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ADB:Poißl, Johann Nepomuk Freiherr von

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Artikel „Poißl, Johann Nepomuk“ von Hans Michael Schletterer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 26 (1888), S. 376–380, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Poi%C3%9Fl,_Johann_Nepomuk_Freiherr_von&oldid=- (Version vom 25. November 2024, 06:16 Uhr UTC)
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Poißl: Johann Nepomuk P., einem, von Kaiser Leopold I. 1697 in den Freiherrnstand erhobenen alten baierischen Adelsgeschlechte entstammend, wurde auf dem Familiengute zu Hauckenzell im baierischen Walde am 15. Februar 1783 geboren und starb in München 1853. Er war k. baier. Kammerherr, von 1824 bis 1833 Hoftheaterintendant und weiter bis 1848 auch Hofmusikintendant (interimistisch zwischen dem Frhr. v. Fraiss und dem Grafen Pocci, dann nochmals Intendant), Comthur und Capitularherr des St. Georgsordens und Comthur des großherzoglich hessischen Ludwigsordens u. s. f. P. hatte im elterlichen Hause eine sorgfältige Erziehung und nachher auf der Landshuter Universität seine wissenschaftliche Ausbildung genossen. Zu jener Zeit wurde in Landshut viel Musik getrieben und so erhielt denn auch die Neigung für diese Kunst in dem für sie besonders talentirten jungen Manne, der jetzt schon als ein guter und geschmackvoller Sänger sich bewährte, wünschenswerthe Nahrung und Anregung. In das väterliche Haus zurückgekehrt, betrieb er seine musikalischen Studien eifrigst weiter, so daß er, als er 1806 nach München übersiedelte, [377] seine erste Oper: „Die Opernprobe“, nahezu fertig mitbringen und deren Aufführung veranlassen konnte. In München fand er nun auch Gelegenheit, gründlichere musikalische Studien zu machen. Der nachmalige Freund Weber’s, Capellmeister Fr. Danzi, wurde sein Lehrer. P. machte so auffallende Fortschritte, daß er in unferner Zeit erfolgreich mit ihm und dem berühmten Operncomponisten, dem alten P. v. Winter, concurriren konnte. Seinem ersten Versuche ließ er im Laufe der nächsten Jahre eine ganze Reihe von Opern folgen, welche nicht nur in München, sondern auch in Weimar, Darmstadt, Wien, Kassel, Braunschweig, Dresden, Stuttgart u. s. w. beifällig aufgenommen wurden. Trotzdem nun P. zu den fleißigsten Tonsetzern seiner Zeit zählte und seine Bühnencompositionen, wie seine Kirchenwerke, einst weite Verbreitung gewannen, ist er heute, kaum 30 Jahre nach seinem Tode, fast bis auf den Namen, schon vergessen. Welch’ eine Lehre liegt darin für alle unsere, mit allen Mitteln nach Bühnenerfolgen strebenden Tonsetzer. Als P. nach München kam, stand dort, wie an andern Hofbühnen, die italienische Oper im Vordergrunde. Dem herrschenden Geschmacke sich anbequemend, schrieb auch er, der Weise Paërs und S. Mayrs folgend, zunächst eine Anzahl italienischer Opern. Er besaß Geist, vielseitige Bildung, schönes Talent und bemerkenswerthes technisches Geschick, wie man es bei Dilettanten nur selten antrifft. Außerdem konnte er sich einer sehr beachtenswerthen poetischen Begabung rühmen, die es ihm gestattete, nicht allein als Theaterdichter überhaupt sich zu versuchen, sondern auch die Texte zu seinen Opern und Cantaten sich meist selbst zu schreiben. Man muß gestehen, daß die von ihm verfaßten Libretti besser waren, als die von andern ihm zur Verfügung gestellten und darf ihm den Ruhm eines geschickten Dichtercomponisten nicht vorenthalten. Einen Beweis für seine musikalische Gewandtheit lieferte er in den nachcomponirten, von ihm in 23 Tagen geschriebenen Stücken zu Nasolini’s „Merope“. Allerdings rief man ihm jetzt schon zu: „Eile mit Weile!“ Dem heiter-gefälligen, durchsichtig(fadenscheinig)-klaren Italiener wußte er sich jedoch nicht anzupassen, da er ihm mit überreichem Aufwand kühner Fortschreitungen, gesuchter Modulationen und der gesammten Macht aller Instrumente zur Seite trat, wodurch selbstverständlich eine curiose Stilverschiedenheit in dieser Oper erzeugt wurde.

