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ADB:Mörikofer, Johann Kaspar

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Artikel „Mörikofer, Joh. Kaspar“ von Gerold Meyer von Knonau in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 22 (1885), S. 258–260, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:M%C3%B6rikofer,_Johann_Kaspar&oldid=- (Version vom 23. Dezember 2024, 02:41 Uhr UTC)
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Mörikofer: Joh. Kaspar M., schweizerischer Geschichtsforscher und Litteraturkenner, geb. am 11. October 1799 zu Frauenfeld, † am 17. October 1877 in Riesbach (bei Zürich). – Aus bescheidenen Verhältnissen hervorgegangen, und durch die heimischen Schulen wenig gefördert, kam M. nach Zürich, welchem er sein ganzes Leben hindurch dankbare Anhänglichkeit widmete. Während Pupikofer (s. d. Art.) schon 1815 seine Studien da begonnen, setzten M. und [259] ein anderer berühmt gewordener Thurgauer, Bornhauser (Bd. III, S. 175), 1817 ihre Namen in das alte Album in Schola Tigurina Studentium. Unter den Lehrern ragte der Philologe Orelli (s. d. Art.) hervor. Nach einem kurzen Aufenthalte in Paris kehrte der junge Theologe in die Heimath zurück, mußte nun aber hier, gegen seine anfängliche Neigung, in den Schuldienst eintreten. Doch stieg er darin von 1822 zu höheren Functionen empor und wurde 1831, als die Frauenfelder Schule in einer für den Thurgau mustergültig gewordenen Weise umgestaltet wurde, Rector aller Schulen des Städtchens. Als unter Bornhauser’s Leitung der Kanton Thurgau vor allen anderen schweizerischen Staatswesen 1830 sich politisch umgestaltete, gehörte M. nach seiner ruhigen milden Art einer conservativeren Auffassung an, die er auch durch Betheiligung an der Redaction der „Thurgauer Zeitung“ zum Ausdrucke brachte; doch war er, wie seine fortgesetzte Thätigkeit auf dem Boden der Gemeinnützigkeit, der Verbesserung des Schulwesens – M. voran betonte stets von neuem die Nothwendigkeit der Gründung einer Kantonsschule – bewies, jedem besonnenen Fortschritte geneigt. Seine anregende Lehrkraft blieb aber der endlich in das Leben tretenden höheren Anstalt nicht erhalten; sondern schon 1851 hatte die Kirchgemeinde Gottlieben M. als ihren Pfarrer berufen und damit dem Theologen den erwünschten geistlichen Wirkungskreis eröffnet. Als Mitglied der Synode hatte er zwar schon längst an den organisatorischen Arbeiten auf dem Boden ersprießlichsten Antheil genommen; aber nun erst konnte er sowol als Seelsorger, als in der Stellung eines Decans seines Capitels sich unmittelbar bethätigen. 1869 legte er sein Pfarramt nieder, um nach Winterthur, der Heimath seiner Gattin überzusiedeln. Seine letzten Lebensjahre verbrachte er in Zürich, wohin ihn die reicheren litterarischen Hülfsmittel sowohl, als der dort ihn erwartende Kreis von Freunden und Fachgenossen gezogen hatten. Denn insbesondere in seinen letzten Lebensjahren entwickelte M. eine reiche litterarische Thätigkeit. – Zwar schon während des arbeitsvollen Wirkens als Schulmann hatte er die Zeit gefunden, an der Sammlung: „Die Schweiz in ihren Ritterburgen und Bergschlössern“ sich zu betheiligen, für die kantonale Gesellschaft zur Beförderung des Guten und Gemeinnützigen einige Neujahrsblätter zu schreiben, besonders aber 1842 im gleichen Auftrage dem 1841 verstorbenen Landammann Anderwert ein biographisches Denkmal zu setzen: gerade der Umstand, daß der reformirte Theologe das Leben des katholischen, um die ersten Stadien staatlicher Entwicklung des Kantons Thurgau seit 1798 vielverdienten Staatsmannes schilderte, war ein Beweis für die Unparteilichkeit des an einem paritätischen Orte wirkenden Schulrectors. Besonders beachtenswerth ist die 1838 erschienene Brochüre: „Die schweizerische Mundart im Verhältniß zur hochdeutschen Schriftsprache aus dem Gesichtspunkte der Landesbeschaffenheit, der Sprache, des Unterrichtes, der Nationalität und der Litteratur“, da in derselben mißgünstige, wissenschaftlich unberechtigte Vorurtheile zurückgewiesen, Anregungen, welche seither reiche Frucht