Zum Inhalt springen

ADB:Meinhold, Wilhelm

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Meinhold, Wilhelm“ von Hermann Petrich in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 21 (1885), S. 235–237, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Meinhold,_Wilhelm&oldid=- (Version vom 7. Dezember 2024, 15:49 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Band 21 (1885), S. 235–237 (Quelle).
Wilhelm Meinhold bei Wikisource
Wilhelm Meinhold in der Wikipedia
Wilhelm Meinhold in Wikidata
GND-Nummer 118732692
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|21|235|237|Meinhold, Wilhelm|Hermann Petrich|ADB:Meinhold, Wilhelm}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118732692}}    

Meinhold: Johannes Wilhelm M., Schriftsteller, geb. in Netzelkow am 27. Februar 1797, † in Charlottenburg am 30. November 1851. Der einsame, auf dem Gnitz, einer westlichen Landzunge der Insel Usedom, gelegene Geburtsort Meinhold’s war zu dem Sonderlingsleben seines Vaters, eines Predigers, wie geschaffen. Von früh bis spät, äußerlich und innerlich behandelte sich derselbe 32 Jahre lang mit kaltem Wasser, ging in der letzten Lebenszeit morgens 6 Uhr zu Bette und stand Mittags um 11 wieder auf. Nur so glaubte er einem Schlaganfall vorbeugen zu können, der ihn trotzdem auf seiner zweiten Pfarre in Liepe 1828 ereilte. Die Erziehung der Kinder litt unter diesen Gewohnheiten. Wilhelm, der älteste, wurde gleich nach seiner Geburt in eiskaltes Wasser gesteckt. Beim Wassertrinken und selbst des Winters oft im Freien fand der Unterricht statt. Häufige Züchtigungen mußten die Abhärtung vermehren. Nur bei der mildherzigen Stiefmutter – die rechte Mutter war 1806 gestorben – fand der Knabe einige Zuflucht. Schon 1813 wurde er nach Greifswald auf die Universität geschickt. Sein kümmerlicher Wechsel und seine bisherige Abgeschlossenheit brachten ihn meist nur in unangenehme Berührung mit den Commilitonen. Theologische Anregung entbehrte er völlig. Nur Kosegarten gewährte seiner philosophischen und philologischen Neigung einige Nahrung, nahm ihn gegen Verkennung in Schutz mit dem Zeugniß: „Bei dem Meinhold liegt in einer rauhen Schale ein süßer Kern verborgen“ – und ermunterte ihn zu dichterischen Versuchen. Nach zweijährigem Aufenthalt auf der Universität trat er eine Hauslehrerstelle bei Uekermünde an, bestand die theologischen Examina, wurde Prädicant des vom Schlage gelähmten M. Gering in Gützkow und übernahm 1820 das Rectorat der Stadtschule von Usedom, wobei er mit der zweiten Gering’schen Tochter seinen Hausstand begründete. Ein bereits in Gützkow entstandenes Glückwunschgedicht auf den Oberpräsidenten Sack hatte diesen um die wirthschaftliche und geistige Cultur der Provinz hochverdienten Mann zu Meinhold’s Gönner gemacht. Diese Gönnerschaft verstärkte sich, als selbst Jean Paul dem jungen Dichter seine Anerkennung zu Theil werden ließ. Derselbe hatte ihm nämlich das Manuscript eines Trauerspiels „Herzog Bogislaf“ übersandt. Jean Paul erwiederte, der Verfasser sei des wahren tragischen Ausdrucks mächtig und sein Jugendfeuer verspreche der Dichtkunst viel; er solle sich nur von Schiller und Shakespeare leiten lassen, so würde er bald fliegen und steigen. Dieser Brief, der sogleich an Sack geschickt ward, machte den Adressaten schon im J. 1821 zum Pfarrer von Coserow auf Usedom. Er fand hier die schönste Muße, 1824 einen Band „Vermischte Gedichte“ auf Subscription herauszugeben. Ein Exemplar übersandte er an Goethe. Dieser beurtheilte ihn öffentlich ohne Nennung des Namens unter der Ueberschrift „Individual-Poesie“. Er habe eine liebenswürdige Art, seine persönlichen und landschaftlichen Zustände poetisch darzustellen. In dieser Beschränkung liege sein Talent. M. befolgte den Wink leider nicht. 1826 [236] erschien sein romantisch-religiöses Epos „St. Otto oder die Kreuzfahrt nach Pommern“, dessen Vorrede mit dem Geständniß beginnt, der Verfasser habe „von jeher einen entschiedenen Hang in sich gefühlt, ungewöhnliche und schwere historische Stoffe für die ästhetische Behandlung zu wählen“. Gewiß, dieser Stoff, der Seelenkampf der Bekehrung, war ihm zu schwer. Im Juni 1827 begleitete er den Kronprinzen von Preußen auf einer mißlungenen Fahrt zu den unweit Coserow gelegenen Vinetaklippen. In demselben Jahre fiel durch Sack’s Vermittlung die Pfarrwahl des 3 Meilen entfernten Crummin auf ihn. Zu Neujahr 1828 trat er die Stelle an. Mißverhältnisse mit der Gemeinde verleideten ihm den Aufenthalt, hemmten aber nicht seine Productivität. 