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ADB:Ludwig II. (Kaiser)

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Artikel „Kaiser Ludwig II.“ von Engelbert Mühlbacher in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 19 (1884), S. 406–417, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ludwig_II._(Kaiser)&oldid=- (Version vom 1. Dezember 2024, 17:23 Uhr UTC)
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Ludwig II., der älteste Sohn Lothars I., erhielt noch von seinem Großvater Ludwig dem Frommen (839) Italien zugesichert. Er blieb, wie es scheint, in Italien, als sein Vater 840 über die Alpen zog. Das 842 auftauchende Project einer Vermählung mit einer griechischen Prinzessin als Preis eines Bündnisses Lothars mit Constantinopel kam nicht zur Ausführung, aber noch zu 853 berichtet der Annalist, daß die Griechen über L. erbittert waren, weil er gezögert habe, seine Braut heimzuführen. 844 wurde er von seinem [407] Vater mit einem fränkischen Heer nach Rom geschickt, um die bei der Erhebung des Papstes Sergius II. wieder verletzten kaiserlichen Rechte wahrzunehmen. Auf der Synode kam es zwischen Drogo von Metz, den italienischen Bischöfen, welche das Heer begleitet hatten, und der päpstlichen Partei zu heftigem Streit; der Papst vermittelte, wol gegen Bürgschaften für künftige Papstwahlen, einen friedlichen Vergleich; als aber L. für sich von den Römern den Treueid forderte, erklärte er, daß derselbe nur Lothar als Kaiser geleistet werden könne; am 15. Juni krönte er L. in der Peterskirche zum König der Langobarden und umgürtete ihn mit dem Schwerte. Auch Herzog Siginulf von Benevent erschien in Rom, um, bedrängt von einem Nebenbuhler und den zu Hülfe gerufenen Sarazenen, die Huldigung zu leisten. Trotz dieser Krönung blieb die Regierungsgewalt in den Händen seines Vaters; nach wie vor datiren die italienischen Privaturkunden mit wenigen Ausnahmen bis 850 nur nach den Jahren Lothars I. als des Herrschers von Italien, Ludwigs Name tritt erst nach seiner Kaiserkrönung hinzu. Als die Sarazenen im August 846 Rom überfallen, die außerhalb der Mauern liegende Peterskirche geplündert und, was sie erreichen konnten, verwüstet hatten, wurde L. von seinem Vater zur Berathung der Vertheidigungsmaßregeln berufen: auf Bitte der Beneventaner wurde beschlossen, daß der junge König mit der ganzen Streitmacht Italiens, mit fränkischen, burgundischen und provençalischen Truppen am 25. Januar von Pavia nach Unteritalien aufbrechen solle, um die Sarazenen von Benevent zu vertreiben, weil man bestimmt erfahren habe, daß die Ungläubigen von dort die Romagna und einen großen Theil Italiens angreifen wollten; zugleich wurden Königsboten bestellt, welche den Auftrag hatten, in Benevent zwischen den Prätendenten Siginulf und Radalgis durch Theilung des Gebietes einen Frieden zu vermitteln und sich dafür Unterstützung zur Vertreibung der Sarazenen schwören zu lassen. Ludwigs Feldzug 847 war, wie berichtet wird, ein siegreicher, aber er blieb ohne dauernden Erfolg; das Fürstenthum Benevent wurde getheilt.

850 wurde L. von seinem Vater mit glänzendem Gefolge abermals nach Rom gesandt, um die Kaiserkrone zu empfangen; eine Gerichtsurkunde über einen Streit zwischen den Bischöfen von Siena und Arezzo, der damals in Rom zur Entscheidung gelangte, nennt den kaiserlichen Erzkaplan Bischof Joseph von Ivrea, die Erzbischöfe von Ravenna und Mailand, die Bischöfe von Brescia, Lucca, Pistoja, Florenz, Pisa, Spoleto und andere. Im April (das bisher angenommene Datum des 6. April ist ganz unsicher) wurde L. von Leo IV. zum Kaiser gekrönt. Er überkam damit die selbständige Regierung Italiens: nur er urkundet von nun an fast ausnahmslos für Italien, er verfügt über die staatlichen Rechte, die Gesetzgebung liegt in seiner Hand, die italienischen Privaturkunden datiren nun auch neben den Jahren Lothars nach seiner Regierung, und zwar mit der Epoche von 850. Lothar blieb die Oberhoheit gewahrt und sie kam, wie früher unter Lothar bis 833 gegenüber Ludwig dem Frommen, durch die Aufnahme des Namens Lothars in Titel und Datirung der Urkunden Ludwigs zum Ausdruck. Ein bald nach der Kaiserkrönung in Pavia abgehaltener Reichstag, neben dem zugleich eine bischöfliche Synode tagte, suchte den ärgsten Uebelständen zu steuern: es wurde namentlich strenges Vorgehen gegen die Räuber, welche Rompilger und Kaufleute plünderten, und ihre Helfershelfer beschlossen, die Bedrückung des Volkes durch die Begehrlichkeit der zu Hofe ziehenden weltlichen und geistlichen Herren verboten, die Herstellung der fast zu Ruinen gewordenen Pfalzen und der zur Aufnahme des Hofes und fremder Gesandtschaften bestimmten und nun verfallenen Gebäude, der Bau der nothwendigen neuen Brücken und die Instandsetzung der alten anbefohlen.

