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ADB:Wilhelm (Herzog von Braunschweig-Lüneburg; 1806 bis 1884)

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Artikel „Wilhelm (Herzog von Braunschweig-Lüneburg; 1806 bis 1884)“ von Paul Zimmermann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 43 (1898), S. 4–13, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wilhelm_(Herzog_von_Braunschweig-L%C3%BCneburg;_1806_bis_1884)&oldid=- (Version vom 11. November 2024, 07:29 Uhr UTC)
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Wilhelm, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg, der jüngere Sohn Herzog Friedrich Wilhelm’s und der Herzogin Marie, gebornen Prinzessin von Baden, wurde in Braunschweig am 25. April 1806 geboren und am 11. Mai auf die Namen August Ludwig Wilhelm Maximilian Friedrich getauft. Der Vater stand damals als Generalmajor in preußischen Diensten zu Prenzlau in Garnison und rückte nicht lange nachher zum Kampfe gegen Napoleon mit aus, der nach dem Siege von Jena und Auerstädt Preußen auf das tiefste demüthigte und das Herzogthum Braunschweig aus der Reihe der selbständigen Staaten strich. Vor dem Anrücken der Franzosen floh die Herzogin Marie mit ihren beiden kleinen Söhnen, Karl und Wilhelm, unter Leitung des Majors Fleischer am 18. October zunächst nach Stralsund auf schwedisches Gebiet, dann über das Meer zu ihrer Schwester, der Königin Friederike, nach Malmö. Erst im Frühjahre 1807 kamen die beiden Gatten wieder zusammen; sie ließen sich anfangs in Ottensen, dann in Dockenhude an der Elbe nieder. Im September siedelten sie nach Bruchsal zu Mariens Mutter, der Markgräfin Amalie von Baden, über. Hier traf Gatten und Söhne der schwerste Schlag, als am 20. April 1808 die Herzogin im Kindbette verstarb. Da der Herzog, der im folgenden Jahre im Bunde mit Oesterreich den Krieg gegen Napoleon begann, die Kinder in Bruchsal nicht sicher glaubte, so ließ er sie zuerst nach Oels, dann nach Kolberg und, als er selbst nach seinem ruhmvollen Zuge durch Norddeutschland Helgoland erreicht hatte, über Schweden nach England bringen, wo sie am 14. October in Greenwich mit dem Vater zusammentrafen und die nächsten Jahre in London verbrachten. Als Herzog Friedrich Wilhelm nach der Schlacht von Leipzig sein Herzogthum in Besitz genommen hatte, folgten ihm seine Söhne erst im folgenden Jahre nach Braunschweig, wo sie am 13. September anlangten. Sogleich darauf brachte der Vater sie zu ihrer Großmutter, der Markgräfin Amalie, nach Karlsruhe, um darauf selbst zum Congresse nach Wien weiter zu reisen. Nur wenige Monate verlebten sie nochmals gemeinsam zu Braunschweig; der Tod Friedrich Wilhelm’s bei Quatrebras am 16. Juni 1815 machte die Söhne völlig zu Waisen. Sie standen nun so gut wie einsam in der Welt, ganz ohne nähere Verwandte, die ihnen den Verlust des Vaters und besonders der Mutter auch nur einigermaßen hätten ersetzen können. Ihr Oheim Herzog August war blind und für solch eine Aufgabe ganz ungeeignet; die Wittwe seines ältesten Bruders, Friederike Luise Wilhelmine, geborene Prinzessin von Oranien, wollte, wie man es hoffte, sich nicht dauernd in Braunschweig niederlassen, und ist am 15. October 1819 schon gestorben. Herzog Friedrich Wilhelm hatte in seinem Testamente vom 5. Mai 1813 bestimmt, daß die Söhne ihre letzte Erziehung am Hofe ihrer Großmutter, der Markgräfin Amalie, erhalten sollten, dann aber nachträglich die Sorge für seine Kinder, wie für sein Land dem damaligen Prinzregenten, späteren Könige Georg IV. von England übertragen. Wenn einer, so war dieser, der zunächst wenigstens durch eigene schwere Schuld zu seiner Gemahlin, der Tante der Prinzen, in denkbar schlechtestem Verhältnisse stand, ganz gewiß nicht der richtige Mann, um die Zuneigung und das Vertrauen der jungen Verwandten zu gewinnen und sie auf den rechten Weg zu leiten. Zudem weilte er fern von Deutschland in England. So waren denn die Prinzen vollständig unter die Aufsicht ihrer Erzieher und der leitenden Staatsmänner in Braunschweig gestellt, von denen keiner es verstand, sich bei ihnen Liebe zu erwerben oder in großes Ansehen zu setzen. Nur [5] der Staatsminister Graf von der Schulenburg-Wolfsburg nöthigte ihnen wirkliche Hochachtung ab, aber leider ist er bereits am 25. December 1818 verschieden. Die Erzieher, die Friedrich W. selbst noch ausgewählt hatte, waren rechtschaffene Leute, aber der schweren Aufgabe, die ihrer harrte, nicht völlig gewachsen. Denn viel war an den jugendlichen Fürstensöhnen bereits versäumt