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ADB:Michaelis, Gustav Adolph

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Artikel „Michaelis, Gustav Adolph“ von Franz von Winckel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 21 (1885), S. 679–681, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Michaelis,_Gustav_Adolph&oldid=- (Version vom 7. Oktober 2024, 14:37 Uhr UTC)
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Michaelis: Gustav Adolph M., Enkel des Göttinger Orientalisten Joh. David (s. u.) und Sohn des Arztes Gottfried Philipp M., wurde geboren am 9. Juli 1798 in Harburg. Nach dem frühen Tode seines Vaters kam er in das Haus seines Onkels C. R. W. Wiedemann, welcher Professor der Medicin und Director der Hebammenschule in Kiel war und ihn frühzeitig zu naturwissenschaftlichen Studien anregte. Er studirte nach Absolvirung des Gymnasiums in Kiel und Göttingen Medicin, zugleich aber mit großem Eifer Mathematik, und außerdem Archäologie, promovirte am 20. Juli 1820 und ging 1821 nach Paris, wo er in den dortigen Hospitälern seine Studien fortsetzte. Er widmete sich damals zusammen mit den Gebrüdern Justus und Theodor Olshausen und dem Maler Aubel, welcher ein Portrait von dem in der Nachbarschaft als le bel Allemand bezeichneten M. verfertigte, litterarischen und künstlerischen Interessen. Ueber Südfrankreich, die Schweiz, München und das südwestliche Deutschland zurückgekehrt, ließ er sich 1823 als praktischer Arzt in Kiel nieder, habilitirte sich im October desselben Jahres als Privatdocent und trat dann als Wiedemann’s Assistent an der Entbindungsanstalt ein. Seine Habilitationsschrift „de induratione telae cellulosae recens natorum“, in der er Beobachtungen aus seiner Pariser Studienzeit verwerthete, erschien erst 1825 in Kiel. 1828 verheirathete sich M. mit der Schwester Otto Jahn’s (s. Bd. XIII S. 668). Trotz seiner umfangreichen Praxis und der akademischen Thätigkeit fand M. seit 1827 noch Zeit zu anderen Naturbeobachtungen und beschäftigte sich namentlich zuerst mit den Ursachen des Meerleuchtens. Von seiner 1830 in Hamburg erschienenen Schrift „Ueber das Leuchten der Ostsee“ sagte Ehrenberg, daß sie durch den in ihr zuerst geführten Beweis vom Leuchten der Infusorien die wichtigsten Beobachtungen der neueren Zeit enthalte. Ehrenberg ehrte ihn auch durch die Bezeichnung eines von M. entdeckten Thierchens als Perinidium Michaelis. Im Jahre 1833 erschienen die „Abhandlungen aus dem Gebiete der Geburtshülfe“ (Kiel); anderweite Aufsätze finden sich theils in dem Magazin der ausländischen Heilkunde von Gerson und Julius Bd. 19 (1830), in Pfaffs Mittheilungen aus dem Gebiete der Medicin, Chirurgie und Pharmacie Bd. 1–3, 6, 8 (1832–1839) und in der Neuen Zeitschrift für Geburtskunde von Busch, Siebold und Ritgen, in welcher er unter anderm in Bd. III, IV, V, VI u. ff. verschiedene Aufsätze über: Die Reposition der Nabelschnur, über Partus serotinus epidemicus, Operation eines Fungus medullaris uteri bei der Entbindung, über eine Fußgeburt, bei welcher der Kopf mit dem Hinterhaupte voran geboren wurde, über Anwendung des Eises in der Febris puerperalis, einen Fall von Verletzung der Schädelknochen und Zerreißung des Sinus longitudinalis bei natürlicher Geburt und den vierten bei derselben Frau von ihm mit glücklichem Erfolg für Mutter und Kind vollendeten Kaiserschnitt publicirte – Mittheilungen der werthvollsten Art, welche ihn nicht nur als scharfen Beobachter, sondern auch als ausgezeichneten und glücklichen Operateur erkennen ließen. 