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ADB:Ochs, Peter

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Artikel „Ochs, Peter“ von Martin Birmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 24 (1887), S. 131–144, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ochs,_Peter&oldid=- (Version vom 3. Dezember 2024, 19:10 Uhr UTC)
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Ochs: Peter O. Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts blühte in Hamburg das Handelshaus Peter His u. Söhne; die Familie gehörte zur Colonie der französischen Refugianten. In dieses Haus war als Handelsbeflissener ein junger Mann eingetreten, Albert O. aus Basel, der Sohn eines angesehenen aristokratischen Geschlechts. Bald hatte derselbe durch Fleiß und Geschick das Zutrauen des Principals und die Hand der Tochter gewonnen und nun stand er als noch junger Mann nach dem Tode des Schwiegervaters mit an der Spitze des großen Geschäftes, bekleidet mit dem Charakter des dänischen Hofagenten. Sein Haus war der Mittelpunkt eines weiten Kreises von Gebildeten, Gelehrten und Künstlern und mit seinem Verständniß förderte der Hausherr die geistreiche Unterhaltung wie die Behandlung ernster Fragen der Wissenschaft, mit freigebiger Hand bahnte er nach allen Seiten hin geistigem Streben den Weg. Der Ruf des Hauses war weithin bekannt, reisende Künstler, Gelehrte und Schöngeister rühmten dessen gastliche Thüre und besonders die Schweizer wußten, daß sie bei ihrem Landsmann nicht als Fremdlinge erschienen. Dankbar nannten sie ihn auch den Genius der Schweizer im Norden. Friedrich der Große, der die geschäftliche Tüchtigkeit des Mannes wie seine gesellschaftliche Bedeutung zu schätzen wußte, suchte denselben in seine Lande zu ziehen und stellte ihm die Erhebung in den Grafenstand in Aussicht. Ochs aber fühlte sich als Republikaner und blieb. Unter solchen glänzenden Verhältnissen verlebten seine Kinder, ein Sohn und eine Tochter, ihre erste Jugend. Peter war ihm auf einer Geschäftsreise, die er mit seiner Gattin in Frankreich machte, zu Nantes am 20. August 1752 geboren worden. Das schwächliche Kind mußte unter der Obhut einer bekannten und vertrauten Dame zurückgelassen und erst später nach Basel gebracht werden. Erst nach drei Jahren wurde es von seiner Großmutter nach Hamburg abgeholt. Es war ein bildschöner Knabe; mehr zierlich als stark gebaut zeigte er schon frühe ganz ungewöhnliche Anlagen und bald entwickelte er sich unter der sorgsamen Leitung des Vaters aufs beste. Auch die zarteren Regungen des Gefühls belebten ihn und machten ihn zum Liebling Aller, die ihn kennen lernten. Als einst sein Vater den Sohn einem nach Schweden durchreisenden Gesandten vorstellte, wies dieser auf die weiten Geschäftsräume hin und sagte zum Knaben: voilà, mon petit, c’est ici que se décident les intérêts des cours de l’Europe. Ein mit Klopstock und Lessing befreundeter Hauslehrer, der durch die Uebersetzung Corneille’scher Dramen bekannt geworden war, kam als Hauslehrer und führte den Zögling mit solchem Erfolg in die Wissenschaft, in die französische wie deutsche Litteratur ein, daß dieser leidenschaftlich die Logik, Metaphysik und Geometrie [132] betrieb und sich selbständig in der Aufstellung französischer Dramen übte. Ein idealer freiheitlicher Drang beseelte ihn und aus den Werken der Dichter und Denker, aus den geschäftlichen und persönlichen Beziehungen seines Vaterhauses zu fernen Ländern und Menschen erhielt solcher Drang immer neue Nahrung. Der Jüngling kam auf einige Jahre nach Frankreich, wo er sich die Landessprache als eine zweite Muttersprache aneignete, mit geistreichen und hochgestellten Männern in Verbindung kam und Freundschaften schloß, die später für ihn und sein Geschick von verhängnißvoller Bedeutung werden sollten.

Sein Vater hatte indessen in seiner Vaterstadt ein schönes Haus gekauft und prächtig eingerichtet. Bald darauf kam die Familie nach Basel und der Sohn bezog die Universität, wo staats- und rechtswissenschaftliche Vorlesungen ihn besonders anzogen. Als seine Schwester mit dem Großindustriellen Dietrich sich verheirathete, der durch seine land- und forstwirthschaftlichen großartigen Anlagen wie durch seine Eisenwerke im unteren Elsaß weithin bekannt war, da ging O. auf einige Zeit nach Straßburg und genoß als gewandter und geistreicher Gesellschafter in den höchstgestellten Kreisen des Lobes und der Schmeichelei die Fülle. Dasselbe wiederholte sich, als er noch einen längeren Aufenthalt in Paris machte und im Hause seiner nahen Verwandten, der Gräfin d’Espagne, die großstädtischen Gesellschaftskreise kennen lernte. Während der Sohn mit vollen Zügen die Elemente französischer Weltbildung in sich aufnahm, bestimmte ihn der Vater zur Fortführung des Hamburger Handelshauses und besonders zur Besorgung dänischer Interessen. Zwei Jahre lang folgte jener dem väterlichen Willen, ohne jegliche Neigung, gehorsam seiner Sohnespflicht. Dann aber ward ihm der Zwang einer geschäftlichen Thätigkeit immer mehr zum unerträglichen Druck und er sehnte sich hinaus auf das Gebiet philosophischer Speculation. Umsonst suchte ihm sein Freund Dumouriez, der spätere Obergeneral der französischen Republik, den Werth praktischer Thätigkeit vorzustellen, „il faut à l’homme un métier, des liens avec la société, des devoirs réciproques; il lui reste assez de temps pour l’étude, quand il sait bien l’employer. La philosophie exclusive est une lâcheté. Remplis ton état, mon cher petit, porte ton génie dans le commerce, porte y surtout un coeur pur et de la noblesse. Cet état a de beaux momens et l’ennui du détail ne fatigue que les apprentifs“. Sein väterlicher Freund aber, Isaak Iselin zu Basel, der weltbürgerliche Philosoph, empfahl ihm als Lebensaufgabe die Pflege der Wissenschaften. Auf eine von O. ihm zugesandte Abhandlung über die Vaterlandsliebe erwiderte er: „je regardai votre ouvrage comme un gage de la vertu la plus pure et la plus sublime, dont son auteur donnera un jour l’exemple à ma patrie“. Er rieth ihm das Studium der philosophischen Schriften von Wolf und des neuen Organon von Lambert. Endlich gab der Vater, unter dem bitteren Eindrucke der Katastrophe Struensee’s und Brandt’s stehend, den vielseitigen Vorstellungen nach und der Sohn bezog im August 1774 die Universität Basel, um sich ganz den Wissenschaften zu widmen. Nach zwei Jahren erlangte er den Doctorgrad auf Grund einer Abhandlung „De famae laesione“. Dann ging er zur Universität nach Leyden ab und auf Reisen, besonders in Holland.

