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ADB:Kinsky, Wilhelm Graf

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Artikel „Kinsky, Wilhelm Graf“ von Hermann Hallwich in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 15 (1882), S. 775–784, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kinsky,_Wilhelm_Graf&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 17:30 Uhr UTC)
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Kinsky: Wilhelm Graf K. von Wchinitz und Tettau, der bekannte Unterhändler Frankreichs in dessen Beziehungen zu Wallenstein. Die eminente Wichtigkeit gerade dieser geheimen Relationen bei Beurtheilung der alten, großen Streitfrage nach Schuld oder Nichtschuld in der weltgeschichtlichen Tragödie, welche Wallenstein’s Namen trägt, räumt der vertrauten Mittelsperson nothwendig einen hervorragenden Platz ein. Jedoch gerade ihr gegenüber erschwert der empfindliche Mangel an entscheidenden Quellen, noch mehr aber die offenbare Befangenheit der Urheber fast aller sonstigen, widerspruchsvollen Ueberlieferungen eine objective Charakteristik beinahe in demselben Grade, wie dem räthselhaften Helden des Drama’s selbst gegenüber, dessen Urbild, wie es seine Zeit gespiegelt, der Hader der Parteien längst in Atome zertrümmert hat. Es ist die größte Schwierigkeit historischer Kunst, Charakterköpfe solcher Art zu zeichnen. Die äußerste Sorgfalt [776] muß zuletzt gestehen, bloße Scherben eines Ganzen gesammelt und nothdürftig aneinander gereiht zu haben; die beste Beleuchtung läßt doch nimmermehr ein einheitliches Bild erkennen.

Ein eigenthümliches Verhängniß lag auf dem Hause, welchem K. entsprossen. Dem altböhmischen Ritterstande angehörig, schwang es sich nur allmählich zu Einfluß und Ansehen auf. Wenzel Dlask auf Krzemusch, Kinsky’s Großvater, so erzählt die Familienchronik, als Kreishauptmann im Saazer Kreise thätig, wurde bei einem Grenzstreite im J. 1542 – „muthmaßlich auf Veranlassung Albrechts von Waldstein“, eines Ahnherrn des gleichnamigen Herzogs von Friedland – ermordet. Ebenso sollten Sohn und Enkel eines unnatürlichen Todes sterben. Drei Söhne überlebten Wenzel Dlask: Radislaw der Aeltere, Johann und Wenzel, von welchen nur Johann Leibeserben hinterließ. Mit Hilfe unterschobener Papiere erwirkte Radislaw nach langer Weigerung der Stände seine und seiner Verwandten Aufnahme in den böhmischen Herrenstand; die Erwerbung der Herrschaften Teplitz, Hainspach, Rumburg, Böhmisch-Kamnitz, Kruschowitz etc. verschaffte ihm den Beinamen „des Reichen“. Johann, mit der Würde eines Burggrafen von Karlstein bekleidet, hatte die Kühnheit, in dieser Eigenschaft den Befehlen seines Königs und Kaisers Rudolf II. mit zahlreichen Genossen gewaltthätig zu widerstreiten, um jedoch bald nachher, von allen Anhängern verlassen, fußfällig die Verzeihung seiner Thorheit zu erbitten; zwei Jahre später wegen Fälschung der Landtafel in Proceß verwickelt, entging er, seines Amtes entsetzt, einer schmählichen Verurtheilung (1590) nur durch plötzlichen Tod, „der viel von Vergiftung zu reden gab.“ Thun und Lassen seiner Söhne – Wenzel, Rudolf, Johann, Wilhelm, Radislaw d. J. und Ulrich – bestätigen vollständig die Annahme, es sei von nun an deren Hauptaufgabe gewesen, mit allen zu Gebote stehenden Mitteln die tödtliche Erniedrigung des Vaters zu ahnden – Blutrache zu nehmen an seinen Mördern und deren Descendenz.

Aus dem Leben der Brüder hier nur so viel als zum beiläufigen Verständnisse einer kurzen biographischen Skizze Wilhelms unerläßlich scheint. Die gräulichen Widersprüche einzelner Episoden dieses Lebens finden in dem ausgesprochenen Grundgedanken ihre Erklärung. Das erste und nächste Streben der Söhne Johanns war es, durch die Sicherung ihrer äußeren Stellung festen Boden unter den Füßen zu gewinnen. Dazu sollte zweifellos dienen, daß K. und seine Brüder, der allgemeinen Strömung ihrer Zeit in Böhmen folgend, die Confession des Vaters, der als eifriger Katholik gegolten hatte, verleugneten und sich dem kirchlichen Utraquismus, welchem der Oheim Radislaw d. Ae. mit Leib und Seele ergeben war, in die Arme warfen. Das hinderte Wenzel später nicht, beim Einfalle des Passauer Volkes in Prag (1611) an der Spitze eines Haufens ständischer Truppen den Jesuiten der Prager Altstadt sich besonders gefällig zu erweisen, was ihm sogar den Titel eines „Ehrenpräfecten der Jesuiten“ eintrug, eine Auszeichnung, die übrigens sehr theuer zu stehen kam. Ihm entging durch sie das reiche Erbe des kinderlosen Oheims Radislaw, der fest entschlossen war, seine ausgedehnten Besitzungen, auf welchen, so lange er lebte, alljährlich das Fest des „Heiligen Hus“ feierlichst begangen wurde, nur demjenigen Verwandten zu hinterlassen, der sich eidlich verpflichte, darüber zu wachen, daß in Kirche und Schule des gesammten Dominiums die lauterste husitische Lehre unbeschränkt erhalten bleibe. Mit Umgehung des älteren Neffen Wenzel ernannte er am 23. September 1616 Wilhelm testamentarisch zum Erben seiner obengenannten Liegenschaften.