[408] Die Nachrichten über die nächsten Jahre sind spärlich. Im October 851 verschreibt L. seiner Braut Angilberga nach fränkischem Recht mit Zustimmung seiner Großen Güter als Morgengabe. Die Vermählung scheint erst später stattgefunden zu haben. Angilberga ist eine energische und ihrem Gemahl geistig überlegene Frau, die ihn beherrscht; sie begleitet ihn auf seinen Heerfahrten, sie vermittelt 864 die Aussöhnung mit dem Papst, sie führt später persönlich die Unterhandlungen mit dem ost- und westfränkischen König; an ihren Einfluß wendet sich Lothar II. und erreicht beim Kaiser und durch diesen beim Papst, was zu erreichen möglich war. Den Großen ist sie nach Hincmar’s Bericht wegen ihres Hochmuths verhaßt, wol nicht minder wegen ihrer Habgierde; es ist eine ganz stattliche Anzahl von Urkunden, wie sie keine andere Herrscherin aufzuweisen hat – von 864–74 mehr als ein Viertel der überhaupt auf uns gekommenen Diplome Ludwig’s II. – durch welche sie sich von ihrem Gemahl reichen Besitz schenken und bestätigen läßt, den sie dann ihrer Stiftung, dem Kloster S. Sisto in Piacenza, testirt, und eine spätere in der Chronik von Salerno überlieferte Sage läßt den Kaiser nach seiner Gefangennahme in Benevent ihr den Vorwurf machen, daß ihre Härte an diesem Unglück die Schuld trage.

Auf Bitte der von den Edlen des Landes abgeordneten Aebte von Montecasino und S. Vincenzo am Volturno unternahm der Kaiser 852 wieder einen Feldzug gegen die Sarazenen, welche sich in Bari festgesetzt hatten, Apulien und Calabrien plünderten und schon gegen Salerno und Benevent streiften. Der Plan, Bari zu erobern, mißlang, wie es heißt, wegen der Treulosigkeit der Capuaner, die keine Hülfe leisteten; die Meldung der westfränkischen Reichsannalen, die Eroberung der Stadt, in deren Mauern schon Bresche gelegt worden, sei durch den von seinen Räthen aufgestachelten Eigennutz des Kaisers vereitelt worden, beruht zweifelsohne nur auf Gerüchten. Von Bari zog der Kaiser nach Benevent; am 28. Mai wurden hier die Sarazenen niedergehauen, ihr Führer vor den Kaiser geführt und enthauptet. 853 hatte L. in Ravenna eine Zusammenkunft mit Papst Leo, der ihn bat, dem flüchtigen Cardinalpriester Anastasius die Rückkehr anzubefehlen, doch dieser leistete dessen Befehl ebenso wenig Folge wie jenem Lothars und wurde mit dem Bann belegt. 855 eilte der Kaiser auf die Denunciation des Magister militum Daniel, daß sein Amtsgenosse Gratian auf Losreißung Roms von der fränkischen Herrschaft und Uebergabe der Stadt an die Griechen sinne, „wuthentbrannt“ nach Rom, ohne beim Papst und Senat, wie sonst üblich, seine Ankunft anzumelden; vom Papst feierlich empfangen, hielt er in dessen Beisein mit den fränkischen und römischen Großen Gericht; Daniel’s Anklage erwies sich als Lüge, derselbe wurde nach römischem Gesetz zum Tod verurtheilt und Gratian zur Tödtung ausgeliefert, der ihm aber auf Bitte des Kaisers das Leben schenkte. Nach Pavia zurückgekehrt, hielt der Kaiser einen Reichstag; es sind uns die Vorlage an die Bischöfe, die Anträge derselben und die auf ihnen fußende kaiserliche Verordnung erhalten; sie beschäftigen sich mit der kirchlichen Disciplin, den Uebergriffen der Laien bei Bestellung der Ortsgeistlichkeit, der Restitution des Kirchenguts, der Wahrung der Immunitäten, der Leistung der Zehnten; nicht ohne Interesse ist eine Bemerkung der Bischöfe, daß die großen Herren sich Hauskapellen halten und nicht zur Kirche kommen, daß hier höchstens dem armen Volk gepredigt werden könne, alles in Geduld über sich ergehen zu lassen. Klagen, welche erst nach Schluß des Reichstags dem Kaiser zu Ohren kamen, daß manche dadurch die Kläger um ihr Recht zu bringen suchten, daß sie dieselben und ihre Eideshelfer als Unfreie ausgäben oder ausgeben ließen, führten noch zum Erlaß eines anderen Kapitulars vom 20. Juli, dessen Bestimmungen die Rechtspflege auch gegen diesen Kniff zu sichern suchten. Während die Reichsversammlung in Pavia tagte, [409] starb Leo IV.; es wurde Benedict III. gewählt. Diesmal ihrer Verpflichtung eingedenk, sandten die Römer „nach alter Gepflogenheit“ das Wahldecret an die Kaiser Lothar und L.; noch auf der Hinreise wurden die Gesandten von Bischof Arsenius von Gubbio für die Erhebung des gebannten Cardinals Anastasius gewonnen und es gelang auch, L. dafür zu gewinnen; er ordnete zwei Grafen nach Rom ab, welche zuerst für Anastasius Partei ergriffen, ihn aber auf den Widerstand des römischen Clerus wieder fallen ließen und die Wahl Benedicts anerkannten, der am 29. September in ihrem Beisein geweiht wurde.

