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ADB:Niedbruck, Johann Bruno von

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Artikel „Niedbruck, Johann Bruno von“ von Otto Winckelmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 52 (1906), S. 618–621, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Niedbruck,_Johann_Bruno_von&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 14:12 Uhr UTC)
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Niedbruck: Johann Bruno von N., Arzt und Diplomat, von seinen deutschen Zeitgenossen gewöhnlich Dr. Hans von Metz, in Frankreich und England Dr. Bruno genannt, latinisirt Johannes Nidepontanus, entstammte einer wohlhabenden Familie, die an der Nied, einem Nebenflüßchen der Saar in Deutsch-Lothringen (Kreis Bolchen), Allodialgut besaß. Die Niedbrucks erscheinen hie und da im Dienst der Herzöge von Lothringen; sonst ist wenig über sie bekannt. (Vergl. Siebmacher, Wappenbuch.) Die von Katterfeld aufgestellte und seitdem oft wiederholte Behauptung, Johann Bruno sei ein Halbbruder der Grafen Johann und Philipp von Nassau-Saarbrücken, mit anderen Worten: ein unehelicher Sohn des Grafen Johann Ludwig gewesen, ist durchaus unbegründet; sie beruht lediglich auf mißverständlicher Auffassung eines englischen Berichtes, wie ich nächstens im Jahrbuch für lothringische Geschichte genauer nachweisen werde.

Die Jugend- und Studienzeit Niedbruck’s liegt noch völlig im Dunkel. Vermuthlich wurde er im letzten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts geboren (wol spätestens 1495) und widmete sich zunächst allgemein humanistischen, späterhin namentlich medicinischen Studien. Von 1520 ab finden wir ihn als „Rath und Redner“ im Dienst der Stadt Metz, die er 1521 auf dem bedeutungsvollen Wormser Reichstag sowie weiterhin auch auf anderen Reichsversammlungen (u. a. 1541 in Regensburg, 1545 in Worms) vertrat. (Hdschr. Instruction für den Reichstag von 1521 in der Metzer Stadtbibl. Hf. 164, S. 271.) Daneben wirkte er als Stadtarzt in Metz und gab 1529 auf Anregung des Bischofs Wilhelm von Straßburg zusammen mit Laurentius Frisius eine lateinische Abhandlung über den „englischen Schweiß“ heraus, eine Seuche, die damals von Norden her eindringend, auch im Elsaß viele Opfer forderte. Sonst wissen wir nichts über seine ärztliche Thätigkeit, die jedenfalls hinter der diplomatischen bald in den Hintergrund trat. Der Dienst der Stadt Metz allein konnte seinen politischen Ehrgeiz nicht befriedigen, und so knüpfte er zunächst mit dem Herzoge von Lothringen und dem Grafen Wilhelm von Fürstenberg, der in Lothringen Güter erworben hatte, Beziehungen an. Fürstenberg bewog dann 1539 die schmalkaldischen Verbündeten, N. gegen ein Jahrgeld von 100 fl. als Agenten und politischen Berichterstatter zu bestellen, wozu er sowol durch seine Sprachkenntnisse (deutsch, französisch, lateinisch) wie durch Neigung und Beanlagung trefflich paßte. Ueberdies war er der evangelischen Sache von Herzen treu ergeben, was sich besonders deutlich in seinem Eifer für die Kirchenreform in der Stadt Metz zeigte. Mit Hülfe des schmalkaldischen Bundes hoffte er die katholische Mehrheit des Stadtmagistrats einzuschüchtern und die Duldung der evangelischen Lehre und Predigt zu erzwingen. [619] Im