ADB:Roskoff, Georg Gustav

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Roskoff, Georg Gustav“ von Paul Feine in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 53 (1907), S. 498–500, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Roskoff,_Georg_Gustav&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 16:10 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Rosin, David
Nächster>>>
Roesler, Hermann
Band 53 (1907), S. 498–500 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Georg Gustav Roskoff in der Wikipedia
Georg Gustav Roskoff in Wikidata
GND-Nummer 116627808
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|53|498|500|Roskoff, Georg Gustav|Paul Feine|ADB:Roskoff, Georg Gustav}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=116627808}}    

Roskoff: Georg Gustav R., geboren am 31. August 1814 in Preßburg in Ungarn, entstammte einer ehrsamen Bürgerfamilie. Er besuchte die Schulen und die Rechtsakademie seiner Vaterstadt und war nach abgelegter juristischer Prüfung drei Jahre lang Erzieher im gräflich Raday’schen Hause. Da er sich nicht magyarisiren lassen wollte, ging er 1839 nach Halle, wo er Theologie und Philosophie studirte. Diese Universität war nach Hegel’s Tode der akademische Hauptsitz des conservativen Hegelianismus geworden. Als seine Vertreter lernte R. Hinrichs, den noch von Hegel selbst empfohlenen Religionsphilosophen, Schaller und vor allen Erdmann kennen, der nicht nur sein Lehrer, sondern auch sein Freund wurde. Von diesen Männern hörte er Frieden verkündigen zwischen Wissen und Glauben, Philosophie und Theologie, Vernunft und Christenthum. Die wahre Vernunft sei christlich und das wahre Christenthum vernünftig. Was im positiven Christenthum als die absolute Wahrheit vorliege, das begreife die Philosophie in der reinen Form des Wissens. R. gab sich der verführerischen Macht dieser Ideen so sehr hin, daß er, seinen zukünftigen Beruf nicht vorahnend, bei Gesenius Altes Testament zu hören versäumte. Von Halle wendete er sich nach Wien und vollendete hier an der evangelisch-theologischen Facultät das theologische Studium. An dieser Facultät wurde er 1846 „Assistent“, d. h. besoldeter Privatdocent, 1847 übertrug man ihm die Vertretung des durch Wenrich’s Tod verwaisten alttestamentlichen Lehrfachs, 1850 wurde er auf Vorschlag der k. k. Consistorien, die seine „Präcision der Darstellung, Entschiedenheit der Ueberzeugung, Geistesschärfe und Lebendigkeit im Vortrage“ rühmend hervorhoben, zum Professor der alttestamentlichen Exegese ernannt. 34 Jahre lang, bis zu seiner Emeritirung, bekleidete er dies Amt. Die Universität Heidelberg verlieh ihm den theologischen Doctorgrad. Sein Kaiser ehrte seine Verdienste durch Berufung in den österreichischen Unterrichtsrath, durch seine Ernennung erst zum Regierungsrath, dann zum Hofrath und durch Verleihung des Ordens der eisernen Krone mit dem Recht der Erhebung in den Ritterstand, von welchem R. aber in seinem bescheidenen bürgerlichen Sinn ablehnte, Gebrauch zu machen. In der evangelischen Gemeinde Wiens war er Mitglied des Presbyteriums, der Gemeindevertretung und des Waisenversorgungsvereins, den er mit ins Leben rufen und organisiren half.

