ADB:Mousson, Markus
Glayre (Bd. IX S. 206), der sein väterlicher Freund wurde und als Präsident der Versammlung M. zu deren Protokollführer ernennen ließ. Für den 22jährigen jungen Mann begann damit die öffentliche Laufbahn, auf der er sich rasch Auszeichnung erwarb. Die Proclamation der Landesversammlung vom 11. Februar, welche dem wadtländischen Volke die Annahme der Verfassung der helvetischen Republik empfahl, trug Mousson’s Namen. Nach Einführung dieser Verfassung in der revolutionirten Schweiz ernannte der große Rath der Republik M. am 21. April 1798 zu seinem Secretär. Aber schon am 2. Mai trat M. in den Dienst der Vollziehungsbehörde, des helvetischen Directoriums, über, dessen Mitglied Glayre war, dessen Kanzlei J. Rudolf Steck von Bern als Generalsecretär vorstand. Indessen führte das Eingreifen des französischen Commissärs Rapinat im Juni 1798 den Rücktritt der Directoren Bay und Pfyffer sowie denjenigen von Steck herbei, und das durch den Eintritt von Laharpe und Ochs ergänzte Directorium beförderte nun M. zum Generalsecretär. Ungewöhnliche Arbeitskraft, eine gewandte Feder, welche die Präcision und Feinheit des französischen Stils in vorzüglichem Maße besaß, waren ihm eigen, strenge Gewissenhaftigkeit, die auf ernster religiöser Ueberzeugung beruhte, – ein Erbtheil der Vorfahren – und gesellschaftlicher Tact bildeten die Züge von Mousson’s Charakter. Mit unermüdlichem Pflichtgefühl erfüllte er die Anforderungen seines Amtes bei der Behörde, welche die Verwaltung eines Landes organisiren und leiten sollte, das durch den gewaltsamen Umsturz alles Bestehenden [413] unter Frankreichs Druck und Habsucht, durch erbitterten Parteihader, durch die Anwesenheit und den Krieg fremder Heere in ein Chaos voll Elend verwandelt wurde. M. war dabei Zeuge der inneren Kämpfe im Directorium, welche der Gegensatz der Anschauungen und des Charakters zwischen den beiden Vorgesetzten, denen er als Wadtländer zunächst stand, zwischen Glayre und Laharpe, erzeugte. Als schließlich Glayre im Mai 1799 den Austritt nahm und Laharpe’s Einfluß Alles überwog und die Behörde zu sich steigernden Gewaltschritten trieb, blieb M. nicht ohne Bedenken und das Zureden Befreundeter im Dienste. Ende 1799 gerieth er selbst in entschiedenen Conflict mit Laharpe. Von Schritt zu Schritt führten Leidenschaft und Hang zu revolutionärem Despotismus den herrschenden Director weiter und endlich zu dem Plane, mit Hülfe Frankreichs durch einen Staatsstreich nach Art des 18. Brumaire aller Gegner sich zu entledigen, die gesetzgebenden Räthe zu vertagen und sich und seinen Anhängern die ausschließende Gewalt zu sichern. Er gedachte, sich dabei Mousson’s amtlichen Beistandes zu bedienen. Allein dieser verweigerte sich hierzu herzugeben, legte für den Fall, daß die Mehrheit des Directoriums auf Laharpe’s Anträge einginge, sein Entlassungsgesuch vor und trug durch seine Haltung in dem Kampfe, der nun zwischen Laharpe und dessen Gegnern im Directorium und den Räthen ausbrach, zum Siege der Letzteren bei. Am 7. Januar 1800 endigte der Streit mit dem Sturze von Laharpe und der Ersetzung des Directoriums durch einen Vollziehungsausschuß, in welchen Glayre als erstes Mitglied berufen wurde und eintrat. M., den diese neue Behörde am 9. Januar wieder mit dem Amte eines Generalsecretärs bekleidete, zog sich freilich durch das Vorgegangene die bittere Feindschaft von Laharpe und dessen Anhang, den „Lemanern“ und Ultrarevolutionären der nordöstlichen deutschen Kantone, zu. Schon im April 1800 spielte dem Vollziehungsausschusse und M. ein wadtländischer Kanzleiangestellter, Clavel von Uxières, den empfindlichen Streich, zwei Missiven des Ausschusses an Frankreichs ersten Consul und an den helvetischen Gesandten Jenner in Paris an Laharpe’s Schweif in den Räthen mitzutheilen. Dem „jacobinischen“ Gebahren derselben war in diesen vertraulichen Actenstücken ein Haupttheil an dem friedenslosen Zustande in der Schweiz beigemessen. Im Juni darauf folgte die Explosion einer direct gegen M. gerichteten Mine. Ein Unterbeamter fertigte unter Nachahmung von Mousson’s Handschrift einen[WS 1] angeblichen Brief