Bei Beurtheilung der künstlerischen Qualitäten Poißl’s sieht man sich allein auf die oft sehr widersprechenden Berichte gleichzeitiger Referenten angewiesen, denn seine Compositionen sind, wie schon gesagt, völlig verschollen und da auch nur die wenigsten im Drucke erschienen, jetzt überhaupt nicht mehr zugänglich. Er wurde von den Anhängern der älteren Richtung als Meister ersten Ranges gefeiert, von denen, welche für Weber, Spohr u. a. begeistert waren, nur geringschätzend beurtheilt. Während z. B. die Oper „Nitettis“ ihm nach ihrer wiederholten Aufführung in Darmstadt die größten Ehren einbrachte (der musiknärrische Großherzog Ludwig I., dem sie gewidmet war, überreichte ihm eigenhändig nach der Aufführung das Comthurkreuz des Verdienstordens), berichtete man von München aus, wo sie gar nicht gefiel: „Sie ging zu ihren verblichenen Schwestern über“. Immerhin tritt er uns als ein beachtenswerther, seinerzeit vielgenannter Tonsetzer gegenüber. Er nahm bald eine angesehene Stellung in München ein und besonders seit er dort Intendant der Hofmusik und Hoftheaterintendant geworden war, fanden seine Werke allmählich Verbreitung auf andern deutschen Bühnen. Eine Hand wäscht die andere. Einer componirenden Excellenz sind die Wege zu Erfolgen geebneter, als gewöhnlichen Musikern. Mag jener, wie es auch bei P. geschah, trotz guter Leistungen, der Vorwurf der Dilettantenhaftigkeit seitens der zünftigen Tonsetzer auch nicht erspart bleiben, sie verfügt über Mittel und kennt Wege, welche es ihr ermöglichen, die Situation [378] mehr oder minder zu beherrschen. P. boten sich zudem zahlreiche Gelegenheiten, mit glänzend ausgestatteten Festopern, zunächst in München, hervorzutreten. So gleich, nachdem er seine Stelle angetreten hatte. Das kurz vorher (1811 bis 1818) erbaute Theater war am 14. Januar 1823 bereits wieder abgebrannt. Bald aber konnte das prachtvoll aus den Trümmern erstandene neue Hoftheater schon eröffnet werden (2. Januar 1825). P. schrieb für diese Veranlassung ein Nationallied und eine Feenoper: „Die Prinzessin von Provence“. Und als nach des Königs Max I. Tode der Hof zum ersten Male das Theater wieder besuchte, ward das von E. v. Schenk gedichtete, von ihm componirte Festspiel „Ludwigs Traum“ aufgeführt u. s. w. – Sein „Ottaviano in Sicilia“ wurde s. Z. mit einem kaum erlebten Beifalle von dem Münchener Publicum aufgenommen. Die später erstandene „Athalia“ überholte diesen Erfolg. Sie gilt allgemein als seine beste und gelungenste Oper. Faßt man das, was über ihn und seine Werke von Zeitgenossen geurtheilt wurde, zusammen, so rühmen die Einen seinen Reichthum an lieblichen, schönen und faßlichen Melodien, die Kraft und Kühnheit seiner Harmoniefolgen, die Richtigkeit der Declamation, namentlich in den Recitativen, sinnreiche und originelle Wendungen, edlen Stil, einsichtsvolle Anordnung der künstlerischen Effecte, Vermeidung aller Längen, leichte und gewandte und doch nicht oberflächliche Arbeit, großes technisches Geschick, insbesondere auch im strengen Satz und in Fugensätzen, ein glückliches Bestreben, eigene Wege einzuschlagen und seine Musik der dramatischen Situation immer anzupassen, die verständige Beherrschung und sinnvolle Vereinigung aller Kunstmittel, ein rastloses Streben nach Vervollkomnmung u. s. w. Er wußte für die Sänger sehr dankbar zu schreiben und seine vielen concertmäßig gehaltenen Arien wurden von ihnen s. Z. gerne zu Solovorträgen benutzt. Ebenso verstand er die Kunst, effectvoll zu instrumentiren in besonderem Grade. Dagegen fanden Andere wieder wenig erbauliches in seiner Musik. Sie tadelten besonders die einen empfindlichen Mangel an origineller Erfindung verrathenden häufigen Anklänge und Reminiscenzen an bekannte gute Tonsetzer, die alltäglichen Modulationen, die harten und schroffen, das Ohr verletzenden Tonfolgen, zu