In der wissenschaftlichen Welt hat er sich durch bedeutsame Schriften bekannt gemacht. Auf dem Gebiete der hebräischen Alterthumskunde trat er 1857 mit seiner Erstlingsschrift hervor: „Die hebräischen Alterthümer in Briefen“. Die philosophische Schulung Roskoff’s macht sich hier deutlich bemerkbar. Denn der Begriff des hebräischen Bewußtseins von Gott, wonach dieser die allgemein geistige, allein berechtigte, alles Sein und Dasein beherrschende Macht ist, wird nicht nur als Ausgangspunkt der Betrachtung der hebräischen Alterthümer genommen, sondern auch als der Urquell verstanden, aus dem die begriffsmäßige Erklärung aller Erscheinungen des hebräischen Alterthums nothwendig folgen muß. Fortan aber wandte sich R. mit Vorliebe religionshistorischen Forschungen zu. Bereits seine zweite Schrift behandelte ein Problem der vergleichenden Religionsgeschichte: „Die Simsonssage [499] nach ihrer Entstehung, Form und Bedeutung und der Heraclesmythus“, Leipzig 1860. Er bekämpfte die Ableitung der Simsonssage aus dem Heraklesmythus. Dieser Mythus habe anthropologischen Charakter, Herakles sei das Ideal des hellenischen Menschen, an Simson sei das theokratische Gepräge zu bemerken, er sei das Musterbild des Jahvedieners. Sein Hauptwerk war die zweibändige „Geschichte des Teufels“, Leipzig 1869. Hierzu hat er umfassende Studien gemacht und eine Fülle religionsgeschichtlichen Materials verarbeitet. Der Zweck dieses Werkes ist, die Vorstellung vom Teufel „im Zusammenhang mit der Natur, den geschichtlichen Erscheinungen und deren Conjuncturen“ darzustellen“, also eine Geschichte des Teufels nach Ursprung und weiterer Entwicklung unter culturgeschichtlichem Gesichtspunkt zu geben. R. geht vom menschlichen Bewußtsein aus und zeigt, daß sich die dualistischen Vorstellungen von Gut und Böse in allen Religionen der Naturvölker finden, aber auch in den Mythologieen aller Culturvölker mehr oder weniger entschieden auftreten. Den Grund dieser Erscheinung sieht er in der Anthropologie, in dem menschlichen Bewußtsein, welches zur Bildung einer solchen Vorstellung angeregt werde. Dann geht er über zur Geschichte des Satans im Alten Testament, des Teufels im Neuen Testament und in der christlichen Kirche und zeigt, daß hier der Glaube an den Teufel, den Antipoden Gottes, zu einer furchtbaren Höhe angewachsen sei. Beim modernen Bewußtsein angelangt, gibt er seiner Meinung dahin Ausdruck, daß der Dualismus zur Einheit zusammenzufassen sei. „Den Dualismus von Gott und Teufel widerlegt die Geschichte“, sagt er am Schlusse mit Droysen. In einer Recension dieses Werkes in den „Göttinger gelehrten Anzeigen“ 1870, Nr. 13, war der von R. vertretenen Annahme, daß auch bei den rohesten Völkerstämmen Spuren von religiösen Vorstellungen wahrzunehmen seien, die Ansicht Sir John Lubbock’s entgegengehalten worden, welche das Gegentheil behaupte. Darauf antwortet R. in seiner letzten Schrift: „Das Religionswesen der rohesten Naturvölker“, Leipzig 1880. Er hält seine in der Geschichte des Teufels vertretene Ansicht aufrecht und spricht aus, es sei bisher noch kein Volksstamm ohne jegliche Spur von Religiosität betroffen worden. Seine Gesammtanschauung faßt er hier dahin zusammen: das Wesen und die Richtung der menschlichen Geschichte strebt dahin, den Typus des Menschlichen durch hartes Ringen und Kämpfen aus der rohen Natürlichkeit herauszuarbeiten, die Menschlichkeit zu wirklicher Geltung zu bringen. Und der Einzelne hat keine andere Aufgabe, als seine menschliche Anlage zu entfalten, immer mehr menschlich, ein wirklicher Mensch zu werden.

Roskoff’s Studien wurden durch ein mit den Jahren zunehmendes Augenleiden gehemmt und zuletzt gänzlich unterbrochen. Er konnte selbst nichts mehr lesen und mußte fürchten, ganz zu erblinden. Unter der aufgezwungenen Arbeitslosigkeit litt er schwer. Selbst nicht verheirathet, fand er für die eigene Häuslichkeit Ersatz in dem Hause seines Jugendfreundes Dr. Porubsky, des angesehenen Wiener Pfarrers und nachmaligen Seniors. Er half die Porubsky’schen Kinder erziehen, er blieb nach dem Tode des Vaters Freund der Frau und Berather der Familie und hat dafür in dem Porubsky’schen Hause die treueste Pflege in seinen letzten Lebensjahren gefunden. In der Sommerwohnung der Frau Dr. Porubsky in Obertreffen bei Aussee in Steiermark ist er am 20. October 1889 gestorben. Er zeichnete sich durch Adel der Gesinnung und unantastbare Lauterkeit aus. In der letzten Facultätssitzung, der er vor seiner Emeritierung beiwohnte, rief ihm der Decan der Facultät zum Abschiede zu: „Einen Collegen von diesem Adel der Gesinnung, abhold allem Parteitreiben, in Frieden, soviel an ihm lag, mit Jedermann, sehen [500] wir alle mit Wehmuth von uns scheiden. Wenn dieser Theologe einen Wappenschild erhalten sollte, ihn müßte die Inschrift zieren: Candor et integritas animi“.

G. Frank, Die k. k. evangel.-theol. Fakultät in Wien. Wien 1871, S. 38, 58. – Derselbe in Evangel. Kirchenzeitung für Oesterreich 1885, Nr. 3; 1889, Nr. 21 und in Realencyklopädie für protest. Theologie und Kirche, 3. Aufl., Bd. XVI sub voce Roskoff. – R. A. Lipsius in Protest. Kirchenzeitung 1889, Nr. 45.