des Letzteren an Jenner an, der aus Beschuldigungen der Bestechlichkeit gegen Bonaparte’s Minister Talleyrand, der Schwäche gegen den Vollziehungsausschuß, aus Andeutungen über heimliche Verbindungen von Glayre, Finsler und Savary – der den „Lemanern“ am meisten verhaßten Mitglieder des Ausschusses – u. dgl. m. bestand, und spielte das Actenstück auf Umwegen Laharpe in die Hände, der sich in die Wadt zurückgezogen hatte. Laharpe, dessen Leidenschaft ihn den Betrug nicht gewahr werden ließ, deponirte den Brief sofort beim Kantonsgericht in Lausanne und sandte eine amtlich beglaubigte Abschrift an seine Freunde in Bern in den Räthen, als Zeugniß der landesverrätherischen Pläne seiner Gegner aus Mousson’s eigener Hand. Ein Sturm von Entrüstung ergoß sich über Diese im Schooß der Räthe. M. verlangte strengste Untersuchung und zum Behufe derselben Versetzung in Haft seiner selbst und seines Anklägers. Der Vollziehungsausschuß entsprach seinem Verlangen. M. wurde von seinem Amte suspendirt, unter Bewachung gestellt und seine Papiere versiegelt; das Gleiche geschah gegen Laharpe, den der Ausschuß unter Bedeckung nach Bern zu bringen befahl, woselbst nach Beschluß der Räthe das Kantonsgericht die Untersuchung führen und das Urtheil sprechen sollte. Laharpe aber, der nun in dem Vorgange einen gegen ihn sich richtenden Plan der Gegner zu sehen meinte, wußte auf dem Wege nach Bern seinen Begleitern zu entkommen und floh nach Frankreich, das seine Auslieferung an die [414] helvetischen Behörden verweigerte. Der Spruch des Kantonsgerichtes Bern erkannte in dem ihm eingesandten Actenstück eine freche Fälschung, deren Urheber freilich unentdeckt blieb. M. wurde in ehrenvollster Weise, zur Freude seiner Untergebenen, in sein Amt wieder eingesetzt. Ununterbrochen bekleidete er dasselbe weiter, so lange die Gewalt des Vollziehungsausschusses dauerte. Die von Letzterem selbst in Verbindung mit den gemäßigten Unitariern bewerkstelligte Staatsveränderung vom 7. August 1800, welche die revolutionären Räthe beseitigte, entsprach seinen Anschauungen. Als die weitere Entwickelung der Dinge am 28. October 1801 den Vollziehungsausschuß beseitigte und die föderalistische Partei ans Staatsruder brachte, verlangte und erhielt M. vom Ausschusse seine Entlassung. Aber die Sieger wollten der Dienste des augezeichneten, mit allen fachlichen und persönlichen Verhältnissen vertrauten Mannes nicht entbehren und beriefen ihn, eine offene Erklärung über seine Anschauungen achtend und gutheißend, zur Leitung der Kanzlei der neuen Executivbehörde, des Kleinen Rathes, jetzt mit dem Titel eines „Ober-Schreibers“. Der nochmalige Uebergang der Gewalt an die Unitarier und die neue Verfassung der Republik vom 25. Mai 1802 setzten an die Stelle des Kleinen Rathes und seines Oberschreibers einen dreigliedrigen Vollziehungsrath und einen Generalsecretär. Zu letzterem Amte berief auf den Vorschlag der Behörde der Senat wiederum M. Diesem ward dadurch freilich beschieden, bei dem schließlichen Aufstande des schweizerischen Volkes gegen den ihm aufgedrungenen Einheitsstaat auf der Seite der nur von Frankreich gehaltenen Regierung zu stehen und ihre letzten Vorwürfe gegen die Urheber des nationalen Aufschwunges zu unterzeichnen. Indessen vermochte auch dieser Umstand nicht der hohen Achtung, deren M. persönlich genoß, und seiner hervorragenden Bedeutung Eintrag zu thun. Als Bonaparte’s Vermittelung der Schweiz die „Mediationsverfassung“ gab, wählte die erste Tagsatzung, die unter Landammann d’Affry (Bd. I S. 135) Anfangs Juni 1803 zusammentrat, M. zum „eidgenössischen Kanzler“. Die Stelle übertrug ihm die Leitung der Bundeskanzlei und insbesondere die diplomatische Correspondenz bei der Tagsatzung und dem Landammann und die Abfassung der Tagsatzungsabschiede. In diesem Amte jedes zweite Jahr einmüthig bestätigt, nahm M. an den schweizerischen Angelegenheiten fortan noch wichtigeren Antheil als früher. Denn bei dem periodischen Wechsel in der Leitung derselben unter den Landammännern und, nach 1814, unter den Bürgermeistern und Schultheißen der zur Bezeichnung dieser Häupter berechtigten Kantone