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ADB:Jucho, Friedrich

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Artikel „Jucho, Friedrich“ von Rudolf Jung in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 50 (1905), S. 707–710, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Jucho,_Friedrich&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 01:46 Uhr UTC)
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Jucho: Friedrich Siegmund J. wurde am 4. November 1805 in Frankfurt a. M. als Sohn eines dortigen Advocaten geboren und erhielt seine Schulbildung auf dem Gymnasium seiner Vaterstadt. 1823 bezog er die Universität Halle zum Studium der Rechtswissenschaft, siedelte aber 1824, wegen Theilnahme an burschenschaftlichen Bestrebungen mit dem consilium abeundi belegt, nach Jena und 1826 nach Gießen über. Hier beschloß er seine Studienzeit im Juni 1827 mit der Promotion als Dr. jur. Am 5. December 1827 trat er in die Zahl der Frankfurter Advocaten ein, im J. 1829 wurde er Notar. Mit dem Beginn der 30er Jahre betheiligte er sich lebhaft an den freiheitlichen Bestrebungen und wurde bald einer ihrer Führer für Frankfurt und Umgegend, in engster Verbindung mit seinen Jugendfreunden Funck und Sauerwein; während diese litterarisch und agitatorisch wirkten, arbeitete J. mehr für die Organisation der radicalen Partei. Am Hambacher Fest 1832 und anderen Zusammenkünften seiner Gesinnungsgenossen nahm er theil, ohne dabei activ hervorzutreten; er wurde Mitglied des Preß- „oder Vaterlandsvereins, dessen Filiale in Frankfurt das Mittwochs-Colleg war. Als sich dieses Colleg trotz des Verbotes der politischen Verbindungen am [708] 2. Juli 1832 versammelte, erhielt J. mit anderen Theilnehmern eine Geldstrafe; gegen die zur Einziehung der Strafe vorgenommene Pfändung und Versteigerung legte er Protest ein, wegen gewaltthätiger Störung der Auction seiner gepfändeten Effecten wurde er in eine Arreststrafe verurtheilt, die nach langwierigem Processiren durch alle Instanzen in eine Geldstrafe umgewandelt wurde. Nach der Unterdrückung der politischen Vereine entfaltete J. im geheimen eine umfassende Thätigkeit; in einer Versammlung hervorragender Mitglieder des Preßvereins schlug er eine andere Organisation vor und scheint jetzt Leiter des Vereins für Frankfurt und Umgegend geworden zu sein, er unterstützte aus Vereinsmitteln politisch Verfolgte, er bemühte sich um die Drucklegung revolutionärer Schriften, er war zeitweilig Vorsteher des Brückenaucollegs, eines Vereinigungspunktes der radicalen Führer in Frankfurt, er stand in engster Verbindung mit den Gesinnungsgenossen der Umgegend, wie Weidig in Hessen und Leisler in Nassau. Am Frankfurter Attentat vom 3. April 1833 war er nicht betheiligt, anscheinend auch nicht am Männerbund, dessen Zweck der Umsturz der bestehenden Regierungen und die Einführung einer republikanischen Verfassung in Deutschland war, und nicht an der Befreiung der politischen Gefangenen am 2. Mai 1834 in Frankfurt; er hat vielmehr, nach seinen Angaben in späteren Jahren, von solchen gewaltthätigen Schritten entschieden abgerathen. Anläßlich der Untersuchung gegen den Buchhändler Meidinger wegen Verbreitung revolutionärer Schriften fand am 6. November 1834 eine Haussuchung bei J. statt; sie förderte so viel gravirendes Material zu Tage, daß er verhaftet und in Untersuchungshaft behalten wurde. Das mehrjährige Verfahren beschränkte sich nicht auf die J. vorgeworfene Verbreitung verbotener Schriften, es wurde auf sein ganzes Verhalten ausgedehnt, wofür die Verhöre seiner vielen Parteifreunde ein reiches Material geliefert hatten. Die Untersuchung dauerte über 40 Monate; sie wurde nicht nur dadurch in die Länge gezogen, daß die Untersuchungsbehörde aus den Verhören der anderen Inquisiten, der Gesinnungsgenossen Jucho’s, welche infolge des Attentats in Untersuchung gekommen waren, und aus den Verhören bei Gerichten der Nachbarstaaten ihr Anklagematerial immer mehr zu vervollständigen suchte, sondern auch dadurch, daß der Angeschuldigte vielfach mit Rechtsverwahrungen und Beschwerden beim Oberappellationsgericht in Lübeck und bei den Frankfurter politischen Körperschaften in den Gang der Untersuchung eingriff; über die criminalistisch und politisch sehr interessanten Einzelheiten des Verfahrens vgl. Weißler’s untengenannte Arbeit, welche auf Jucho’s Papieren beruht und der Ergänzung durch die Acten des Frankfurter Archivs bedarf. Am 16. September 1838, nachdem J. beinahe vier Jahre in Untersuchungshaft (zuerst in Frankfurt, vom 28. Februar 1837 ab in Fort Hartenberg bei Mainz) verbracht hatte, wurde das Urtheil des Frankfurter Appellationsgerichtes gefällt: es sprach den Angeklagten des versuchten Hochverrathes schuldig, der in der Theilnahme am Preß- und Vaterlandsverein, an revolutionären Zusammenkünften, an der Drucklegung und Verbreitung revolutionärer Schriften, an der Vorbereitung eines Aufstandes, an der Beförderung der Flucht politischer Gefangener gefunden wurde, und verurtheilte ihn zu 6 Monaten Zuchthaus und Entsetzung vom Notariat. Jucho’s Berufung an das Oberappellationsgericht der vier Freien Städte in Lübeck hatte den Erfolg, daß dieses sein Verbrechen auf Aufreizung zur Widersetzlichkeit gegen rechtmäßige obrigkeitliche Verfügungen reducirte, ihm die Untersuchungshaft als Strafe anrechnete und die Entsetzung vom Notariat aufhob. Am 25. Mai 1839 wurde J. entlassen und begann in Frankfurt von neuem seine Praxis, die sein Stellvertreter während der langjährigen Haft in gewissenloser Weise vernachlässigt hatte.