worden. Ihre unruhvolle Kindheit, der oft wiederholte Wechsel des Wohnorts, der Tod der Mutter, der Mangel jedes edlen weiblichen Einflusses, für den zeitweise die Verzärtelung der gutherzigen Großmutter keinen Ersatz bot, die häufige Abwesenheit des Vaters, der bei bestem Willen in seiner leidenschaftlichen, derb zufahrenden Art auch nicht die Gabe besaß, Kindergemüther an sich zu ziehen: alles dieses hatte bis dahin auf die Entwickelung von Geist und Gemüth der Prinzen auf das unvortheilhafteste eingewirkt. Nicht nur ihre Kenntnisse waren sehr gering; was schlimmer war, sie waren, obwol von Natur keineswegs unbegabt, an keine geistige Anstrengung gewöhnt, fahrig und flatterhaft. Dabei machten sich bei Karl von Jugend auf schlechte Charaktereigenschaften bemerkbar, Trotz, Hochmuth, Selbstsucht, Geiz u. a., während Wilhelm, wenn er auch leichter in Zorn aufbrauste, sich weit lenksamer zeigte und vor allem eine große Gutmüthigkeit an den Tag legte. Von England aus hatte sie als Erzieher (seit 1811) ein englischer Kaplan, Thomas Prince, begleitet, der nach dem Tode des Herzogs überspannten Sinnes als eigentlicher Vormund sich aufspielte. Er wurde deshalb, und weil man den Prinzen eine deutsche Erziehung geben wollte, nach England zurückgesandt, wo er schließlich im Irrenhause gestorben ist. Die Erziehung fiel nun dem Pastor Hoffmeister und dem Professor Eigner zu, die den besten Willen besaßen, von denen aber Letzterer durch sein steifes pedantisches Wesen hier nichts weniger als am richtigen Platze war. Unter den Gespielen der Prinzen aus dieser Zeit waren mehrere, wie v. Geyso, Langerfeldt, Zimmermann, die Herzog W. später als Geheimräthe an seine Seite berief. Am 19. April 1820 wurden die beiden Prinzen zusammen confirmirt. Dann gingen sie zu ihrer weiteren Ausbildung nach Lausanne, wo sie bis Mitte des Jahres 1822 verweilten. Sie begleiteten der Kammerherr v. Linsingen als Gouverneur und Eigner als wissenschaftlicher Lehrer. Zu beiden wurde das Verhältniß der fürstlichen Zöglinge – gewiß hauptsächlich durch Karl’s Schuld veranlaßt, aber durch das Ungeschick dieser Männer stark befördert – ein immer schlechteres und nahm schließlich kaum noch erträgliche Formen an. Nachdem Lausanne verlassen war, weilten die Prinzen noch zu längerem Besuche bei ihrer Großmutter. Dann schieden sich die Wege der Brüder, die bis dahin kaum eine Stunde von einander getrennt gewesen waren. Karl ging nach Wien, W. unter Leitung des Obersten v. Dörnberg (an dessen Stelle später Major Frhr. v. Münchhausen trat) auf die Universität nach Göttingen, wo er bis zum Herbste 1823 verschiedenen Studien oblag und mit mehreren Braunschweigern ungezwungenen Umgang pflog.

Darauf kehrte er zunächst nach Braunschweig zurück, wo er am 13. Januar 1824 mit seinem Bruder das väterliche Vermögen theilte und in seinen Theil hauptsächlich das damals noch stark verschuldete Fürstenthum Oels erhielt. In den nächsten beiden Jahren hat er sich theils hier, theils auf Reisen aufgehalten. Dann trat er in preußische Militärdienste. Zwar hatte ihn König Georg IV. schon unterm 30. October 1821 zum Rittmeister à la suite im hannoverschen Gardehusarenregimente ernannt; aber das schlechte Verhältniß, in dem die Brüder zu jenem Könige standen und das bei Karl bald nachher zu offenem Bruche führen sollte, veranlaßte ihn wol vorzüglich, sich zum activen Dienste jetzt nach Berlin zu wenden. König Friedrich Wilhelm III. ernannte ihn unterm 17. Febr. 1826 zum Rittmeister im 2. Gardelandwehr-Cavallerieregimente; am [6] 22. October 1828 wurde er zum Major befördert. Die vier Jahre, die er jetzt als Officier hier in Berlin verlebte, hat er stets selbst als die glücklichsten seines Lebens bezeichnet. Jung, lebenslustig, frei von Sorgen und drückendem Zwange, reichbegütert genoß er in vollen Zügen die Freuden, die die große Residenzstadt ihm bot; eine stattliche ritterliche Erscheinung von gewinnenden Formen war er in dem Kreise seiner Kameraden, wie in der Gesellschaft des Hofes in gleicher Weise beliebt und ein überall gern gesehener Gesellschafter; besondere Freundschaft verband ihn mit dem damaligen Prinzen Wilhelm und mit der späteren Königin Elisabeth, der Tochter der Schwester seiner Mutter, mit der er bis zu ihrem Tode in eifrigem, vertrautem Briefwechsel blieb. Gern hätte er im jugendlichen Thatendrange den Garnisondienst auch einmal mit dem wirklichen Felddienste vertauscht. Im J. 1828 wünschte er den russischen Feldzug gegen die Türkei mitzumachen, doch konnte er die Erlaubniß dazu nicht erhalten.

