ADB:Calvisius, Sethus
Nicol. Selnecker und des ganzen theologischen Collegiums, nach Schulpforte als Cantor berufen wurde. Hier wirkte er segensreich für die Pflege der Musik, führte unter anderm den Motettengesang bei den gemeinsamen Mahlzeiten ein, zeichnete auch zugleich als Gelehrter und Pädagoge sich aus und ertheilte hebräischen Unterricht, gab aber mit besonderer Vorliebe historischen und chronologischen Studien sich hin. Nach 12jähriger treuer Amtsführung schied er 1594 von Pforte, wo sein Andenken bis auf den heutigen Tag sich erhalten hat, und folgte einem ehrenvollen Rufe nach Leipzig als Cantor an der Thomasschule und Musikdirector an den beiden Hauptkirchen, „welchem Ampt, mit was ruhm und fleiß er demselben fürgestanden, auch waser massen die Musica bey der Kirchen allhie durch ihn angerichtet und verbessert worden, das ist für Augen, daß es hievon weiters berichts oder zeugnüsses nicht bedürfftig. Denn er war seiner Kunst mechtig der sich auf gute Muteten und das decorum im singen verstunde, derwegen auch die besten Stück und Muteten zu singen beflissen war, und selbst auch einen guten und statlichen Componisten gegeben hat“ (Leichpredigt von der Musika, gehalten beim Begräbnisse des Calvisius, von Vincenz Schmuck, Pastor zu S. Nicolai, Leipz., Kober). Seine Einführung in das Leipziger Cantorat erfolgte am 19. oder 29. Mai 1594 und er verwaltete es 21 Jahre lang bis zu seinem am 24. Nov. 1615 erfolgten Tode, in der langen Reihe würdiger Verweser dieses Amtes, unter denen Namen wie Georg Rhaw, Joh. Herm. Schein, Schelle, Kuhnau und Seb. Bach hervorleuchten, einer der würdigsten. Er wurde noch an verschiedene Universitäten berufen, unter andern 1611 nach Wittenberg zum Professor der Mathematik, auch nach Frankfurt a/O., aber er lehnte alle Anerbietungen ab. Aller Weltlust fremd, bescheiden und von biederem Charakter, lebte er nur der Wissenschaft und Kunst: „Seines Lebens und Wandels und auch Christenthums halben ist er ein ehrlicher auffrichtiger frommer Gottesfürchtiger Mann gewesen, ohne Falsch und Gleißnerey und gar kein amans humorum, wie man gemeinhin von denen cantoribus zu halten pflegt, auch ein guter Hausvater und verständig zu allen sachen, wie die wissen die mit ihm sind umgegangen.“ Von den wissenschaftlichen Arbeiten, die er hinterlassen hat, möge hier nur sein Hauptwerk, welches ihm besonders den Namen eines der vorzüglichsten deutschen Gelehrten eintrug, angeführt werden: „Opus chronologicum etc.“, zuerst Leipzig 1605, im Ganzen sechs Mal aufgelegt, beste Ausg. Frankf. a/M. [717] 1685. Es war eine Frucht 20jähriger Forschungen, fand die höchste Anerkennung des Scaliger, Casaubon und Petavius und galt lange Zeit als Richtschnur für alle ähnliche Arbeiten. Reusner, Pareus und Kepler fochten es zwar an, richteten aber wenig dagegen aus und ihre Einwendungen sind von C. in besonderen Schriften zurückgewiesen worden. Seine anderen wissenschaftlichen Werke betreffen Verbesserung des Gregorianischen Kalenders und lateinische Sprachforschungen, wie der „Thesaurus latini sermonis“, der seit 1614 sehr oft gedruckt ist. Die von ihm hinterlassenen, in gutem Latein verfaßten musikalischen Schriften sind theoretischen und geschichtlichen Inhaltes, kenntnißreich und gediegen, deshalb noch heute werthvoll: „Melopoeia, sive Melodiae condendae ratio“, Erfurt 1582, 1592; zuletzt „Magdeburgi, Sumptibus Haeredum Johan. Franc. Bibliogr.