bildete die „Eidgenössische Kanzlei“, die jeweilen am Sitze des Bundeshauptes Wohnung nahm, den eigentlichen, verbindenden Mittelpunkt der Geschäfte, den Träger der Continuität in denselben und der Kanzler war der unentbehrliche nächste Gehülfe des Landammanns oder die Schweiz leitenden (kantonalen) Bundeshauptes. M. erwarb sich auch bald das verdiente, unbedingte Vertrauen aller Magistrate, denen er als Kanzler zur Seite stand. Ganz vorzüglich wurde seine Mitwirkung dem Landammann v. Reinhard und dessen Collegen und Nachfolgern an Zürichs Spitze wichtig, als der Sturz Napoleons den Zusammenbruch der schweizerischen Mediationsverfassung und die Umgestaltung der Schweiz in den Bundesstaat der Restaurationszeit herbeiführte. Der gedruckte Abschied der sogenannten „langen“ Tagsatzung, die vom April 1814 bis Ende August 1815 in Zürich saß, gibt in seinen drei Foliobänden das beste Zeugniß von der Summe von Arbeit, die damals auf M. lag. Im J. 1807 hatte er dem Landammann von Wattenwyl auch in wichtiger Mission nach Paris zur Seite gestanden. Die Verdienste Mousson’s fanden dankbare Anerkennung in der Schweiz und Auszeichnung im Auslande. Die Städte Zürich und Bern beschenkten ihn 1816 und 1821 mit erblichem Bürgerrechte für sich und seine Nachkommen. Kaiser Franz I. verlieh ihm das Commandeurkreuz des [415] St. Stephansordens, König Friedrich Wilhelm IV. den rothen Adlerorden. Anfangs Juni 1830 erbat sich M., ermüdet, Entlassung von seinem Amte auf Ende des Jahres. Die Tagsatzung entsprach seinem Wunsche unter nachdrücklicher Bezeugung ehrendsten Dankes. Die ihm beschiedenen Jahre der Ruhe im Kreise seiner Familie und Freunde brachte er anfänglich in Bern, später in Zürich, der erwählten Heimath seiner beiden Söhne, zu. Aufforderungen der Seinigen und seiner Freunde, seine Lebenserinnerungen aufzuzeichnen, lehnte er nach der ihm eigenen Gewissenhaftigkeit jederzeit ab. Sie ließ ihn befürchten, sein Gedächtniß möchte ihm zum Behuf dieser Aufgabe nicht hinlänglich treu sein. Nach schmerzhaftem Leiden starb er im hohen Alter von 85 Jahren.
Mousson: Joh. Marcus Samuel Isaak M., Dr. jur., Kanzler der schweizerischen Eidgenossenschaft, † am 22. Juni 1861. M., geb. in St. Livres bei Aubonne in der Wadt am 17. Februar 1776, war ein Sohn des dortigen Pfarrers J. Heinrich M., Bürgers zu Morges am Genfersee, der, wie seine Gattin, aus französischem Hugenottenblute stammte. 1699 war des Pfarrers Großvater Pierre M. aus Mas d’Azil in der Grafschaft Foix ausgewandert, um den von Ludwig XIV. über seine reformirten Unterthanen verhängten Verfolgungen zu entgehen, und hatte in der Wadt eine neue Heimath gefunden. Bei den Eltern erzogen, 1790/94 an der höheren Schule in Lausanne, gedachte M. sich dem geistlichen Berufe zu widmen, als die anbrechende Revolutionszeit den Vater bestimmte, ihm davon abzurathen und das Studium der Rechte zu empfehlen. Im Herbste 1794 bezog er hierzu die Universität Göttingen, promovirte daselbst 1796 und trat dann heimkehrend in ein Advocaturbüreau in Lausanne ein. Als im Januar 1798 der Aufstand gegen Berns Herrschaft die Wadt ergriff, bewog M. die Gemeinde Bursins unweit Rolle, an welcher sein Vater seit 1793 das Pfarramt bekleidete, sich, im Gegensatze zu den Revolutionscomité’s von Rolle und Nyon, an die in Lausanne zusammentretende provisorische Landesversammlung anzuschließen. Er übernahm das Mandat, Bursins und vier umliegende Dörfer als Repräsentant in dieser Versammlung zu vertreten. Hier sah er zum ersten Mal- Berner Taschenbuch auf das Jahr 1864 (Biographie Mousson’s von Dr. A. v. Gonzenbach; leider Bruchstück). – Tillier, Geschichte der Eidgenossenschaft 1798–1848. – Monnard, Hist. de la Conféderation Suisse, Bd. 15–18. – Die schweiz. Zeitungen der Revolutions- und Restaurationszeit; die amtlichen Blätter der damaligen Behörden. – Sammlung der Eidgenöss. Abschiede. – Allgem. Zeitung von 1820 (Beilagen, helv. Actenstücke). – Laharpe, Mémoires. – Biographien der Landammänner von Wattenwyl und v. Reinhard, der beiden Bürgermeister v. Wyß. – Persönliche Erinnerung.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: eine