Da kam plötzlich aus Braunschweig die Nachricht, daß sein Bruder Karl am 7. September 1830 aus dem Lande gejagt worden sei. Der Kammerherr v. Weltzien hatte sie ihm sofort durch eine Estafette mitgetheilt. Nach Rücksprache mit dem Könige Friedrich Wilhelm III., der ihm erforderlichen Falls Truppen aus Halberstadt oder Magdeburg zur Verfügung stellte, entschloß sich W., auf der Stelle nach Braunschweig zu eilen, wo er schon am Mittag des 10. September eintraf. Er hatte die feste Absicht, hier nur zum Besten seines Bruders zu wirken und nur so lange im Lande zu bleiben, wie die Umstände es dringend erheischten. Er hatte bei dem Streite Karl’s mit dem Könige von England und dem Grafen Münster auf der Seite des Bruders gestanden, aber ihm zur Mäßigung gerathen und mit seinem öffentlichen Vorgehen keineswegs sich immer einverstanden erklären können. Eine Ahnung aber von dem Ernste der Lage, eine genaue Kenntniß von dem unwürdigen Treiben des Bruders hatte er nicht gehabt, und daher war er jetzt von allem, was er sah und hörte, auf das unangenehmste überrascht. Der Magistratsdirector Wilh. Bode (A. D. B. III, 2 f.), der bei der allgemeinen Mißachtung, in die das herzogliche Staatsministerium gerathen war, an der Spitze derjenigen Verwaltung stand, die in jenen Tagen so gut wie allein Ansehen und Einfluß sich bewahrt und für Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung mit Erfolg gesorgt hatte, setzte dem Herzoge zuerst den allgemeinen Verlauf der Ereignisse und ihre Ursachen eingehend auseinander; er veranlaßte den Herzog, sich noch an demselben Tage in der Stadt zu zeigen, wo er mit Jubel begrüßt wurde, mit tiefem Schmerze und heftigem Zorne gegen die Anstifter des Brandes aber die Trümmer des Schlosses seiner Väter erblickte. Der Herzog sah ein, daß bei der gährenden Mißstimmung im Lande vor der Hand an eine Rückkehr seines Bruders nicht gedacht werden konnte; er fügte sich daher dem allgemeinen Wunsche, die Regierung vorläufig in dessen Namen zu übernehmen und berief sogleich auf Bode’s Vorschlag zwei Männer des allgemeinen Vertrauens in das herzogliche Staatsministerium, den Hofrath Wilhelm Frh. v. Schleinitz und den Kammerrath Friedr. Schulz. Herzog Karl stellte dem Bruder in London unterm 21. Sept. 1830 eine Vollmacht aus, die Regierung in seinem Namen in der Eigenschaft eines Generalgouverneurs bis auf weiteres zu führen. Die Ruhe und Ordnung war sogleich wieder hergestellt, ein deutlicher Beweis dafür, daß die ganze Bewegung nur gegen die Person des schlechten Monarchen, keineswegs gegen die Staatseinrichtungen gerichtet war, die man vielmehr mit allem Eifer zu erhalten strebte. So konnte denn auch die Landschaft, die am 27. September zusammentrat, in der vom Landsyndicus Pricelius verfaßten Adresse an den Herzog W. mit Recht erklären, daß „Neuerungssucht und Ideenschwindel nicht den mindesten Antheil an den jüngst erlebten, an sich betrübenden Ereignissen gehabt hätten“; man [7] bat den Herzog „bei der auf die Grundsätze des allgemeinen Staatsrechts sich stützenden Unmöglichkeit, daß der Durchl. Herzog Karl die Regierung des Landes fortsetze“, daß er sie übernehmen möchte. W. sagte dies in einem Patente vom 28. September „bis auf Weiteres“ zu; dabei erwähnte er die ihm von seinem Bruder ertheilte Vollmacht nicht, wol aber die Verhandlungen, die mit diesem angeknüpft wären. Sie wurden von den Königen Wilhelm IV. von England, zu dem sich Herzog Karl begeben hatte, und Friedrich Wilhelm III. von Preußen geführt und hatten den Zweck, den Herzog zu freiwilliger Aufgabe der Regierung zu veranlassen; aber er stellte dafür unmögliche Bedingungen, forderte insbesondere so hohe Geldsummen für sich, wie sie das Land schlechterdings nicht aufzubringen vermochte. Am 9. November reiste Karl plötzlich von England fort; am 16. des Monats widerrief er von Frankfurt aus die Vollmacht, die er seinem Bruder ertheilt hatte; er forderte ihn auf, zu einer Unterredung nach Fulda zu kommen, die W. jedoch ausschlug. Die Regierungen von Hannover und Preußen riethen dem Letzteren dringend auf seinem Platze zu bleiben; nicht nur die Bürgerwehr, sondern auch die Officiere des Feldcorps gelobten feierlich, nur dem Herzoge W. zu gehorchen. Unterm 26. November erklärte dieser, daß er, da sein Bruder außer Stande sei, die Regierung selbst zu führen, sie fortsetzen werde, obwol jene Zustimmung aufgehört hätte, bis sich das Schicksal des Landes endgültig entschieden haben würde. Es folgten wenige Tage darauf die lächerlichen Versuche Karl’s, sich vom Harze aus mit Gewalt wieder in den Besitz seines Landes zu setzen. Sie scheiterten kläglich, hatten aber wenigstens den Erfolg, daß Preußen und Hannover jetzt durchsetzten, daß die deutsche Bundesversammlung am 2. December den Herzog W. beauftragte, die Regierung des Landes bis auf weiteres zu führen, während die Agnaten eine definitive Ordnung für die Zukunft bewirken sollten. Der sehnliche Wunsch nach einer solchen wurde im Lande immer stärker, dem Ministerium erschien sie als eine