In diesen Jahren war O. auch bekannt und bald innig befreundet geworden mit Johannes Müller, der in unstätem Suchen in der Schweiz und in Deutschland seinen bleibenden Aufenthalt und eine bestimmte Lebensaufgabe zu finden hoffte. Nach dem ersten persönlichen Besuch bei „dem liebenswürdigen und geistreichen jungen Herrn“ unterhielt Müller von allen Stationen seines Lebensganges aus einen lebhaften Briefwechsel mit O., er vertraute demselben seine Erfahrungen und seine Hoffnungen und nahm seinerseits an den Freuden und Sorgen des gleichaltrigen Freundes innigen Antheil. Noch einmal reiste O. nach Hamburg, [133] dann kam er nach Basel zurück zu bleibendem Aufenthalt. Er verheirathete sich 1779 mit der feingebildeten Salomea Vischer. Im nächsten Jahre starb sein Vater und nun stand der junge Mann an der Spitze eines glänzenden glücklichen Hauswesens. Zum völligen Glück aber fehlte ihm noch eines, ein ordentlicher Lebensberuf mit geregelter Arbeit. Er empfand solchen Mangel bitter und klagte den Freunden, sich als ein inutile pondus terrae betrachten zu müssen. Da wies ihn Müller, der schon seit längerer Zeit seinem Freunde seine begeisterten Ausblicke auf die Darstellung der Schweizergeschichte, als seiner immer klarer sich gestaltenden Lebensaufgabe, mitgetheilt hatte, auf die Herrlichkeit der Geschichtschreibung hin, und da O. zu dieser Zeit zwei größere Privatsammlungen gedruckter und handschriftlicher Werke zur Geschichte Basels erwerben konnte, erkannte er in der Darstellung der Geschichte seiner Vaterstadt immer mehr seinen nächsten Beruf. Zu diesem wurde er bald noch bestimmter hingezogen: Isaak Iselin, der Rathschreiber, starb und O. wurde sein Nachfolger, damit auch Vorsteher des Staatsarchivs. Vier Jahre später, 1786, erschien der erste Band der „Geschichte der Stadt und Landschaft Basel“. Es war ein großartig angelegter Versuch einer pragmatischen Geschichte, bisher unbekannte und grundlegende Urkunden kamen zur öffentlichen Kenntniß und eröffneten das Verständniß für das Aufkommen der Stadt im frühen Mittelalter. Etwas seltsam contrastirt mit der objectiven Geschichtsdarstellung die lange Vorrede, in welcher der Verfasser sein politisches Glaubensbekenntniß, seine freisinnigen Ansichten über Kirche und Staat, über Verfassung und Regiment, über Autorität und Freiheit, über Souveränität und allgemeines Wohl darlegt.

Sieben Jahre arbeitete so O. in der Rathsstube, zumeist mit seiner Geschichte beschäftigt. Er hatte reichliche Zeit hierzu, denn seine Mitwirkung beim Regimente ward nicht sonderlich gesucht. Der geniale und nicht gerade anspruchslose Mann, der seinem Urtheile keinen Zwang anthat, wie er auch in Tracht und gesellschaftlichen Lebensformen sich nicht an die hergebrachten Formen band, der die so wichtig gemachten Kleinigkeiten nicht hoch anschlug, der wol ein feines Schriftdeutsch und gewandtes Französisch sprach, aber den alten ehrwürdigen Basler Dialect nicht zu sprechen verstand: O. erschien den im Regiment ergrauten Häuptern seiner Vaterstadt immer als ein halber Fremdling. Doch anerkannten sie seine geschäftliche Tüchtigkeit und diplomatische Gewandtheit und öfters wurde er bestimmt, die Gesandtschaft zur Tagsatzung zu begleiten und zu berathen. Das ging so, bis eine welthistorische Thatsache die Fundamente, auch Basels, aufs tiefste erschütterte. Der Ausbruch der französischen Revolution erfüllte wol manche der Gebildeten mit reiner Freude, die meisten aber, und vorab die Regierenden, mit heftigem Abscheu, und das um so mehr, je mehr die Revolution die Wendung nahm zu roher Unthat und thierischem Blutvergießen. Auch O. jubelte beim Anbruch der Morgenröthe dem kommenden Tage der Freiheit und Aufklärung zu, in regem Briefwechsel theilte er mit seinen Pariser Freunden, von denen mancher in den vordersten Reihen stand, die Befürchtungen und Hoffnungen des Tages. Und auch später noch, als der der Freiheit erschlossene Pfad durch das Blut der Parteien und durch unsäglichen Jammer des ganzen Landes hindurchführte, O. hielt fest an der Hoffnung eines glücklichen Endes. Mehrere seiner Freunde fielen als Girondins unter der Guillotine, Dumouriez irrte als Geächteter durch England, Hérault de Seychelles, der O. in Basel besucht, fiel vier Monate nachher mit Danton; sein Schwager Dietrich, der als Maire von Straßburg der Revolution die Thore geöffnet, ward um seiner Mäßigung willen vom herzlosen St. Just vor das Tribunal und in den Tod geschickt. In den großartigen Unternehmungen seines Schwagers hatte O. auch den größeren Theil seines Vermögens angelegt. Er beklagte, er beweinte die [134] Opfer, das Ideal der Freiheit aber war ein Heiligthum schon seiner Jugend gewesen und gab seinem Leben den besten Werth.

In seiner Vaterstadt stieg nun sein Einfluß von Tag zu Tag. Basel, auf einem kleinen Fleck Erde seit Jahrhunderten als Markstein gestellt dreier Länder, hatte mit kleiner Kraft und großem Muth sich zu großer Bedeutung hinaufgearbeitet. Durch das spätere Mittelalter hindurch führte es zwei Jahrhunderte lang mit der einen Hand das Schwert, baute es mit der anderen geschickt die Wege des Handels und die Stätten des Gewerbfleißes. Auch als Bundesglied der Schweizer wußte es als vorgeschobener Posten und in täglicher Berührung mit fremdem Leben und Streben sich ein Eigenleben zu erhalten, das selbständig sich entwickelte. Bis auf eine halbe Stunde vor seinen Thoren näherten sich die Grenzen Frankreichs und Deutschlands und die Festung Hüningen beherrschte mit ihren Kanonen die nahe Stadt. Gleich beim Ausbruche der Revolution füllten sich die Herbergen und die Gassen Basels mit den fliehenden Emigranten, viele zogen weiter, andere blieben. Dann folgten elsässische Familien zu Hunderten, denen das aufgestandene Landvolk bisher genossenen Wohlstand grimmig in Armuth verkehrte. Diese Volksaufstände in der Nachbarschaft und mehr noch die Beschlüsse der Nationalversammlung legten die Axt an einen Theil des Wohlstandes der Stadt, denn diese hatte nicht nur eine alte Ansprache für gegebene Darlehen an die Krone Frankreichs im Betrage von mehr als sieben Millionen, sondern ihren Verwaltungen gehörten auch in weiten Kreisen des Elsasses Bodenzinse und Zehnten, ihren Bürgern eine Menge von hypothekarischen und gewerblichen Geldanlagen. Auch der Handel erlitt mannigfache Störungen oder wurde durch verderbliche Zollmaßregeln Frankreichs völlig unmöglich gemacht. Da sandte der Rath seinen Stadtschreiber nach Paris und bald hatte dieser erreicht, was überhaupt zu erreichen war: Bezeugungen des Wohlwollens und bestimmte Verheißungen. Aber bei der raschen Folge der Umstürze in Paris war alles das bald wieder vergessen. Als im nächsten Jahre O. sich an den damals gewaltigen Dumouriez wandte, erhielt er neue Zusicherungen, aber wieder trat der ausgebrochene Krieg dazwischen. Nach dem Kriege ward der Friede von Basel geschlossen zwischen Frankreich und Preußen. O. wurde als Zeuge zugezogen zu den ersten mündlichen Verhandlungen zwischen den beiderseitigen Bevollmächtigten; den neu eintreffenden Gesandten Barthelemy hatte er im Namen der Regierung zu begrüßen und er that es in glänzender Weise. Auch nahm Barthelemy Wohnung in seinem Hause und die Verhandlungen wurden meistentheils hier geführt. Darum erhielt nach dem Abschlusse des Friedens O. vom König von Preußen ein Dankschreiben und fünf kostbare Vasen mit dem Bildnisse des Königs. Auch der spanische Gesandte schloß hier den Separatfrieden mit Frankreich ab; Nachts 12 Uhr stieg Don Domingo d’Yriarte, in weiten Mantel gehüllt, mit einer Blendlaterne und gezogenem Degen über die Gartenmauer in den Garten und in das Haus, wo Barthelemy und seine Secretäre mit O. ihn feierlich empfingen und seine unter Ceremonien gegebene Unterschrift entgegennahmen. Im folgenden Jahre erhielt O. einen vertraulichen Wink, in nicht auffälliger Weise auch den Frieden zwischen Oesterreich und Frankreich einzuleiten; er that es beflissen und zu seiner Freude ward die Auswechslung der französischen Königstochter zu Basel vollzogen.

