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ADB:Rollenhagen, Gabriel

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Artikel „Rollenhagen, Gabriel“ von Wilhelm Seelmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 29 (1889), S. 84–87, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Rollenhagen,_Gabriel&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 04:34 Uhr UTC)
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Rollenhagen, Georg
Band 29 (1889), S. 84–87 (Quelle).
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Rollenhagen: Gabriel R., Sohn Georg Rollenhagen’s (s. u.), neulateinischer Dichter und Verfasser eines deutschen Drama’s, ist am 22. März 1583 in Magdeburg geboren und hat daselbst von seinem fünften Jahre ab das von seinem Vater geleitete altstädtische Gymnasium besucht. Die mit Unterstützung seines Vaters ausgearbeitete umfangreiche Rede, in welcher er sich am 21. September 1602 von Lehrern und Mitschülern verabschiedete, handelte in wohlstilisirtem Latein von der Geschichte und den Rectoren der Schule, die er verließ, und ist ihres Gegenstandes wegen später aus seinem Nachlasse in der von Joh. Blocius 1622 herausgegebenen „Promulsis Magdeburgensis historia“ zum Abdruck gebracht worden. Zum Wintersemester 1602 bezog er die Universität Leipzig, um die Rechte zu studiren. Er wohnte hier im Hause des Stadtphysikus Meurer, hörte humanistische Vorlesungen bei Johannes Fridericus und nahm Unterricht in der Musik bei dem damaligen Cantor der Thomasschule Sethus Calvisius. Von Juristen, deren Schüler er gewesen sei, nennt er gelegentlich Michael Hospitalius, Gebehard und Franz Romanus, bis auf den letzten, der später sich einen gewissen Namen machte, gänzlich unbekannte Männer, wie denn Leipzig damals überhaupt keinen Rechtslehrer von Ruf besaß. Der junge R. beschränkte seine Thätigkeit allerdings nicht auf sein Fachstudium, das er zwar in Gedichten gefeiert, bei aller schriftstellerischen Neigung aber nie durch eigene Veröffentlichungen zu fördern gesucht hat. Schon als Student im ersten Semester veröffentlichte er, offenbar auf Veranlassung seines Vaters, seine „Vier Bücher Wunderbarlicher biß daher vnerhörter vnd vnglaublicher Indianischer reysen durch die Lufft, Wasser, Land, Helle, Paradiß vnd den Himmel“, Magdeburg 1603, 4°, denen er seines Vaters „Warhaffte Lügen von Geistlichen und natürlichen Dingen“ als Anhang beifügte. Beide Bücher verdanken ihre Entstehung didaktischen Zwecken. Die Wahrhafften Lügen hatte sein Vater ihm und andern Zöglingen dictirt, als Uebungsstoff, der in das Lateinische zu übersetzen war. Umgekehrt waren die Indianischen Reisen zum größten Theile Uebersetzungen classischer und nachclassischer Berichte über Indien, die er unter des Vaters Leitung als Schüler angefertigt hatte. Der eigenartig phantastische Inhalt dieser Reisen, vormünchhausenscher Münchhausiaden, die lesbare Sprache, welche die Uebersetzung auszeichnet, und nicht zum mindesten das Ansehen seines Vaters, des eigentlichen Urhebers, gaben denselben eine große, sich in zahlreichen Nachdrucken kundgebende Verbreitung. Auch dadurch sind sie merkwürdig geworden, daß aus der darin enthaltenen Uebersetzung von Lucian’s Ἀληθὴς ἱστορία Joh. Kepler die Idee zur Einkleidung seines Somnium de astronomia lunari geschöpft hat. Mit besonderem Eifer wandte sich aber R., der schon als Gymnasiast in lateinischer Versification sich fleißig hatte üben müssen, von seinen ersten Semestern an der lateinischen Poesie zu, und eine beträchtliche Anzahl seiner später veröffentlichten Gedichte rühren aus seiner Leipziger Studentenzeit her. Nach zweijährigem Studium verließ R. im Herbste 1604 Leipzig, ohne daß sich ermitteln läßt, ob er das folgende Winterhalbjahr, wie es scheint, in seiner Vaterstadt oder auf irgend einer Universität verbracht hat. Nach Helmstedt, dessen weltberühmten Rector Caselius er in Magdeburg kennen lernte, scheint er wegen der im Herzogthum Braunschweig damals drohenden Kriegsunruhen nicht gegangen zu sein. Im nächsten Jahre begab R. sich auf Anregung von Caselius und mit Empfehlungen von ihm versehen über den [85] Haag, wo er Hugo Grotius aufsuchte, nach Leyden, und wurde hier am 25. April 1605 als studiosus iuris immatriculirt. Die Rechtsfacultät Leydens, der Cornelius Grotius, Swaneborg und Bronckhorst angehörten, erfreute sich freilich eines großen Rufes, mehr als ihr Ansehen mag für R. und seinen Rathgeber bestimmend gewesen sein, daß Leyden damals der Hauptsitz der humanistischen Studien und der Pflege neulateinischer Poesie war, und daß mit ihren dortigen Vertretern Caselius, selbst einer der hervorragendsten Humanisten seiner Zeit, in freundschaftlichem Verkehr stand. Der Verein von Männern, die als Gelehrte wie Dichter gleich berühmt, heute noch unvergessen sind, wie Dom. Baudius, Paulus Merula, Bonav. Vulcanius, Daniel Heinsius, vor allem aber der große Joseph Scaliger, obschon dieser der Universität als Lehrer nicht angehörte, gaben gerade damals der Facultät der freien Künste in Leyden eine später nie wieder erreichte Weltstellung in der Wissenschaft. Der Glanz, welchen der Lorbeer des lateinischen Dichters den Namen jener Männer in Leyden lieh, mußte des vollen Eindruckes auf einen Jüngling gewiß sein, dem die Gewandtheit und Lust, mit welcher er mühelos gefällige Verse bildete, Beweis hervorragender dichterischer Veranlagung zu sein schien, und so trug der Leydener Aufenthalt Rollenhagen’s dazu bei, daß sein Streben und Ehrgeiz dem lateinischen Poetenthum sich voll zuwandte. Pflichtgemäß wird er in den juristischen Hörsälen auch in Leyden sein Heft nachgeschrieben haben, seine Neigung und Hang führten ihn aber zu den oben genannten Humanisten. Sie alle ohne Ausnahme, keinen der Leydener Rechtslehrer, nennen und feiern später seine Poesien, am meisten den die studirende Jugend damals enthusiasmirenden, selbst noch jungen Extraordinarius Daniel Heinsius, in dessen Hause R. verkehrte, und Joseph Scaliger, bei dem er durch jenen eingeführt war und dem er von Aussehen ähnlich zu sein sich schmeichelte.