[709] Hat sich auch J. in den 40er Jahren nicht mehr activ am politischen und communalen Leben in Frankfurt betheiligt, so blieb er doch in regem Verkehr mit seinen Gesinnungsgenossen, wie Itzstein, Welcker u. A.; an den Berathungen auf des Ersteren Landgut Hallgarten hat er mehrfach Theil genommen. Erst 1848 trat er wieder in der Oeffentlichkeit hervor. Am 3. März war er Schriftführer der Bürgerversammlung, mit der die freiheitliche Bewegung in der Bundeshauptstadt begann, am 5. März nahm er an der Versammlung liberaler Parteihäupter in Heidelberg Theil, welche über die dringendsten Maßnahmen zur Besserung der deutschen Verhältnisse berieth, und dann am sogenannten Vorparlament, welches infolge der Heidelberger Beschlüsse am 31. März in Frankfurt zusammentrat und für welches er mit seinem politischen Freund und Landsmann Dr. Binding I die localen Vorbereitungen traf; J. besorgte die officielle Ausgabe der Verhandlungen des Vorparlamentes und des von diesem niedergesetzten 50er-Ausschusses und schrieb eine einleitende Vorrede dazu. Am 28. April wurde er mit großer Mehrheit zum Abgeordneten für Frankfurt in der Nationalversammlung gewählt; am 31. Mai übertrug ihm das Parlament bei der definitiven Bureauwahl das Amt des Schriftführers. Er war Mitglied der nach Wien entsandten Deputation, welche den Erzherzog Johann um die Annahme der Würde des Reichsverwesers begrüßen sollte. Als Redner ist J. in der Versammlung wenig hervorgetreten; seinen Abstimmungen nach hielt er sich zum linken Centrum, der „Westendhalle“, er stimmte für die Uebertragung der Kaiserwürde an den König von Preußen und gegen die Verlegung des Parlamentes nach Stuttgart; er war also von den früheren Gesinnungsgenossen Itzstein und Welcker dem letzteren gefolgt und hatte sich damit auch von dem radicalen Theil seiner Freunde aus den 30er Jahren geschieden, mit denen er noch bis in die 40er Jahre das Ideal einer deutschen Verfassung nur in der republikanischen gesehen hatte. Sein Jugendfreund Funck beantragte bei der localen verfassunggebenden Versammlung wegen „Pflichtverletzung“ – weil er nicht nach Stuttgart ging – das Mandat zum Parlament zu entziehen. Zum Aerger der Frankfurter Demokraten nahm J., der nach der Vertagung des Parlamentes sein Amt als Schriftführer niedergelegt hatte, auch an der Tagung der Kaiserpartei, dem sogenannten Nachparlament, am 25.–28. Juni 1849 in Gotha Theil; aber seine und seiner Parteifreunde Versuche, die Stadt Frankfurt zur Theilnahme am Dreikönigsbündniß von 1849 und am Erfurter Reichstag von 1850 zu veranlassen, blieben erfolglos. Als das Parlament nach Stuttgart übersiedelte, wurde J. beauftragt, das Eigenthum der Versammlung, insbesondere ihr Archiv in Verwahrung zu nehmen, von Bern aus wurde er vom letzten Präsidenten Loewe angewiesen, die ihm anvertrauten Gegenstände dem Senate der Freien Stadt Frankfurt zu übergeben. Während er aber noch mit den städtischen Behörden verhandelte, reclamirte der Deutsche Bund das Eigenthum des Parlamentes. J. übergab dem Bunde alles mit Ausnahme des Archivs; dieses wurde ihm 1852 von den städtischen Behörden mit Gewalt abgenommen und dem Bunde übergeben. Das wichtigste Stück, das Original der Reichsverfassung vom 28. März 1849, war aber inzwischen verschwunden; J. hatte es nach England geflüchtet, um es nicht in die Hände des Bundes fallen zu lassen. Auf Veranlassung des Bundes wurde J. wegen Untreue gerichtlich zur Verantwortung gezogen; die Untersuchung wurde aber auf Beschwerde Jucho’s vom Oberappellationsgericht in Lübeck aufgehoben. Im März 1870 überschickte J. die Urkunde an Simson, den Präsidenten des Reichstages des Norddeutschen Bundes; sie befindet sich jetzt im Archiv des Deutschen Reichstags.