Im J. 1796 war die Verwaltung Frankreichs in geordnete Bahnen gebracht, ein Directorium stand an der Spitze und in demselben führte Reubell, der alte Bekannte von O., ein gewichtiges Wort. Während früher die politische Propaganda der Republik mehr einen gewaltthätigen Charakter trug, so nahm sie von nun an, mehr und mehr, einen heimtückischen an. Mehrere Agenten wirkten in der Schweiz und namentlich auch in Basel, um den Samen der [135] Zwietracht auszustreuen. Sie wirkten hinter dem Rücken der Gesandtschaft und ohne Wissen derselben, ihre Ausweise stammten direct von höchster Stelle. Grund zur Verstimmung war allerdings vorhanden, die schweizerischen Regierungen waren der jungen Schwesterrepublik nicht geneigt und hatten es noch nicht über sich gebracht, dieselbe anzuerkennen. Auf die Berichte der Agenten gestützt, erließ das Directorium nun an Basel zu Händen der Eidgenossenschaft eine Drohnote und O. ward mit der Beantwortung derselben beauftragt. Er that es in solcher Festigkeit, daß die sämmtlichen Regierungen der Kantone dafür ihren Dank aussprachen. Als aber die Reibungen und die Drohungen der officiösen Blätter nicht aufhörten, schickte Basel seinen Vertrauensmann, der gerade zur zweiten Stelle im Staate, zum Amte des Oberstzunftmeisters, erhoben worden war, nach Paris um persönlich für eine bessere Stimmung zu wirken. Am 4. Juni 1796 kam O. in Paris an; er wurde von den Mitgliedern des Directoriums aufs angenehmste empfangen; am 19. war er schon wieder zurück mit einem Schreiben, das unter anderen Freundlichkeiten auch die Worte enthielt: „das Directorium theilt aufrichtig Euren Wunsch zur Pflege einer guten Nachbarschaft, der Freundschaft und der Herzlichkeit, die Euch schon so lange an Frankreich knüpft. Es hat mit großem Vergnügen Eure Zuschrift gelesen und mit nicht minderem durch Herrn Peter Ochs, Euren Kanzler, die Erklärungen vernommen. Die Wahl eines solchen Bürgers, empfohlen durch seine Stellung wie seine Grundsätze, ist für uns eine genügende Bürgschaft Eurer Aufrichtigkeit.“ Ein dem Gesandten geschenktes Theeservice von Porzellan sollte das „Verlangen, das beste Vernehmen zwischen beiden Staaten zu unterhalten“, bezeugen. Die folgende kurze Zeit der Ruhe wurde dazu benutzt, eine Reorganisation des Schulwesens in die Hand zu nehmen. O. wurde Präsident der Commission und von hier ab bis zu seinem Lebensende finden wir ihn, bei jedem gegebenen Anlaß, mit klarem Blick und fester Hand seine Kraft einsetzen zur Hebung des Unterrichts von der Primarschule bis zur Universität. Diese Ruhe ward aber bald unterbrochen. Nach Moreau’s Rückzug erfolgte die mörderische Belagerung von Hüningen; aus ihren Fenstern sahen die Bürger die hohen Bogen der Bahn der Bomben und ein furchtbarer Donner erschütterte die Häuser und die Gemüther. Und kaum hatte der Kampf vor den Thoren sich gelegt, als die Botschaft der Siege Bonaparte’s in Italien, die Wegnahme des Veltlin und die Sicherstellung einer französischen Heerstraße durch das Wallis über den Simplon alle Schweizer beunruhigten. Bald kamen wieder Agenten in geheimer Mission, Kundgebungen zu bewirken für Frankreich, für Oesterreich; auch Johannes v. Müller kam im Auftrage des Wiener Hofes, bekannte aber seinem Freunde O., daß der Eidgenossenschaft alles Fundament vergangen sei. Hier sah man, daß Regierungsmitglieder ohne Wissen ihrer Collegen sich an das österreichische Ministerium wandten und zwar im Namen ihrer Stände, dort wurden die Flugschriften des schweizerischen Revolutionscomité’s in Paris, meistens verfaßt von Laharpe, empfangen und verbreitet. Als der intriganteste solcher Agenten, Mengaud, mit einem einfachen Passe des Directoriums versehen, seine geheimen Maulwurfsgänge trieb und wieder in höhnischer Herausforderung zum Widerspruch reizte, wandte sich O. von ihm und zog sich damit die Feindschaft des unermüdlichen Wühlers zu. Er strebte mit ganzer Seele nach den reinen und hohen Errungenschaften der Revolution, die er eben seinem Vaterlande auf möglichst friedlichem Wege zuwenden wollte. Darum ging er vor allem darauf aus, durch Belehrung und Ueberzeugung den neuen Ideen Bahn zu brechen und, wo er auf beharrlichen Widerwillen stieß, durch Erregung der Furcht ein freiwilliges Nachgeben zu erzwingen.

Basel hatte, zur Zeit seines höchsten Kraftgefühls, für seinen Handel in Verbindung mit den rheinischen Städten, oft mit bewehrter Hand, sich die Straße [136] nach Norden gesichert; bei gegebenem Anlaß hatte es auch nach Süden die beiden Pässe der Hauensteine sich erworben dadurch, daß es mit peinlicher Sorgfalt die Landesherren, die bis an die Thore der Stadt geboten, auskaufte. Es hatte dieses für ausreichend gehalten und die weitern Gelegenheiten, auch die Straße des Frickthals und durch das Münsterthal sicher zu stellen, nicht benutzt. So besaß auch Basel, wie seine schweizerischen Schwesterstädte, ein Land, das es in hergebrachter Unterthänigkeit erhielt. Die Landbevölkerung war mit derjenigen der Stadt durch täglichen Verkehr in Verbindung, die Städter hatten ihre Sommerwohnungen im Lande zerstreut. Alle geistlichen und weltlichen Stellen im Lande von irgend welcher Bedeutung standen aber in der Hand von Städtern wie aller Handel über die Grenze; eifersüchtig wurde das Gewerbe überwacht, daß es nicht das städtische beeinträchtigte. Nur mit Zögerung war nach Ausbruch der Revolution die Leibeigenschaft aufgehoben worden. Seit Jahren waren nun schon die Funken des französischen Revolutionsbrandes über die Grenze geflogen und hatten hier Boden gefaßt und nach und nach die Gemüther entzündet und erhitzt. Aus der Stadt hatten erst einzelne, dann eine Gesellschaft bedeutender Männer es sich zur Pflicht gemacht, in ihren Unterthanen Mitbürger zu sehen und ihnen zur Erlangung der Menschenrechte die Hand zu bieten. In O. sah diese Gesellschaft ihr geistiges Haupt, das Landvolk seinen beredtesten Fürsprecher. Und ganz gleich wie hier stand es in den Unterthanenländern der anderen Schweizerstädte. Das Waadtland, grenzend an Frankreich und von gleicher Sprache, ward von seinen Mitbürgern, die vor dem regierenden Bern nach Paris geflüchtet waren und sich dort gesammelt hatten, besonders durch Laharpe’s grimme Feder in tiefe Bewegung versetzt. Es war darum einem ins Pulver fallenden Funken zu vergleichen die Reise, die der sieggekrönte Bonaparte aus dem überwundenen Italien durch die Schweiz nach dem Congreßorte Rastadt machte. Wie ein Heroldsruf lief ihm das Wort, das er den Bündnern entgegengehalten hatte, voran: „ein Volk kann nicht Unterthan eines anderen Volkes sein, ohne die Grundsätze des öffentlichen Rechts wie des natürlichen zu verletzen.“ Ein überschwenglicher Jubel begleitete ihn durch das Waadtland; stille Freude, gutgemeinte Ansprachen, Siegespforten mit Inschriften empfingen ihn in der Landschaft Basel, aber von der Stadt selber ward er am 23. November 1797 mit kriegerischem Gepräng und Kanonendonner, unter festlicher Theilnahme fast aller Bürger empfangen. In scheinbarer Offenheit, aber mit scharf berechneter Absicht unterhielt sich Bonaparte mit den Standeshäuptern am feierlichen Gastmahl; er zeigte als Lockspeise die leichte Erwerbung des nahen Frickthals, das aus den Händen Oesterreichs in die Verfügung der Franzosen gefallen war. Gleichzeitig hatte auch der Agent Mengaud eine Andeutung gegeben dahin, daß ein geeigneter Gesandter in Paris wol die Erwerbung des Frickthals bewirken könnte. Wer der geeignete Gesandte war, wußten alle, die Franzosen wie die Basler, und so reiste O. am 28. November nach Paris, um gegen alle die alten und hohen Anforderungen Basels an Frankreich das Frickthal zu erlangen. Bald aber mußte er die Erfahrung machen, daß das Frickthal nur der Vorwand war und ganz andere Dinge zur Besprechung kommen sollten. Er wußte, daß die Schweiz erfüllt war vom Gerüchte, es beabsichtige Frankreich die Einverleibung der Stadt Basel, wie es bereits das Bisthum weggenommen hatte, ferner daß unbefangene Beobachter die Schweiz für eine revolutionäre Erhebung reif hielten. Da kam er bei einem Gastmahle im Hause Reubell’s auch mit Bonaparte zusammen und zum Schlusse wurde er von den beiden zur intimen Besprechung bei Seite genommen. Hier war es, wo Bonaparte mit aller Bestimmtheit die revolutionäre Sprengung der bisherigen aristokratischen Regierungsform der Schweiz zur Sprache brachte und, als O. bedenklich und befangen seine Einwendungen machte, erklärte, [137] daß solches nun einmal geschehen müsse und zwar bald. Da versprach O., dem vor Volkserhebungen, wie die in Frankreich verlaufenen, graute, er wolle durch die Seinigen versuchen lassen, ob nicht zunächst in Basel durch die Regierung die Gleichheit der Rechte ausgesprochen und durchgeführt werden könnte. Sein Schwager Rathsherr Peter Vischer übernahm die Aufgabe, am 18. December einen Antrag zu stellen auf politische Gleichstellung des Landbürgers mit dem Stadtbürger, aber ein förmlicher Sturm empfing ihn und trostlos eilte er aus der Sitzung des Großen Raths nach seiner Wohnung. Während jedoch die Herren den Anlauf als zurückgeworfen erachteten, kam das Landvolk in Bewegung. Es fand Berather in der Stadt und Führer auf dem Lande. In einer von Dorf zu Dorf getroffenen Abrede setzte es fest, daß es bei der Schweiz bleiben wolle, aber gleiche politische Rechte mit den Städtern verlange. Eidlich gelobten sich die Führer gegenseitig das Festhalten an dieser Forderung. Alles gährte und schon wurde gesprochen vom Einmarsch der Berner und Solothurner, um zunächst die hohen Burgen des Landes zu besetzen. Da wurden diese Festen vom Volke sorgfältig geräumt, das Eigenthum der Beamten wie des Staates in Sicherheit gebracht und in den Nächten vom 17., 21. und 23. Januar 1798 flammten nacheinander die Schlösser von Waldenburg, Farnsburg und Homburg auf. Indessen hatte die Regierung beharrlich geglaubt, durch friedliche Deputationen die Ruhe herzustellen; sie hatte auch ihre Gesandten nach Aarau geschickt, um mit denen der anderen Kantone den Fortbestand des alten Bundes zu beschwören, aber die Bewegung wuchs ihr zu rasch und zu hoch und sie mußte jene Gesandten zurückrufen. Als die Herren bei der Heimkehr durch das Land nach der Stadt fuhren, wurden sie vom jubelnden Landvolk mit Kränzen empfangen und am Freiheitsbaume begrüßt, denn an diesem Tage hatte die Bürgerschaft Basels „die ehevorigen Verhältnisse zwischen Stadt und Land durchaus und also zernichtet, daß in ewigen Zeiten dieselben nie mehr zum Vorscheine kommen sollen“. Am 22. Januar wurde die Urkunde der Gleichheit den Landesausschüssen übergeben; die Gemeinde Liestal schenkte der Stadt einen gewaltigen Freiheitsbaum, der dann auf dem Münsterplatze ausgerichtet und mit Gesängen und Tanz gefeiert wurde. Mit peinlicher Wahrung jedweder Gleichheit zwischen Stadt- und Landbürgern wurde hierauf die gemeinsame Arbeit zur Neugestaltung des Staatswesens angeordnet und solche in die Hand genommen.

