ADB:Schönbein, Christian Friedrich

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Artikel „Schönbein, Christian Friedrich“ von Bernhard Lepsius in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 32 (1891), S. 256–259, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sch%C3%B6nbein,_Christian_Friedrich&oldid=- (Version vom 19. März 2024, 02:55 Uhr UTC)
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Band 32 (1891), S. 256–259 (Quelle).
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Schönbein: Christian Friedrich S., Professor der Chemie in Basel, wurde am 18. October 1799 in dem württembergischen Dorfe Metzingen bei Reutlingen geboren. Die einfache aber sorgfältige und religiöse Erziehung im Elternhause, verbunden mit einer guten Vorbildung, namentlich in der lateinischen Sprache, auf der dortigen Schule währte nur bis zu seinem 14. Jahre. Mit Eifer benutzte er daher seine freien Stunden in Böblingen, wo er als Lehrling in eine chemische Fabrik aufgenommen wurde, um seine wissenschaftliche Ausbildung zu vervollkommnen. Fast sieben Jahre dauerte diese mühevolle Lehrzeit, bis er im Jahre 1820 in die chemische Fabrik des litterarisch bekannten J. G. Dingler eintrat, dessen reichhaltige Bibliothek ihm, wenn auch nur in den frühen Morgen- und in den Abendstunden willkommene Gelegenheit zu chemischen, mathematischen und zumal lateinischen Studien gab. Bald jedoch übernahm er die Leitung der chemischen Arbeiten in der Fabrik von F. N. Adam zu Hennhofen bei Erlangen. Hier konnte er sowohl seine praktischen Kenntnisse erweitern, wie auch in der nahen Universitätsstadt Umgang mit bedeutenden Gelehrten pflegen, was sehr bald den Wunsch in ihm rege machte, sich ausschließlich der reinen Wissenschaft zu widmen. Mit dem Mathematiker Pfaff und dem Naturforscher Schubert wurde er nahe befreundet; ja, der letztere machte ihn mit dem berühmten Philosophen Schelling bekannt, welcher auf S. einen gewaltigen Eindruck machte. Im Herbste 1821 wird es ihm ermöglicht die Universität Tübingen zu besuchen, um bei Chr. Gmelin Chemie und bei Bohnenberger Physik zu studiren, bald aber zieht es ihn nach Erlangen zurück, wo der Chemiker Kastner und sein Freund Pfaff seine Lehrer sind und ihm zumal Gelegenheit wird zu Schelling in ein näheres Freundschaftsverhältniß zu treten, welches bis zu dessen Tode währte. Der mündliche und briefliche Umgang mit Schelling [257] war in der That von bestimmendem Einflusse auf Schönbein’s naturphilosophische Anschauungen, was zumal bei seinen späteren Ideen über die Polarisation des Sauerstoffes deutlich hervortritt. Nach zweijährigem Studium wurde S. Lehrer der Physik und Chemie an der Erziehungsanstalt zu Keilhau bei Rudolstadt, sodann an einem Institut in Epsom in England. Auch in London hielt er sich ein Jahr auf und beschloß seine auswärtigen Studien in Paris, wo er die Vorträge von Gay-Lussac, Ampère, Despretz und Thénard hörte.

An der Baseler Universität wirkte damals der Rathsherr Peter Merian als Professor der Physik und Chemie. Eine Krankheit desselben gab Veranlassung S. im J. 1829 als dessen Stellvertreter nach[WS 1] Basel zu berufen. Bald erhielt er hier den Doctorgrad und im J. 1835 die ordentliche Professur, welche er bis zu seinem Tode verwaltete, sich vom J. 1852 an auf den chemischen Lehrstuhl beschränkend. Seine Thätigkeit überschritt bald die Grenzen der Universität. In der Baseler, wie in der schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft ist er ein regelmäßiges Mitglied; auch die deutschen Versammlungen hat er mehrfach besucht. Als Mitglied des großen Kantonrathes, 1848, und des großen Stadtrathes, 1851, als langjähriges Mitglied der städtischen Beleuchtungscommission, als Mitbegründer und Vorsteher des Museumsvereins zur Beschaffung von wissenschaftlichen und Kunstsammlungen macht er sich in der vielseitigsten Weise um das Wohl der Stadt Basel verdient, welche ihm bereits im J. 1840 das Ehrenbürgerrecht verlieh.

Schönbein’s wissenschaftliche Thätigkeit war eine äußerst fruchtbare. Nicht weniger als 337 Abhandlungen sind von ihm veröffentlicht worden. Die meisten befinden sich in den Verh. d. naturf. Ges. in Basel und in Poggendorff’s Ann., andere in dem Phil. Mag. und in den Compt. rend., sowie in der Bibl. univers. und dem Arch. d’électr. Mit zahlreichen auswärtigen Gelehrten stand er in Briefwechsel. Seine Forschungen zeigen die Selbständigkeit, welche sein wissenschaftlicher Bildungsgang erwarten läßt. Weder die bestehenden Theorien sind ihm maßgebend, noch auch benutzt er die technischen Hilfsmittel zu seinen Unternehmungen, welche die Wissenschaft bietet. