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ADB:Marradas, Baltasar Graf

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Artikel „Marradas, Don Balthasar Graf“ von Hermann Hallwich in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 20 (1884), S. 421–429, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Marradas,_Baltasar_Graf&oldid=- (Version vom 23. Dezember 2024, 04:49 Uhr UTC)
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Marradas: Don Balthasar Graf M., kaiserlicher General im 30jährigen Kriege. Geboren um 1560 in Valencia, angeblich aus sehr guter, alter Familie, kam M. frühzeitig als Johanniterordensritter an den deutschen Kaiserhof, wo er durch spanischen Einfluß allmählich eine gewisse Stellung erlangte. Rudolf II. ernannte ihn zu seinem Kriegsrath und bestellten Oberst, in welcher Eigenschaft ihn Kaiser Matthias bestätigte, ohne daß von seinen ersten Waffenthaten, deren Schauplatz nur Ungarn und Siebenbürgen gewesen sein konnte, eine Nachricht auf uns gekommen wäre. Im Kriege Ferdinands von Steiermark mit den Venetianern (1617) von der spanischen Krone zur Unterstützung des Erzherzogs mit einem Regiment nach Friaul entsendet, vertheidigte M. längere Zeit das feste, hart bedrängte Gradisca, dessen Entsatz jedoch erst dem thatkräftigen Eingreifen des jugendlichen Wallenstein gelang. Nach Ausbruch des böhmischen Krieges kehrte er alsbald in die kaiserlichen Erbländer zurück, um ein neues Reiterregiment, 1000 Pferde stark, auf die Beine zu stellen, dessen Unterhaltung wieder der König von Spanien übernahm. Schon im Herbst 1618 im südlichen Böhmen angelangt, bestand er hier am 9. November zwischen Wesseli und Lomnitz unter Buquoy gegen Heinrich Matthias Thurn ein blutiges Gefecht, in welchem der kaiserliche Feldherr zwar unterlag, doch nicht ohne nachträglich bestätigen zu müssen, es habe M., der die Nachhut seines Heeres befehligt, „solch Scharmützel gar wol mit sonderbarer Vorsichtigkeit und Valor seiner Person, wie auch sein Oberstlieutenant (Don Martin Hoef-Huerta) mit sonderlichem Lob geführt.“ Es fehlte M. nicht an persönlicher Tapferkeit, wol aber an sonstiger Fähigkeit zu einer führenden Rolle. Doch genügte vor der Hand jene Eigenschaft, ihn rasch zu befördern. Am 18. Juni 1619 ernannte ihn der Kaiser bereits zum Generalwachtmeister „über alles von der königlichen Würde zu Hispanien bezahlte Kriegsvolk“. Als solcher schlug er sich im Sommer 1619 mit den böhmisch-ständischen [422] Truppen wieder im südlichen Böhmen, um alsdann mit Buquoy nach Niederösterreich zu marschiren, noch vor Ausgang des Jahres aber in Buquoy’s Abwesenheit das Commando über die in Böhmen liegenden Truppen zu übernehmen. Von Budweis aus, das er zum Standquartier wählte, führte er in der ersten Hälfte 1620 mit wechselndem Glück den kleinen Krieg gegen die Aufständischen. Er eroberte Moldauthein, wurde aber von Wittingau zurückgeschlagen. Er brachte, von Passau her ansehnlich verstärkt, den Garnisonen von Sobieslau, Bechin und Wodnian Verluste bei, mußte jedoch die Belagerung von Prachatitz bald wieder aufgeben. Dagegen gelang es Mansfeld fast gleichzeitig, sich des Klosters Goldenkron bei Krummau zu bemächtigen, von Wittingau und Tabor neue Streitkräfte an sich zu ziehen und nach kurzer Kanonade Moldauthein zurückzuerobern.

Nicht viel glücklicher begann für M. das zweite Halbjahr 1620. Wol vereitelte er einen Versuch der Feinde, das wichtige Schloß Frauenberg zu nehmen, doch konnte er nicht hindern, daß die Stadt Kalsching eingenommen und die dortige Besatzung niedergehauen wurde. Und zwar entdeckte er im letzten Augenblick einen gegnerischen Plan, Budweis zu überrumpeln; seine Schwerfälligkeit aber verschuldete gleich darauf den Fall der von dem Hauptmann Aldringen mit vielem Muth und Geschick vertheidigten festen Schanze von Wallern am „Goldenen Steige“, an deren Besitz wegen der Verbindung des südlichen Böhmen mit Passau und der Donaustraße außerordentlich gelegen war. Trotz alledem erfreute M. ein kaiserliches Dankschreiben vom 7. August, das „seine treu erwiesenen, eifrigen und sorgfältigen Dienste“ zu Gnaden aufnahm. Wenige Wochen später setzte sich von Oberösterreich aus die vereinigte ligistisch-kaiserliche Armee in Bewegung, deren großer Sieg auf dem Weißen Berge dem böhmischen Aufruhr ein Ende mit Schrecken bereiten sollte. M. focht diese Schlacht nicht mit, sondern blieb nach wie vor in Budweis. Die entscheidenden Erfolge der befreundeten Waffen gaben begreiflich auch ihm freie Hand und er säumte nicht, sich dies zunutze zu machen. Noch ehe man in Prag so recht eigentlich daran ging, die Strafdecrete Kaiser Ferdinands II. in Vollzug zu setzen, etablirte M. in Budweis eine förmliche Nebenregierung für das südliche Böhmen, deren Aufgabe es war, diese Decrete an allen ihm erreichbaren „Rebellengütern“ schleunigst auszuführen. Noch im December 1620 schreibt er dem Kaiser, er habe „alle dero Rebellen“, die sich „zeitlich“ angemeldet, des Pardons versichert, der Anderen Güter aber ohne weiteres confiscirt; es handle sich nur darum, wie jene zu behandeln, die sich „erst itzt“ unterwerfen. Die kaiserliche Antwort lautete dahin, „die eingezogenen Güter auf diesmal Niemandem ausfolgen zu lassen“, diejenigen Besitzer aber, „so sich noch täglich zum Gehorsam ergeben, auf Unsere weitere gnädigste Resolution und Ratification anzunehmen“. M. fuhr mit erhöhtem Eifer in dem begonnenen Werke fort, so daß in Bälde selbst der Generalbevollmächtigte Ferdinands, Fürst Karl Liechtenstein, sich zu der Klage genöthigt sah, „daß der Obriste Don Balthasar nach seinem Belieben in etlichen Kreisen auf die Unterthanen Contributionen anlegen, die für den Kaiser confiscirten Güter versetzen und verpfänden lasse und das Geld nach Wohlgefallen verwende“, wobei sich allerhand Helfershelfer gebrauchen ließen. Das hinderte nicht, daß Kaiser Ferdinand II. mit Diplom vom 18. April 1621 unseren Helden, der inzwischen auch die Würden, beziehungsweise Titel eines Kämmerers, Hofkriegsraths, Hauptmanns der kaiserlichen Arcierengarde und Commandeurs des Johanniterordens in sich vereinigt hatte, sammt dessen Brüdern Franz und Georg in der männlichen Primogenitur unter sehr schmeichelhaften Ausdrücken in den Grafenstand erhob, welcher Auszeichnung im nächsten Jahre die Bestallung zum „General-Obristen über die Reiterei“ (General der Cavallerie) nachfolgte. Auch noch reellere [423] Entlohnungen fehlten nicht. Es versteht sich von selbst, daß M. bei der allgemeinen Güterconfiscation in Böhmen nicht leer ausging. So erwarb er zeitweilig die sämmtlich im südlichen Böhmen gelegenen Güter Jung-Woschitz und Schellenberg, Roth-Lhota, Daubrawitz, Schichowitz und Sucha und wurde er Pfandbesitzer der königlichen Stadt Wodnian. Erst nach vielen Bemühungen setzte er es durch, daß auch die schöne, einträglichste und stattlichste Herrschaft in jenem Landstrich, das den Brüdern Malowetz v. Malowitz confiscirte Frauenberg, auf 273,000 Gulden geschätzt, ihm für den Preis von 200,000 Gulden überlassen wurde, bei dessen Bezahlung er ein kaiserliches Gnadengeschenk von 80,000 Gulden, ferner 82,000 Gulden an rückständiger Besoldung und endlich 37,200 Gulden an Forderungen seines Cavallerieregiments in Abzug brachte, so daß er für die ganze große Besitzung eben nichts erlegte. So verstand er jederzeit seinen Vortheil.

In den Jahren 1621–22 in Böhmen und Mähren beschäftigt, zog er im Herbst 1623 unter Befehl des neuernannten kaiserlichen Obergenerals Hieronymus Carafa de Montenegro gegen Bethlen Gabor zu Felde. Der Feldzug war nicht sonderlich glorreich für die kaiserlichen Waffen, die nur durch die energische, umsichtige Thätigkeit Wallenstein’s, der hier bereits zum zweiten Male an Marradas’ Seite kämpfte, vor schwerer Niederlage bewahrt wurden. Der Mai 1624 brachte den Frieden mit Bethlen Gabor, wogegen unmittelbar nachher in Deutschland der Krieg mit unerhörter Heftigkeit erneuert wurde. Einer von Frankreich ausgehenden großen europäischen Coalition gegen das Haus Habsburg dachten Oesterreich und Spanien mit einer „einmüthigen und standhaften Defensionsverfassung“ aller befreundeten Elemente zu begegnen. Hierfür den Kurfürsten Maximilian von Baiern zu gewinnen und sodann diese Angelegenheit einem raschen Abschluß zuzuführen, wurde M. Mitte Januars 1625 als außerordentlicher Gesandter nach München und Madrid entsendet. Da aber seine Anträge in München den gewünschten Erfolg nicht hatten und Maximilian zu einem förmlichen Bündniß mit Spanien und Oesterreich nicht zu bewegen war, so unterblieb die projectirte Reise nach Madrid und wurden seine Geschäfte in München dem Grafen Georg Ludwig von Schwarzenberg übertragen. Zum Diplomaten war M. nicht geboren. – Eine große Ueberraschung erwartete ihn bei seiner Rückkehr nach Wien: die fertige Thatsache der Ernennung des ihm an Jahren wie auch bisher an militärischem Rang bedeutend nachstehenden Fürsten Wallenstein zum „General-Capo“ einer neu zu bildenden kaiserlichen Armee, welcher M. nur als einfacher Oberst angehören sollte, da sich das neue „Capo“ die Kassirung aller Generalsposten, beziehungsweise deren Neubesetzung ausdrücklich bedungen hatte. Es war M. geradezu unerfindlich, wie man bei jener Wahl eines Generalissimus ihn übergehen und einem Anderen „mehr sentimento“ zutrauen konnte. Nun wollte der junge Mann, der ihm vorgezogen worden, nicht einmal seine wohlverdiente Charge gelten lassen! Er eilte nach Prag, um sich mit Wallenstein persönlich auseinanderzusetzen – natürlich umsonst. Der neue Heerführer war nicht der Mann der Rücksichten auf Privatinteressen. M. aber gebärdete sich wie ein Wüthender. Wallenstein selbst schreibt hierüber aus Prag in seiner Weise: „Der Don Balthasar will dahie alle Bam ausreißen: sagt, er hätte resentimento und wäre nicht ohne resentimento“ etc. M. mußte sich selbstverständlich fügen und Wallenstein verschaffte ihm bald nicht nur seine früheren, sondern auch noch höhere militärische Würden und Titel; die vermeintliche Kränkung, die dem bereits ergrauten Krieger widerfahren war, konnte er nicht vergessen machen; M. zählte niemals zu Wallenstein’s Freunden.

Ein ganzes Jahr verging, bevor M. sich bewogen fand, persönlich bei der Friedländischen Armee zu erscheinen. Graf Rambold Collalto, der Feldmarschall, [424] hatte in Folge eines Mißverständnisses mit Wallenstein das Heer verlassen und auf diese Weise seine Stellung verwirkt. Die Heeresverwaltung erheischte dringend deren sofortige Neubesetzung. Der Generalissimus brachte eine Reihe geeigneter Persönlichkeiten in Vorschlag, zunächst den Grafen Friedrich von Solms, zuletzt M. „Ohne Feldmarschall kann ich durchaus nicht sein“, schreibt er an Karl von Harrach; „und ist es menschlich und möglich zu erhalten, so bitt ich wegen des Grafen von Solms; ist es aber nicht möglich zu erhalten, so schicke man halt den Don Balthasar, aber bald.“ Graf Solms wurde am Wiener Hofe nicht beliebt, aus keinem anderen Grunde, als weil er Protestant war; und noch begründete das Glaubensbekenntniß allein Beförderung oder Zurücksetzung in allen öffentlichen Aemtern. Mit der Motivirung, „dieweil man keinen luthrischen Feldmarschall will haben“, empfing M. am 24. März 1626 das Feldmarschallspatent und brach acht Tage später von Wien nach Wallenstein’s Lager auf, wo er unmittelbar nach der Schlacht an der Dessauer Brücke eintraf. Hier wurden alle Anstalten getroffen, den flüchtigen Mansfeld nach Schlesien zu verfolgen. Da aber gleichzeitig Bethlen Gabor wieder mit einem Einfall in Ungarn drohte, verlangte der Kaiser, daß auch dahin eine Anzahl Regimenter entsendet werde. Wallenstein, hierzu bereit, dachte M. mit diesem Commando zu betrauen. „Der Don Balthasar ist ein guter Cavaliero, aber die Sachen seind zu hoch für ihn“, so hatte Wallenstein’s Urtheil gelautet, als M. bei ihm erschienen war. Seine durchdringende Menschenkenntniß täuschte ihn nicht. Gleichwol nahm er keinen Anstand, als M. mit einer gewissen Geschäftigkeit an die Arbeit ging und ihn dadurch bei der Neuausrüstung des Heeres mancher lästigen und doch sonst unvermeidlichen Hantierung überhob, auch ein Wort der Anerkennung auszusprechen, indem er versicherte: „Ich entrathe seiner so ungern als meiner rechten Hand dahier, denn er hat mich einer Menge der Negotia sullevirt.“ An Wallenstein’s Seite focht M. den Herbstfeldzug 1626 in Schlesien und Ungarn mit. Man kennt dessen Verlauf.

Im folgenden Winter commandirte M. in Mähren und schon im nächsten Frühjahr, am 24. Mai 1627, ernannte ihn Ferdinand II. zum Generallieutenant, d. h. zum Höchstcommandirenden nächst dem Generalissimus, so daß, wie die kaiserliche Bestallung lautet, „ihm nach Uns, dem Kaiser. und Unserm General und Feldhauptmann aller gebührliche und schuldige Gehorsam und Respect erzeugt und geleistet werde.“ – Merkwürdig: von diesem Tage, der, wie es schien, M. der Erfüllung seiner kühnsten, sehnsüchtigsten Wünsche so nahe brachte, verschwand derselbe gänzlich aus Wallenstein’s Armee. Erst Graf Heinrich Schlick, dann Hans Georg v. Arnim, der Protestant, traten als Feldmarschälle an seinen Platz; schon am 31. Mai 1628 ward in Collalto’s Person sogar ein zweiter Generallieutenant bestellt; M. ist für das Kriegstheater durch drei volle Jahre ein todter Mann. Sein Name wird überhaupt erst wieder bei Gelegenheit des verhängnißvollen Kurfürstentags zu Regensburg genannt, der Wallenstein vom Obercommando entfernte. Mit Wilhelm Slawata und Heinrich Schlick zählte er dort zu den vornehmsten Berathern des Kaisers, wodurch allein jener unselige Schritt des wenig dankbaren Monarchen einigermaßen erklärt wird. Doch auch nach Wallenstein’s Abgang kehrte M. nicht sogleich zum Waffenhandwerk zurück; er zog es vor, sich zu allerhand höfischen Missionen verwenden zu lassen. So ging er im Winter 1630 im Auftrage des Kaisers und des Königs Ferdinand III. von Ungarn der über Triest und Klagenfurt geleiteten Braut des Letzteren, Infantin Maria, nach Friesach entgegen und ritt er am 26. Februar 1631 bei deren Einzug in Wien hinter dem Brautwagen stattlich einher.

Die Schlacht bei Breitenfeld, die fast vollständige Vernichtung der ligistisch-kaiserlichen Streitkräfte nöthigte auch M. wieder zur Action. Eine sächsische [425] Armee stand bereit in Böhmen einzufallen. Dahin wurde in den ersten Tagen des Octobers 1631 M. beordert, dem „zur nothwendigen Defensionsanstalt“ dieses Königreiches „das Commando und nothwendige Fürsehung“ anvertraut wurde. Da hatte denn der „gute Cavaliero“ die beste Gelegenheit zur Auszeichnung. Er bestand die Probe herzlich schlecht. Unklarheit, Unentschlossenheit und Halbheit waren auf Schritt und Tritt seine Begleiter. Zum selbständigen Feldherrn taugte M. so wenig wie zum Diplomaten. Wo immer er auftritt, sei es im Kriegsrath oder im Felde, trägt er nur dazu bei, die Verwirrung unter den eigenen Leuten zu erhöhen. Schon hatten die Sachsen am 4. November die böhmische Grenze überschritten und noch waren in Prag nicht die geringsten Anstalten getroffen, die Landeshauptstadt zu sichern oder gar dem Feind zu begegnen. M. zählte unter seinem unmittelbaren Befehle fünf bis sechs Regimenter; Feldmarschall Tiefenbach war mit 3000 Mann Infanterie im Anzug aus Schlesien; nahezu 30,000 Mann kaiserlicher Truppen zu Roß und zu Fuß befanden sich noch bei Tilly „im Reich“, allerdings weit verstreut. Einer energischen Hand hätten diese Hilfsmittel zu einer „nothwendigen Defensionsanstalt“ immerhin genügt; M. wußte absolut nichts mit ihnen anzufangen. Wol unterließ er nicht, Wallenstein, der sich gleichzeitig in Prag aufhielt, wieder und wieder um Rath zu fragen, der ihm bereitwilligst ertheilt wurde: zur Ausführung kam es nicht. Die Sachsen marschirten geradewegs auf Prag los; die Bestürzung daselbst war eine allgemeine, zumal sich das Gerücht verbreitete, die Hauptstadt solle dem Feind ohne Schwertstreich preisgegeben werden. Noch am 9. November ließ M. den Abgesandten der drei Prager Städte durch den Grafen Michna, seinen Sprecher, in Gegenwart zahlreicher Zeugen, versichern, „sie würden nicht abreisen, sondern, wie es ehrlichen Männern ziemt, bei ihnen ausharren“. Doch kaum hatte am andern Tage Wallenstein, der Privatmann, Prag