Diese Revolution mit ihren Festen, ihren naiven Freudenbezeugungen, ihren Tänzen im schönsten Bürgerhause der Stadt wie auf dem gefrorenen Rasen beim Schloß Wildenstein auf dem Lande, war eine Idylle. Sie kostete keine Thräne als Freudenthränen. Das war eine Revolution nach dem Sinne des O., die Botschaft über ihr Gelingen war die froheste, die er in seinem Leben erhielt. Sein Name war aber auch in aller Munde und Jedermann freute sich auf seine baldige Rückkehr. An solche war aber für ihn noch nicht zu denken. Der General Bonaparte hatte ihm, wenn die Schweiz vor gewaltsamer Durchführung politischer Rechtsgleichheit bewahrt werden soll, den Auftrag gegeben, für dieselbe, und zwar als einen Einheitsstaat, eine Verfassung zu entwerfen. Mit Widerstreben ging O. an solche Arbeit, denn die Zumuthung der Annahme einer solchen mußte nach seiner Ueberzeugung in der Schweiz einen ganz anderen Verlauf der Dinge erwarten lassen als derjenige in seinem Heimathkantone war. Nach und nach vernahm er freilich auch das politische Motiv des Directoriums, das deshalb nicht mehr den Staatenbund der Kantone gestatten wollte, um seinen Einfluß desto rascher und intensiver zur Geltung zu bringen. Aber kein Wort ward ihm gesagt von einem anderen, am meisten treibenden Motiv, das der Nothlage Frankreichs entsprang. Die wirthschaftliche Lage dieses so schönen, an Hilfsquellen so reichen Landes war bereits eine verzweifelte [138] geworden. Die furchtbare Aufregung der langen Jahre voll inneren und äußeren Krieges, die Furcht und Unsicherheit des Erwerbes hatten keine Arbeit recht aufkommen lassen. Die Besitzverhältnisse waren durch eine beispiellose Wirthschaft mit Papiergeld zerrüttet, der Mangel unter dem Volk und in der Staatskasse war erdrückend. Dabei konnte das Directorium sich nicht auf das Volk, sondern nur auf das Heer stützen und zum Unterhalt des Heeres fehlten die Mittel. Schon hatte man gelernt, wie der Krieg das Heer ernähre, und Holland, Belgien, wie die linksrheinischen deutschen Staaten und Länder waren aufs gründlichste ausgesogen worden. Dieses System hatte der junge General Bonaparte zur Befriedigung des Directoriums nun noch weiter dahin ausgebildet, daß er diesem aus dem eroberten Italien Millionen als Beute einlieferte. Bonaparte, so sehr er sonst die Regierung verachtete, stimmte doch aus persönlichen Gründen mit ihr darin überein, daß er ein tüchtiges Heer für nothwendig hielt. Zum Unterhalt eines solchen sah er die Mittel im Reichthum der Schweizerstädte, die im Jahrhunderte langen Frieden Schätze angehäuft hatten und die Gläubiger von Königen und Fürsten waren. Besonders war es das stolze Bern, das seine Gewölbe gefüllt hatte mit geprägtem und ungeprägtem Gold und Silber und mit Werthtiteln. Nach diesen Schätzen schielte Napoleon Bonaparte, sie sollten zunächst die Mittel abgeben für seinen heroischen Zug nach dem Orient. O. traf in Paris zusammen mit Laharpe, der für die Revolutionirung der Schweiz schwärmte und die französischen Machthaber bearbeitete. Rachsüchtig und leidenschaftlich wirkte der Waadtländer besonders gegen das seine Heimat beherrschende Bern, während O. die Mittel der Gewalt vermeiden und diejenigen der Ueberredung und selbst der Schlauheit aufbieten wollte. Nach dem glänzenden Erfolg in seiner Vaterstadt Basel hielt er immer noch eine friedliche Lösung der von Frankreich über die Schweiz geworfenen Schlingen für möglich. In persönlichem Verkehr mit den Mitgliedern des Directoriums entwarf er die Verfassung für die einheitliche Republik Helvetien. Dieser Entwurf wurde von Bonaparte corrigirt, dann der Oeffentlichkeit übergeben und in Paris wie in der Schweiz verbreitet.

Am 4. März kam O. nach Basel zurück; er brachte mit sich eine schmeichelhafte Anerkennung seines Wirkens von Talleyrand im Namen des Directoriums und von diesem einen ebenso schmeichelhaften Glückwunsch an die Baseler Nationalversammlung. Beim Eintritt in die letztere wurde er mit wahrer Begeisterung empfangen und sofort zum Präsidenten bestellt. Schreiber dieses hat vor sich das Tagebuch eines landschaftlichen Mitgliedes der Versammlung, in welchem der Eindruck des Auftretens des Heimgekehrten niedergelegt ist. Mit fast religiöser Bewunderung wird da gesprochen von der edeln Erscheinung, von der wunderbar ergreifenden Sprache, von der reichen Einsicht und der herrlichen Gesinnung des Gefeierten. Es wird ihm von der Versammlung „derjenige Dank vorbereitet, den ihm einst das ganze helvetische Vaterland bringen wird, wenn durch die Zerstörung aller Aristokratien in der Schweiz, für welche sich nun ein biederes aber irregeführtes Volk als Schlachtopfer hingiebt, die gesammte, in einem einzigen Staatskörper vereinigte Eidgenossenschaft zu dem Genusse einer auf höheren Grundsätzen gegründeten Freiheit erhoben sein wird“. Indessen hatte Frankreich den Krieg eröffnet, ein Schwarm ausgesendeter Agenten hatte das Landvolk mit Mißtrauen gegen die Regierungen erfüllt, trügerische Verhandlungen und die Gewalt der Waffen hatten Freiburg, Solothurn und Bern unter Blutvergießen überwältigt und ein schamloses Plünderungssystem war durchgeführt worden. Als dann durch die Annahme der Ochs’schen Verfassung die Mehrzahl der Kantone sich zusammenfand, um den Einheitsstaat zu constituiren, war O. der Erste, der von Basel aus als Mitglied des helvetischen [139] Senats bezeichnet wurde. Am 12. April 1798 erklärte er als Präsident dieser Behörde in Aarau der vor dem Hause versammelten, jubelnden Volksmenge den soeben gefaßten Beschluß über die Unabhängigkeit der schweizerischen Nation und ihre Umbildung zu der Einen und untheilbaren, demokratischen und repräsentativen Republik. O., der von Kindheit an die Anerkennung seiner persönlichen Vorzüge und seines Wirkens genossen hatte und dadurch solcher Anerkennung geradezu bedürftig geworden war, durfte erwarten, daß er ins helvetische Directorium berufen würde, um die angebahnten freiheitlichen Bestrebungen ins Leben einführen zu helfen. Er hatte mehr als ein Anderer für die neue Entwicklung gethan; er fühlte sich gehoben