Damals hatte Wenzel – die Brüder Rudolf und Johann waren mittlerweile verstorben – schon eine reiche, wechselvolle Vergangenheit hinter sich; kaum war er eben dem traurigen Schicksale seines Vaters entgangen. [777] Bereits 1603 zur Würde eines Oberstjägermeisters des Königreichs Böhmen gelangt, nach drei Jahren aber derselben „wegen üblen Haushaltes“ entsetzt, machte er seitdem aus seiner persönlichen Feindschaft gegen Kaiser Rudolf kaum mehr ein Hehl. An der Erwirkung des bekannten Majestätsbriefes vom Jahre 1609 lebhaft betheiligt, dann zum kaiserlichen Obersten bestellt (December 1610), schürte er nach Kräften den bald in hellen Flammen auflodernden Bruderzwist im Hause Habsburg. Rudolf mußte Mathias weichen; doch auch Mathias sollte nicht allzu mächtig werden. Das einmal gewonnene 5piel verlockte zu den extremsten Schritten, deren unmittelbare Folge ein peinlicher Proceß war, den König und Stände gegen Wenzel anstrengten. Der Procurator hielt ihm hierbei öffentlich die freche Rede vor, mit der er geprahlt, „er habe von Jugend auf getrachtet sich wegen seines Vaters an kaiserl. Majestät zu rächen, und Gott habe ihm die Gnade verliehen solches ins Werk zu setzen“; er habe bei Rudolfs Lebzeiten „einen anderen Herrn und König mit Heeresmacht in das Land berufen“, dann aber sich gebrüstet, „er zweifle gar nicht, noch selbst einmal König in Böhmen zu werden“ etc. Seine geheime Korrespondenz mit „allerhand seltsamen Zeichen und Ziffern, die fürnehmsten Herren und Potentaten der Christenheit bedeutend“, bekräftigte die erhobene Anklage. Er wurde (11. März 1616) des Todes schuldig gesprochen, vom Kaiser aber zu lebenslänglichem Kerker begnadigt. Nach Jahresfrist seiner Haft entsprungen, kehrte er während der Wirren des Jahres 1618 nach Böhmen zurück und wußte die Stände durch das in offenem Landtag abgegebene Versprechen, „nie mehr für die Dynastie aufzutreten“, wieder für sich zu gewinnen. Eben derselbe Landtag erhob in der denkwürdigen Sitzung des 25. Mai 1618 Wilhelm K., der schon sieben Jahre früher zu dem Amte eines Oberstjägermeisters gelangt war, zur Würde eines der dreißig Directoren, deren Händen die Regierungsgewalt übertragen wurde. Trotz des gegebenen Versprechens stand Wenzel K. gleichzeitig mit Mathias’ präsumtivem Nachfolger Ferdinand II. in Unterhandlung, weshalb er, des Wortbruchs überführt, abermals flüchten mußte, von den Ständen auf seinem Schlosse Chlumetz belagert und zum zweiten Male eingekerkert wurde. Eben damals (1619) starb Radislaw d. Ae. dessen Erbschaft K. sofort antrat. Vorzüglich wol die damit verbundenen mannichfachen Privatgeschäfte bewogen ihn, die Stelle eines Directors niederzulegen, die gleich darauf seinem Bruder Radislaw d. J. übertragen wurde, indeß Ulrich, der, früher in Diensten Erzherzog Leopolds, dann der böhmischen Stände, im J. 1614 wieder die Charge eines kaiserlichen Obersten angenommen hatte, nun mit seinem Regimente abermals zu den rebellischen Ständen überging. Bei der Königswahl am 26. August 1619 stimmten K. und Ulrich für Kurfürst Johann Georg von Sachsen. Ulrich fiel bereits am 20. Jan. 1620, mit der Waffe in der Hand. Radislaw d. J. entging nach der Weißenberger Schlacht mit großer Noth der Hinrichtung durch schleunige Flucht in die Niederlande. Eben die Schlacht vom 8. November 1620 löste aber Wenzels Kerker, der, vom Kaiser in seine Besitzungen wieder eingeführt, von nun an, durch die gesammelten Erfahrungen gewitzigt, ein ruhiges, beschauliches Leben führte, in den Schoß der „alleinseligmachenden“ katholischen Kirche zur Freude der Jesuiten zurückkehrte und bald nach dieser „mira conversio“ am 18. Februar 1626 eines „gottseligen, lobwürdigen Todes“ starb. Das Rächeramt, das die Brüder K. einst übernommen hatten, lag nunmehr einzig und allein in den Händen Wilhelms.

