe werth; jedwedem Menschen muß man anJe bewegter die Zeiten wurden, desto weniger hielt er mit seinen Ansichten zurück, ohne darum zu sorgen, ob seine Bestrebungen bei seinen Standesgenossen Mißtrauen erregten und ihm viele Gegnerschaft zuzogen, ja andererseits die Regierung ihn vielfach verfolgte, ihn sogar seiner ständischen Rechte verlustig erklären ließ, bis er 1848 durch das Ministerium Auerswald rehabilitirt wurde. Es gehören in diese Zeit seine Schriften: „Der Brief an den Landtagsabgeordneten Obristlieutenant H. von Arnim“ (den Ständen der Ukermark gewidmet), Berlin 1845 – „Contra Arnim-Boytzenburg. Ueber den richtigen Standpunkt der deutschen Centralgewalt“, Berlin 1848 – „In Preußen!“ Mannh. 1848, denen sich später anschlossen: „Politische Erinnerungen“, 1849 – „Gustav Adolph. Vaterl. dramat. Lebensbild mit einem dramatischen Bilde“, 1860. Eine im J. 1847 an den König gerichtete „Bauernadresse“ (als Antwort auf die gegen den vereinigten Landtag agitirende, die Rückkehr zum Absolutismus anempfehlende Adresse von vierzig märkischen Rittern), verwickelte ihn in eine Criminaluntersuchung, die durch die Amnestie im März 1848 ihre Erledigung fand. Obwol schwer gekränkt und arg gemißhandelt, stellte er sich nach dem März 1848 sofort in die Reihe der Gemäßigten. Er gehörte dem constitutionellen Club (unter Lette) an und ging als Vertrauensmann des Ministers Auerswald 1848 im August nach Frankfurt a/M., um privatim auf die Linke des Parlaments im Sinne der Mäßigung zu wirken und auf die in Berlin drohenden Gefahren des Umsturzes hinzuweisen. Ebenso bot er im November 1848 seinen nicht geringen persönlichen Einfluß auf, um vor einem gewaltsamen Widerstande gegen Wrangel abzumahnen. Vor 1848 hatte er mit den bedeutendsten Bewegungsmännern in Verbindung gestanden und längere Zeit für die „Aachener Zeitung“ politische Correspondenzen geschrieben. Nach 1848 trennte er sich von den radikalen Elementen. Da er in seiner Jugend Cavallerieofficier gewesen war, bot man ihm während seiner Anwesenheit in Heidelberg 1849 ein Commando in dem Insurgentenheere an, was er entschieden zurückwies. Aus der unpolitischen Periode seines Lebens (1855–71) ist zu bemerken, daß er an zahlreichen gemeinnützigen Unternehmungen (Fröbel-, Unions-, Gustav Adolph-Verein) betheiligt war und gemeinschaftlich mit seinem Sohne, Professor Franz v. H., 1859 bei Auerswald durch ein Flugblatt die Stiftung eines Schillerpreises in Anregung brachte, die der Prinz-Regent demnächst beschloß.
H. hatte sich 1824 mit Charlotte Häsicke aus Wriezen verheirathet und in ihr eine überaus treffliche, theure Lebensgefährtin gefunden. Sie starb den 2. December 1878. Aus der höchst glücklichen Ehe gingen zwei Söhne (Richard, geb. 1831, † 1855, und Franz (Professor in München) hervor, neben drei sehr glücklich verheiratheten Töchtern.
Im trauten Kreise der Kinder und Enkel verlebte H., geistig und körperlich frisch, den Lebensabend in Berlin. Ein schönes Denkmal der Dankbarkeit und innigster Werthschätzung hat ihm sein Sohn Franz in der Widmung des Werkes: „Die Principien der Politik“, 1869, gesetzt. H. war der letzte Holtzendorff auf Vietmannsdorf. Er trat 1857 seinen Grundbesitz einem seiner Schwiegersöhne, Freiherrn Felix v. Stein, ab, der denselben alsbald gegen sein thüringisches Stammgut Kochberg vertauschte.
- Wichart v. Holtzendorff († am 15. Juli 1877), Die Holtzendorff in der Mark Brandenburg u. Kursachsen, Berl. 1876, S. 110, 121, 122. – Genealogisches Taschenbuch der Ritter- und Adelsgeschlechter, 3. Jahrgang (Brünn 1878), S. 283. – Varnhagen v. Ense, Tagebücher, Bd. IV. (Leipzig 1862) [15] S. 190, 236. – Wolff, Revolutionschronik, Berlin 1848. – Privatmittheilungen. – Stahr, Die preuß. Revolution, 2. Aufl. 1851, 1, 16.