Durch die Reichstheilung (September 855) war L. nach seines Vaters Tod nur Italien, das er bisher schon besessen, zugefallen. Er führte sogleich Klage bei seinen Oheimen Ludwig dem Deutschen und Karl dem Kahlen, dessen Schutz er, wie Hadrian II. 869 schreibt, von seinem Vater besonders empfohlen worden war. 856 traf er mit seinen Brüdern Lothar II. und Karl von Burgund in Orbe zusammen; nach heftigem Streit, der fast zum Kampfe führte, einigten sich die beiden älteren Brüder, Karl das vom Vater bestimmte Gebiet zu überlassen und L. gab sich mit seinem Antheil zufrieden. Die Eintracht mit Lothar – der kränkelnde jüngste Bruder war zu unbedeutend, um in Rechnung zu kommen – war durch diesen Verzicht nur äußerlich hergestellt, sie blieb gefährdet, so lange Ludwig’s Ansprüche nicht befriedigt waren, und der Eigennutz trat auch wieder hervor, als wieder ein Stück Land zu erhaschen war. Aber er beherrschte Ludwig’s Politik nicht so schrankenlos, wie die der Könige jenseits der Alpen, sie war ehrlicher, verläßlicher, und das Eintreten für Lothars Sache durch eine Reihe von Jahren stand gewiß unter dem Einfluß brüderlicher Liebe und Treue. Als Lothar 857 sich mit Karl dem Kahlen verbündete, war es das Streben Ludwig des Deutschen, durch ein Bündniß mit dem Kaiser ein Gegengewicht zu schaffen; dieser ging darauf ein und bei einer Zusammenkunft in der Nähe von Trient kam die Einigung zu förmlichem Abschluß. Die Beziehungen zum deutschen König, dem natürlichen Bundesgenossen des Kaisers, blieben dauernd freundliche, boten sie doch diesem die größeren Vortheile; 858 empfing er in Ulm den Bischof Noting von Brescia und Graf Eberhard von Friaul als Gesandte des Kaisers, im nächsten Jahre ordnete er den Abt Thioto von Fulda nach Italien ab, um beim Kaiser und (wol durch seine Vermittelung) beim Papst den Einfall in Westfrancien zu rechtfertigen. Kurz darauf erschien auch Lothar in Italien, um sich mit dem Bruder zu verständigen und dessen mächtigen Einfluß in Rom für seinen Scheidungsplan zu gewinnen; er trat ihm den Theil seines Reichs jenseits des Jura (die Städte Genf, Lausanne und Sitten mit den Bisthümern und Grafschaften, das Hospital auf dem St. Bernhard und die Grafschaft Pümplitz ausgenommen) ab, vielleicht das Gebiet, das L. bei der Reichstheilung für sich beansprucht hatte. Damit übernahm L. aber auch die Bekämpfung des unbotmäßigen Abts Hucbert von St. Maurice, des Bruders von Lothars Gemahlin Theutberga, gegen den dieser schon ohne Erfolg zu Felde gezogen war; Hucbert ließ es zwar anfangs an Versicherungen der Ergebenheit gegen ihn nicht fehlen, erhob jedoch, verstärkt durch Burgunder, wieder die Fahne des Aufstandes und fiel 864 in einem Treffen mit dem Welfen Konrad bei Orbe. Das durch jene Gebietsabtretung hergestellte gute Einvernehmen zwischen den beiden Brüdern gerieth nach dem Tod des jüngsten Bruders wieder in Gefahr: L. eilte in die Provence, um die Großen des Landes auf seine Seite zu ziehen; auf die Kunde davon kam auch Lothar, der mit dem verstorbenen Bruder 858 seinen Erbvertrag abgeschlossen hatte, nach Burgund. Ihrer Umgebung gelang es, eine vorläufige Vereinbarung zu vermitteln, welche den Entscheid späterer Verständigung vorbehielt, während sich zugleich beide Parteien „um Frieden bittend“ an den westfränkischen König wandten und nur eine ausweichende [410] Antwort erhielten. Noch im selben Jahre erfolgte die Theilung des Erbes: L. erhielt einen Theil des transjuranischen Burgund und die Provence, Lothar das übrige.

Der Kaiser war 858 auf der Rückreise von Rom, als er den unerwarteten Tod des Papstes Benedict III. erfuhr. Er kehrte rasch zurück, um bei der Erhebung des Nachfolgers die kaiserlichen Rechte, welche die Römer so sehr bei Seite zu setzen geneigt waren, zur Geltung zu bringen. Er wohnte der Wahl des neuen Papstes bei und hauptsächlich seinem persönlichen Einfluß schreibt Hincmar von Rheims die Wahl Nicolaus I. zu. Die Herzlichkeit der Beziehungen zum neugewählten Papst, dessen Weihe er auch durch seine Gegenwart verherrlichte, fand öffentlichen Ausdruck. Als der Kaiser am 26. April beim Papst speiste, umarmte ihn dieser als seinen „theuersten Sohn“. Nach seiner Abfahrt ritt ihm der Papst mit den römischen Großen eine Strecke nach und verkehrte, nachdem er ihn eingeholt hatte, mit ihm in der freundlichsten Weise; dem Ankommenden eilte der Kaiser entgegen und führte dessen Pferd „einen Pfeilwurf weit“ am Zügel, dieselbe Ehrenbezeigung erwies er ihm beim Abschied, mit Küssen trennten sie sich. Mochte der Kaiser glauben, bei einem Papste, dem er persönlich so nahe stand, auch einen entscheidenden Einfluß in kirchlichen Angelegenheiten zu besitzen, so war er im Irrthum; unbeugsam hielt Nicolaus auch ihm gegenüber an dem fest, was ihm als Recht galt. Dies zeigte sich schon 862, da L. für den wegen Unbotmäßigkeit gegen den römischen Stuhl mit dem Bann belegten Erzbischof Johann von Ravenna Fürsprache einlegte. „Der Papst „schalt sanft“ die kaiserlichen Gesandten, daß sie mit einem Gebannten verkehrt hätten, und ging selbst nach Ravenna; eine abermalige Verwendung des Kaisers blieb ebenso erfolglos, der Erzbischof mußte sich bedingungslos unterwerfen.