Lange Zeit konnte es scheinen, als habe auch er alle Rachegedanken bereits aufgegeben. Als Ferdinand II. zum anderen Male die böhmische Königskrone erlangte, mußte Kinsky’s ganzes Augenmerk auf die eigene Erhaltung gerichtet sein. In der Zeit der allgemeinen Reaction und Güterconfiscation bedurfte es nach seinem bisherigen Betragen gewiß eines großen Aufwandes von Verstellungskunst [778] und Hinterlist, jeder Bestrafung zu entgehen, alle Besitzungen ungeschmälert zu behalten und selbst in seinen öffentlichen Aemtern bestätigt zu werden. Dagegen nahm der immer geldbedürftige Kaiser keinen Anstand, bei ihm wiederholt größere Anlehen zu contrahiren. Mit vielem Aufwand errichtete er auf seinen Gütern bedeutende Bauwerke, sowie er namentlich die von Radislaw d. Ae. in großem Stil begonnene Restauration der festen Burg Daubrawska hora, des heutigen Schloßberges bei Teplitz, nach den Plänen niederländischer Meister vollendete. Leider brannte Neuschloß, wie die Burg von nun an hieß, in dem Augenblicke fast gänzlich nieder (1626), als K. im Begriffe stand, dieselbe zu beziehen. Er legte einige neue Dörfer an und war ein Förderer des Handels und der Gewerbe. Die Heirath mit Elisabeth, Schwester des Grafen Adam Erdmann Trczka, eines Schwagers Wallenstein’s, brachte ihn in nahe Berührung mit dem damals allmächtigen kaiserlichen Generalissimus. In erster Reihe dessen dringender Verwendung dankte er seine Erhebung in den Grafenstand mit kaiserlichem Diplom vom 2. Juli 1628. Er hatte den Zenith seiner äußeren Erfolge erreicht. Die Gegenreformation, die nun mit Schonungslosigkeit in Böhmen endlich zur Durchführung kommen sollte, brachte auch für ihn, wie für unzählige Andere, eine verhängnißvolle Wendung der Dinge. Bei seinem Entschlusse, im Protestantismus zu beharren, konnte seines Bleibens in Böhmen nicht lange mehr sein, als Wallenstein, seines Commando’s enthoben (August 1630), beinahe allen Einfluß am Hofe verloren hatte. Eifrige Vorstellungen angesehener Persönlichkeiten bewirkten so viel, daß ihm (K.) auch fernerhin seine Besitzungen als Eigenthum belassen wurden, nur daß er sie durch gutkatholische Beamte verwalten, selbst aber mit seiner Familie ins Ausland gehen mußte.

Er wandte sich zunächst nach dem benachbarten Pirna, das zu jener Zeit Tausenden böhmischer Exulanten eine sichere Zufluchtsstätte bot. Hier erwarb er ein Haus und richtete sich, so gut es gehen wollte, wohnlich ein. Krankheiten, welche in der Schaar seiner armen Landsleute ausbrachen, verleideten ihm aber bald den dortigen Aufenthalt. Ihm starb daselbst am 16. September 1631 das älteste Söhnchen Johann Georg. Der Schmerz über diesen Verlust bestimmte ihn, nach Böhmen zurückzukehren. Er konnte einen solchen Schritt um so eher wagen, als die eben geschlagene Schlacht bei Breitenfeld auch dem kaiserlichen Regiment in Böhmen einen heftigen Stoß versetzt hatte. Damals trat ein Vetter Kinsky’s, Ulrich K., als Rittmeister in schwedische Dienste. Wenige Wochen nach Kinsky’s Ankunft in Teplitz brach ein sächsisches Heer unter Arnim im nördlichen Böhmen ein, alles Land bis Prag im Laufe von zehn Tagen erobernd (November 1631). Auch Teplitz wurde überrumpelt und K. als Gefangener nach Dresden abgeführt. Zwei Jahre lang blieb er, auch nachdem er sein Lösegeld längst bezahlt, am Hofe zu Dresden, nicht eigentlich als „refugié de Bohême“, wie er sonst bezeichnet wird, wol aber als der offene oder versteckte Führer der dortigen böhmischen Flüchtlinge, deren Zahl sehr bedeutend war. Doch nach wie vor blieb er im rechtlichen Besitz der Herrschaften Teplitz, Rumburg, Hainspach, Kamnitz etc., und wurden Richter und Schöppen und Bürgermeister und Räthe der dortigen Dörfer und Städte regelmäßig nur von seinen Vollmachtträgern eingesetzt oder bestätigt. Noch im December 1631 übernahm bekanntlich Wallenstein neuerdings, vorerst provisorisch, vier Monate später definitiv den Oberbefehl über die kaiserlichen Heere.

Bereits im Winter 1631–32 begannen die Verhandlungen des Herzogs-Generalissimus mit Arnim zum Zwecke des Zustandekommens eines Separatfriedens mit Sachsen-Brandenburg. Sie boten K. willkommene Gelegenheit, seine guten Dienste anzubieten und, da dieselben nicht zurückgewiesen wurden, in allerhand sonst höchst vertrauliche Angelegenheiten genauen Einblick zu gewinnen. [779] Er correspondirte direct, wie mit Wallenstein, so mit dem Kaiser, selbstverständlich in entschieden kaiserlichem Sinne; persönlich aber conversirte er fast täglich entweder mit Kurfürst Johann Georg selbst oder dessen Geheimen Räthen – wie begreiflich, ebenso entschieden in kursächsischem Interesse. Als Ende Januars 1632 Adam E. Trczka im Auftrage Wallenstein’s zu Außig eine Unterredung mit Arnim hatte, erfuhr K. sofort alle Details der getroffenen Vereinbarung. Als jedoch trotz dieser Vereinbarung, die sächsischerseits als eine Art Waffenstillstand aufgefaßt wurde, die kaiserlichen Truppen in Böhmen die Feindseligkeiten nicht einstellten, gab K., darüber zur Rede gestellt, „ungescheut und lachend“ zur Antwort: „der Trczka hätte ihm zwar die Unterredung zu Außig berichtet, dabei aber von einigem Anstand (Stillstand) nichts erwähnt; er wüßte auch gewiß, daß er deswegen nichts in commissione gehabt.“ Dienstwillig nahm er’s auf sich, den gewünschten Waffenstillstand zu erwirken; ja er erklärte sich bereit, da die sächsische Armee in Böhmen nicht genügte, die eroberten Plätze alle mit entsprechenden Garnisonen zu versehen, seine eigenen Städte und Schlösser, darunter insbesondere das mittlerweile wiederhergestellte Neuschloß, mit selbst geworbenen Soldaten für den Kurfürsten zu besetzen, was unter der Bedingung, daß Letztere „in kurfürstliche Pflicht genommen werden“, wie es scheint, auch acceptirt wurde. Damals mit seinem jüngeren Schwager Wilhelm Trczka aus irgend einer unbekannten Ursache entzweit, nahm er es später gerne an, daß Kaiser Ferdinand II. diesen nach Wien citirte, ihn, wie Questenberg an Wallenstein berichtete, „mit dem Herrn Kinsky zu vergleichen“. Das scheint allerdings ganz besondere – ob nun vermeintliche oder thatsächliche – Verdienste um die kaiserliche Sache vorauszusetzen.