Nothwendigkeit und auch W. empfand auf das schwerste das peinliche seiner Lage, für einen Bruder, der ihn öffentlich auf das gröblichste schmähte, die Regentschaft zu führen. Am 10. März 1831 beantragten daher die Agnaten beim Bunde, er möge sich dahin aussprechen, daß Karl regierungsunfähig, das Herzogthum Braunschweig somit erledigt sei und die Regierung an Herzog W. übergehen müsse. Da sich aber Oesterreich solchem Beginnen mit Entschiedenheit widersetzte, so blieb die Angelegenheit vorläufig noch weiter auf sich beruhen; es kam zu keiner Entscheidung. Allmählich währte dies den Braunschweigern zu lange; sie wollten nun der Sache selbst ein Ende machen und richteten an W. geradezu die Bitte, „ihre Erbhuldigung auf verfassungsmäßigem Wege entgegenzunehmen“. Um eine derartige freiwillige Huldigung auf Volksbeschluß zu verhüten, erklärte W. auf Rath von Berlin in einem Patente vom 20. April 1831, daß er, da die Bemühungen um friedliche Beilegung des Zwistes vergeblich gewesen seien, die Regierung des erledigten Herzogthums übernehme; zugleich setzte er auf den 25. April, seinen Geburtstag, die allgemeine Landeshuldigung an, die überall anstandslos geleistet wurde. Aber die Weiterungen, die die Sache beim Bunde fand, hatten ihr Ende noch nicht erreicht. In der Sitzung vom 11. Mai 1831 fand der Antrag der Agnaten zwar noch keine Erledigung, aber die eigenmächtige Thronbesteigung des Herzogs von seiten Oesterreichs und anderer Staaten eine äußerst scharfe Verurtheilung. Erst am 12. Juli 1832 erlangte die Angelegenheit ihren Abschluß; man beschloß, Herzog W. als stimmführendes Mitglied des deutschen Bundes zu betrachten. Schon früher, am 24. October 1831 hatten sich die beiden Linien des welfischen Hauses zu einem Hausgesetze vereinigt, in dem die Rechtmäßigkeit der Ehen ihrer Mitglieder in Zukunft an die Zustimmung des regierenden Herren ihrer Linie geknüpft wurde. Man hoffte [8] wohl, Karl so von dem Abschlusse einer standesgemäßen Ehe abhalten zu können. Ist er eine solche auch niemals eingegangen, so wurde der Hauptzweck, den man verfolgte, dennoch verfehlt. Auch Herzog W. ist unvermählt geblieben. Nicht aus eigenem Entschlusse, sondern weil die Frage der Erbfolge, ob Karl’s oder Wilhelm’s Kinder den Thron von Braunschweig einst einnehmen sollten, niemals entschieden worden ist, und die Fürstenfamilien, bei denen sich W. um eine Tochter bewarb, deren Nachkommenschaft einer so ungewissen Zukunft nicht aussetzen wollten. Diese Verhältnisse, keineswegs aber, wie man wohl gemuthmaßt hat, Intriguen des hannoverschen Hofes sind es gewesen, die die Ehelosigkeit Herzog Wilhelm’s veranlaßt haben. Gerüchte von Verlobungen des Herzogs tauchten zu verschiedenen Malen auf; so erwartete man 1836, als er nach England gereist war, daheim eine Verbindung mit der Prinzessin Victoria; in demselben Jahre scheint er auf eine württembergische Prinzessin ernsthafte Absichten gehabt zu haben. Wohl besonders um jene Schwierigkeit aus der Welt zu schaffen, fanden auch noch später Verhandlungen mit Karl über einen gütlichen Ausgleich statt; so 1842 durch Metternich’s Vermittlung, aber sie hatten keinen Erfolg. Des einzigen Bruders beraubt, ohne Gattin mußte W. durch das Leben gehen. Diese Vereinsamung, eine Folge und eine stete Erinnerung an den revolutionären Ursprung, den seine Regierung doch niemals verläugnen konnte, stärkte und hielt in ihm wach das drückende Gefühl, daß er eine Stelle einnahm, die von Gott und Rechtswegen einem anderen gebührte. Von dem Tage, da ihm gehuldigt wurde, schreibt er, daß es auch für ihn „ein Tag der Freude“ gewesen sei, „welche vollkommen gewesen sein würde, hätte er des betrübenden Gedankens an seinen Bruder sich dabei erwehren können“. Anfangs wider Willen war er durch die Macht der Verhältnisse dahin gedrängt, wo auszuharren das Wohl seines Hauses und seines Landes ihm in gleicher Weise zur Pflicht machte. Geschah dies alles auch auf Drängen der gesetzlichen Vertreter des Landes, mit Zustimmung der Agnaten, schließlich auch der deutschen Bundesfürsten: bei dem starken Rechtsgefühle, daß ihn beseelte, mußte doch ein scharfer Stachel in seinem Herzen zurückbleiben, und vieles von dem, was im Ueberschwang der Empfindung das Volk in bester Meinung ihm, dem „Bürgerfürsten“, als Huldigung bot, mußte seinen fürstlichen Stolz auf das empfindlichste verletzen. Aus dieser inneren Unruhe erklärt sich auch der Eifer, mit dem man von Braunschweig aus die Schritte Herzog Karl’s im Auslande beobachtete, daheim den von ihm oder für ihn angezettelten hochverrätherischen Conspirationen nachging, die von ganz verschwindender Bedeutung waren. Als Herzog Karl am 18. Aug. 1873 verstarb, soll der Bruder sich wie von einem Alp befreit gefühlt haben. Wegen seines Nachlasses, aus dem der Herzog nur die Gelder und Kunstsachen (Mantuanisches Gefäß), die dem Lande oder dem herzoglichen Hausfideicommiß gehörten, zurückforderte, wurde mit der Stadt Genf, der Testamentserbin, am 6. März 1874 ein beide Seiten befriedigendes Abkommen geschlossen.