Im Herbst 1605 kehrte R. nach Magdeburg zurück und ist fortan in seiner Vaterstadt geblieben, wo er bei dem protestantischen Domcapitel, dessen Domdechant Ludwig v. Lochow zu seinen besonderen Gönnern gehörte, kurz nach seiner Rückkehr aus Leyden noch im J. 1605 als Vicar und acht Jahre später als Protonotar (Obersecretär) Anstellung fand.

Heimgekehrt aus Leyden zögerte R. nicht länger, sich der gelehrten Welt wie seinen Mitbürgern öffentlich als lateinischer Dichter zu zeigen, und stellte noch im J. 1605 eine umfangreiche Sammlung seiner Gedichte in einem Bande von mehr als 300 Druckseiten zusammen, die er unter dem Titel: „Juvenilia. In quibus exhibentur Rheda amorum, Sylvula epigrammatum, Plaustrum carminum miscellan.“, Magdeburgi 1606 erscheinen ließ. In denselben besingt er eine Leipziger Geliebte, die Paeta, und feiert in zahllosen Gelegenheitsgedichten und Epigrammen Gönner und Freunde. In einem umfangreichen Vorwort weist er mit Beflissenheit darauf hin, daß die besungene Paeta eine dichterische Fiction sei, seine wirkliche Geliebte in Leipzig sei einzig und allein die Themis, also die Rechtswissenschaft gewesen. Er beruft sich darauf, daß Männer wie Caselius, Heinsius und Scaliger günstig über seine poetischen Versuche geurtheilt haben und er durch sie zur Herausgabe ermuntert worden sei. Auch sind eine Anzahl Epigramme und Aussprüche von Gönnern und Freunden, die dem Ingenium des jungen Dichters in mitunter überschwänglichen Ausdrücken huldigen, mit zum Abdruck gebracht. Solche Beigabe freundschaftlicher Lobeserhebungen, die sich die Verfasser für ihre Erstlingswerke als Empfehlung von möglichst angesehenen Männern erbaten, war zeitgenössischer Brauch. R. verfolgte aber dabei noch einen Nebenzweck. Es waren von Neidern, wie er sagt, Stimmen laut geworden, die minder günstig über ihn geurtheilt hatten. Diesen wollte er entgegen wirken, und er fügte deshalb noch im Abdrucke das lobesvolle Rectoratszeugniß [86] über seine Begabung, Studienfleiß und gesittetes Verhalten bei, das ihm bei seinem Abgange von der Universität Leipzig am 20. September 1604 ausgestellt worden war.

Der Hoffnung, der einige Stellen der Gedichte Ausdruck geben, daß Paeta und ihr Sänger in der Erinnerung der Nachwelt fortleben werde, hat sich nicht erfüllt. Die „Juvenilia“ erlebten keine zweite Auflage und waren bald der Vergessenheit anheimgefallen.