durch ein auf politische Gesinnung wie auch persönliche Freundschaft gegründetes Zutrauen der französischen Regierung: er wußte sich als den eigentlichen Vertrauensmann jener Regierung, von welcher das Schicksal der Schweiz abhing. Aber er wurde nicht gewählt; der treffliche Legrand von Basel wurde in die oberste Vollziehungsbehörde berufen. O. hatte sich darin getäuscht, daß er beim Anbrechen der neuen Zeit nur zwei Parteien erkannte: die der Freunde derselben und die der Anhänger des Alten. Es trat aber sofort eine dritte auf den Plan und diese umfaßte gerade die besten der Eidgenossen. Diese Mittelpartei wollte die innere Freiheit nicht erkaufen um den Preis der äußeren Selbständigkeit; ihr schweizerisches Unabhängigkeits- und Ehrgefühl sträubte sich gegen die oft plumpen und gewaltthätigen, oft verschlagenen Eingriffe Frankreichs. Schon sahen sie durch schamlose Plünderungen der fränkischen Freiheitsboten die Freiheit und das Recht und die Sitte unterdrückt und verletzt und sie strebten darnach, durch eigene Kraft und Vaterlandsliebe die auch ihnen theuren Güter der Freiheit sicher zu stellen. O. erschien ihnen mehr als ein Agent Frankreichs; je mehr er in der Gunst des Directoriums sich sonnte und in fröhlicher Gesellschaft, die er wie kein Anderer beim Gastmahl und Gesang zu gestalten und zu beleben wußte, sich der freundschaftlichen Beziehungen zu den fränkischen Machthabern rühmte, desto mehr that sich die Kluft zwischen ihnen und ihm auf. Bald erkannte er in ihnen nur zweideutige Freunde der Freiheit und seine persönlichen Feinde. Die Gesetzgebung begann ihre Arbeit und betrieb solche ohne Rast; fieberhaft wurden neben einander hohe grundsätzliche und wieder kleinliche Fragen der Etiquette, immer mit Ernst und Pathos, behandelt; das Directorium suchte zur Anbahnung einer durchgreifenden Verwaltung bald schüchtern die Hülfslinien zu ziehen, bald theilte es hohen Tones, aber ohne Kraft, seine Befehle aus. Ein Theil der Schweiz fügte sich nur mit Widerwillen in den neuen Gang der Dinge, im Kantone Schwyz mußte ein mit altschweizerischer Tapferkeit geleisteter Widerstand durch das französische Heer blutig unterdrückt werden. Daneben war dieses Heer auf Kosten des Landes zu unterhalten und die Commissäre und Agenten und Lieferanten vermehrten diese Last des Unterhaltes durch gewaltthätige Erpressungen und Räubereien. Die öffentliche Stimmung ging über in Erbitterung, in Verzweiflung; Klagen und Anklagen erhoben sich gegen die Armee, von dieser gegen die helvetischen Behörden, als ob sie nicht guten Willen hätten für ordentlichen Unterhalt zu sorgen. Da griff der Obercommissär Rapinat, der Schwager des Direktors Reubell nach seiner Weise ein, er erklärte alle Beschlüsse der helvetischen Behörden, welche den Weisungen der Heerführung widersprächen, für ungültig, er verlangte zur Erzielung eines besseren Einverständnisses zwischen Frankreich und Helvetien eine Säuberung des Beamtenstandes und die Entfernung zweier der Oligarchie ergebener Directoren. An die Stellen der letzteren ernannte er die Vertrauensmänner O. und Dolder. Ein Schrei der Entrüstung ging durch die Rathssäle und die französische Regierung hob die Maßregel, als auf einem Mißverständniß beruhend, wieder auf. Die beiden Verdächtigten aber [140] traten freiwillig zurück und an ihre Stellen wählten nun die Räthe selber O. und Laharpe, die beiden Vorarbeiter der Revolution. O. nahm dankbar diese Ehre an, aber er wußte und sprach es aus, daß er sie nicht den helvetischen Räthen, sondern Frankreich zu verdanken hatte (28. Juni); Laharpe behielt sich ausdrücklich die Zustimmung der französischen Regierung vor. Was O. sich gewünscht, das hatte er nun erreicht; an höchster Stelle sollten ihm aber keine Rosen blühen. Der Zustand der Schweiz war bereits ein jammervoller, der fernere Unterhalt des französischen Heeres ward Sache der Unmöglichkeit. Und doch konnte es nicht entbehrt werden, denn je mehr die Gesetzgebung glücklich oder unglücklich in altgewohnte Verhältnisse eingriff, desto mehr wuchs die Abneigung des Volkes. Nidwalden erhob sich, die wenigen Gemeinden des Landes widerstanden dem sieggewohnten Heere, und unter unsäglichen Wuth- und Schandthaten löschte dieses den Grimm über den gefundenen verzweifelten Widerstand. Die der Regierung feindseligen Elemente fingen an sich zu sammeln und die früheren Machthaber organisirten offen und geheim den Widerstand; selbst eine im Solde Englands stehende bewaffnete Legion ward an der Grenze errichtet, um im rechten Augenblick allen freiheitlichen Aufschwung zu erdrücken und den alten Zustand wieder herzustellen.

In dieser schweren Zeit, da die Früchte des Feldes aufgezehrt waren und Frankreich alle Hilfsrufe der helvetischen Behörden ablehnte, verbot dasselbe Frankreich sogar die Ausfuhr und den Handel von Brotfrüchten nach der Schweiz und belegte es die Ein- und Durchfuhr gewerblicher Erzeugnisse mit schweren Zöllen. Mit Eifer betrieb darum O. die Ausstellung eines Handelsvertrags zwischen den zwei Republiken, aber Frankreich zeigte nun seine wahren Absichten auf die Unabhängigkeit der Schweiz; es verlangte den gleichzeitigen Abschluß eines Schutz- und Trutzbündnisses mit völliger Aufgebung der von Alters her wie ein Kleinod bewahrten Neutralität der Schweiz. Laharpe stimmte bei und O. betrieb den verhängnißvollen Tractat und brachte solchen zur Annahme (19. Aug.). Dieser Schritt sollte bald seine bitteren Früchte bringen. Als im September die Nachricht der Zerstörung der französischen Flotte bei Abukir durch Nelson sich verbreitete, war es Jedermann klar, daß ein neuer allgemeiner Krieg im Anzuge war. Es bewegte sich auch sofort Oesterreich heran und besetzte die Thäler und Pässe von Graubünden. Die Truppen sammelten sich allerorten, Erzherzog Karl zog ein Heer zusammen zwischen der Donau und dem Lech, der Kaiser von Rußland schickte ein anderes den Oesterreichern zu Hülfe nach Oberitalien; dagegen stellte Frankreich die Donauarmee auf unter Jourdan, die Centrumsarmee in der Schweiz unter Massena, die italienische unter Scherer.