Kurz nach der definitiven Uebernahme der Regierung, unterm 14. Mai 1831, erhielt W. den erbetenen Abschied aus der preußischen Armee mit der Erlaubniß, die Generalsuniform zu tragen. Am 6. März 1843 ernannte ihn König Friedrich Wilhelm IV. zum Generalmajor und verlieh ihm das 10. Husarenregiment; am 30. März 1844 erfolgte seine Ernennung zum Generallieutenant, am 27. Juni 1848 die zum General der Cavallerie. Schon früher (8. April 1831) hatte ihn König Wilhelm IV. von England zum hannoverschen Feldmarschall ernannt, und um den Anfang des Jahres 1852 erhielt er das in Nordheim stehende Gardekürassierregiment. Ein paar Jahre darauf (29. Juni 1854) ernannte ihn Kaiser Franz Joseph von Oesterreich zum Oberstinhaber des 7. Kürassier- (später Dragoner-)Regiments.

[9] Hatte das Staatswesen unter der Regierung Herzog Karl’s eher Rückschritte als Fortschritte gemacht, so begann für das Land nach der Thronbesteigung Herzog Wilhelm’s sogleich eine Reihe der wohlthätigsten Reformen. Zwar war dieser auf eine Herrscherthätigkeit von Haus aus so gut wie gar nicht vorbereitet, aber er besaß von Natur ein gesundes Urtheil, einen scharfen Blick und die glückliche Gabe, die richtigen Männer zu Rathgebern sich auszuwählen. Er schenkte erprobten Beamten volles Vertrauen und ließ ihnen freien Raum, ihre Kräfte zu entfalten. Unverrückbar hat er beständig das Wohl des Landes vor Augen gehabt, nie eigene persönliche Neigungen, Zuflüsterungen von Hofkreisen oder anderer Seite Einfluß auf die Regierungsgeschäfte gewinnen lassen. Die Hauptgrundsätze seiner Regierung waren Wohlwollen und Gerechtigkeit; das hat man überall auf das dankbarste im Lande empfunden, und nicht ohne Neid blickten die Einwohner vieler deutscher Staaten auf die gute Verwaltung, deren sich das Herzogthum Braunschweig erfreute. So ist es denn auch nur natürlich, daß zwischen Land und Fürsten fort und fort ein gutes Einvernehmen bestand, daß es hier niemals zu ernstlichen Zwisten gekommen ist. Selbst das tolle Jahr 1848 ging ohne jeden persönlichen und staatsrechtlichen Conflict an Braunschweig vorüber. Wohl hatte vor dieser Zeit die Landesregierung die Bundesbeschlüsse ausführen müssen, aber man hatte nie gehässige Demagogenriecherei betrieben, wie sie anderwärts in Blüthe stand. Man hatte stets weise Mäßigung walten lassen, einem besonnenen Fortschritte gehuldigt und kam nun auch den Forderungen der neuen Zeit bereitwilligst entgegen. Und als auf die Stürme der vierziger Jahre in Deutschland die Reaction folgte, da hat man sich in Braunschweig auch lediglich auf die von dem Bunde und den Nachbarstaaten gebieterisch auferlegten Maßnahmen beschränkt. Einen wesentlichen Antheil an diesen schönen Erfolgen hatte vor allem der verdienstvolle Frhr. v. Schleinitz, der vom Jahre 1830 an bis zu seinem Tode (1856) die Seele der Regierung war. Wir können hier in Bezug auf ihn und seine Ministerthätigkeit auf das A. D. B. XXXI, 459 ff. Gesagte verweisen und wollen nur kurz auf das Wichtigste hindeuten: Das neue Staatsgrundgesetz des Herzogthums, die „Neue Landschaftsordnung“ vom 12. Oct. 1832, die, noch heute in Geltung, sich auf das vorzüglichste bewährte, die Regelung des Justizwesens durch Gesetze von mustergültiger Eigenart, die Städte- und Landgemeindeordnung, die den an vielen Orten noch unerhörten Grundsatz der Selbstverwaltung einführte, die Agrargesetzgebung, die den ländlichen Grundbesitz befreite und zu hoher Entwicklung führte und an der besonders auch v. Thielau (vgl. A. D. B. XXXVII, 