viel Lärm in den Orchestersätzen, absichtliche Anhäufung großer Schwierigkeiten, die wenn auch vollkommen besiegt, die Wirkung nicht erhöhten, ein ängstlich-unsicheres Herumtreiben auf dem Meere der Modulation, was namentlich in den Recitativen unangenehm berührte, eine zu düstere Färbung in heiteren Situationen, zu einfache und wenig neue Motive u. s. f. Neben manchen gelungenen, wirkungsvollen und charakteristischen Nummern, fanden sich wieder triviale und flüchtige Stellen. Seine vielfach aufgeführte große Messe, obwol man ihr Melodie und fließenden Gesang nicht absprechen konnte, entbehrte doch des eigentlichen kirchlichen Geistes. Dagegen fanden seine 6- und 8stimmigen a capella-Gesänge allerwärts günstige Beurtheilung. „Als Intendant entwickelte P. anfangs ungemeine Emsigkeit, allein von ersprießlicher Thätigkeit konnte kaum bei ihm die Rede sein. Zu gutmüthig, um die nöthige Disciplin einzuführen, zu unerfahren, um ein Ensemble herzustellen, verwendete er nur auf einzelne Werke große Summen, während bei allen übrigen an Stelle stilvoller Ausstattung nüchterne Aermlichkeit trat.“ (Grandaur.) Die Grundübel, an denen die Münchener Bühne zufolge unbegreiflicher Indolenz des einheimischen Publicums litt – München besaß damals noch nicht wie heute seine herrlichen Kunstsammlungen und berühmten Gelehrtenschulen, seine jetzt alle Kunstbestrebungen der Residenz fast allein tragende und stützende Fremdencolonie und war noch nicht ein Knotenpunkt aller süddeutschen Eisenbahnen –, vermochte auch P. nicht zu beseitigen: Einnahmen und Ausgaben in Einklang zu bringen, erwies sich als fruchtloses Bestreben (trotz jährlichen Zuschusses von 78 000 Gulden [379] hinterließ auch P. seinem Nachfolger eine Schuldenlast von 45 000 Gulden); dem trefflichen, seiner künstlerischen Aufgabe sich wol bewußten Personale fehlte eine entsprechende Oberleitung; an Stelle verständiger Disciplin herrschte übel angebrachte Nachsicht und noch übleres Protectionswesen. Dazu schrieben die Theaterleiter, um die Verwirrung noch zu vermehren, mit Vorliebe polemische Broschüren; so auch P. gegen seinen Vorgänger Stich und seinen Nachfolger Küstner. Wie sollte unter solchen Verhältnissen der bequeme P., der in seinem eigenen, überdem von schweren Heimsuchungen betroffenen Hause, keine Ordnung herzustellen vermochte, zu erwünschtem Resultate in seiner Bühnenführung gelangen können? Trotzdem geschah unter seiner Leitung vieles zur Hebung des ihm anvertrauten Instituts, aber das war verhältnißmäßig damals eine unschwere Aufgabe. Man besaß die unsterblichen Werke Gluck’s, Mozart’s, Beethoven’s, Shakespeare’s, Calderon’s, Goethe’s, Schiller’s und an zeitgenössischen Tonsetzern und Dichtern lebten und wirkten: Weber, Spontini, Meyerbeer, Spohr, Lindpaintner, Chelard, Mehul, Auber, Boieldieu, Rossini, Bellini u. a. Uhland, v. Schenk, Raupach, Holtei, M. Beer, H. v. Kleist, Töpfer, Raimund u. s. f.; Euryanthe, Oberon, Macbeth, Spohr’s Faust, Maurer und Schlosser, Stumme von Portici, Gott und die Bajadere, Fra Diavolo, Zampa, Moses, Barbier, Belagerung von Corinth gelangten auf der Opernbühne, Iphigenie, Götz, Faust von Goethe, viele Schiller’sche und Shakespeare’sche Stücke im Schauspielhause unter seiner Theaterleitung zu erstmaliger Aufführung. Auch an vortrefflichen Sängern und Schauspielern, die zudem nicht das ganze Jahr auf Gastspielreisen waren, herrschte ebenfalls kein Mangel. Die Damen Clara Metzger-Vespermann und Katharine Sigl-Vespermann, Nanette Schechner-Waagen, Betty Spitzeder geb. Vio, Ant. Viol, Carol. Stern, Aug. Hölken, Carol. Deisenrieder; die Herren Lanius, Loehle, Schimon, Lenz, Bayer, Pellegrini (und seine Frau Clementine, geb. Moralt), Ed. Sigl, Staudacher und Mittermayer, welch letzterer tiefste Baß- und höchste Tenorpartien (z. B. Rocco und Florestan) zu übernehmen