1836 wurde M. zum Physikus der Stadt Kiel und der umliegenden Aemter ernannt. Er vertrat den schwer erkrankten Wiedemann in der Entbindungsanstalt völlig [680] und wurde am 12. Februar 1839 außerordentlicher Professor der Geburtshülfe und nach Wiedemanns Tode, am 24. August 1841 mit der Direction der Entbindungsanstalt und Hebammenschule betraut. Mit Antritt dieser Stellung legte er sein Amt als Physikus nieder. 1842 gab er sein Lehrbuch „Unterricht für Hebammen“ heraus. Eine „Rede, gehalten bei der Stiftungsfeier der Gesellschaft freiwilliger Armenfreunde“, Kiel 1845 zeigt, daß er sich nicht blos auf sein Amt beschränkte, sondern auch hervorragenden Antheil an communalen Einrichtungen nahm, einen offenen Blick für sociale Schäden besaß und mit großem Freimuth seine Ansichten aussprach. Er hob hervor, daß es nicht genüge bereits Verarmte zu unterstützen, sondern er mahnt an die sittlichen Momente der Armenpflege, an die Nothwendigkeit, den Sinn der unteren Classen zu heben, sie zur Selbsthülfe zu befähigen und in ihnen die Hoffnung auf Besserung zu beleben, „die goldene Hoffnung, ohne die alles Menschenleben ein Jammer ist“. Vom 18.–24. September 1846 führte M. als erster Präsident die Verhandlungen der Naturforscherversammlung in Kiel und es gelang ihm mit großem Tact in dieser Zeit der heftigsten politischen Erregung, wo der von allen Schleswig-Holsteinern bitter gehaßte dänische König, der die Naturforscher und Aerzte übrigens mit großer Liberalität aufgenommen hatte, dicht bei Kiel weilte, dem Eindringen politischer Leidenschaft in die wissenschaftlichen Verhandlungen zu wehren und doch dabei die deutschen Gäste die Ueberzeugung gewinnen zu lassen, daß sie, wie M. es in seinen Schlußworten aussprach „bei treu gesinnten, fest entschlossenen und bedacht handelnden Männern“ gewesen seien. Auf einer wahrscheinlich 1847 unternommenen Reise nach England suchte er sich mit den dortigen Hospitaleinrichtungen bekannt zu machen, um dieselben bei einem für Kiel geplanten Neubau der Entbindungsanstalt zu verwerthen, doch sollte er denselben leider nicht mehr erleben. Schon in seiner Studienzeit hatte sich bei M. nach dem Zeugnisse eines seiner nächsten Universitätsfreunde, A. v. Arnswaldt’s, neben ruhigem Ernst und heiterer Lebensfrische doch als Theilnahme an dem allgemeinen Schmerz und Elend des Lebens vielfache Unzufriedenheit mit sich selbst gezeigt. Hierzu kamen nun von 1846 an zu den Aufregungen über die damaligen politischen Vorgänge schwere amtliche Sorgen wegen eines 2 Jahre nacheinander in der Entbindungsanstalt herrschenden Kindbettfiebers, das dann sogar in seiner Privatpraxis auftrat und eine ihm besonders nahe stehende Cousine hinraffte. Als er nun aber, durch seinen späteren Schwiegersohn Dr. Herrmann Schwartz die Entdeckung von Semmelweiß über die Natur des Kindbettfiebers erfuhr, fühlte er, der treffliche Arzt und glückliche Operateur, sich aufs Aeußerste durch den Gedanken beschwert, daß durch Nichtanwendung der früher unbekannten erst von Semmelweiß angegebenen Chlorwasserwaschungen, die Krankheit in der Anstalt so verheerend aufgetreten und von dort durch ihn auch in die Privatpraxis übertragen sein möge. Er verfiel seitdem immer mehr in Aufregung und Trübsinn und als auch ein Landaufenthalt und der Besuch von Norderney ihm keine Besserung gebracht, löste er am 8. August 1848 auf der Rückreise