Am 25. Mai 1632 eroberte Wallenstein Prag zurück; kaum 14 Tage später war das ganze sächsische Heer aus Böhmen hinausgeworfen. Kinsky’s Stellung wurde immer eigenthümlicher. Der Kurfürst behandelte ihn mehr denn je als Gefangenen; als Nichtkatholik durfte er auch nicht ohne ausdrückliche Bewilligung seitens des Kaisers nach Böhmen. Im Februar 1633 erwirkte Wallenstein eine kaiserliche Resolution, in deren Folge ein „Paß für des Herrn Wilhelm K. Diener zu Bestellung der Wirthschaften auf seinen Gütern in Böhmen“ ausgefertigt werden durfte. Am 15. Mai und wieder am 20. Juni darauf begrub K. zu Dresden einen zweiten Sohn und eine Tochter, die von Pirna her den Todeskeim in sich getragen hatten. Er aber kannte nur einen Urheber seines Familienunglücks.

Eben in den Tagen tiefster Trauer seines schwergebeugten und verbitterten Gemüthes war es, daß der Versucher an ihn herantrat, der ihm mit beiden Händen volle Genugthuung für alle erlittene Unbill bieten zu können vorgab. Wie an allen katholischen und protestantischen Höfen Deutschlands, so waren auch an dem zu Dresden bereits längst französische Agenten unermüdlich thätig gewesen, die anti-kaiserliche Politik des Ministercardinals Richelieu möglichst zu fördern. Baron Charnacé hatte in München, Herr v. Saludie in Trier, Mainz und Köln, andere anderwärts den Boden vollständig unterwühlt. In der zweiten Hälfte des Monats Mai kam der Gesandte Manasses de Pas Marquis de Feuquières nach Dresden, zunächst in der Absicht, den Kurfürsten zu überreden, dem eben geschlossenen Heilbronner Bündniß beizutreten – zugleich aber mit den entsprechenden Beglaubigungsschreiben seines Herrn und Meisters zu gewissen Unterhandlungen mit Wallenstein, dem „Generalcapo der kaiserlichen Armaden“. Wenig verschämt gab er K. ohne viele Umstände den Hauptzweck seines Erscheinens bekannt, durch seine und seines Schwagers Trczka Vermittlung Wallenstein für Frankreich zu gewinnen. Die Creditive des Emissärs mußten K. doch wol überzeugen, daß die fast unglaubliche Sache ernst gemeint war. Wol erst [780] nach langer Ueberlegung ging aber selbst ein Wilhelm K. auf das Anerbieten ein. „Anscheinend aus eigenem Antrieb“ – so berichtet Feuquières nach Paris – nahm K. die ihm dargebotene Hand, die Geneigtheit Friedland’s „zu den Fürsten und Ländern des (Heilbronner) Bundes“ versichernd – „wenn man ihm beistehen wollte, sich zum Könige von Böhmen zu machen.“

Man hat – allerdings ohne Kenntniß oder doch ohne genügende Berücksichtigung der begleitenden, psychologisch wichtigsten Umstände – die Möglichkeit geleugnet, daß K. die eben ausgesprochene Bedingung ohne alle und jede Autorisation von Seite Wallenstein’s gestellt habe. Man bedenke, daß alles Dichten und Trachten der Masse böhmischer Emigranten, deren Mittelpunkt und geistiges Oberhaupt K. war, eine Rückkehr in die Heimath, eine Wiedereinsetzung in die verlorenen Güter, wie die freie Uebung ihres Religionsbekenntnisses nothwendig nur von einem Sturz der herrschenden Dynastie erhoffen durfte; der in den Anschauungen der Zeit befangene, nichts weniger als republikanische, sondern vielmehr durchaus monarchische Geist dieser Emigranten aber mit dem Sturz der Habsburger naturgemäß den Gedanken der Erhebung eines anderen Fürstenhauses auf den Thron der Przemysliden verknüpfen mußte. Lag unter solchen Umständen und in der Stimmung, in welcher ihn die gallische Offerte traf, einem Wilhelm K., dessen leiblicher Bruder die böhmische Krone für gut genug hielt, seine eigene Stirn zu schmücken, der Gedanke gar so ferne, diese Krone einem Wallenstein anzubieten? An der Möglichkeit, ja an der inneren Wahrscheinlichkeit des Factums, daß es sich hier um einen spontanen Schritt, um eine Eigenmächtigkeit Kinsky’s handelte, ist nicht zu zweifeln. Begierig griff Feuquières die hingeworfene Aeußerung auf. In verlockenden Worten schrieb er sofort ein ausführliches Memorial an den Herzog-General; er erinnerte an die Undankbarkeit des Kaisers gegen die ihm geleisteten außerordentlichen Dienste; Eifersucht gegen seine Macht, Mißtrauen in seine Treue hätten ihn schon einmal gestürzt; nur einem äußeren Zwange weichend, habe ihm der Kaiser wieder das Commando übertragen. Wer immer schließlich den Sieg davontragen möge, er selbst werde keinen Gewinn daraus ziehen; und wie gering seien die Aussichten des Kaisers auf den Sieg! Darum lasse er jetzt die Gelegenheit nicht vorübergehen, seine Macht zu befestigen und sich zu einem Throne aufzuschwingen, dessen Besitz ihm mit Hülfe so mächtiger Freunde werde gesichert werden.