vermochte, wurden mit Recht den vorzüglichsten Gesangskünstlern ihrer Zeit zugezählt; im Schauspiel wirkten: Josepha Flerx, Adelheid Fries-Spitzeder, Charl. Stenzsch, Charl. Birch-Pfeiffer, Charl. v. Hagn, Marianne Lang, Am. Stubenrauch, Sophie Schröder; Ferd. Eßlair, W. Vespermann, A. Heigel, L. Hölken, W. Urban, H. Moritz, X. Mayr, F. Augusti, Ferd. Lang u. a. Das Ballet unter Horschelt war zahlreich besetzt und vermochte vortreffliches zu leisten; nicht minder der Chor. Ebenso zählte das Orchester unter Stunz und Moralt Künstler ersten Ranges unter seinen Mitgliedern und war ausgezeichneter Leistungen fähig. Die an den Intendanten gestellten Forderungen waren damals noch nicht erdrückender Art. Gute Kräfte standen in reicher Auswahl zur Verfügung, die Wünsche des Publicums, die Gagen der Künstler waren noch nicht ins Maßlose gesteigert. Es wurden regelmäßig nur an zwei Abenden in der Woche Opern, an dreien Schauspiele aufgeführt. Diese Aufgabe hätte sich leicht bewältigen lassen, wenn der Sinn für gute Werke in München entwickelter gewesen wäre. Der Bürgerstand zog immer noch aus Mangel an Cultur und aus Gewohnheit handgreifliche und consumtible Ergötzlichkeiten den selbst mit außerordentlichster Pracht ausgestatteten Opern (die daher nicht selten nur 1–2mal aufgeführt werden konnten) und den ergreifendsten Dramen vor. Die besten Stücke, z. B. die Schiller’schen und andere der größten Dichter, gingen spurlos an den Münchenern von dazumal vorüber. So kam man im Theater trotzdem nicht zur Ruhe und zu keinem Behagen, denn unausgesetzt mußten neue Werke studirt und vielfach ohne genügende Vorbereitung und Durcharbeitung vorgeführt werden. Die Theilnahmlosigkeit des Publicums machte jede Berechnung zu schanden. Da war es nun allerdings für den fleißig [380] componirenden und gewissenhaft und strenge auf einen regelmäßigen Tarok haltenden Intendanten eine große Hülfe, daß es in Oper, Schauspiel und Ballet nie an vorzüglichen Gästen fehlte, für die Zwischenacte Gesangs- und Instrumentalvirtuosen stets ihre Mithülfe anboten und, meist mit bestem Erfolge für die Casse, indianische Gaukler und russische Feuerfresser, Athleten, Wunderkinder, Taschenspieler, Fechtmeister, Improvisatoren, Natursänger, von denen einer einst auch Variationen pfiff u. s. w. ihre Künste zeigten.

P. war zweimal verheirathet; sieben Kinder gingen ihm im Tode voran. Einer seiner Söhne trat mit geringem Erfolge als Sänger auf. Poißl’s Werke sind folgende: „Die Opernprobe“, 1806; „Antigono“, 1808; „Ottaviano in Sicilia“, 1811; nachcomponirte Stücke zu „Merope“ von Nasolini, 1812 und zu „Doctor und Apotheker“ von Dittersdorf, 1824; „Aucassin und Nicolette“, 1813; „Athalia“, 1814; „Der Wettkampf zu Olympia“ oder „Die Freunde“, 1815; „Dir wie mir“, 1815; „Nitettis“, 1816; „Issipile“, 1818 (beide letztere für Darmstadt componirt); „La Rappresaglia“, 1820; „Die Prinzessin von Provence“, 1825; „Ludwigs Traum“, Festspiel von E. v. Schenk, 1826; Eingangsmusik, Frauenchor und Märsche zu dessen „Belisar“; Doppelchor zu Kleist’s „Hermannsschlacht“; „Der Untersberg“, 1830; „Vergangenheit und Zukunft“, dramat. Gedicht in 6 Scenen, 1833; „Zaide“, 1843. – Zwei große Messen; Stabat mater, zweichörig; zwei Miserere für 6 und 8 Stimmen; ein „Salve regina“ für Soli und Chor, Psalm 93 nach Mendelssohn’s Uebersetzung. „Nationallied“ von Jac. Sendter; „Ein Sommertag“, Cantate; „Die Macht des Herrn“, große Cantate von F. Bruckbräu, 1826 (Groß ist der Herr); „Der Erntetag“, Oratorium. Viele Ouverturen, Concerte (darunter ein in Leipzig gedrucktes Celloconcert), Arien u. s. w. – Eine ausführliche Biographie Poißl’s findet sich im 5. Bande des Schilling’schen Universal-Lexicons der Tonkunst. Neuere Encyclopädien erwähnen kaum seines Namens, oder gehen auch, ohne denselben nur anzuführen, an ihm vorüber.