August 1542 verhandelte er darüber persönlich mit dem einflußreichsten Bundesfürsten, dem Landgrafen Philipp von Hessen. Allein die Verbündeten scheuten vor thatkräftiger Einmischung in die Metzer Verhältnisse schließlich doch zurück, und ihre gütlichen Ermahnungen machten auf die städtische Obrigkeit nur geringen Eindruck. Nachdem das entschiedene Auftreten Wilhelm’s von Fürstenberg den Metzer Protestanten vorübergehend einige Erleichterungen verschafft hatte, wurde die „Ketzerei“ im Herbst 1543 mit kaiserlicher Unterstützung völlig unterdrückt. Von da an fühlte sich N. in Metz nicht mehr recht heimisch. Zwar behielt er seine Behausung in der Stadt und gab auch sein Dienstverhältniß zum Magistrat nicht ganz auf, lebte aber fortan meist in dem evangelischen Straßburg, wo er auch das Bürgerrecht erwarb (Straßb. St. Arch.). Während des Krieges zwischen Karl V. und Franz I.[WS 1] 1544 lieferte er den deutschen Protestanten aus dem günstigen Standquartiere Metz dankenswerthe Nachrichten über den Verlauf des Feldzuges, und als im folgenden Jahre die Schmalkaldener zwischen Frankreich und England Frieden zu vermitteln suchten, war es fast selbstverständlich, daß sie ihren gewandten Agenten N. zur Theilnahme an diesen Unterhandlungen bestimmten. Seine Genossen waren der Straßburger Schulrector Johann Sturm, der Württemberger Christoph v. Venningen, der während der Reise starb, der hessische Marschall Baumbach und der Geschichtsschreiber Sleidan. Mit Geschick wußten sie die Herrscher Frankreichs und Englands zur Annahme der Vermittlung zu bewegen; aber an der wirklichen Herstellung eines Waffenstillstandes und Friedens scheiterte ihre Kunst, da die überlegene kaiserliche Diplomatie ihre Bemühungen meisterhaft zu durchkreuzen wußte. Für N. persönlich hatte aber die Mission das wichtige Ergebniß, daß er sich das Vertrauen des englischen Gesandten William Paget erwarb, der bei Heinrich VIII. großen Einfluß hatte. Während Paget sich über Baumbach’s und Sleidan’s diplomatische Fähigkeiten recht abfällig äußerte, schrieb er seinem König über N., er habe in seinem ganzen Leben noch keinen Deutschen kennen gelernt, der zum Politiker so viel Anlage hätte wie dieser. Auch in Miene und Haltung fand er ihn würdig und wohl abgemessen, eher einem Spanier als einem Deutschen ähnlich. Da außerdem N. aus seiner Zuneigung für das protestantische England kein Hehl machte, so war es bald ausgemacht, daß er gegen eine Jahrespension von 500 bis 600 Kronen dem König als politischer Berichterstatter dienen sollte. Das war eine Form der Verpflichtung, wie sie N. liebte; denn er wurde dadurch in der Freiheit des Handelns und der Bewegung nicht weiter beeinträchtigt und konnte seine alten, ähnlich gearteten Beziehungen zu Metz, Straßburg und den Schmalkaldenern ruhig beibehalten. Wenn er sich Paget gegenüber ausbedingt, daß die Verpflichtung gegen England erst beginnen sollte nach völliger Beendigung seiner gegenwärtigen Mission, so zeugt das von seiner Vorsicht und Gewissenhaftigkeit. Bemerkenswerth ist ferner, daß er bei den Verhandlungen mit Paget erzählte, er sei früher bei dem Kaiser sehr gut angeschrieben gewesen, aber jetzt in Ungnade, weil er das Evangelium begünstige und sich geweigert habe, in kaiserliche Dienste zu treten.

