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ADB:Müller

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Artikel „Müller“ von Bernhard Müller in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 22 (1885), S. 499–501, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:M%C3%BCller&oldid=- (Version vom 27. Dezember 2024, 20:15 Uhr UTC)
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Müller: Vier Gebrüder, zu Braunschweig geborne und gestorbene Söhne des herzoglich braunschweigischen Kammermusikus Aegidius M. (geb. 2. Juli 1766 bei Görsbach bei Nordhausen, † 14. August 1841 zu Braunschweig), welcher selbst ein sehr tüchtiger Musiker, der Lehrer seiner Söhne war. Der älteste Sohn, Karl Friedrich M., geb. 11. November 1797, † 4. April 1873, machte schon als Knabe während der westfälischen Herrschaft[WS 1] in Braunschweig erfolgreiche Kunstreisen in Begleitung seines Vaters. Im Alter von vierzehn Jahren kam er nach Berlin, wo er in der königlichen Capelle angestellt wurde und noch eine Zeit lang den Unterricht Möser’s genoß. 1815 in der Braunschweiger Hofcapelle angestellt, wurde er später Concertmeister daselbst, als welcher er sein 50jähriges Dienstjubiläum feierte. Am 1. Januar 1872 wurde er, nach 60jähriger Dienstzeit, pensionirt. Durch unermüdlich fortgesetztes Selbststudium bildete M. sich zu einem der bedeutendsten Violinspieler aus, der keine Schwierigkeiten kannte und durch die Größe, Pracht und Fülle seines Tones überall auf seinen zahlreichen Kunstreisen Bewunderung erregte. Er war wohl einer der vielseitigsten Solisten seines Instrumentes, denn er glänzte nicht nur im Vortrag der Compositionen von Rode, Viotti, Spohr, Molique, Pechatscheck und David, sondern auch in dem so ganz verschiedenen Genre eines Beriot, Artôt und Prume. Als Lehrer hat M. eine ganze Generation gediegener Geiger gebildet. Im Quartettspiel mit seinen Brüdern hatte er die erste Violine übernommen.

Gustav Heinrich Theodor M., geb. 13. December 1799, † 7. September 1855, ein sehr tüchtiger Geiger, war in der Capelle als Leiter der Zwischenactsmusik mit dem Titel als Symphoniedirector thätig und hatte im Quartett die Bratsche übernommen.

Theodor August M., geb. den 27. September 1802, † den 20. October 1875, war ein ausgezeichneter Violoncellist und ganz besonders feiner Musiker, wie auch ausgezeichneter Lehrer.

Georg Franz Ferdinand M., geb. den 29. August 1808, † den 22. Mai 1855, war ein bedeutender Geiger und im Quartett eine zweite Violine, wie wol selten zu finden ist. In der Capelle war derselbe erst als Kammermusiker, dann als Musikdirector und endlich, nachdem er zu seiner weiteren Ausbildung eine Studienreise nach Paris unternommen hatte, als Capellmeister angestellt. Unter seiner Leitung bildete sich das Braunschweiger Orchester zu einem der ersten in Deutschland aus, was Mendelssohn, Fr. Schneider, Spohr, Conradin Kreutzer, Netzer, Berlioz und Meyerbeer bei Gelegenheit ihrer unter eigener Direction in Braunschweig aufgeführten Werke vielfach anerkannt haben. Hat doch Meyerbeer, als Berlioz seine erste Reise nach Deutschland unternahm, diesem geschrieben, daß, wenn er seine Werke gut aufgeführt hören wolle, er nach Braunschweig gehen müsse. – M. war auch Componist, von dessen Sachen verschiedenes im Druck erschienen ist. Eine große Oper, „Pino di Porto“, [500] deren musikalischer Werth auch nach dem Urtheile Spohr’s, welcher einer Aufführung derselben in Braunschweig beiwohnte, bedeutend ist, hatte in Folge des nicht wirksamen Textes (von Professor Griepenkerl sen. verfaßt) leider keinen Erfolg.