Zu offenen Mißhelligkeiten kam es aber, als Nicolaus mit voller Strenge gegen Lothar aufzutreten begann. Auf dem römischen Concil (Ende October 863) hatte er die Synode von Metz (Juni 863), weil sie die Scheidung der Ehe Lothars mit Theutberga und die Vermählung mit seiner Concubine Waldrada bestätigt hatte, schmählich kassirt, die Erzbischöfe Theutgaud von Trier und Gunthar von Köln, Lothars Helfershelfer, abgesetzt, den übrigen lothringischen Bischöfen das gleiche Urtheil angekündigt und in dem erlassenen Rundschreiben Lothars Königthum wegen dessen Unmoralität förmlich in Frage gestellt. Die abgesetzten Erzbischöfe eilten zum Kaiser nach Benevent, um seine Hülfe anzurufen. Dieser „vermag sich“, wie Hincmar berichtet, „vor Grimm kaum zu fassen und betrachtet es als eine ihm selbst angethane Unbill, daß der Papst die Gesandten seines Bruders abgesetzt habe, die im Vertrauen auf ihn und mit seinen Empfehlungen nach Rom gekommen waren“. Er bricht in Begleitung seiner Gemahlin und der beiden Erzbischöfe nach Rom auf, „um den Papst entweder zu zwingen, diese wieder in ihr Amt einzusetzen oder Hand an ihn zu legen“. Der päpstliche Geschichtschreiber erwähnt den Zug gegen Rom nicht einmal, sondern beschuldigt nur den Bischof Hagano von Bergamo, der auch auf der Metzer Synode, wahrscheinlich als Vertreter des Kaisers, eine Rolle gespielt hatte, den Erzbischof Johann von Ravenna und dessen Bruder Gregor der ärgsten Uebelthaten gegen den Papst und das römische Volk; auch diesen dürfte Einflußnahme auf den Entschluß des Kaisers, der über das Vorgehen des Papstes gegen Ravenna noch erbittert sein mochte, zuzuschreiben sein. Als Nicolaus erfährt, daß der Kaiser gegen Rom zieht, läßt er Processionen und Fasten ansagen, „damit Gott ihm rechten Sinn und Ehrfurcht gegen die Autorität des apostolischen Stuhles einflöße“. Der Kaiser nimmt, ehrenvoll empfangen, Aufenthalt im Palast neben der Peterskirche (Februar 864). Die nach St. [411] Peter ziehende Procession wird von seinen Leuten gröblich mißhandelt, der Papst flieht, da er hört, daß man ihn gefangen nehmen wolle, Nachts zu Schiffe vom Lateran in die Peterskirche, wo er zwei Tage ohne Speise und Trank sich verborgen hält. Das kaiserliche Gefolge haust arg; nach Hincmar’s Bericht werden Häuser geplündert und zerstört, Nonnen und Frauen genothzüchtigt, Kirchen erbrochen. Doch das mit solchem Eifer begonnene Unternehmen versickert im Sande: der Kaiser erkrankt am Fieber; von Angst ergriffen, sendet er seine Gemahlin zum Papst, um ihn zu sich bitten zu lassen; der Papst kommt und kehrt nach einer „Unterredung“ wieder in den Lateran zurück; L. hat reuig auf seinen Plan verzichtet, Theutgaud und Gunthar erhalten den Befehl, nach Francien zurückzukehren, und wenige Tage später zieht auch er von Rom ab.

Doch die Spannung mit dem Papst blieb bestehen, der Kaiser ist gegen ihn mißtrauisch geworden. Noch im selben Jahre verweigerte er den Gesandten der westfränkischen Bischöfe an den Papst und trotz seiner ausdrücklichen Bitte selbst dessen Legaten an Karl den Kahlen den Durchzug durch sein Reich, weil er den Verdacht hegte, daß sie nicht nur, wie es hieß, kirchliche Angelegenheiten zu besorgen hätten, sondern daß ihre Mission gegen ihn gerichtet sei, während er früher dem von einer westfränkischen Provinzialsynode abgesetzten und von Lothar und Ludwig dem Deutschen empfohlenen Bischof Rothad von Soissons Unterstützung gewährt hatte. Erst als 865 Karl der Kahle und Ludwig der Deutsche in Thousey sich gegen Lothar verständigt und dieser in der Furcht, daß sie die Wegnahme und Theilung seines Reiches planten, einen Gesandten an ihn geschickt hatte, damit er beim Papst eine ernste Friedensmahnung an die begehrlichen Oheime erwirke, fand auch wieder eine Annäherung an den Papst statt. Auf sein Ansuchen erließ Nicolaus auch dringende Mahnschreiben an den ost- und westfränkischen König und deren Bischöfe und forderte sie auf, den Frieden, namentlich auch dem Kaiser, „seinem geliebtesten Sohne“, gegenüber, zu wahren „zum Heil und zur Vertheidigung des christlichen Volkes und für die Freiheit und Erhabenheit der römischen Kirche“. Aber nach wie vor hielt der Kaiser die Partei seines Bruders, mit dem er auch 864 und 865 in Orbe zusammen kam; eine von ihm berufene Synode in Pavia sprach sich 865 zu Gunsten des persönlich anwesenden Gunthar von Köln aus, der in der Hoffnung, durch die Fürsprache des Kaisers wieder sein Erzbisthum zu erlangen, mit Theutgaud nach Rom gegangen war, und sandte ein Intercessionsschreiben für beide an den Papst. Im nächsten Jahre verlangte L. vom Papst die vom Bulgarenkönig geschickten Waffen und Geschenke und dieser sah sich genöthigt, ihm einen Theil zu überlassen.

Wie die Gesetzgebung, so bezeugen auch manche Urkunden, so jene aus Cremona, Lucca, Casauria, das redliche und ernste Streben des Kaisers, theils selbst, theils durch Königsboten Recht und Ordnung zu schaffen. Dies führte ihn 860 auch in die Romagna. Zwischen Jesi und Camerata Picena ließ er im März den Grafen Hildebert wegen der Bedrückungen der Unterthanen und der Aneignung kaiserlicher Güter zur Verantwortung ziehen; das Gericht verurtheilte ihn zu deren Rückgabe. Dies kräftige Einschreiten scheint ihn und Lambert, den Sohn des Herzogs Wido von Spoleto, zum Aufstand getrieben zu haben. Der Kaiser mußte gegen sie ins Feld rücken: er verfolgte sie bis Marsi, sie entkamen nach Benevent zum Herzog Adelchis, Hildebert floh von hier nach Bari und fand bei den Sarazenen Aufnahme. Der Kaiser zog ihnen nach; er eroberte rasch Isernia, Alife und belagerte S. Agata dei Goti; auf Bitte des Abts Berthari von Montecasino gewährte er der Stadt Gnade; Fürst Adelchis warf sich ihm zu Füßen und erhielt für sich und die Aufständischen [412] Verzeihung. Der Erfolg war aber kein dauernder: während in dem Kampf zwischen Capua und Neapel die Neapolitaner eine große Niederlage erlitten, rückte der Sultan von Bari, alles verwüstend, gegen Benevent vor; die vom Kaiser gesandten Truppen vermochten ihn nicht aufzuhalten und Herzog Adelchis von Benevent sah sich zu einem Abkommen mit ihm, zur Zahlung von Tribut und zur Stellung von Geiseln gezwungen; auch Herzog Lambert von Spoleto und Graf Gerard (von Camerino), deren Hülfe unteritalienische Städte sich erkauft hatten, wurden von den Sarazenen geschlagen, welche nun die Verheerung des Landes fortsetzten und bis an den oberen Volturno vordrangen. Schon begann man für den Besitz der römischen Kirche und Mittelitalien zu fürchten. Die hart bedrängten Langobarden Unteritaliens, namentlich die Beneventaner und Capuaner, baten den Kaiser, ihnen Hülfe und Rettung zu bringen.