Bis auf die entlegensten Bergspitzen und in die Schluchten der Schweiz widerhallte der Waffenlärm, Verwüstung und Noth kamen über die einsamsten Gehöfte, Lieferungen wurden von allen Seiten herbeigetrieben und Lazarethe in Dörfern und Städten errichtet. Wo immer die Oesterreicher vordrangen, da wurden die Neuerungen abgethan und die alte Staatsordnung soviel als möglich hergestellt. Das Directorium fühlte sich auf einem Vulkan und immer ängstlicher klammerte sich O. an die französischen Machthaber an. Laharpe drang auf die gewaltthätigsten Maßregeln, auf eine summarische Herbeischaffung der Geldmittel durch Brandschatzung der einst regierenden Familien, auf die Deportation der gefährlichen, vornehmen wie gemeinen Persönlichkeiten. Die letztere Maßregel wurde schonungslos durchgeführt, in schweizerischen und französischen Festungen häuften sich die schweizerischen Geiseln an, alte und schwache Personen wurden wol auch einfach internirt und unter Aufsicht gestellt. O. stand in regem brieflichem Verkehr mit der Pariser Regierung, er sprach es aus, daß nicht nur die Oligarchen, sondern auch die Häupter der gemäßigten republikanischen [141] Partei als österreichisch Gesinnte für einige Zeit in französische Festen gebracht werden müßten, wenn den Patrioten freie Hand zur Durchführung der Verfassung geschaffen werden sollte. Er war immer mehr in seiner Ueberzeugung gefestigt worden, daß nur im engsten Verbande mit Frankreich die freiheitliche Gestaltung der Schweiz möglich wäre und so stand er im vertraulichsten Verhältnisse auch mit dem ehrenwerthen französischen Gesandten Perrochel. Diesem vertraute er einen von einem Schweizer in Paris an den helvetischen Minister des Auswärtigen mitgetheilten Wink über baldige Veränderungen in der französischen Regierung. Als der Präsident, Laharpe, hiervon Kenntniß erhielt, rief er die Mitglieder des Directoriums zusammen und legte, als O. kein Hehl aus jener Mittheilung machte, den Vorgang in ein versiegeltes geheimes Protokoll nieder. Laharpe drang immer auf kühnere Maßregeln, die Preßfreiheit wurde aufgehoben, verdächtige Briefe wurden erbrochen, ganz Helvetien sollte ein Feldlager werden und mit dem Tode wurde bedroht, wer sich weigerte für den Einheitsstaat die Waffen zu führen. Aber die feindliche Bewegung wuchs und die helvetische Residenz mußte von Luzern nach Bern verlegt werden. Nach der ersten Schlacht bei Zürich und nach dem Siege der Oesterreicher trat ein fast vierteljähriger Waffenstillstand ein. Im Innern aber gährte es fort und fort, die fremden Heere blieben im Lande stehen, Aufstände und Verschwörungen, selbst in nächster Nähe der Residenz hielten die Regierung beständig in Athem. Nur durch französische Soldaten konnte sie geschützt werden und diese Soldaten wurden als die Verderber des Volkes empfunden. Die Lage war völlig unhaltbar geworden. Da kam die Kunde von dem am 18. Juni 1799 zu Paris eingetretenen Sturz des Directoriums. Reubell und La Reveillère, die Männer der That, wenn auch frivoler That, waren entfernt und durch Denker wie Sieyès ersetzt worden. Jene wurden beschuldigt der Unterdrückung des helvetischen Volks und der Unfähigkeit die Bonaparteschen Eroberungen in Italien festzuhalten. Lucian Bonaparte hatte der Anklage seine beredte Stimme geliehen, um seinem in Aegypten auf die Rückkehr sinnenden Bruder Napoleon den Weg zu bereiten. – Das Haupt der neuen Regierung, Sieyès, gab der helvetischen Republik in schmeichelnden Worten die Versicherung der Freundschaft und einer bessern Unterstützung als die bisherige war und zugleich den Wink, O. möchte zurücktreten. O. war wirklich auf die Kunde von dem Fall seiner beiden Freunde im französischen Directorium darauf bedacht, heim nach Basel zu gehen und sich aller Beschäftigung mit helvetischen Dingen zu entschlagen, als er um Mitternacht des 25. Juni aufgeweckt wurde und die Botschaft des Directoriums erhielt, er hätte eine halbe Stunde Zeit um das vorgelegte Entlassungsbegehren aus Gesundheitsrücksichten zu unterzeichnen und darauf sofort in einem bereitgestellten Wagen die Fahrt nach seinem beliebigen Reiseziel anzutreten, sonst würde er am folgenden Tage bei den gesetzgebenden Behörden als Verräther angeklagt werden. Fieberhaft ergriff er das Papier; er kam nicht gleich zum Entschluß. Mit dem Gedanken des Rücktritts war er schon vertraut, aber unter solcher Anklage wollte er nicht zurücktreten. Allein er erkannte die gewaltthätige Hand Laharpe’s und kannte dessen rücksichtslose Hartnäckigkeit; er wußte, daß das neue Directorium in Frankreich einen Theil der geführten Correspondenzen Laharpe mitgetheilt hatte und darunter auch seine Aeußerungen und Pläne gegen die Häupter der republikanischen Partei: er glaubte, von diesen einen Act der Rache erwarten zu müssen und unterschrieb. Vor Tagesanbruch ließ er sich mit seinem Sohne im bereitgestellten Wagen nach Rolle führen. Jubel und Klatschen erfüllte die Bänke der Gesetzgeber, als ihnen das Entlassungsgesuch des Directors und seine Abreise mitgetheilt wurde. Einige Besonnene aber ahnten hinter dieser lakonischen Anzeige eine der Gewaltthaten Laharpe’s und verlangten [142] Aufschluß. Es erfolgte kein solcher. Als nun Andere in Schmähungen über den Gestürzten sich ergossen, bemerkte Secretan, daß er es für unpassend erachte, wie solche, welche früher kein Wort des Tadels hatten und noch gestern sich am Tische des Directors gütlich gethan hätten, heute dem gefallenen Löwen noch Fußtritte versetzen. Secretan wurde zu seinem Nachfolger gewählt.

O. kam nach wenigen Tagen nach Basel zurück. Er mußte sofort sich mit seinen eigenen häuslichen Angelegenheiten beschäftigen und fand es schlimmer als er erwartet hatte, der größte Theil seines Vermögens war in den elsässischen Unternehmungen zu Grunde gegangen. Er zog sich zu seinen historischen Arbeiten zurück. Wie ein Meteor war am helvetischen Himmel der Name von O. aufgestiegen und nach kurzem Glanz nicht nur ins Dunkel verschwunden, sondern in der Erinnerung der leidenschaftsvollen Zeit mit dem Makel des Verrathes belastet worden. O. war kein Verräther, er liebte sein Vaterland so gut wie Einer, er wollte dessen Wiedergeburt zur Freiheit um jeden Preis. Er versah sich aber in diesem Preise: sein Ehrgeiz, der Mangel an festem Charakter und seine persönliche Stellung zu französischem Wesen und französischen Führern wurden ihm zur Schlinge, so daß er leichter als Andere von der heimtückischen Arglist der Franzosen gefangen und mißbraucht werden konnte. Das verbrauchte Opfer stießen sie dann nach ihrer Weise selber von sich. Die neuesten Versprechungen der französischen Regierung erwiesen sich auch wie alle früheren als Schein und Trug. Die großen Heere auf Schweizerboden warteten auf den Tag der Entscheidung, aber während das österreichische seine Hülfsmittel reichlich aus dem Kaiserstaate bezog, zehrte das französische im Lande den Rest der Nahrung auf. „Alles hat seine Grenzen. Ein Theil von Helvetien ist vom Feinde besetzt, ein anderer in eine Wüste verwandelt, das Uebrige durch Truppenmärsche und Plünderungen aller Art erdrückt.