So bedeutend jeder der vier Brüder auf seinem Instrumente war, so stehen dieselben als Quartett vereinigt dennoch viel höher, ja man kann sagen, als Quartett-Einheit unerreicht da. – Schon immer für sich die Quartettmusik pflegend, wurden sie durch die für Künstler höchst unerquicklichen Verhältnisse unter Herzog Karl veranlaßt, das Quartettspiel zu ihrer Lebensaufgabe zu machen, um womöglich zusammen einen andern Wirkungskreis zu finden. Sie studirten daher nicht etwa einzelne Quartette, sondern das Quartettspiel überhaupt. In dieser Weise war dasselbe noch nie behandelt worden, und es mußten vier Brüder sein, es möglich zu machen, einen solchen Grad von Vollkommenheit zu erreichen, der ohne eine gegenseitige Gefühlssympathie selbst bei der höchsten Virtuosität des Einzelnen doch niemals zu erlangen ist. Auf diese Weise haben sie etwas ganz Neues, Eigenthümliches in der Kunst geschaffen, dessen Gleichen nach dem einstimmigen Urtheile aller Zeitgenossen. welche die berühmtesten Quartette damaliger Zeit gehört hatten, noch niemals dagewesen, und nachdem zum Vorbild für alle späteren Quartettvereine geworden ist. Der Herzog verbot den Künstlern seiner Hofcapelle nicht allein alles öffentliche, sondern auch alles Spielen in Privatkreisen, welcher unerhörten Beschränkung es zu danken ist, daß die Gebrüder Müller das Quartettspiel auf eine bis dahin nicht geahnte Höhe brachten. 1830 glaubten die Brüder ihr Ziel erreicht zu haben und verlangten daher zum ersten October ihren Abschied, welcher sofort gewährt wurde. Da brach im September die Revolution aus, Herzog Wilhelm kam zur Regierung und fand sich veranlaßt, die Brüder sofort aufs Neue für die Hofcapelle zu fesseln. Im Jahre 1831 unternahmen die Brüder ihren ersten Ausflug als Quartett nach Hamburg. Sie fanden hier außerordentlichen Beifall, doch war Hamburg damals nicht der Ort, einen musikalischen Ruf auch nach außen zu begründen. Erst 1832, als sie nach Berlin gingen, wo das Möser’sche Quartett einen kleinen, aber treuen Zuhörerkreis um sich zu versammeln pflegte, begründeten sie ihren Weltruf. Mit nur 14 Abonnenten eröffneten sie im Sommer, also der ungünstigsten Jahreszeit, die Reihe ihrer Concerte, doch war der Erfolg bei Kritik und Publicum ein so durchschlagender, daß in den folgenden Concerten der Saal die Hörer nicht mehr zu fassen vermochte. Diese Art Quartett zu spielen hatte man noch nicht gekannt, von einem derartigen Zusammenspiel und einheitlicher Auffassung keine Ahnung gehabt. Bis dahin war die Quartettmusik eigentlich nur in privaten Kreisen gepflegt, als selbständige Kunstleistung aber kaum angesehen, denn selbst die Quartette Möser’s in Berlin und Schuppanzigh’s in Wien glichen Vorträgen in Privatkreisen, da ihr Publicum ein sehr kleines war. – L. Köhler (Die Gebrüder Müller u. das Streichquartett, Lpzg. 1858) sagt sehr richtig „man hat Quartette aus den ausgezeichnetsten Virtuosen gebildet, und sie spielten schön. Aber selten kommt es ganz über ein schönes viertheiliges Spiel hinaus: es blieben entweder ihrer Vier, oder es blieben ihrer zwei Paar, oder es waren ihrer Drei und Einer. Kommt es aber irgendwo einmal zu einer Einheit, dann zerstiebt das Quartett bald wieder in alle vier Weltgegenden. – Ein Ensemble, in dem Jeder nur da zu sein scheint um den Andern ins rechte Licht zu setzen, kann eigentlich nur von vier Brüdern, welche dieselbe Erziehung genossen, aus einer Schule hervorgegangen, immer an demselben Orte in wahrhaft brüderlicher Einigkeit lebten und das Quartettspiel als Lebensaufgabe ansahen, geschaffen werden.“ – Der Vortrag der Quartette von Haydn, Mozart und Beethoven bis Op. 95 war vollendet schön. Die späteren Quartette von Beethoven spielten die Brüder mit gleicher Liebe und Vollendung, [501] doch selten öffentlich, da das Verständniß dieser Riesenwerke zu jener Zeit dem großen Publicum noch nicht erschlossen war. Vorbereitet und angebahnt haben die Brüder dieses Verständniß aber durch häufigen Vortrag in Privatkreisen. Außer den Meisterwerken der drei Heroen der Quartettmusik, Haydn, Mozart und Beethoven, spielten die Brüder mit Vorliebe die in damaliger Zeit allgemein geschätzten und gern gehörten Quartette von Onslow, Fesca sen. und Spohr, in der ersten Zeit auch noch Romberg, für welche das Interesse in neuerer Zeit verschwunden ist. Von den neuern Quartetten spielten sie die Mendelssohn’schen und Schubert’schen, besonders dessen D-moll, in hinreißender Weise, während sie sich gegen Schumann, Volkmann usw. ablehnend verhielten, was sich aus ihrer ganzen Richtung erklärt, welche sich mit der dazu nöthigen subjectiven Auffassung nicht vertragen konnte. (Als die jüngern Gebrüder Müller diese Werke spielten, erkannten die ältern die Schönheiten derselben und ließen sich dieselben häufig vorspielen). – Reisen, auf denen die Kritik aller Orten des Lobes voll war, führten die Brüder 1833 und 34 nach Bremen, Berlin, Leipzig, Dresden, Wien, München, Paris, wo der Enthusiasmus ganz überschwänglich war, Karlsruhe, Frankfurt a. M. usw. (die projectirte Reise nach London kam nicht zur Ausführung, da die Frau von Georg M. starb), 1836 nach Breslau und Schlesien usw., 1837 an den Rhein, von Aachen bis Köln, 1838 nach Kopenhagen und Holstein, 1839 nach Prag, Berlin und Stettin, 1840 nach Erfurt, Kassel und an den Rhein, 1844 nach Danzig und Königsberg usw., 1845 nach Petersburg, Riga, Dorpat, 1851 nach Berlin, 1852 nach Holland (wo im Jahre vorher vier unbekannte, unbedeutende Musiker die Frechheit gehabt hatten als Gebrüder Müller zu reisen und allgemeines Staunen erregt hatten – durch ihr schlechtes Spiel), 1853 nach Breslau und Wien. Außerdem machten die Brüder häufig noch kleinere Ausflüge. Wie Niemand, der die Gebrüder Müller spielen hörte den Eindruck je vergessen hat, so wird dieses epochemachende Quartett in der Kunstgeschichte unvergessen bleiben.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Das napoleonische Königreich Westphalen bestand von 1807 bis 1813.