verlassen, um für die Sicherheit seiner Besitzungen geeignete Vorkehrungen zu treffen, als auch M. mit der ganzen Besatzung davon zog, verfolgt von den lauten Wehklagen und Verwünschungen der ihrem Schicksal überlassenen Bevölkerung. Sonderbarer Weise nahm er seinen Weg nicht nach Osten, gegen Königgrätz, wo Tiefenbach bereits angelangt war; er wählte die ihm besser bekannte Straße gegen Süden, nach Tabor. Noch vor den Thoren von Prag wurde er von einer Menge rebellischer Bauern und sonstigem Gesindel, von welchem das arme Land überfüllt war, beinahe ganz umringt, daß er kaum passiren konnte.

In drei Nachtmärschen erreichte er Tabor, wo er erfuhr, daß aus dem ligistischen Lager ein „starker Succurs“ für Böhmen in Passau angekommen, seiner Weisung gewärtig. Alsbald erwachte in M. der Kriegsmuth wieder. Er sandte einen Eilboten an die Prager Magistrate um Nachricht, ob die Stadt vom Feind besetzt sei oder nicht. „Morgen“, fügte er bei, „werde ich, wenn Ihr Gefahr befürchtet, will’s Gott, mit einem Theil meines Volkes mich gegen Prag wenden, den Rest aber, um Euch nicht zu belästigen, nach Schlan, Welwarn, Melnik und anderen Orten dem Feind nähern. Schon habe ich mit Gottes Hilfe hinlängliche Macht ihn nicht nur abzuwehren, sondern auch aus dem Lande zu jagen.“ – Der „gute Cavaliero“ war gewohnt, den Mund voll zu nehmen. 24 Stunden nach Verlesung dieses Schreibens in Prag zogen die sächsischen Eroberer daselbst ein. Kurz vor diesem Einzug hatte wieder ein Courier Marradas’ den Weg in die Stadt gefunden. Derselbe war wirklich am 14. November von Tabor aufgebrochen und am folgenden Tage bis Wotitz, acht Meilen südlich von Prag, vorgerückt, wo ihn die schriftliche Nachricht traf, daß die Hauptstadt noch unbesetzt sei. Er hatte eben ein zweites Trostschreiben an die Prager expedirt, als er ihre Unterwerfung erfuhr. Schleunigst retirirte er wieder nach Tabor, seinen „anscheinend voreiligen“ Rückzug in einem Briefe an Wallenstein, [426] so gut es gehen wollte, entschuldigend. Dabei mußte freilich vorzugsweise als Entschuldigung dienen, daß er von einem Succurs, der inzwischen aus Innerösterreich eingetroffen, gar nichts gewußt. „Wenn Se. Majestät der Kaiser“, so klagte er, „sich nicht besser vorsieht mit alledem, was übrig geblieben, wird bald Alles verloren gehen.“ Er gab Tiefenbach Befehl, nun seinerseits vorzurücken, während er selbst versuchen wolle ihn zu decken und die weitere Ausbreitung des Feindes zu hindern. Am 22. November ist er in Budweis, dann setzt er sich abermals von Tabor nordwärts in Bewegung, um in Milczin, auf der Straße von Wotitz, den Obersten Desfours mit einigen sehr herabgekommenen Compagnien Reiter an sich zu ziehen. Er beklagt sich sehr über die nach Budweis geflüchteten Statthalter, die ihn nicht unterstützen, wie gegen den „Herzog“ von Baiern (er verweigert ihm grundsätzlich den Titel eines Kurfürsten), der die Weiterbeförderung der kaiserlichen Regimenter immer wieder verzögere … Auf solche und ähnliche Weise versäumte M. nach wie vor die Zeit und die Gelegenheit und hinderte sich selbst und Tiefenbach und jeden Anderen an irgend welcher Thätigkeit – niemals um einen Dritten verlegen, dem die Schuld der eigenen Thatenlosigkeit aufzubürden wäre. Man wird begreifen, welcher aufrichtige Jubel durch das ganze kaiserliche Heer ging, als endlich verlautete, Wallenstein sei wieder zum „General-Capo“ ernannt. Diese Ernennung – „auf eine Zeit lang nach vorher gepflogener Tractation“ – wurde M. durch den Kaiser am 19. December 1631 notificirt. Gewiß, es gab keinen ehrlichen Offizier in jenem Heer, der sie nicht mit Begeisterung aufnahm. Das Schreiben, mit welchem sie M. erwiderte, enthält allerdings nur leere, dürre Worte. Die Tugend der Selbsterkenntniß war M. gründlich versagt.