Jucho’s politisches Wirken beschränkte sich von 1849 ab auf seine Vaterstadt; [710] 1848–49 war er Mitglied der Verfassunggebenden Versammlung des Freistaates Frankfurt; er stimmte gegen den radicalen Verfassungsentwurf der demokratischen Mehrheit und trat mit seinen Gesinnungsgenossen Ende 1849 aus der Versammlung aus. 1850–1865 war er Mitglied der Gesetzgebenden Versammlung und als solcher der Führer der Gothaischen Partei in dieser wichtigsten Bürgervertretung der Freien Stadt. An den Arbeiten für die zeitgemäße Abänderung der freistädtischen Verfassung (1856) war J., dessen Partei 1851–57 die Mehrheit in der Versammlung hatte, lebhaft betheiligt. Vom Jahre 1857 ab war er auch Mitglied der Ständigen Bürgerrepräsentation. In den Jahren nach 1848 hat sich J. auch sehr eifrig für die Unterstützung der vertriebenen Schleswig-Holsteiner durch Geldsammlungen und durch Zuweisung von Arbeits- und Berufsstellungen bemüht, wie er schon in der Paulskirche mehrfach für die Sache Schleswig-Holsteins eingetreten war. An der 1859 in Frankfurt erfolgten Constituirung des Nationalvereins hat er sich nicht betheiligt, stand auch später dessen politischem Wirken skeptisch gegenüber.

Nach der Einverleibun der Stadt Frankfurt in die preußische Monarchie gehörte J. nicht zu denen, die verbittert auf dem Standpunkt unfruchtbarer Negation verharrten, und dieses damals muthige Bekennen seiner Gesinnung hat ihm die Herzen vieler Landsleute und ehemaliger Parteigenossen entfremdet; auch seine Thätigkeit bei den Anfängen der Auseinandersetzung zwischen Stadt und Staat hat ihm viele Anfeindungen zugezogen, da er nach Ansicht der Mehrheit seiner Landsleute den staatlichen Forderungen gegenüber allzu nachgiebig war. J. hat aber trotz der schlimmen Behandlung, die seine Vaterstadt 1866 erfuhr, seinen alten gothaischen Standpunkt unverbittert festgehalten und nur im Anschluß an Preußen das Heil gesehen; bei der Reichstagswahl 1867 hat er diese Ansicht öffentlich und unerschrocken vertreten. Damit hat J. seine politische Thätigkeit beschlossen. Das Jahr 1870 hat seinen Jugendtraum erfüllt; er sah das erreicht, was er in den 30er Jahren und der Paulskirche erstrebt hatte: die Einheit Deutschlands auf freiheitlicher Grundlage. Bei Ausbruch des Krieges gründete er den Verein zur Unterstützung der Familien von im Felde stehenden Kriegern und begleitete mit hoher Begeisterung die Erfolge der deutschen Waffen und die Wiedererrichtung des Deutschen Reiches. In dieser Gesinnung suchte er 1871 die localen, auf nationalem Boden stehenden Parteien in einem „Wahlverein“ zu sammeln, der sich aber von 1873 ab auf die nationalliberale Partei beschränken mußte. J. ist späterhin weder im politischen noch im communalen Leben seiner Vaterstadt besonders hervorgetreten; in ersterer Beziehung war er, wie aus seiner ganzen Vergangenheit erhellt, ein treuer Anhänger der nationalliberalen Partei. 1871 wurde er Justizrath, 1877 bei seinem 50jährigen Doctorjubiläum Geheimer Justizrath; von 1872 führte er den Vorsitz im deutschen Notarverein. Er starb dam 24. August 1884. – In allen seinen Kämpfen hat sich J. als ein gerader, fester Charakter erwiesen, unerschrocken und unbeugsam in der Vertretung dessen, was er für das Recht und das Richtige hielt, den Behörden wie der Volksmeinung gegenüber.

Vgl. Weißler, Ein Kampf ums Recht, in der Zeitschrift des deutschen Notarvereins, Jahrg. III, Heft 9 (1903). – Jung, Das Archiv der deutschen konstituirenden Nationalversammlung 1848–1849, im Korrespondenz-Blatt der deutschen Geschichtsvereine 1901. – Acten des Frankfurter Stadtarchivs. – Mittheilungen der Familie.