746 ff.) betheiligt war u. a. Wo es galt, zwischen den verschiedenen Interessen des Landes und des Fürstenhauses zu vermitteln, ließ sich Herzog W. zu einem billigen Vergleiche gern bereit finden. Mit Herzog Karl war eine Einigung über die Kammergüter und Forsten nicht zu erzielen gewesen. Jetzt wurde unterm 12. Oct. 1832 der sogen. Finanznebenvertrag geschlossen, nach welchem Herzog W. eine bestimmte Civilliste bekam, die übrigen Aufkünfte aber für den Staatshaushalt, der dadurch erst eine feste Grundlage erhielt, verwandt wurden. Wie hier, so schwebte ihm auch im J. 1843 das Wohl des Ganzen vor Augen bei den Klagen des feudal gesinnten Adels, der sich durch die neuere Gesetzgebung in seinen Vorrechten beeinträchtigt sah und durch Denkschriften, fremde Mittelspersonen auf den Herzog einzuwirken und v. Schleinitz zu stürzen suchte; er lehnte ihre im Standesinteresse gestellten Anliegen rundweg ab. Für den materiellen Aufschwung des Landes war auch die Förderung, die das Verkehrswesen erfuhr, von wesentlichem Nutzen. Nicht nur gute Landstraßen wurden gebaut; man begann sehr früh auch mit der Anlage von Eisenbahnen. Die Strecke Braunschweig–Wolfenbüttel, die am 1. Dec. 1838 eröffnet und 1841 bis Harzburg fortgesetzt wurde, war die erste Staatsbahn, [10] die man in Deutschland herstellte. Es geschah dies namentlich auf Betrieb des Finanzdirectors v. Amsberg, nach dessen wohlberechnetem Plane Braunschweig für längere Zeit in den Mittelpunkt des großen Eisenbahnverkehrs gezogen wurde. Der Austritt Braunschweigs aus dem Steuervereine und sein Anschluß an den deutschen Zollverein, der am 23. Dec. 1841 für das Herzogthum mit Ausschluß des Harz- und Weserdistricts, am 1. Jan. 1844 auch für diese erfolgte und in Mißhelligkeiten mit der hannoverschen Regierung seinen ersten Anlaß hatte, brachte bei den verzwickten Grenzverhältnissen des Landes anfangs zwar mannigfache Nachtheile, bis es zu Anfang des Jahres 1854 dem schon erwähnten v. Thielau gelang, auch den Anschluß der übrigen Steuervereinsstaaten an den Zollverein zu vermitteln. Später ist dieser auch für den Fortbestand des Zollvereins und die Ablehnung des Eintritts Oesterreichs mit bestem Erfolge thätig gewesen. Auch auf geistigem Gebiete zeigten sich während der Regierung Herzog Wilhelm’s erfreuliche Fortschritte. Eine gute Volksschule sorgte für Verbreitung der Bildung in weitesten Kreisen, gute Gymnasial- und Fachschulen für tüchtige Vorbereitung zu den höheren Berufen. Das Collegium Carolinum wurde zeitgemäß in eine technische Hochschule umgewandelt, reich ausgestattet und 1877 in ein neues würdiges Heim gebracht. Ebenso wurden für das herzogliche Museum in Braunschweig und die Bibliothek in Wolfenbüttel gegen Ende von Wilhelm’s Regierung neue stattliche Gebäude errichtet. Auch sonst entstanden in seiner Zeit viele schöne Bauwerke, wie das Residenzschloß von Ottmer (nach dem Brande vom 23. Febr. 1865 wieder hergestellt) und manche herrliche Denkmäler. Große Sorgfalt und bedeutende Kosten wurden auf die Restauration der zahlreichen schönen Kirchenbauten des Landes verwendet. In kirchlicher Beziehung erfreute sich das Land zumal durch des Abts Ernesti Einfluß eines milden versöhnlichen Regiments, das verschiedenen Richtungen mit Erfolg gerecht zu werden verstand. Den Forderungen der neuen Zeit wurde auch durch die Errichtung einer Landessynode Rechnung getragen. So wirkte vieles zusammen, die lange Regierung Herzog Wilhelm’s zu einer glücklichen und segensreichen für das Land zu machen.