Soviel wir wissen, hat N. nur einen politischen Bericht an seine englischen Auftraggeber gerichtet (aus Frankfurt vom 8. Februar 1546); kurz darauf berief man ihn nach England selbst, um ihn als Gesandten bei den Verhandlungen zu verwenden, die auf ein Bündniß zwischen Heinrich VIII. und den Schmalkaldenern abzielten. Der ausbrechende schmalkaldische Krieg brachte jedoch diesen Versuch bald ins Stocken, zumal als sich der Sieg auf die Seite Karl’s V. neigte. Dem Kaiser war es nicht entgangen, mit welchem Eifer N. bis zum Frühjahr 1547 daran gewesen war, England gegen ihn [620] aufzureizen, und die Straßburger hatten daher große Mühe, bei ihrer Unterwerfung zu erreichen, daß N. in den Frieden eingeschlossen würde. Noch im Sommer 1548 wußte dieser nicht recht, wessen er sich zu den Kaiserlichen zu versehen hätte; ja, er gerieth von neuem in den jedenfalls ungerechtfertigten Verdacht, in Frankreich gegen den Kaiser zu prakticiren.

Sein politisches Ideal blieb noch auf Jahre hinaus die Verbindung aller protestantischen Mächte unter Englands Führung. Erst die Ereignisse von 1552, vor allem die Ueberrumpelung der Stadt Metz, an deren Geschicke er[WS 2] noch immer regen Antheil nahm, gaben seinen Gedanken eine andere Richtung. Schon im März 1552 hatte er, das drohende Unheil voraussehend, in Straßburg um Hülfe für Metz gegen Frankreich angesucht, jedoch vergeblich! Nachdem dann die Franzosen die Stadt in ihre Gewalt gebracht, that er alles, was in seinen Kräften stand, um dem Kaiser die Rückeroberung der alten Grenzfeste zu ermöglichen. Man weiß, wie wichtig es damals für Karl war, den Markgrafen Albrecht Alcibiades, der sich mit Frankreich verbündet hatte, aber des Bundes bereits überdrüssig war, ganz auf seine Seite herüberzuziehen. Man wandte sich zu diesem Zweck an den Grafen Johann von Nassau-Saarbrücken, der mit Albrecht persönlich befreundet war, und dieser betraute mit der heiklen Aufgabe, die zweifellos große Umsicht erforderte, unsern Hans v. N. Vermuthlich hatte die Nachbarschaft der beiderseitigen Besitzungen die Bekanntschaft zwischen N. und den Saarbrücker Grafen vermittelt. 1553 findet sich N. gelegentlich als „Rath“ des Grafen Philipp, der ein Bruder des Grafen Johann war, genannt. (Vgl. J. G. Lehmann, Gesch. der Grafsch. Hanau-Lichtenberg II, 400.) Vielleicht war dieser Titel – denn ein eigentliches Amt darf man sich darunter nicht vorstellen – die Belohnung für die erfolgreiche Unterhandlung Niedbruck’s mit Albrecht Alcibiades; denn es gelang ihm thatsächlich, im October 1552 dessen Verbindung mit dem Kaiser zu bewirken. Trotz dieser Hülfe mußte Karl freilich unverrichteter Dinge von Metz abziehen, zum großen Leidwesen Niedbruck’s, der nun allen näheren Verkehr mit der französisch gewordenen Stadt abbrach und die letzten Jahre seines Lebens theils in Straßburg, theils in dem Schwarzwaldstädtchen Hornberg zubrachte, wo ihm das Klima besonders gut behagte. Im Sommer 1555 erlitt er einen Schlaganfall, von dem er sich nicht mehr recht erholte, und um 1558 machte der Tod seinem Leiden ein Ende.