In wenigen Wochen hatte Wallenstein eine neue große Armee geschaffen; in ebenso kurzer Frist war Böhmen von den Feinden gesäubert und hatte er den Gegner vor Nürnberg festgebannt. Während er selbst die Hauptmacht gegen die Hauptmacht führte, erhielt M., in seinen Würden als Generallieutenant und Commandirender in Böhmen bestätigt, zugleich die Aufgabe, Schlesien und die erst kürzlich wiederbesetzte Lausitz gegen die Sachsen unter Arnim zu schützen. Ausdrücklich ging Wallenstein’s Weisung dahin, „anders nicht als defensive vorzugehen und des Herrn Kurfürsten Erbländer auf keinerlei Weise anzugreifen, es sei denn, daß auf der anderen Seite dazu sollte Ursache gegeben werden“. Noch einmal war dem greisen M. die Gelegenheit geboten sein Talent, sein „resentimento“, das er so gern im Munde führte, durch die That zu erweisen. Als besonders schwierig konnte die Mission nicht gelten, namentlich da ihm der Oberfeldherr hierbei einige seiner besten Generale zur Verfügung stellte: Schauenburg, Phil. Mannsfeld, Ilow, Schaffgotsch und Desfours.

Am 28. Juni erschien M. auf seinem Posten, um in Zittau und Umgebung Heerschau zu halten. Er versicherte Wallenstein: „Euer fürstl. Gnaden wollen mir Glauben zumessen, daß in dieser Armee ansehnlich schönes, gutes und lustiges Volk, auch eines guten Willens und Muthes ist, nichts Anderes begehrend, als Ihrer kaiserl. Majestät, nach Eurer fürstl. Gnaden Belieben und Befehl, nutz- und fruchtbare Dienste zu prästiren.“ Dann übertrug er Schauenburg das Commando in Zittau, schickte Ilow mit 1000 Mann nach Löbau, Schaffgotsch mit dem größten Theil der Cavallerie nach Görlitz, die Artillerie unter Mannsfeld aber nach Lauban und kehrte selbst nach Böhmen zurück, wohlzufrieden mit seiner Leistung. „Ich habe die Posti, wie ich am besten vermeint, mit Volk versehen, daß sie also zu jeder Zeit sulla diffesa stehen und dem Feind resistiren können … Ich bin stets alerto, da der Feind etwas, wo oder an welchem Ort es sein möcht, tentiren wollt, ihm zu resistiren und auf des von Arnim Andamenti wohl Achtung zu haben, denn, ob er schon an einem Ort zu alarmiren und an dem [427] andern Colpo zu machen pflegte, hoff ich, daß er uns damit nicht inganniren wird …“ So wußte sich M. in Sicherheit zu wiegen. Plötzlich erschien Arnim am 21. Juli vor Löbau. Die Stadt, erst kürzlich vollständig niedergebrannt, war gegen ein ganzes Heer unmöglich zu halten; Ilow zog sich eilig auf Zittau zurück. Am nächsten Morgen folgte ihm Arnim dahin nach. Schaumburg, der den Gegner offenbar unterschätzte, empfing ihn im offenen Felde mit einer Abtheilung Reiter, die jedoch alsbald in die Flucht geschlagen wurde. Aber auch Arnim, der einige Regimenter zurückgelassen hatte, gewann die Ueberzeugung, daß seine Truppen vorerst nicht genügten, das von mehr als 6000 Mann besetzte Zittau förmlich zu belagern und kehrte wieder um, noch ehe M. sich in Person gezeigt hatte. Wie bramarbasirte dieser, als er in Zittau ankam und Arnim nicht mehr da war! – Es wurden alle Anstalten zum Empfange des Feindes bei Erneuerung seines Angriffs getroffen. Und Arnim erneuerte wirklich diesen Angriff, nur nicht an derselben Stelle. Er brach mit Verstärkungen von Bischofswerda auf und rückte über Priebus und Sagan, das sich sofort ergab, fast ohne Aufenthalt gegen Großglogau, wo er am 5. August anlangte. In einem