In der Politik, insbesondere in der deutschen Frage zeigte der Herzog eine gut vaterländische Gesinnung. Auf das wärmste trat er stets für die Rechte Schleswig-Holsteins ein; der Versuch der Zerreißung dieser Lande war nach seiner Erklärung als Kriegsfall anzusehen. Er ließ schon am 22. März 1848 seine Truppen die deutschen Farben anlegen und am 10. April nach Holstein ausmarschiren. „Ich kann nicht hinter dem Ofen sitzen, wenn Noth an den Mann tritt“: in dieser Gesinnung erschien er als einziger deutscher Bundesfürst in dem ersten Feldzugsjahre selbst auf dem Kriegsschauplatze. Es wurden damals Stimmen laut, die den Herzog als den berufenen Oberfeldherrn begeistert in Vorschlag brachten. Auch der Forderung, das Militär dem Erzherzog-Reichsverweser huldigen zu lassen, entsprach er am 6. August 1848, allerdings etwas mit Widerstreben; die Form, wie sie gestellt war, hatte ihn verletzt, und manche grobe Tactlosigkeiten, die in jenen Tagen ihm widerfuhren, haben eine bleibende Verstimmung bei ihm zurückgelassen. Die deutschen Einheitsbestrebungen zu fördern, war er mit Freuden bereit. Als einer der ersten Fürsten ließ er bei Berathung der deutschen Reichsverfassung seine Bereitwilligkeit erklären, ein erbliches Oberhaupt an der Spitze des Deutschen Reiches anzuerkennen. Dem Gedanken des preußischen Erbkaiserthums blieb er auch noch nach seinem Scheitern treu. Er trat sogleich dem von Preußen begründeten „Dreikönigsbündnisse“, später auch der Union bei und nahm auch im Mai 1850 an dem Fürstencongresse in Berlin theil. Erst nach dem vollständigen Siege Oesterreichs ließ er am 27. Mai 1851 seine Rückkehr zur Bundesverfassung in Frankfurt a. M. [11] erklären. Auch in militärischer Beziehung war er um jene Zeit mit Preußen in enge Verbindung getreten, er schloß zum heftigsten Aerger des Königs Ernst August von Hannover, zu dem das Verhältniß in der Folge ein sehr schlechtes wurde, am 1. Dec. 1849 mit ihm eine Militärconvention ab, von der er jedoch nach einigen Jahren (1854) schon wieder zurücktrat. Die deutsche Gesinnung des Herzogs bewies auch die Mobilmachung der braunschweigischen Truppen im J. 1859, wo er nicht übel Lust zeigte, im Gegensatze zu der Politik Preußens für Oesterreich gegen Frankreich die Waffen zu ergreifen. Im August 1863 besuchte der Herzog den Fürstencongreß zu Frankfurt, der, da Preußen ihm fern blieb, ergebnißlos verlief. Am Ende desselben Jahres, als die Frage der Elbherzogthümer wieder eine brennende wurde, erklärte er sich getreu seinem Wahlspruche: „Recht muß Recht bleiben“ mit aller Entschiedenheit für die staatsrechtliche Selbständigkeit dieser deutschen Bundesländer. Man weiß, wie sehr die Hoffnungen der deutschen Klein- und Mittelstaaten bald darauf enttäuscht wurden. Klug und selbstlos war die Haltung des Herzogs im J. 1866. Es fehlte, wie bei seiner Freundschaft mit dem habsburgischen Kaiserhause nur natürlich ist, nicht an Anreizungen, ihn zur österreichischen Partei hinüberzuziehen, und es ist wohl glaublich, daß er persönlich nach dieser Richtung sich geneigt habe. Aber das Wohl seines Landes, das fast nach allen Seiten an preußisches Gebiet stieß, forderte unabweislich die entgegengesetzte Politik. In der Bundestagssitzung vom 13. Juni 1866, wo Nassau als stimmführendes Mitglied der 13. Curie (Braunschweig und Nassau) für den österreichischen Antrag stimmte, erklärte sich Braunschweig in einem Separatvotum dagegen. Das Land blieb neutral; erst am 6. Juli schloß der Herzog mit Preußen ein Bündniß; ein kriegerisches Eingreifen der braunschweigischen Truppen wurde durch den schnell abgeschlossenen Frieden unnöthig. Seitdem ist Herzog W. in ehrlichster Weise allen Verpflichtungen nachgekommen, die ihm die norddeutsche Bundes-, später die deutsche Reichsverfassung auferlegten. Als nach der Kriegserklärung König Wilhelm am 1. August 1870 an der Stadt Braunschweig vorbeikam, fuhr der Herzog zu seiner Begrüßung hinaus. Die Adjutanten wollten den König, der schlief, nicht wecken, aber der Herzog trat bei ihm ein und erklärte ihm, er könne sich auf ihn bei allen Gelegenheiten verlassen. Gerührt schloß der König den Herzog in die Arme. Das Verhältniß der beiden Fürsten bewahrte die alte Herzlichkeit bis zum J. 1875; im Jahre vorher war der Kaiser zum letzten Male bei ihm zur Jagd in Blankenburg gewesen. Verursacht wurde bei dem Herzoge die Entfremdung vorzüglich durch die Klagen, die über den Officiermangel des in Elsaß-Lothringen garnisonirenden Infanterieregiments erhoben wurden, und durch das Drängen nach dem Abschlusse einer Militärconvention, die gewiß im Interesse des braunschweigischen Officiercorps lag und für die der Landtag fast einstimmig sich 1871 ausgesprochen hatte, zu der der Herzog sich aber nicht entschließen konnte, obwol ihm der Kaiser in freundlichster Form jede mögliche Erfüllung seiner Wünsche in Aussicht stellte. Daneben werden manche andere Umstände oft wol ihm selbst unbewußt zu einer allmählichen Veränderung der Stimmung bei dem alternden Herzoge beigetragen haben, der in anderen Verhältnissen aufgewachsen sich in die neue Zeit, die Umwandlung seiner fürstlichen Stellung nicht immer ganz leicht wird haben finden können. Auch das schwere Schicksal