“ Mit dieser Eröffnung begann der Hülferuf, den ein Eilbote am 25. Juli 1799 nach Paris trug. Es kam die Hungersnoth ins Land, in Wallis wurden 15 verhungerte Soldaten gefunden. Dazu die neue Bewegung der Heere bis zur Schlacht bei Zürich, bis zum beispiellosen Alpenübergang Suwaroffs. Auf den entlegensten Pfaden mußte das Material der Artillerie getragen, in Felsklüften gefochten werden. Als der Sieger Massena die feindlichen Städte St. Gallen, Zürich und Basel mit ungeheuern Contributionen belegte, erklärte das helvetische Directorium Jeden als Hochverräther, der bezahle. Perrochel wurde von seiner Regierung zurückgerufen, weil er die Noth Helvetiens in allzu grellen Farben geschildert hatte. Dazu kam der Kampf der sich bestimmter ausscheidenden Parteien, besonders Laharpe’s gegen die gemäßigten Republikaner; der Vorwurf des Verrathes wurde offen erhoben von beiden Seiten. Als Verräther bezeichnet ward Laharpe abgesetzt und bald darauf floh er, von der Polizei verfolgt, auf den Boden Frankreichs. Das Alles, wie die weiteren, rasch sich folgenden Episoden bis zur Auflösung des Einheitsstaates sah O. von ferne, er selber arbeitete an seiner Geschichte Basels und lebte in größter Zurückgezogenheit. Diese seine Ruhe sollte aber nicht von Dauer sein. Der Umschlag der öffentlichen Meinung in der Schweiz vollzog sich am schnellsten und gründlichsten in den Städten und so war auch Basel, das er vor einem Jahre als ein schwärmerisch demokratisches, gleichsam im Triumph verlassen hatte, ihm, dem nunmehrigen Flüchtling, als ein halb umgewandeltes vorgekommen. Und diese Umwandlung vollzog sich um so rascher, als auch die an der Grenze der Schweiz liegende Stadt in die grauenhafte Noth der Innerschweiz verflochten wurde. Alles Unheil wurde mit Recht der herzlosen Unterdrückung durch Frankreich zugeschrieben, die Basel auferlegte Contribution des Generals Massena wurde besonders tief empfunden und O., der französisch gebildete Franzosenfreund, wurde für Alles das verantwortlich [143] gemacht. Ihm, der bisher in seiner Vaterstadt nur an Lob und selbst Schmeichelei gewöhnt war, wurden nun persönliche Beleidigungen angethan und Spottverse, offene und anonyme Schandschriften wie Carricaturen ergossen sich über ihn. Er litt dabei sehr, aber er schwieg und arbeitete fort. Als die Schweiz den Becher der Leiden bis auf den Grund geleert hatte und der Consul Bonaparte als Retter auftrat, verlangte das Landvolk, daß O. als sein Vertreter nach Paris zur Consulta gesendet würde, aber herbe ward solches vereitelt und zugleich auch das Land massenhaft mit neuen Carricaturen und Pamphleten gegen O. überschwemmt. Doch gelang es darauf dem festen Zusammenhalten der Landabgeordneten bei der Neubestellung der Behörden, ihren Vertrauensmann noch als das letzte der 25 Mitglieder der Regierung zur Geltung zu bringen. Er erhielt die Verwaltung des Kirchen-, Schul- und Landarmenguts und widmete der Pflege dieses Zweiges der Administration mit sichtbarer Vorliebe seine Kraft. Er führte das von ihm entworfene Gesetz über Loskäuflichkeit der Zehnten und Bodenzinse ein und in vielen Gemeinden durch; das Gesetz zur Hebung des Landschulwesens wurde von ihm verfaßt, die Errichtung eines zweiten Landarmenhauses ist sein Werk. Er schrieb ein Lesebuch für die Landschulen und malte mit eigener Hand Wandfiebeln für ärmliche Dorfschulen. Vor Kurzem noch wurde in abgelegenen Dörfern von den ältesten Leuten erzählt von der fröhlichen Aufregung in der Kinderwelt und der ganzen Gemeinde, wenn der Herr Deputat in die Schule trat, freundlich und zutraulich; mehrere silberne Schulprämien sind dem Schreiber dieses vorgewiesen worden mit dem tiefgefühlten Worte: der Herr Deputat hat mir’s selber in die Hand gegeben mit einem freundlichen Zuspruch. Fünfundsechzig Jahre nach der Einweihung des Landarmenhauses zu Liestal erzählten drei alte Männer dem Schreiber dieses von der ergreifenden Rede, die Deputat O. an die versammelten Schulkinder und an die Armen und Gebrechlichen gehalten hatte, sie wiederholten und ergänzten solche in die Wette und waren sehr erfreut, als jene Rede gedruckt ihnen vorgewiesen und vorgelesen wurde. Alle Hauptgedanken hatten sie im Gedächtniß behalten. Das Landvolk hing mit Liebe an ihm bis zu seinem Tod.

In der Stadt hörten mit der Rückkehr ruhigerer Zeiten die offenen Verfolgungen des einstigen Revolutionärs auf; der Adel seines Wesens wie die Kraft und das Geschick seines Wirkens erwarben ihm wieder die allgemeine Achtung in den weiteren Kreisen, besonders ward seine Thätigkeit als Präsident des Erziehungsraths und sein Eifer für eine würdige Herstellung der Universität anerkannt. Auch Laharpe trat seinem einstigen Collegen näher und besuchte ihn. Noch immer waren die Beiden erfüllt und begeistert vom Ideal einer einheitlichen Schweiz. Von dem persönlichen Zusammenstoß war keine Rede mehr und Laharpe vermittelte den Verkauf der Ochs’schen Sammlungen und Bibliothek nach Petersburg um hohen Preis. Aber ein unversöhnlicher Groll und Haß ward ihm entgegengebracht von den Regierenden des restaurirten Basel, welche nicht nur die alten Zustände herstellten, soweit solches immer möglich war, sondern auch die Erinnerungen an das Jahr 1798 und an die damalige Begeisterung auszulöschen sich bestrebten. Hart ward er angefahren und zurückgewiesen, als er (1814) seine Stimme erhob gegen den Gewaltact der Aufstellung einer Verfassung bloß durch den Rath und ohne jegliche Mitwirkung des Volkes, als ob in den letzten 18 Jahren kein öffentliches Recht sich gebildet hätte. Er kannte den Groll und dessen Grund und rieth selber seinen beiden Söhnen, den gehaßten Namen abzulegen und denjenigen ihres Hamburger Stammvaters anzunehmen. Er hatte die Freude, die Beiden in die Familie ihrer Mutter verheirathet und wieder in die angestammten glücklichern gesellschaftlichen Verhältnisse versetzt zu sehen. Er erlebte es nicht mehr, selber [144] Zeuge zu sein der tiefgehenden Wirksamkeit seiner Enkel für die Kunst und die Wissenschaft. „Bedauern Sie mich nicht“, schrieb er einem Freunde, „wegen des Wechsels meiner Schicksale. In Beziehung auf meine öffentliche Laufbahn ließ ich mich von dem Gange der Ereignisse leiten, weil ich nicht gern müssig war und ein brennendes Verlangen fühlte, Gutes zu fördern oder Uebel abzuwenden. Meine Absichten waren rein, die Mittel den Umständen angemessen und mein Eifer unermüdet. Hundertmal entdeckte ich, daß ich meine eigenen Angelegenheiten hintansetzte, um das öffentliche Wohl zu fördern.“ „Selten bat ich Gott um etwas Anderes, als daß er mich würdigen möchte, meine Seele so zu stimmen, wie ich mich in alle Umstände schicken könnte. Es ist Thorheit zu verlangen, daß die Ereignisse unsren Wünschen entsprechen. Das Glück besteht in der Art zu denken, und diese kann von Gott in einem jeden Menschen eine liebliche Richtung erhalten, ohne daß einem Andern dadurch ein Schaden zuwächst.“ In der Nähe des einst ihm gehörenden Hauses, in einem kleinen Häuschen lebte der stille Greis. Am Morgen hörte man ihn regelmäßig mit immer noch schöner Stimme den Choral singen und denselben begleiten mit der Physharmonika. Darauf ging er seinen Amtsgeschäften nach oder schrieb er an seiner Geschichte Basels. Von seinen ihn verehrenden Söhnen umgeben, aber sonst vereinsamt, starb er am 19. Juni 1821. In der Stadt fühlten wohl Viele, daß ein Großer geschieden war und in der Folge, bis auf den heutigen Tag, erhellte sich dieses Gefühl zur klaren Erkenntniß. Damals aber wurden ihm, der einst in den Kreisen der großen Weltstädte das höhere Gesellschaftsleben mit vollen Zügen genossen hatte, die reinsten Thränen nachgeweint in den stillen Thälern der Landschaft.