“, 1630. Lehrreiches Buch. „Compend. musicae practicae pro incipientibus conscr.“, 1594; 1602; 3. Aufl. unter dem Titel: „Musicae artis praecepta nova et facillima, per septem voces musicales etc.“, Jenae 1612. C. erklärt sich darin gegen die sechssilbige Guidonische Solmisation und für die Bocedisation des Hubert Waelrant, weil sie aus sieben Silben (bo ce di ga lo ma ni) besteht; und gibt ferner eine Anzahl guter Regeln für die Bildung und Leitung von Sängerchören, welche man bei Forkel, Geschichte II, 65, Anm. findet. „Exercitationes musicae duae etc.“, Leipzig 1600; die erste handelt von den Tonarten mit Angabe der in jeder derselben stehenden Kirchenmelodien; die zweite ist ein klarer und inhaltreicher Abriß vom Ursprunge und Fortschritte der Musik. Nachher gab er noch eine dritte heraus, „Exercit. musicae tertia“, Leipzig 1611, eine in Sachen der Solmisation gegen Hubmeyer zu Gera gerichtete Streitschrift. – Seine Compositionen, darunter mehrstimmige Tonsätze zu Melodien des kirchlichen Gemeindegesanges, sind kernig und kraftvoll, besonders ausgezeichnet durch große Sangbarkeit und Energie der Stimmführung, deren Consequenz allerdings manchmal Härten und Leerheiten des Zusammenklanges nach sich zieht. Gedruckt sind: „Hymni sacri latini et germani 4 voc.“, Erfurt 1594; „Teutsche Tricinia etc.“, Leipzig 1603; „Harmonia Cantionum ecclesiasticarum“, Kirchengesänge und geistl. Lieder etc., Leipzig 1596, zu seiner Zeit sehr geschätzt und bis 1622 noch vier Mal aufgelegt; „Biciniorum libri duo“, Leipzig 1612; „Der 150. Psalm 12 voc. in 3 Chören“, Leipzig 1615; „Der Psalter Davids“ von Cornelius Becker, 4 voc., Leipzig 1617. Auch befinden sich Tonsätze von seiner Arbeit in Bodenschatz, Florileg. Portense 1603, 1618. – Nachrichten über C.: In der erwähnten Leichpredigt etc. von Schmuck; in dem Progr. funebre der Universität (abgedr. vor dem Opus chronol. 1685), Justinus Bertuch, Chronicon Portense, Leipz. 1739; Joh. Heinr. Ernesti, Commentat. novae in Cornel. Nepotem etc., Leipz. 1707, p. 274; Rost, Oratio ad renov. S. Calvisii memor., Leipz. 1805; Stallbaum, Biogr. Nachrichten über die Cantoren an der Thomasschule (1842), Leipz., S. 59 f.; Winterfeld, Evangel. Kirchenges. I. 352.
Calvisius: Sethus C., eigentlich Seth Kallwitz, berühmter Gelehrter, Musikschriftsteller und Tonsetzer, Cantor zu Schulpforte und Leipzig, geb. 21. Febr. 1556 zu Gorschleben unweit Sachsenburg in Thüringen, wo seine Eltern als kleine Landleute in dürftigen Verhältnissen lebten. In seinem 14. Lebensjahre sollte er das Weberhandwerk erlernen, aber der Drang zur Wissenschaft war in ihm schon erwacht und führte ihn 1569 auf die Schule nach Frankenhausen und 1572 nach Magdeburg, wo er sieben Jahre blieb. Während dieser Zeit hatte er, bei aller Aermlichkeit seiner Lage, doch in der Currende und durch andere Chordienste sich so viel erübrigt, daß er hoffte, damit einen halbjährigen Besuch einer Universität bestreiten zu können. Er ging zuerst 1579 nach Helmstädt, siedelte aber schon 1580 mit einem Stipendium vom Kurfürsten nach Leipzig über. Hier gab er zwar vorzugsweise sich dem Studium der Alten hin, trieb daneben jedoch auch die Musik so fleißig und mit so gutem Erfolge weiter, daß er schon im nächsten Jahre nach seiner Ankunft als Chorregent an der Paulinerkirche angestellt, im November 1582 aber, auf Befürwortung von