Zu Beginn des J. 866 zog der Kaiser in Begleitung seiner Gemahlin nach Unteritalien. Er hatte ein allgemeines Aufgebot aller Streitkräfte seines Reichs erlassen, welches die Säumigen ohne Aussicht auf die früher gewährte Begnadigung mit den strengsten Strafen bedrohte. Die ursprünglich in Aussicht genommene Marschroute längs des adriatischen Meeres verlassend, bog er an der Pescara südwestlich ab und rückte über Sura in das Gebiet von Benevent ein. Im Juni besuchte er das Kloster Montecasino; hier stellten sich ihm Gesandtschaften aus verschiedenen Städten vor, unter diesen auch Bischof Landulf von Capua mit seinem Neffen, der aber die Capuaner wieder heimlich fliehen hieß. Der Kaiser rückte vor Capua, um diesen Abfall zu züchtigen; die Stadt wurde nach kurzer Belagerung erobert. Von da zog er nach Salerno, Herzog Waifar mußte die Oberhoheit des Kaisers förmlich anerkennen, die salernitanischen Urkunden datiren in der nächsten Zeit nach seinen Regierungsjahren. Ueber Amalfi, Neapel gelangte er endlich nach Benevent. Nachdem er so den schwankenden Besitz dieser Gegenden und damit eine feste Operationsbasis sich gesichert hatte, rückte er 867 gegen die Sarazenen selbst. Wie es scheint, hatte sein Bruder Lothar ihm ein Hülfscorps gesandt, das durch das ungewohnte Klima und Krankheiten ungeheure Verluste erlitten haben soll; jedenfalls irrig ist die Nachricht Reginos, daß Lothar selbst ihm ein Heer zugeführt habe. Nach siegreichen Kämpfen, welche die Sarazenen auf Bari und Tarent zurückwarfen, erlitt das kaiserliche Heer beim Vormarsch nach Bari eine empfindliche Niederlage, die aber nicht bedeutend genug war, es aus dem Felde zu schlagen. Der Kaiser wandte sich nun südwärts, zerstörte Matera, marschirte nach Oria und schlug endlich im zerstörten Venosa (bei Melfi) sein Lager auf; die Stadt wurde aufgebaut, das nahe Canosa besetzt, Bari eingeschlossen. Im August kehrte er nach Benevent zurück.

Nach dem Tod Nicolaus I. (13. November 867) wurde Hadrian II. gewählt; der Kaiser, dem man das Wahldecret übersandt hatte, genehmigte diese Wahl. Ihm gegenüber war der neue Papst in der Sache Lothars willfähriger als sein Vorgänger: auf seine Bitte löste er im Februar 868 Waldrada vom Bann, wie er schon Theutgaud von Trier die Laiencommunion gewährt hatte, und mahnte dringend Ludwig den Deutschen und Karl den Kahlen, die Reiche des Kaisers, der seine Waffen wenigstens gegen die Ungläubigen, nicht wie andere gegen die Christen wende, und Lothars nicht zu beunruhigen. Sogleich nach Antritt seiner Würde sah sich Hadrian auch auf des Kaisers Schutz angewiesen, als der Herzog Lambert von Spoleto einen förmlichen Beutezug gegen Rom unternahm. Im März 868 entführte Eleutherius, ein Sohn des Bischofs Arsenius von Orta, des aus dem Ehehandel Lothars bekannten Legaten, der, weil er sich von Nicolaus I. zurückgesetzt sah, sich der Partei des Kaisers angeschlossen hatte, die schon mit einem anderen verlobte Tochter des Papstes [413] und vermählte sich mit ihr; Arsenius kam nach Benevent und übergab, von einer schweren Krankheit befallen, vor seinem Tode seine Schätze der Kaiserin Angilberga, um ihre Vermittelung zu gewinnen. Auch der Papst wandte sich an den Kaiser und erwirkte die Aburtheilung des Eleutherius nach römischem Gesetz; da ermordete dieser, wie es heißt, auf den Rath seines von Hadrian zum Bibliothekar der römischen Kirche ernannten Bruders Anastasius, Stephanie, die Gemahlin des Papstes, und dessen entführte Tochter und wurde selbst von den Häschern des Kaisers getödtet. Die nachgiebige Haltung des Papstes hob auch die Hoffnungen Lothars, jetzt glaubte er das so heiß angestrebte Ziel, die Auflösung der Ehe mit Theutberga und die Anerkennung seiner Verbindung mit Waldrada erreichen zu können. Er zog 869 nach Italien; bevor er nach Rom ging, wollte er noch mit seinem Bruder sprechen, um dessen Verwendung beim Papst sich zu sichern. In Ravenna trafen ihn aber Gesandte des Kaisers, der ihm die Weiterreise verbieten, ihn zur unverweilten Rückkehr auffordern und auf eine spätere Zusammenkunft vertrösten ließ. Unbekümmert um dieses Verbot suchte Lothar seinen Bruder in Benevent auf. „Mit vielen Bitten und Geschenken“ gewann er die Kaiserin und damit auch den Kaiser. In einem Schreiben desselben an den Erzbischof Ado von Vienne, das diesem den Cleriker Bernarius für die Weihe zum Bischof von Grenoble empfahl – auch ein Empfehlungsbrief Lothars ist erhalten – findet sich die bemerkeneswerthe Begründung: „weil all’ das unsere auch des Bruders und all’ das seine auch unser ist“. Die Kaiserin begleitete Lothar nach Montecasino, wohin auch der Papst auf Befehl des Kaisers gekommen war; sie erwirkte, daß ihm der Papst die Communion reichte. Damit glaubte dieser an die äußerste Grenze der Zugeständnisse gegangen zu sein; in einer Rede bat er, dem Kaiser Vorstellungen zu machen, daß er die Kirche nicht durch weitere Forderungen in Gefahr bringe. Lothar gab seine Hoffnungen nicht auf; er folgte ihm nach Rom und trotz des wenig ermuthigenden Empfanges und der ablehnenden Haltung des dem Bannkreise des kaiserlichen Einflusses wieder entrückten Papstes wähnte er seinem Ziel näher zu sein. Auf der Rückkehr erkrankte er in Lucca, am 8. August starb er in Piacenza.