Mehr Erfolg war einem deutschen Lustspiel beschieden, das R., seinen Namen in einem Anagramm versteckend, unter dem Titel: „Amantes amentes. Das ist Ein sehr Anmutiges Spiel von der blinden Liebe, oder wie mans Deutsch nennet von der Leffeley, auf gut Sächsisch gereimet Durch Angelium Lohrber è Liga“, Magdeburgk 1609 veröffentlicht hat. Dasselbe erfuhr mehrere, von dem Verfasser theilweise erweiterte Auflagen, und der vierten vom Jahre 1614 fügte er „Die ausbündige schöne Tageweiß vom Pyramo und Thysbe aus den Poeten Ovidio, Im Thon, Ach weh wie ist mein junges Hertz“ bei, die man mit Unrecht als einen Meistergesang und als ein Zeugniß für die Fortdauer der Meistersängerei in Magdeburg bezeichnet hat.

Die Handlung der Amantes amentes ist sehr einfach, sie besteht wesentlich in der Liebeswerbung des jungen Eurialus um die Lucretia, und wie diese Namen so sind auch die Motive dem bekannten Romane des Aeneas Sylvius entlehnt. Aus dem Froschmeuseler ist eine Stelle übernommen, im übrigen ist deutschen Dramen nichts entlehnt, doch ist R. dem von Herzog Heinrich Julius von Braunschweig gegebenen Vorbilde, bäuerische, derbkomische Rollen einzufügen, gefolgt; sie sind zwei Liebesleuten zugetheilt, die in altmärkischer Mundart reden. Wodurch R. zur Abfassung eines deutschen Drama’s veranlaßt wurde, ist nicht bekannt. Man hat gemeint, daß er sein Spiel für die jährlich stattfindenden Aufführungen der Magdeburger Gymnasiasten geschrieben habe. Diese Vermuthung ist falsch. Das Stück hat in keiner Weise etwas mit einer Schulkomödie gemein, und die Spielordnung bietet überdies einen sicheren Hinweis, daß sie nicht für die Magdeburger Schule berechnet war. Man wird eher annehmen dürfen, daß es durch englische Komödianten, etwa am braunschweigischen Hofe, aufgeführt worden ist. Gerade darin beruht die Bedeutung des Stückes für die Geschichte des deutschen Drama’s, daß es eines der ersten novellistischen Dramen aus den Bahnen, in denen sich die Schulkomödie bewegte, vollständig heraustritt und durch seinen dramatischen Aufbau sich auch von den übrigen Dramen vortheilhaft unterscheidet. Der Stoff, eine romantische Liebesgeschichte, ist rein weltlich, nirgends treten erbauliche oder lehrhafte Tendenzen hervor, die Handlung hat Einheit, die organisch eingefügten Episoden treten angemessen zurück, rohe Bühneneffecte sind gemieden, so wird das Stück zu einem der lesbarsten jener Zeit und macht im Vergleich zu den älteren und vielen gleichzeitigen Dramen einen fast modernen Eindruck.

Von neuem zeigte sich R. als lateinischer Dichter in dem wahrscheinlich 1610 gedruckten Werke: „Nucleus emblematum selectissimorum“, Coloniae 4°, zu dem 1613 ein zweiter Band („G. Rollenhagii selectorum emblematum centuria secunda“, Ultraiecti 1613) erschien. Die allegorischen Kupfer sind von Crispin van Passe, dem älteren, die dazu gehörigen Embleme, von denen die Mehrzahl in je einem Distichon besteht, von R. theils aus älteren Dichtern ausgewählt, theils selbst verfaßt. Gelehrte Spielerei, die Sprachkenntniß verrathen soll, ist es, wenn in jedem Bande außer zwei bis drei griechischen ebensoviele französische und italienische Sinnsprüche sich vorfinden, deutsche sind nicht darunter.

Sein letztes Werk war der 1619 erschienene nicht sehr umfangreiche „Novorum [87] epigrammatum libellus singularis“, Wittebergae MDXIX. 4°. Die in ihm enthaltenen Gedichte sind derselben Art wie die Juvenilia; eines derselben, das mit den Worten Vita mihi iucunda fluit beginnt, klingt wie eine Ahnung baldigen Todes, es schließt:

Nam leti strepitu nil conturbabitur auris
     In qua verba sonant nocte dieque Dei.

Bald darauf, wahrscheinlich noch 1619, muß er gleich den meisten seiner Geschwister von einem frühen Tode ereilt gestorben sein; 1622 erwähnt Blocius beim Abdruck der Valedictionsrede vom Jahre 1602 des Verfassers als eines Verstorbenen.

Sein Bildniß hat van Passe gestochen und den von ihm herausgegebenen Emblemen beigefügt. Es zeigt ein jugendliches Gesicht mit offenen Zügen und der Stirn eines Künstlers.

Lütcke, Leben und Schriften des Georg Rollenhagen, Berlin 1846, S. 7 ff. – Gädertz, Gabriel Rollenhagen, Leipzig 1881.