Und Wallenstein? Er gab die einzig richtige Antwort, indem er schwieg. Woche um Woche harrten Feuquières und K., ohne irgend welche schriftliche oder mündliche Erklärung zu erhalten. Der Franzose suchte sich mit dem Gedanken zu trösten, daß Friedland „über denselben Gegenstand mit dem Grafen Thurn verhandle und bereits der Abschluß dieser Verhandlungen zu erwarten stehe.“ Und wirklich stand Wallenstein gleichzeitig mit dem Grafen Thurn, mit Oxenstierna, Arnim, Franz Albrecht von Sachsen-Lauenburg und noch manchem anderen Feinde unter dem Scheine tiefsten Geheimnisses in reger Correspondenz – doch nicht ohne den Kaiser und seine Räthe von diesem Geheimniß genau unterrichtet zu haben und Schritt für Schritt die kaiserliche Zustimmung zu seiner Handlungsweise einzuholen, was freilich bis vor Kurzem nicht bekannt war. Das Bewußtsein, daß man an allerhöchster Stelle, der allein er Verantwortung schuldete, über seinen letzten Zweck wie über die angewandten Mittel vollkommen unterrichtet war und sein „real Procedere“, seine „hochvernünftige Direction“, wie er unzählige Male versichert wurde, vollauf billigte; die fortwährende werkthätige Unterstützung, die er seit Jahren den Herzogen von Orleans und Lothringen, den erklärten Gegnern des damaligen Regimes in Frankreich, zugewendet hatte; die nicht zu leugnende Gefahr eines directen Eingreifens des bösen Nachbars in den deutschen Krieg im Falle sofortigen brüsken Zurückweisens seiner [781] schlauen Insinuationen: das Alles ließ Wallenstein die vielverschlungenen Wege seiner diplomatischen Kunst ruhig und sicher gehen, eines ganzen und großen Erfolges gewiß, so lange er das volle Vertrauen seines Kaisers genoß, das zu verdienen er sich bewußt war. Der Vorwurf eines Moralisten, es sei Verrath, verrätherische Anträge schweigend auch nur anzuhören, ist hier nicht am Platze. Wallenstein durfte schweigen; er durfte die vielen dunklen Gerüchte, die über sein unerklärliches Beginnen bei Freund und Feind in den höheren und niederen uneingeweihten Kreisen erst leise, bald immer lauter, hörbar wurden, stumm belächeln oder wol gar zur eigenen Deckung gegenüber der Meute seiner Gegner geflissentlich verbreiten lassen. Gewiß ein überaus gefährliches Spiel, bei dem Charakter seines Partners doppelt gefährlich, ja furchtbar.

Mit unverhohlener Freude nahm Ludwig XIII. die offenbar sehr übertriebenen Mittheilungen Feuquières’ über seine glänzenden Erfolge in der Unterredung mit K. entgegen. Der Botschafter versichere, schrieb der König, den Herzog seiner besonderen Affection, suche aber doch ja von ihm etwas bestimmter zu erfahren, ob er geneigt sei, auf seine (Ludwigs) „gute Intentionen“ einzugehen, wovon es abhängen werde, „daß der erwünschte Friede in Deutschland und in der ganzen Christenheit zur Erhaltung der Religion und der öffentlichen Freiheit zu Stande komme.“ Gern werde er seine und seiner guten Freunde ganze Waffenmacht gebrauchen und mit all seinem Ansehen dahin wirken, „daß er zum Könige von Böhmen gewählt und auch noch höher gehoben werde.“ Die Hauptsache aber sei, vorerst zu ergründen, ob, was bisher geschehen, „nicht etwa ein Kunstgriff“ (artifice), um die Absichten zu stören, die Se. allerchristlichste Majestät selbst in Deutschland etwa verfolgen könnte. – Die Zuversicht war also keine unbedingte. Auch K. schien seinerseits nicht besonders zu trauen und begehrte nun nachträglich Sicherheiten für den Herzog gegen Kaiser und Liga, Spanien und Baiern etc., welche Sicherheiten Feuquières selbstverständlich „rasch und befriedigend“ ertheilte.