1830 gab er ein „Miniaturgemälde von Rügen und Usedom“, 1837 „Humoristische Reisebilder von Usedom“, 1839 „Schill, eine poetische Festgabe zur 25jährigen Jubelfeier der Schlacht bei Leipzig“ heraus, erstere beide zum Theil recht anziehende Schilderungen heimathlicher Gegenden, wodurch zuerst die Augen weiterer Kreise auf die Naturschönheiten Usedom’s gerichtet wurden, letzteres eine Reihe erzählender Gedichte nach Haken’s Schill-Biographie. Seit 1838 entsteht sein berühmtestes Werk „Maria Schweidler, die Bernsteinhexe. Der interessanteste aller bisher bekannten Hexenprocesse“. Es ist die Erweiterung einer Novelle, „Die Pfarrerstochter zu Coserow“, welche die Wiener Censur ihm 1826 zurückgewiesen hatte, in stilistischer Nachahmung der Denk- und Sprechweise des 17. Jahrhunderts. Unter dem Vorgeben, das alte defecte Manuscript im Chorgestühl seiner Kirche gefunden zu haben, veröffentlichte er 1841 und 1842 Bruchstücke daraus in der Christoterpe. Der König Friedrich Wilhelm IV. las sie mit Interesse, erkundigte sich nach der Handschrift und ließ sich, als ihm die Fiction mitgetheilt wurde, das Manuscript selbst übersenden. Am 1. Juni 1843 erhielt M. das auf des Königs Veranlassung bei Duncker & Humblot gedruckte Werk sammt Honorar zugesandt. Der Beifall war allgemein, Laube dramatisirte es, Lady Duff Gordon übersetzte es ins Englische, kaum ein Zweifel an der Echtheit wurde laut. Im Januar 1844 in der Augsburger Allgemeinen Zeitung und 1846 in der Vorrede zur zweiten Auflage lüftete M. den Schleier. Er habe das Buch geschrieben, um „unsere kluge Zeit schlagend zu überführen, was von der Vocabelkritik zu halten sei“. Wie sie hier ein untergeschobenes Buch für echt genommen, so vermesse sie sich, echte biblische Schriften für untergeschoben zu erklären. Apologetische Studien hatten ihn allerdings seit Jahren beschäftigt. Bei einer von Steudel in Tübingen ausgeschriebenen Concurrenz um eine Apologie des Christenthums hatte er 1835 eine auszeichnende Erwähnung davongetragen, während Stirm den Preis erhielt. 1840 hatte ihm Erlangen wegen einer Abhandlung über Wunder und Weissagungen, welche einen Abschnitt jener Apologie gebildet hatte, das theologische Doctorat verliehen. Trotzdem scheint der Bernsteinhexe die apologetische Tendenz erst nachträglich angehängt. Die Kritik ließ sich in keiner Weise durch eine Mystification behelligen, der das unkritische Publicum zum Opfer gefallen war. Der Werth des Werkes besteht ausschließlich in der auf tüchtigen Studien beruhenden dichterischen Reproduction pommerscher Culturverhältnisse des 30jährigen Krieges. Der Verfasser selber behauptet, diese Kunstgattung, die er den „chronikalischen Roman“ nennt, erst erfunden zu haben. Doch hatte (abgesehen von Kleist’s Kohlhaas) August Hagen mit seinen „Norica“ schon 10 Jahre früher denselben Weg betreten. In Folge einer Audienz beim Könige am 12. März 1844 wurde M. bereits zu Ostern d. J. Pastor in Rehwinkel bei Stargard. Damals erschien „Athanasia oder die Verklärung Friedrich Wilhelm des Dritten. Ein christlich-religiöses Gedicht“, während 1846–1848 seine „Gesammelten Schriften“ in 7 Bänden bei J. J. Weber in Leipzig herausgegeben wurden. Dieselben enthalten im 2. Bande zwei Dramen [237] und Band V–VII „Sidonia v. Bork, die Klosterhexe“. Die sprachlichen wie stofflichen Kunstmittel der Bernsteinhexe sind hier noch ausgiebiger verwerthet, sie dienen aber ausgesprochenermaßen nur apologetischen Zwecken. In und unter dem Text geben Anmerkungen die Ansichten des Verfassers über die religiösen, politischen und socialen Fragen seiner Zeit. Sein Kampf gegen die revolutionäre Strömung in Preußen wurde immer energischer. Im Sommer 1848 erschien „Die babylonische Sprachen- und Ideenverwirrung der modernen Presse als die hauptsächlichste Quelle der Leiden unserer Zeit, seinen lieben pommerschen Landsleuten gewidmet“. Im nächsten Jahre folgte „Das Vaticinium Lehninense metrisch übersetzt und commentirt nebst einer religionsphilosophischen Einleitung“. Alle diese Schriften zeigen außer manchem schlagfertigen Wort eine bedenkliche Abweichung von der reformatorischen Lehre und ein zunehmendes „Verständniß“ für den Katholicismus. Um mancherlei „Unannehmlichkeiten zu entgehen und sich ganz der Litteratur zu widmen“ gab er im Herbst 1850 sein Amt auf und zog nach Charlottenburg. Ueber einem neuen Roman „Der getreue Ritter oder Sigismund Hager und die Reformation“, der die Vereinigung der Confessionen, natürlich auf Kosten des Protestantismus, zum Gegenstand hatte, starb er am Gehirnschlag. Das unvollendete Werk, von dem jüngsten seiner vier Söhne herausgegeben und fortgesetzt, hat die Sage von seinem Uebertritt hervorgerufen. Er ist auf dem Wege nach Rom gestorben. – Meinhold’s Schriften enthalten treffliche Elemente zu einem pommerschen Dichter. Als er etwas anderes werden wollte, verfehlte er seinen Beruf.

Gesammelte Schriften, in den Vorreden u. ö. – Novellen-Zeitung (Leipz., J. J. Weber,), Bd. II, Nr. 79 (1. Januar 1846). – Neuer Nekrolog der Deutschen, 29. Jahrg., Th. 2, S. 930–938. – Goedeke, Grundriß, Bd. III, S. 1186–1190.