von Norderney in Lehrte selbst die Fessel, die ihn ans Leben band. In Celle ward er beigesetzt. Die Genugthuung seiner Ernennung zum Ordinarius, welcher nur noch die Unterschrift der Regierung fehlte, ward ihm leider nicht mehr zu Theil. Ueber M. als Docenten schreibt Geh. Rath Schwartz-Göttingen, sein Schwiegersohn: Seine Lehrthätigkeit betrieb Michaelis mit großem Eifer und strengster Gewissenhaftigkeit. Leider kam dieselbe ganz vorzugsweise den Hebammenschülerinnen und nur in beschränktem Maße den Studenten zu Gute, da er als Extraordinarius an den medicinischen Facultätsprüfungen nicht Theil nahm. Seine Vorträge waren besonders für Geübtere, setzten viel voraus [681] und waren vorwiegend kritisch gehalten. In die Anstalt nahm er auf ein Halbjahr je 2 ältere Candidaten auf, die er an allen Vorkommnissen betheiligte und in der diagnostischen und operativen Technik, in welcher er selbst eine staunenswerthe Meisterschaft besaß, unterrichtete. Ueber Alles, was zur Beobachtung kam, mußten die Candidaten schriftlichen Bericht liefern. Diese Protocolle wurden bei der Morgenvisite von M. durchgesehen, corrigirt und kritisch besprochen. Wer es mit seinem eignen Selbst und der Sache ernst nahm, wurde durch die ungemein anregende und instructive Art von M. wesentlich gefördert und schied sicher nicht von ihm ohne der sittlichen Hoheit, den idealen Bestrebungen und den hochgesteckten Zielen, sowie der großen geistigen Bedeutung und Leistungsfähigkeit des Mannes das höchste Maß von Achtung und Anerkennung zu zollen.“ Das Mißgeschick, welches den hochbegabten, edlen Mann im Leben verfolgte, sollte nach seinem Tode auch noch auf sein Hauptwerk übergehen. Unvollendet ließ er als eine Frucht langjähriger Studien und Beobachtungen sein Buch „über das enge Becken“ zurück, an dem er noch im letzten Sommer vergeblich sich bemüht hatte, seinen umdüsterten Sinn zur Arbeit zu zwingen. Sein Nachfolger Litzmann gab dasselbe 1851 heraus; bei der Ungunst jener Zeiten fand es jedoch anfangs so wenig Beifall, daß nur ein geringer Theil der Auflage verkauft, der Rest nach kurzer Zeit als unverkäuflich eingestampft ward. Erst die allmälig durchdringende Anerkennung des Buches und die dadurch veranlaßte Nachfrage führten im Jahre 1865 zu einem neuen Abdruck. Wenn Litzmann in seiner Vorrede zu der ersten Ausgabe 1851 sagte, er habe sich bei der Durchsicht der Schrift überzeugt, daß in der geburtshülflichen Litteratur seit langer Zeit kein Werk erschienen sei, welches das Werk Michaelis’ über das enge Becken an wissenschaftlicher und zugleich praktischer Bedeutsamkeit überträfe und jeder Kundige werde beim Lesen bestätigt finden, daß es die Frucht einer langjährigen, gewissenhaften und sichern Beobachtung sei – so ist die Wahrheit dieser Worte jetzt längst anerkannt und es wird keinen deutschen Gynäkologen geben, der nicht dem Studium dieses Werkes die mannigfachste Anregung und Förderung verdankte und aus ihm zu demselben Urtheil über seinen Verfasser gekommen wäre, welches wir von Geh. Rath Schwartz (Göttingen) vorhin citirten.

Größtentheils nach schriftlichen Mittheilungen des Sohnes, Herrn Professor Ad. Michaelis in Straßburg; vgl. ferner: Lübker[WS 1] u. Schroeder, Schleswig-Holstein-Lauenb. Schriftsteller Bd. I S. 370. 1829 u. Alberti, Lexikon Bd. II S. 55, Kiel 1868.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Detlev Lorenz Lübker (1773–1852), Compastor in Husum, Vater Friedrich Heinrich Christian Lübkers.