Wiederholt bemühte sich indessen Wallenstein, der Anfang Juni’s einen Waffenstillstand mit Sachsen geschlossen hatte, den Kurfürsten zur zeitweiligen Entlassung Kinsky’s in das Feldlager zu bewegen. Es galt, den lange verhandelten Separatfrieden mit Sachsen-Brandenburg hinter dem Rücken Frankreichs und Schwedens zu finalisiren. Hierzu schien, wol nicht ohne allen Grund, gerade K. eine besonders qualificirte Persönlichkeit. Johann Georg aber willigte nicht ein; er wollte von keinem Unterhändler außer Arnim wissen. Der Krieg war wieder eröffnet. Feuquières verließ ungeduldig Dresden und ging nach Berlin, seine Ueberzeugung dahin äußernd, es sei von Wallenstein nur auf die Täuschung seiner Feinde abgesehen. Doch gab das französische Cabinet nicht alsobald Alles verloren. Ein königliches Memoire trug dem Gesandten auf, falls bei Friedland nichts zu erreichen wäre, doch unter allen Umständen den Zwischenträger K. zu ködern, seine Dienste für die Zukunft in Anspruch zu nehmen und ihn mit der Fortsetzung der Unterhandlungen zu betrauen, übrigens aber dafür zu sorgen, daß der Herzog „keinen schlimmen Gebrauch davon mache“. Das bewog Feuquières, auf der Reise von Berlin nach Frankfurt a. M. nochmals Dresden zu berühren. Er begrüßte K., der – so meldet der Franzose an König Ludwig XIII. – mit Berufung auf ein angebliches Schreiben des Herzogs die Frage an ihn richtete, „ob er noch derselben Gesinnung sei, wie zu der Zeit, da er (Feuquières) seine Vorschläge beantwortet.“ Die Erwiderung habe gelautet: „der Herzog von Friedland handle für ihn mit zu viel Finesse; sein Schweigen auf die empfangenen Zuschriften hätte hinreichend erkennen lassen, daß er nichts anderes als die Gelegenheit suche, seinen Nutzen zu ziehen und zwischen dem Könige und dessen Alliirten Mißtrauen zu erwecken.“ Das Benehmen Kinsky’s, fährt der Berichterstatter fort, erschien ihm „keineswegs offen [782] genug“. Wie viel an alledem Wahrheit oder Selbsttäuschung, läßt sich, wie natürlich, heute nicht mehr entscheiden; eine absichtliche Täuschung des Königs aber war es, wenn Feuquières mit der Bemerkung schloß, es habe sich K. am Ende zu weiteren Schritten bei Wallenstein in Angelegenheit Frankreichs bewegen lassen, und zwar dadurch, daß er (Feuquières), sein Particularinteresse weckend, ihm „seine Wiedereinsetzung in alle seine sehr ausgedehnten böhmischen Güter und gewisse Ehrenämter“ in sichere Aussicht stellte. Wie oben gezeigt, war von Kinsky’s Gütern in Böhmen bis dahin kein einziges confiscirt oder auf sonstige Weise ihm genommen worden, er konnte also in solche auch unmöglich „wiedereingesetzt“ werden.

Damit waren und blieben die Verhandlungen zunächst so viel wie beendet. Wol ertheilte Ludwig XIII. seinem Gesandten alsbald neue Instructionen voll schmeichelhafter Anerbietungen an Wallenstein; man fabricirte französischerseits einen förmlichen Vertragsentwurf – viel günstiger für den Mitinteressenten, als ihn später ein Bernhard von Weimar willig annahm – nachweisbar kamen weder jene Anerbietungen noch dieser Entwurf jemals zur Kenntniß Wallenstein’s. Um keinen Schritt brachten ihn die diplomatischen Künste Feuquières’ und seiner Helfershelfer Bouthillier, Père Joseph, de Rorté, de Bois de Cargrois etc. Frankreich näher. Aber auch der kaiserliche Heerführer und Staatsmann sollte, trotz seiner allzugroßen „Finesse“, vorwiegend den unermüdlichen Machinationen der genannten Herren zufolge, seinen Zweck nicht erreichen, den er endlich nach einem zweiten Waffenstillstande Arnim gegenüber offen bekannte: „die Ausländischen vom Reichsboden zu schaffen“, vor Allem aber „die Schwedischen zu schmeißen“. Immer und immer wieder mahnte de Rorté in Berlin, „auf keinen Separatfrieden mit dem Kaiser einzugehen“ – „sich nicht mehr durch die betrüglichen Vorschläge des Herzogs von Friedland amusiren zu lassen“ u. dgl. m. An dem entschiedenen Widerspruche Kurbrandenburgs aber scheiterte im November 1633 der definitive Abschluß des Vergleiches, durch welchen Sachsen-Brandenburg für Ferdinand II. gewonnen und deren Truppen dem Befehle Wallensteins unterstellt werden sollten.