Scharmützel warf er den Obersten Götz in die Stadt, die noch in der Nacht auf drei Punkten zugleich bestürmt wurde. Eine Schanze ward erstiegen und mit einer Petarde ein Thor gesprengt. Die Stadt war genommen. Götz retirirte mit dem Rest der Besatzung, 16 Compagnien, nach dem „Dom“, wo er, heftig beschossen, sich noch einen Tag lang hielt, bis er capitulirte und zu einem schmählichen Accord gezwungen wurde. Noch während der Unterhandlungen detachirte Arnim den Obersten Kalkstein Oderaufwärts nach der Schanze von Steinau, die gleichfalls erobert wurde.

So stand der Feind mitten in Schlesien und Wallenstein war seiner beiden jüngsten Erwerbungen, der Fürstenthümer Sagan und Großglogau, verlustig. Er empfand diesen Verlust mit vieler Bitterkeit. M. kam eben wieder nach Zittau, um „mit dem Rest der Armeen“ nach Schlesien zu marschiren, als er das Unglück erfuhr. „Thut uns hier Alle befremden“, war seine ganze Entschuldigung. Er mußte für Liegnitz und Breslau und selbst für Glatz fürchten und avancirte deshalb „mit aller möglichen Macht“ gegen Lauban, Ilow nach Glatz entsendend. Mit einem Male erschien er sich mit seiner „ansehnlich schönen, guten und lustigen“ Armee gar sehr klein und unansehnlich. Der Feind habe 20 Stück Geschütz bei sich und 16–18,000 Mann, während er selbst nur an 8000 Mann commandire, „meistens neues und übel armirtes Volk“. Doch hielten derartige pessimistische Stimmungen bei M. nicht an. Ueber Lämberg bis Sprottau gekommen, hoffte er bereits wieder dem Feind „den Weg abschneiden und nach Occasion einen Attacco geben“ zu können, womöglich aber auch Glogau zurückzuerobern. Einer Abtheilung seiner Leute gelang es sich des schwach besetzten Sagan zu bemächtigen. Schon am 24. August stieß aber ein größeres brandenburgisches Corps zu etlichen bei Züllichau stehenden schwedischen Regimentern unter Oberst Duval, der sich drei Tage später bei Glogau mit Arnim vereinigte. Noch glückte es M., die Steinauer Schanze wieder zu gewinnen, als die gesammte feindliche Uebermacht ihm gegenüber stand. Am 29. August kam es zum Zusammenstoß, dem eine lange, ununterbrochene Reihe durchwegs für M. unglücklicher Gefechte folgte. Gleich im ersten Anlauf nahm Arnim das Städtchen Steinau und zwang M., ein in der Eile befestigtes Lager zu beziehen. Mit schweren Verlusten mußte am 4. September auch dieses aufgegeben werden und wandte sich M. gegen Breslau, wo er zwischen Oder und Ohlau wieder ein Lager bezog. Arnim, der eine Brücke über die Ohlau schlug, griff ihn hier am 7. September mit großer Bravour an und brachte ihn zum Weichen. M. floh nach Brieg, dann, auch dorthin verfolgt, nach Oppeln und bald darauf nach [428] Kosel. „Hat der Feind mit der Cavallerie und den Dragonern, unsere Retirada zu impediren, der Retroguardia stark nachgesetzt“, so lautet Marradas’ Schlachtbericht, „daß wir also mit einander agli mani gerathen und ziemlich gefochten … Hernach zu beedertheil viel Volk geblieben, und hat, wie ich Avisen hab, der Feind mehr als wir Schaden gelitten …“ Der Trost war sehr gesucht und erfuhr durch Arnim’s Berichte wie durch das Factum sattsame Widerlegung, daß sich M. auch in Kosel nicht mehr sicher fühlte, sondern bis Troppau zurückwich, wo er am 19. September „mit der ganzen Armee“ – nach eigener Versicherung „gar wohl“ – ankam. Schlesien war verloren. M. aber blieb dabei, daß