Der Kaiser war der allein berechtigte Erbe Lothars. Aber die Länder lagen jenseits der Alpen und nur mit den Waffen hätten sie sich gegen die Habgier der Oheime, die schon zu Lothars Lebzeiten über die Theilung schlüssig geworden waren, vertheidigen lassen. Der Kaiser stand damals mit seiner Streitmacht in Unteritalion, einem noch unbezwungenen und gefährlichen Feind gegenüber. Zudem war er kein Mann kühner Entschlüsse, er hatte keine männlichen Nachkommen und war jenen Ländern, namentlich den deutschen Gebieten, immer fern gestanden. So versuchte man es mit friedlichen Mitteln, sie mußten fruchtlos bleiben. Zunächst trat der Papst für das Recht des Kaisers ein: er erließ eindringliche Mahnschreiben an die lothringischen Großen, dem Kaiser als Erben seines Bruders unverbrüchliche Treue zu wahren; er ordnete zwei Legaten nach Westfrancien ab und verbot (5. September 869), daß Karl der Kahle das Erbe des Kaisers in Besitz nehme, damit dieser nicht zu dessen Schutz den Kampf gegen die Ungläubigen aufzugeben genöthigt sei. Ueberdies hatte der westfränkische König schon zugegriffen und sich in Metz krönen lassen (9. September) und Ludwig der Deutsche hatte dagegen nur Protest erhoben, um die Hälfte des Reichs für sich zu beanspruchen. Die päpstlichen Schreiben wurden nicht einmal beantwortet. Dasselbe Schauspiel wiederholte sich im nächsten Jahre. Als Gesandte des Kaisers und Papstes Ludwig dem Deutschen und Karl dem Kahlen päpstliche Schreiben vom 27. Juni 870 überbrachten, von denen das eine jenen ob seiner Uneigennützigkeit höchlich belobte und sogar eine Reise [414] Hadrians nach Westfrancien in Aussicht stellte, das andere diesen wegen des Einbruchs in Lothars Reich hart schalt, und andere Briefe die westfränkischen Bischöfe aufforderten, das Erbe des Kaisers gegen ihren König zu schützen, war dasselbe schon am 8. August zu Meersen von Ludwig und Karl endgültig getheilt worden. Karl antwortete auch damit, daß er in Burgund einrückte, um Lyon zu besetzen und Vienne zu nehmen. Ludwig ordnete an den Kaiser und Papst Gesandte ab, glitt aber mit Hinweis auf deren geheime Aufträge über die vollendeten Thatsachen mit einer diplomatischen Phrase hinweg, die allenfalls die Auslegung gestattete, daß er seine Besitzergreifung Lothringens nur als vorläufige betrachte; er mochte schon damals auf die Nachfolge eines seiner Söhne in Italien rechnen.

Der Kaiser sah sich den Sarazenen nicht gewachsen. Ihm fehlte eine Flotte, um ihren festen Stützpunkt, das belagerte Bari, auch von der Seeseite einzuschließen. Er schickte daher 869 Gesandte nach Constantinopel; der griechische Kaiser Basilius forderte für ein Bündniß die Vermählung von Ludwigs Tochter Irmingard – die zweite Tochter Gisela war im Kloster S. Salvatore in Brescia „Gott geweiht“ worden – mit seinem Sohne Constantin und sandte eine Flotte von 400 Schiffen, um gegen die Sarazenen Hülfe zu bringen und die Braut nach Constantinopel zu führen; doch L. verweigerte „in Folge irgend eines Zwischenfalles“ die Herausgabe seiner Tochter und die Flotte kehrte zurück. Die Verhandlungen wurden aber nicht abgebrochen, sondern durch kaiserliche Gesandte während des Winters fortgeführt. Durch den Abgang der Flotte sah sich das Belagerungsheer zum Rückzug von Bari genöthigt; die Sarazenen machten einen Ausfall, griffen dasselbe im Rücken an, erbeuteten 2000 Pferde, unternahmen damit einen gewinnreichen Plünderungszug nach Monte Gargano und jagten dadurch selbst den Römern neuen Schrecken ein. Im nächsten Jahre zog L. wieder vor Bari, verstärkt durch die unter seiner Oberhoheit stehenden Slavenstämme an der Ostküste der Adria; er sandte sogar Streitkräfte gegen Neapel, „den Schlupfwinkel der Sarazenen“, und forderte, alte Hoheitsansprüche erneuernd, „die gewohnten Leistungen“ und Bruch mit den Ungläubigen. Als die erwartete griechische Hülfe sehr lange nicht erschien und der Kaiser verzweifelte, in diesem Jahre noch Entscheidendes gegen Bari unternehmen zu können, entließ er den größten Theil der Truppen und behielt nur eine kleine Streitmacht bei sich, um der belagerten Stadt die Zufuhr von Lebensmitteln abzuschneiden; auf die Bitte einer Deputation aus Calabrien und das Angebot der Unterwerfung ihres Landes schickte er ein Streifcorps dahin, das siegreich bis Amantea vordrang. Endlich langte die griechische Flotte mit Hülfstruppen an; sie griffen die Stadt erfolglos an, während die kaiserlichen Truppen am Weihnachtstage ein sarazenisches Entsatzheer in die Flucht jagten. Am 2. Febr. 871 wurde die hartbedrängte Stadt erobert, der Sultan und die Besatzung gefangen genommen; dem Sultan schenkte der Kaiser auf Bitte des Herzogs Adelchis das Leben. Der Erfolg ermuthigte zu kühneren Plänen: der Kaiser entsandte ein Heer zur Belagerung Tarents und zur Vertreibung der Sarazenen aus Calabrien und dachte schon daran, ihnen auch Sicilien zu entreißen. Das Hochgefühl, das ihn beseelte, fand auch in dem Schreiben an den griechischen Kaiser kräftigen Ausdruck, durch das er gegen die hochmüthige Ueberhebung der Griechen sein und seines Geschlechtes Recht auf den Titel „römischer Kaiser“ wahrte und zur Fortsetzung des Kampfes gegen die Ungläubigen die rasche Absendung einer Flotte verlangte.