trugen, geboten wurden. Doch sein Hauptaugenmerk wandte nun M. längere Zeit dem 18. Jahrhundert zu, der Zeit, „wo es der Schweiz, ungeachtet ihrer mehrfach erschwerenden Verhältnisse, vergönnt war, so bedeutend in das Geistesleben und die Literatur Deutschlands einzugreifen“. Schon die Vorläufer: „Klopstock in Zürich im J. 1750–1751“ (1851) und „Heinrich Pestalozzi und Anna Schultheß“ (im Zürcher Taschenbuch von 1859) bewiesen die vorzügliche Befähigung des Verfassers für solche litterargeschichtliche Studien, und das umfassende Werk: „Die schweizerische Literatur des achtzehnten Jahrhunderts“ (1861), mit welchem die Arbeiten Mörikofer’s für den Verlag Sal. Hirzel’s anfangen, schuf dem bescheidenen Landpfarrer einen weithin geachteten Namen. Aber außerdem hatte sich M. auch, schon 1819 als Student in Zürich, bei Anlaß der Säcularfeier der [260] Reformation, vorgenommen, der Geschichte der Reformationsepoche seinen Fleiß zu schenken; von seinem Oheim, dem geschätzten Historiker Kirchhofer (s. Bd. XVI, S. 11), erhielt er fernere Aufmunterung nach dieser Seite, und nach dessen Tode lagen große Materialiensammlungen vor. So erschien – nach einem die ganze kirchliche Entwicklung behandelnden, trefflich populären Vorläufer: „Bilder aus dem kirchlichen Leben der Schweiz“ (1864) – 1867 und 1869 in zwei Theilen die gegenwärtig umfassendste und eindringlichste Arbeit über den schweizerischen Reformator: „Ulrich Zwingli, nach den urkundlichen Quellen“. Zur Geschichte des 17. Jahrhunderts folgten hernach 1874 und 1876: „J. J. Breitinger und Zürich: ein Culturbild aus der Zeit des dreißigjährigen Krieges“, formal wol die abgerundetste aller schriftstellerischen Leistungen Mörikofer’s und: „Geschichte der evangelischen Flüchtlinge in der Schweiz“. Das letztgenannte Buch widmete er „der Hochschule und der Stadt Zürich für die beiden Ehrengeschenke der philosophischen Doctorwürde und des Bürgerrechtes“; von Basel hatte er die Promotion zum Doctor der Theologie empfangen. Aber auch am geistigen Leben des Heimathkantons nahm er stets noch regen Antheil, durch reiche Schenkungen an die Frauenfelder Kantonsbibliothek, durch Beiträge für die Veröffentlichung des Thurgauischen historischen Vereins, zu dessen Gründung M. 1858 als damaliger Präsident der kantonalen gemeinnützigen Gesellschaft hauptsächliche Anregung gegeben hatte: erst nach seinem Tode erschien da noch 1878 – in Heft XVII. dieser „Thurgauischen Beiträge“ – von M. ein origineller kleiner Aufsatz: „Die letzten Tage des Karthäuser Klosters Ittingen“. An diesem großen biographischen Sammelwerke betheiligte er sich gleichfalls und verfaßte z. B. dafür den Artikel Bodmer. Doch außerdem beschäftigte er sich in den letzten Jahren sehr eifrig mit einer Schilderung des Lebens Lavater’s und hatte im rührigsten Fleiß schon große Mengen des so weitschichtigen Materials gesammelt, eine Probe daraus auch schon im März 1877 der ihm wohl befreundeten zürcherischen antiquarischen Gesellschaft mitgetheilt: „Lavater im Verhältniß zu Goethe“ (Zürcher Taschenbuch, von 1878). Da erkrankte der Greis, der seit einer 1865 überwundenen Krankheit einer in so hohen Jahren bewundernswürdigen Rüstigkeit sich erfreut hatte, und die große weit gediehene Arbeit blieb unvollendet. Aufrichtige Verehrung hatte der echt religiöse, milde und weise Mann, dessen feiner Geist und ausgebreitetes Wissen bei aller Anspruchslosigkeit immer Geltung gewinnen mußten, auch an seinem letzten Aufenthaltsorte gewonnen.

Vgl. Nekrologe Pupikofer’s und Sulzberger’s in der Thurgauer Zeitung: 1877, Nr. 250, 256 (Beilage), vom Verf.: Art. über Mörikofer’s Verdienste als Historiker in der Neuen Zürcher Zeitung, Nr. 496, von J. Baechtold in der Augsb. Allgem. Zeitung, Nr. 303 Beilage.[1]

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 260. Z. 14 v. u.: Vgl. ferner die 1870 geschriebene autobiographische Aufzeichnung: J. C. Mörikofer’s Erlebnisse, herausgegeben von Pfarrer Sulzberger im 25. Heft der „Thurgauischen Beiträge zur vaterländischen Geschichte“ (Frauenfeld 1885). [Bd. 24, S. 787]