Die „Sterne Friedlands“ waren im Erbleichen. Nicht die List und Gewalt seiner äußeren Feinde, wol aber die Intriguen seiner heimlichen Gegner im eignen Lager, deren Zahl Legion war, brachten ihn zu Falle. Noch vor Ausgang des Jahres 1633 kannte er den Entschluß des Kaisers, ihm „die Kriegsdirection und das Generalat zu nehmen“. Eine ungeheuere Erregung bemächtigte sich seiner nächsten Umgebung. Der verwegensten einer, Adam Erdmann Trczka, erklärte sich sofort dafür, den grenzenlosen Undank des Monarchen mit offener Rebellion zu erwidern; sei man doch der Armee, der größten, die je auf deutschem Boden gestanden, unbedingt versichert; und wie nahe lag da die Erinnerung an die französischen Verheißungen. Es wird wol für alle Zeiten ein Geheimniß bleiben, ob Wallenstein stillschweigend oder im Gefühl erlittener schwerster Kränkung auch nur mit einem Wort für den Augenblick dem Schreiber zugestimmt, wenn Trczka am 26. December 1633 seinem Schwager K. von Pilsen aus die inhaltsschweren Worte sandte, der Herzog-Generalissimus sei „nicht allein resolvirt, mit beiden Kurfürsten, Sachsen und Brandenburg, sich zu veraccordiren, sondern auch mit Schweden und Frankreich.“ … „Der Herr wolle ehest anhero kommen, damit man die Zeit nicht verabsäume, denn wir sind im Werk, unser Volk innerhalb 14 Tage zusammenzuführen.“ … Trczka wollte den Umsturz, gleichwie Ilow (s. Allg. d. Biogr. XIV. S. 27); und K. war mit ganzem Herzen der Dritte im Bunde. Von Pirna, wo er sich eben aufhielt, eilte er vorerst nach Dresden zurück, um dort mit Kurfürst Johann Georg und Feuquières, sowie mit kurbrandenburgischen Räthen eifrigst zu conferiren. Er fand zugleich ein kaiserliches Schreiben vor, das ihm, ausdrücklich auf Wallenstein’s Verwendung, die besondere [783] Gnade ertheilte, auf seine Güter nach Böhmen zurückzukehren und sich daselbst fünf Jahre lang „ruhig und unangefochten“ aufzuhalten. Das kam gelegen. In kurzer Zeit reiste er nach Pilsen, wo er am 8. Januar 1634 eintraf. Er brachte die Meldung – wie Wallenstein durch Trautmannsdorf den Kaiser ohne Zögern wissen ließ – „daß beide Kurfürsten die Friedenstractate wiederum zu reassumiren nicht ungeneigt“, weshalb auch kaiserlicherseits mit aller Beschleunigung ein geeigneter Unterhändler abgeordnet werden möge; Herzog Franz Julius von Sachsen-Lauenburg, der hierzu von Wien aus bereits designirt war, sei „ein schwaches Instrument zu diesem Werk“. Fast gleichzeitig aber, am 10. (nicht 1.) Januar schrieb K. an Feuquières die oft citirten Zeilen: er habe sich alle Mühe gegeben, seinen „Herrn“ in dem bewußten Geschäft, mit dem ihn der Gesandte bei seiner Abreise von Dresden beauftragt, zu erforschen, und sei es mit Gottes Hülfe ihm gelungen, die „Hauptperson“ so weit zu bringen, daß sie bereit sei, sich dem Wunsche des Herrn von Feuquières zu fügen, so daß dem Vollzuge des Vertrages nichts mehr entgegenstehe. – Vier Tage später richtete K. an Oxenstierna die Bitte um eine persönliche Besprechung, ihm „ein wichtiges negotium vertraulich zu communiciren“. – So sollte der Bruch mit dem verhaßten Hause Habsburg, den K. vor Augen sah, unvermeidlich und so viel nur möglich beschleunigt werden. Feuquières berichtete eiligst an seinen Hof und sandte unter Einem de la Boderie an K. mit eben eingelangten Briefen des Königs in derselben „sehr delicaten und zweifelhaften“ Angelegenheit, welche Briefe aber, wie er selbst geflissentlich bemerkt, absichtlich so eingerichtet waren, daß sie eine Antwort auf Eröffnungen zu sein schienen, welche der Herzog dem Könige gemacht habe – um zu verhüten, daß eben der Herzog diese „delicaten“ Acten mißbrauche. – Noch viel vorsichtiger, ja mißtrauischer gingen Oxenstierna und Bernhard von Weimar zu Werke, an welch Letzteren sich K. gleichfalls wandte. Sie hatten guten Grund zum Verdachte. Noch Mitte Februars 1634 war Wallenstein nichts weniger als zum Anschlusse an Frankreich und Schweden entschlossen. Sein jähes Temperament konnte ihn im Moment unerwarteter, schmachvoller Erniedrigung zu unbedachten Aeußerungen hinreißen, die von allzu geschäftigen und allzu parteiischen Freunden mit kühner Stirn nur zu sehr ausgebeutet wurden; bald fand er das gewohnte Gleichmaß kühler Ueberlegung wieder. Als zehn Tage nach K. Herzog Franz Albrecht von Sachsen-Lauenburg in das Hauptquartier Pilsen kam, bestätigte er vollinhaltlich die Aussagen Kinsky’s bezüglich der Kurfürsten von Sachsen-Brandenburg; Frankreich betreffend, erklärte Wallenstein auf das bestimmteste, keine Tractate zu belieben und niemals zulassen zu wollen, daß der französische König über den Rhein komme, „sonst stände er den drei geistlichen Kurfürsten auf dem Halse“; ebenso trage er durchaus „keine Beliebung zu einer Allianz mit Schweden“.

Das Alles änderte sich mit einem Schlage, als am 21. Februar die Botschaft einlangte, die Garnison zu Prag erkläre sich gegen den Oberfeldherrn, der in kaiserlichen Plakaten vor aller Welt entsetzt und geächtet worden. Nun in der That war auch Wallenstein zum Aeußersten entschlossen; der Trieb der Selbsterhaltung war auch in seiner großen, stolzen Seele, in seinem schwererkrankten, siechen Leibe lebendig. Noch am 21. Februar wies er durch einen Vertrauten seinen Landeshauptmann zu Gitschin an, alles vorhandene Geld seiner Prägung über Reichenberg und Rumburg nach Hainspach zu schaffen und dort zur Weiterbeförderung einem Beamten Kinsky’s zu übergeben. Er selbst ging über Mies und Plan nach Eger seinem unabwendbaren Verhängniß entgegen. In seiner Begleitung war auch K., von dessen Seite Elisabeth, seine Gemahlin, nicht weichen wollte. „Die Kinskin, so eine geborne Trczkin gewesen“ – so sagte man später – „hat um alle des Herzogs Vorhaben und Machinationen gewußt“; sie „ist in der Rebellion ärger als ihr Mann gewesen“. Unmittelbar [784] nach dem furchtbaren Gemetzel der Blutnacht des 25. Februars auf der Burg zu Eger brachte ihr ein entsprungener Diener die Schreckenskunde von der meuchlerischen Ermordung ihres Gemahls. „Wer ist gut kaiserlich“ – hatten Gordon und Deveroux gerufen und die Tafel, an der sie gespeist, sofort umgeworfen, K. unter ihrer Last zu Boden schleudernd. „Bei dreißig Stiche und Hiebe“ wies das Wams, das er getragen hatte. – Er war nach dem Zeugnisse eines seiner erbittertsten Gegner „ein starker, tapferer und resoluter Cavalier“.