Zu erwähnen sind noch Niedbruck’s Beziehungen zu Sleidan, dem berühmten Geschichtsschreiber der Reformation. Die beiden wurden wohl 1544 in Straßburg miteinander bekannt, und bald nachher verlobte sich Sleidan mit Niedbruck’s jüngster Tochter Jola. Im März 1546 folgte die Heirath. Schon bei seinem ersten Zusammentreffen mit Paget suchte N. seinem Schwiegersohn, der ja in ziemlich bedrückten Verhältnissen lebte, eine Anstellung als politischer Correspondent der englischen Regierung zu verschaffen, und nach wiederholtem Drängen erhielt er wirklich eine Zusage. Indessen hat Sleidan thatsächlich niemals einen Heller aus England empfangen. Baumgarten meint auf Grund einer Aeußerung Asham’s, N. selbst habe dies durch heimliche Ränke hintertrieben; doch halte ich das für wenig glaubwürdig. Wenn auch nicht zu leugnen ist, daß das freundschaftliche Verhältniß zwischen N. und Sleidan allmählich recht kühl wurde, namentlich seitdem Sleidan’s heißgeliebte Gattin Jola 1553 gestorben war. N. und seine Frau kümmerten sich nur wenig um die mutterlosen Kinder ihres Eidams; dazu kam, daß N. die noch ledige Schwester Jola’s trotz aller Gegenvorstellungen Sleidan’s mit dem leichtsinnigen und tief verschuldeten Freiherrn Franz v. Mörsberg vermählte und außerdem noch eine Bürgschaft für den Junker übernahm. Wie es Sleidan befürchtet hatte, wurde [621] infolge dessen nach Niedbruck’s Tode die Hinterlassenschaft von den Gläubigern Mörsberg’s beschlagnahmt, sehr zum Nachtheil der übrigen Erben. N. seinerseits war sehr ungehalten, daß sich Sleidan nicht eifriger bemühte, eine gesicherte Lebensstellung zu erringen. Auch die Herausgabe der berühmten „Commentare“ verurtheilte er als eine große Unklugheit seines Eidams. So waren die Beziehungen zwischen dem idealgesinnten, aller Streberei abholden Gelehrten und dem weltklugen, ehrgeizigen und etwas eitlen Diplomaten, der bei aller Hingebung an die evangelische Sache doch den persönlichen Vortheil nie aus dem Auge verlor, zuletzt wenig erfreulich. Deshalb über Niedbruck’s Charakter so schroff abzuurtheilen, wie Baumgarten es thut, scheint mir doch übereilt. Dazu kennen wir den zweifellos bedeutenden Mann noch viel zu wenig. Hoffentlich werden weitere Forschungen noch mehr Licht über ihn verbreiten. Wie Siebmacher behauptet, soll Karl V. N. 1541 in den Reichsadelstand erhoben haben. Ich habe dafür keine authentische Bestätigung finden können. Vielleicht handelt es sich bei diesem Gnadenbeweis um Niedbruck’s Bruder Johann, der zeitweise als Kriegsmann in kaiserlichen Diensten stand.

Vgl. State papers: King Henry VIII, T. X und XI. – Katterfeld, Roger Asham (Straßb. 1879). – H. Baumgarten, Ueber Sleidan’s Leben (Straßb. 1878). – Ders., Sleidan’s Briefwechsel (Straßb. 1881). – M. Lenz, Briefwechsel des Landgrafen Philipp mit Bucer. – Politische Correspondenz der Stadt Straßburg im Zeitalter der Reformation II u. III. – A. Hollaender, Straßburg im Schmalkaldischen Kriege (Straßb. 1881). – Ders., Straßburg im französischen Kriege 1552 (Straßb. 1888). – Ders., in Zeitschr. f. Gesch. d. Oberrheins, N. F. IV, 337 ff. – O. Winckelmann, ebd. XIV, 566 ff. – J. Bernays, ebd. XVI, 32. – Winckelmann, im Jahrbuch für lothringische Geschichte IX, 202 ff. – Kleinwächter, Der Metzer Reformationsversuch (Marb. 1894). – A. O. Meyer, Englische Diplomatie in Deutschland (Breslau 1900). – Ficker & Winckelmann, Handschriftenproben des XVI. Jahrh., Bd. I (Straßb. 1902), T. 26.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Franz I., der Ritterkönig (frz. François Ier, le Roi-Chevalier); (1494–1547); wurde 1515 in der Kathedrale von Reims zum König von Frankreich gekrönt und regierte bis zu seinem Tod 1547
  2. Vorlage: er er