All’ diese weittragenden Pläne und die schon errungenen Erfolge wurden durch ein unerwartetes Ereigniß, die Gefangennahme des Kaisers, vernichtet. L. war nach der Einnahme Baris’ nach Benevent zurückgekehrt und hatte hier [415] seine Residenz genommen. Da brach auf Anstiften des Herzogs Adelchis plötzlich eine wohl vorbereitete Empörung aus. Den nächsten Anlaß gab die harte Bedrückung des Volkes; nach den westfränkischen Reichsannalen soll der Kaiser auf Betreiben seiner Gemahlin beschlossen haben, Adelchis in die Verbannung zu schicken und dieser sich deshalb erhoben haben, eine einheimische Quelle beschuldigt den Herzog Sergius von Neapel der geistigen Urheberschaft. In das Complot war auch Herzog Lambert von Spoleto und ein gleichnamiger Verwandter desselben verwickelt. Wahrscheinlich hatte sich dasselbe unter griechischer Einflußnahme gebildet, bedrohten doch die Pläne des Kaisers die Reste der griechischen Herrschaft in Unteritalien, welche auch die schon von den Sarazenen eroberten Gebiete noch immer beanspruchte. Erst spätere Sagen wissen zu erzählen, daß der Fürst von Benevent durch die Arglist des gefangenen Sultans von Bari zur Festnahme des Kaisers veranlaßt worden sei.

Am 13. August 871 wird der Kaiser Nachts in der Pfalz überfallen. Er vertheidigt sich tapfer; als die Pfalz angezündet wird, zieht er sich mit seiner Gemahlin und Tochter in einen festen Thurm zurück. Nach muthigem Kampf muß er sich nach drei Tagen mit den Seinen ergeben; er wird gefangen genommen, der Gefangene, wie ein Volkslied meldet, verhöhnt, der Schatz geplündert, die dislocirten Truppen werden vertrieben. Nach Westfrancien und Deutschland dringt die Kunde, daß der Kaiser mit Gemahlin und Tochter getödtet worden sei, und bei Karl dem Kahlen treffen Gesandte aus Italien ein, die ihn auffordern, dahin zu kommen; Karl bricht auch sogleich auf und gelangt bis Besançon, während Ludwig der Deutsche durch seinen Sohn Karl vom Lande jenseits des Jura Besitz ergreifen läßt. Am 17. September wird der Kaiser durch Vermittlung des Bischofs Aio von Benevent frei gelassen; er muß mit den Seinen schwören, daß er niemals Rache nehmen und nie mehr mit einem Heer das beneventanische Gebiet betreten werde. Die Freilassung scheint auch durch das Auftreten fränkischer Truppen und durch die Landung der Sarazenen beschleunigt worden zu sein, welche noch während der Haft des Kaisers von Afrika aufgebrochen waren, bei Salerno ein Heer von 30 000 Mann landeten, die Stadt einschlossen und dann plündernd gegen Neapel, Capua, Benevent vordrangen.

Tief erbittert zog der Kaiser über Spoleto nach Ravenna. Er befahl dem Papst, sogleich zu ihm zu kommen und ihn und die Seinen von dem Adelchis geleisteten Eide zu lösen. Die beiden Lamberte, zur Verantwortung gezogen, entflohen zu ihrem Bundesgenossen nach Benevent; der Kaiser verfolgte sie, ohne sie einholen zu können, und ließ seine Gemahlin nach Ravenna vorangehen, wohin er eine Reichsversammlung entboten hatte. Schon in den ersten Monaten des nächsten Jahres gelangte an ihn die Bitte, dem belagerten Salerno Hülfe zu bringen. Er zog nach Rom. In feierlicher Versammlung löste ihn der Papst von dem „durch Todesfurcht erpreßten“ Eide und krönte ihn feierlich wieder am Pfingstfeste. Der Krieg gegen Adelchis wurde beschlossen. Aber noch andere Pläne beschäftigten den Kaiser. Er hatte sich seiner Rechte und Ansprüche auf das Reich Lothars nicht begeben und die Unterhandlungen jetzt wieder aufgenommen. Sie wurden durch die Kaiserin geführt. In Trient traf sie mit Ludwig dem Deutschen zusammen; dieser trat – wol gegen die Zusicherung der Nachfolge in Italien an seinen Sohn Karlmann – heimlich seinen Antheil am Reich Lothars ab und ging ein förmliches Bündniß gegen Karl den Kahlen ein. Um so weniger erreichte sie beim westfränkischen Kaiser; er war schon auf der Reise zur verabredeten Zusammenkunft in St. Maurice, als er die Trienter Abmachungen erfuhr; er kehrte sogleich um und sandte nur ausweichende Antwort; er ging dann nach Gondreville, wo er am [416] 9. September nochmals die Bischöfe und Großen des Reichs Lothars in Treue und Pflicht nahm. Der Kaiser gelangte nicht mehr in den wirklichen Besitz auch nur eines Theiles des Erbes Lothars, wenn auch noch später Hadrians II. Nachfolger, Johann VIII., die beiden Könige unter Androhung des Bannes aufforderte, dasselbe herauszugeben.