des hannoverschen Königshauses mußte einen Schatten in sein Gemüth werfen, wenn er auch die Politik König Georg’s oft schwerlich gebilligt und in ganz intimen Beziehungen zu ihm – ihre Charaktere waren dafür auch zu verschieden – wol niemals gestanden hat. Jedenfalls hat er ihm aber im Unglücke treulich Beistand geleistet und ihm sogleich nach seiner Vertreibung 1866 seine Villa in Hietzing bei Wien eingeräumt. Einen sehr vertraulichen Charakter nahm das [12] Verhältniß des Herzogs zu dem Herzoge Ernst August von Cumberland und dessen Familie an; er war mit dem Herzoge Georg von Cambridge Pathe bei dessen ältestem Sohne, der von ihnen den Namen Georg Wilhelm erhielt. Es war offenbar Wilhelm’s lebhafter Wunsch; daß Ernst August ihm dereinst als der rechtmäßige Erbe in der Regierung seines Landes nachfolgen möge, aber er verhehlte sich die Schwierigkeiten nicht, die der sofortigen Verwirklichung dieses Planes unter den obwaltenden politischen Verhältnissen entgegenstanden. Er suchte daher für den Fall seines Todes, um zunächst den ruhigen Fortgang der Regierung zu ermöglichen, eine Regentschaft zu bestellen. Anfangs dachte er daran, einen deutschen Fürsten für diese Aufgabe zu gewinnen, der dann durch einen Statthalter das Land verwalten lassen sollte. Da aber Kaiser Wilhelm die Uebernahme der Garantie für solch einen Gesetzentwurf 1873 ablehnte, so entschloß er sich, hauptsächlich wol auf Veranlassung des Geheimraths Trieps (vgl. A. D. B. XXXVIII, 601 f.), die Frage ganz generell zu ordnen und eine Regentschaft aus den Kräften des eigenen Landes zu bilden. So entstand als ein Zusatz zur Neuen Landschaftsordnung das Regentschaftsgesetz vom 16. Febr. 1879, das bei dem Tode des Herzogs die Möglichkeit bot, ohne äußere Störungen die Staatsverwaltung fortzuführen und die unzweifelhaften Rechte der Dynastie unter Berücksichtigung der realen Verhältnisse für die Zukunft sicher zu stellen. Auch zum Erben seines Vermögens setzte er den Herzog von Cumberland ein; nur seine schlesischen Allodialgüter, allerdings einen sehr beträchtlichen Theil desselben, nahm er aus und vermachte diese seinem Vetter mütterlicherseits, dem Könige Albert von Sachsen, da er, wie die unerquicklichen Vorgänge dicht nach seinem Tode bewiesen, wol nicht ohne Grund befürchten mochte, daß sonst Preußen diese Güter beschlagnahmen würde; die Lehen des Fürstenthums Oels u. s. w. fielen bei seinem Abscheiden an die Krone Preußen zurück. Das Land und namentlich die Stadt Braunschweig, die auf reiche Erbschaft gerechnet hatte, waren in dem Testamente nicht bedacht. Es geschah dies gewiß in der Absicht, das Interesse des Landes und seines angestammten Fürstenhauses mit einander zu verknüpfen und nicht ohne eine gewisse Verstimmung über begehrliche Wünsche, die ihm in nicht immer tactvoller Weise mochten nahe gebracht sein. Hinzu kam, daß er den Wunsch, ein volksthümlicher Fürst zu heißen ebenso wenig besaß wie die Gabe, es zu werden. Er trat ungern in die Oeffentlichkeit und hatte, ein Erbtheil der Mutter, eine mit den Jahren zunehmende Scheu, sich seinem Volke zu zeigen. Ganz besonders in der Stadt Braunschweig, wo er die Erinnerung an den revolutionären Ursprung seiner Herrschaft, an manche Erlebnisse des Jahres 1848 u. a. wol niemals ganz verlor. Viel freier und ungezwungener lebte er in Blankenburg und Sibyllenort, wo er besonders zur Jagdzeit mit Vorliebe sich aufhielt. So stand er in einsamer Ferne seinem Volke innerlich doch etwas fremd gegenüber, obwol dieses ihm in treuer Anhänglichkeit ergeben war und die Segnungen seiner einsichtigen Regierung, die Vornehmheit seiner Gesinnung und seine strenge Unparteilichkeit, die persönliche Wünsche und Abneigungen hinter sachlichen Erwägungen stets zurücktreten ließ, in ihrem vollen Werthe zu schätzen wußte. Die Feier seines 25jährigen und noch mehr seines 50jährigen Regierungsjubiläums (25. April 1856 und 1881) legte von solcher Stimmung beredtes Zeugniß ab. Den Herbst 1884 verbrachte W. wieder in Sibyllenort, als er dort erkrankte. Sein Wunsch, nach Braunschweig gebracht zu werden, konnte nicht mehr erfüllt werden; in der Morgenstunde des 18. October 1884 ist er dort gestorben. In der Nacht des 22. October wurde seine Leiche in Braunschweig eingeholt und am 25. des Monats im alten St. Blasiusdome in der Gruft seiner Väter beigesetzt. Mit ihm erlosch die ältere Linie des Welfenhauses oder das jüngere Haus Braunschweig. Da der [13] Fall, den das Regentschaftsgesetz vorher sah, wirklich eintrat, der rechtmäßige Thronfolger die Regierung selbst zu übernehmen behindert war, so wurde jenem Gesetze entsprechend die Landesverwaltung ein Jahr lang von dem Regentschaftsrathe geführt und dann von der Landesversammlung als Regent des Herzogthums Prinz Albrecht von Preußen gewählt, der, da jene Behinderung leider noch immer anhält, seinem Versprechen getreu im Geiste Herzog Wilhelm’s zur Zeit die Geschicke des Herzogthums leitet. Wie sehr das dankbare Andenken an den Herzog W. und seine langjährige, glückliche Regierung noch fortlebt, hat kürzlich (25. Januar 1896) der einstimmige Beschluß des braunschweigischen Landtags gezeigt, ihm aus Landesmitteln ein würdiges öffentliches Denkmal zu errichten.