Schon am 20. Februar hatte Kaiser Ferdinand II. die Confiscation des mächtigen Grundbesitzes sowol des Herzogs von Friedland als auch Adam Erdmann Trczka’s angeordnet; eben am 25. Februar wurde auch die Einziehung der Güter Ilow’s verfügt. Erst am 8. März erinnerte man sich in Wien, bei dieser Verfügung „zu der Armada Bestem“, die nicht minder stattlichen Besitzungen Kinsky’s ganz vergessen zu haben. Ein Bericht der böhmischen Statthalterei vom 13. desselben Monats gab jedoch die beruhigende Mittheilung, daß man trotz jenes Vergessens, die kaiserlichen Gedanken errathend, schon nach Einlangen des Befehls vom 25. Februar eine Commission auch zur „Apprähendirung“ der Kinsky’schen Verlassenschaft abgesendet habe, die bereits in voller Activität sei. Der Kaiser hatte eifrige Diener. In kurzer Zeit war eine große Beute verschenkt. Die schöne Herrschaft Teplitz empfing Aldringen, der dagegen seine Gütchen Großlipen und Duchorzitz an Rittmeister Melchior Adam v. Moser und Feldmarschall-Lieutenant Ernst v. Suys abtreten mußte; Rumburg erhielt Oberst Hans Christoph Freiherr v. Löbl; Hainspach Graf Wolf v. Mannsfeld; Zahorzan Oberst Wenzel Freiherr v. Zahradecky; den seinerzeit vielberühmten Kinsky’schen Palast auf der Altstadt Prag Matthias Graf Gallas. Von dem gesammten Erbe nach Radislaw dem Reichen wurde der Familie K. nur Böhmisch-Kamnitz gerettet, welches „vermöge Alt-Kinsky’schen Kaufcontractes per 186 000 Gulden“ dem Sohne Wenzel Kinsky’s, Johann Octavian, „anstatt seines zu allen confiscirten Alt-Kinsky’schen Gütern prätendirten juris“ überlassen wurde. Die Wittwe ging leer aus. War sie doch kühn genug gewesen, alsbald nach der Egerer Katastrophe das schriftliche Begehren zu stellen, wider die „Meuchelmörder“ ihres Mannes „die justitiam ihr zu ertheilen und ergehen zu lassen.“ – K. hinterließ einen einzigen Sohn Adolf Ernst; mit dem Enkel Wilhelm Leopold starb seine Linie im Mannsstamme aus. Dagegen kam die Descendenz des älteren Bruders Wenzel, in seinem Urenkel Stephan Wilhelm 1746 in den Fürstenstand erhoben, zu vielen Würden und Reichthümern; sie steht noch heute in der vollsten Blüthe österreichischer Hocharistokratie.

Nach Urkunden der kaiserlichen Archive zu Wien, des Gubernialarchivs zu Prag, des königlichen Hauptstaatsarchivs zu Dresden etc.; M. de Feuquières, lettres et négociations, I et II; Mèmoires du Cardinal de Richelieu (ed. M. Petitot, tome XXVII); L. v. Ranke, Geschichte Wallenstein’s (Sämmtliche Werke, XXIII). – Vgl. u. A.: Fr. K. Wißgrill, Schauplatz des landsässischen niederösterreichischen Adels, V. (Wien 1804); Fr. Förster, Wallenstein’s Briefe, III. (Berlin 1829), Wallenstein als Feldherr und Landesfürst (Potsdam 1834); R. Röpell, Der Verrath Wallenstein’s an Kaiser Ferdinand II. (Raumer’s historisches Taschenbuch, Neue Folge, VI, 1845); J. H. Krönlein, Wallenstein und seine neuesten historischen Ankläger und Vertheidiger (Wigand’s Vierteljahrsschrift, 1845); K. G. Helbig, Der Kaiser Ferdinand und der Herzog von Friedland (Dresden 1852); J. Zahn, Hochverrathsproceß des Wenzel v. Khünitz und Tettau (Archiv für Kunde österreichischer Geschichtsquellen. Notizenblatt, VIII, 1858); J. E. Folkmann, Die gefürstete Linie des uralten und edlen Geschlechtes Kinsky (Prag 1861); W. J. A. Freiherr v. Tettau, Urkundliche Geschichte der Tettau’schen Familie (Berlin 1878); H. Hallwich, Wallenstein’s Ende (Leipzig 1879).[1]

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 784. Z. 1 v. u.: Soeben erschien und konnte daher bei Abfassung des Art. Kinsky noch nicht berücksichtigt werden: Kinsky und Feuquières. Nachtrag zur „Lösung der Wallensteinfrage“, von Dr. Edm. Schebek. Berlin 1882. [Bd. 15, S. 796]