Von Rom zog der Kaiser im Juni 872 wieder nach Unteritalien. Außer Benevent galt sein Zug wieder den Sarazenen. Er schickte ein Heer voraus, das über die Ungläubigen bei Capua siegte; andere Schlappen erlitten sie durch die Beneventaner und Capuaner. Die bedeutenden Verluste dieser aus dem Belagerungsheer von Salerno abgegebenen Streifcorps nöthigten sie, die Belagerung aufzuheben, sie zogen ab und verwüsteten Calabrien; in Salerno wurde wieder die Oberhoheit des Kaisers anerkannt. Er nahm seinen ständigen Aufenthalt in Capua und weilte fast ein Jahr dort. Bald traf auch die Kaiserin dort ein, obwol ihr der Kaiser, als ihm die Großen, denen Angilberga wegen ihres „Hochmuths“ verhaßt war, die Tochter des Winigis verkuppelt hatten, den Befehl hatte kommen lassen, bis zu seiner Rückkehr in Oberitalien zu bleiben: nur um so rascher eilte sie ihm nach. Der Kaiser machte, namentlich wie es heißt, auf Betreiben des schlauen Bischofs Landulf von Capua, jetzt seines Vertrauten und „dritten Mannes im Reich“, vergebliche Versuche, Benevent wieder zu unterwerfen; die Beneventaner erkauften sich den Schutz eines bei Otranto gelandeten griechischen Heeres durch die Verpflichtung, den bisher dem fränkischen Kaiser gezahlten Tribut den Griechen zu leisten. Der Kaiser suchte einen Ausweg: er befahl Papst Johann VIII. nach Campanien zu kommen, um eine Aussöhnung mit Adelchis zu Stande zu bringen, damit er wenigstens den Vorwand habe, „daß er nur auf Fürsprache des Vicars des hl. Petrus Adelchis verzeihe, nachdem er geschworen hatte, er werde nicht zurückkehren, bevor er ihn nicht gefangen haben würde, und er seiner doch nicht habhaft werden konnte“. Ob der Papst jener Anforderung Folge leistete, ist nicht überliefert; geschah es, so erreichte er beim Herzog von Benevent seinen Zweck nicht.

Als der Kaiser gegen Ende 873 nach Oberitalien zurückkehrte, hatte er seine Pläne gegen Benevent nicht aufgegeben. Seine muthige Gemahlin blieb in Capua zurück. Sie traf im Frühjahr 874 wieder bei ihrem Gemahl in Ravenna ein und brachte für die Treue Capuas und Salernos Geiseln mit sich. Sie ließ ihre Tochter Irmingard in Capua zurück, die kurz bis vor ihres Vaters Tod dort weilte. Unteritalien wurde nun wieder der Tummelplatz der Sarazenen.

Zum Jahre 874 bieten nur noch die Jahrbücher von Fulda die dürftige Nachricht, daß unfern Verona eine Zusammenkunft Ludwig des Deutschen mit dem Kaiser und dem Papst stattgefunden habe. Wahrscheinlich betrafen die Unterhandlungen die Nachfolge in Italien. Ein späteres Rundschreiben des Papstes erwähnt noch, daß die Kaiserin von ihrem Gemahl und dem deutschen König in Verona seinem Schutz empfohlen worden sei. Die kaiserlichen Urkunden dieses Jahres galten, vielleicht in Voraussicht eines baldigen Endes, vornehmlich der Sicherung und Wahrung des großen Besitzes seiner Gemahlin und des von ihr gegründeten Klosters S. Sisto in Piacenza, sowie seiner eigenen reich ausgestatteten Stiftung, des Klosters Casauria, dessen Chronik uns auch eine Reihe von Urkunden überliefert, die zeigen, wie sorgsam der Kaiser seit Jahren auf Vergrößerung seines Privatbesitzes bedacht gewesen war; noch einer zweiten Stiftung, dem Kloster S. Ruffino (Moninellum) bei Mantua, wies er Güter in Unteritalien zu. Am 12. August 875 starb er „im Gebiet von Brescia“; keine Quelle nennt den Ort seines Todes. Vor seinem Hinscheiden soll er den Wunsch ausgesprochen haben, daß Ludwig des Deutschen Sohn Karlmann ihm in der [417] Kaiserwürde nachfolge. Der Bischof Anton von Brescia bestattete den Leichnam in der Marienkirche daselbst; doch der Erzbischof Anspert von Mailand forderte dessen Auslieferung; als dieselbe verweigert wurde, erschien er mit den Bischöfen von Bergamo und Cremona und deren Clerus in Brescia; er ließ die Leiche erheben und am 17. August nach Mailand übertragen, wo sie am 19. August in der Kirche des hl. Ambrosius beigesetzt wurde. „L. war gar fromm“, sagte über ihn ein italienischer Geschichtschreiber, „und zu seiner Zeit war großer Friede, weil Jedermann seines Besitzes sich freuen konnte“. Und die Wahrung des Rechts, geordneter Verhältnisse im Innern ist unstreitig das größte Verdienst seiner Regierung, das in der unruhigen, gewaltthätigen Folgezeit um so tiefer empfunden wurde. Das so lange und muthig verfolgte Ziel, die Vertreibung der Sarazenen vom Boden Italiens, zu erreichen war ihm nicht gegönnt.

Die Quellen der Geschichte Ludwig II. sind dürftig: die meisten Nachrichten bieten die westfränkischen Reichsannalen (Ann. Bertiniani), deren Gesichtskreis noch das ganze alte Karolingerreich umspannt, kurze Meldungen über seine Beziehungen zu Ludwig dem Deutschen die Jahrbücher von Fulda; wichtige Aufschlüsse geben noch päpstliche Briefe. Ueber die Verhältnisse und Kämpfe in Unteritalien berichten eingehender die Quellen von Montecasino, das bis 867 reichende Chronicon S. Benedicti und Erchempert, spärlicher und unverläßlicher Andreas von Bergamo; sonst finden sich nur noch zerstreute Notizen. Eine Monographie über Ludwig II. fehlt; seine Geschichte oder Episoden derselben sind nur in Werken allgemeineren Inhalts behandelt; das Beste bietet Dümmler’s Geschichte des ostfränkischen Reichs, 1. Bd.; Zusammenstellung des Materials und Begründung der von bisherigen Annahmen abweichenden Daten in Böhmer’s Regesten der Karolinger (neu bearbeitet von E. Mühlbacher), Bd. I, Lieferung 3 (Innsbruck 1883).