er „im geringsten puncto nichts ermangelt hab …“ Doch Wallenstein’s Geduld war erschöpft. Und auch bei Hofe mochte man zur Einsicht gelangen, daß hier Rücksichten nicht mehr am Platze wären. Auf Wunsch des Generalissimus entschloß man sich, M. abzusetzen. Die bittere Pille zu versüßen wurde der Ausweg gewählt, ihn nach Wien zu einer Berathung in Angelegenheit der Türkei und Siebenbürgens zu berufen, wobei er als alter Ungarnkrieger füglich nicht fehlen dürfe. „Man hätte“, bemerkt Questenberg, der dies mitheilt, „einen anderen Prätext genommen; wie dergleichen aber auch sein mögen, so geben es die fürgangenen actiones doch männiglich und ihm selbst zu verstehen, was die Ursache seiner Abforderung sei“. – M. hatte als Kriegsmann für immer ausgespielt; doch nicht auch als Höfling. Wallenstein hatte am Hofe einen gehässigen, unversöhnlichen Feind mehr.

M. hielt sich in der nächsten Zeit abwechselnd in Wien und Frauenberg auf. Hier schrieb er am 3. Januar 1633 sein Testament, mit welchem er Don Francesco, den Sohn seines Bruders Georg, zum Universalerben einsetzte. Hier war denn auch in den ereignißreichen Februartagen 1634 das Stelldichein der Urheber und Leiter der großen Militärverschwörung wider den Herzog-Generalissimus Wallenstein: Piccolomini, Gallas und Aldringen. Mit widerwärtiger Geschäftigkeit schürte M. das Feuer, das da entbrannt war. Blindlings, ohne auch nur den Schein eines Schuldbeweises in der Hand zu haben, drängte er gegen den Gefallenen zum Aeußersten. Eine „Gnadenrecompens“ von 124,000 Gulden war sein Antheil an der Beute, die über Wallenstein’s Leiche verschenkt wurde. – Doch nicht allzu lange erfreute er sich des Genusses dieses Blutgeldes. Nur selten trat er wieder in die Oeffentlichkeit. Man gönnte ihm beim Friedensschlusse mit dem Kurfürsten von Sachsen zu Prag eine Art stumme Rolle. Er überreichte mit Schlick am 25. Mai 1635 zu Schrems dem Könige Ferdinand III. die von den kaiserlichen und kursächsischen Commissären vereinbarten Friedensbedingungen. Bald darauf hatte er die Freude den König auf seinem Schlosse Frauenberg als Gast zu begrüßen, drei Tage später aber denselben an der Spitze seiner Cavallerie in Prag zu empfangen. Der Großmeister des Maltesetritter-Ordens erwies ihm die Ehre der Ernennung zum „Castellan von Amposta“. Noch finden wir ihn 1636 auf dem Reichstage zu Eger, im nächsten Jahre aber im Geleite der Leiche Kaiser Ferdinands II. in die Gruft zu Graz. Anderthalb Jahre später, am 12. August 1638, starb M. zu Prag im 78. Lebensjahre, „nachdem ihm fast nie ein Kopf wehe gethan“. Der neue Kaiser hatte ihn in den Geheimen Rath gesetzt und zum böhmischen Statthalter gemacht. Sein officieller Biograph nennt ihn „splendido, liberale, sincero, cordiale ed in somma l’ornamento e decoro della Corte Cesarea“. – Er war ein Günstling, ist Alles, was sich mit Unparteilichkeit von ihm sagen läßt.

Nach Archivalien. – Vgl. Gualdo Priorato, Vite et azzioni di personnaggi militari etc. (Vienna 1674); Fr. Chr. Khevenhiller, Conterfet, II. 99; Fr. u. Heinr. Miltner, Beschreibung der bisher bekannten böhm. Privatmünzen u. Medaillen (Prag 1852), 318 ff.; Jos. Bergmann, Medaillen auf [429] berühmte u. ausgezeichnete Männer des österreich. Kaiserstaates (Wien 1858), II. 266 ff.; J. E. Heß, Autographen u. Biogr. zu Schiller’s Wallenstein (Jena 1859), 99 ff.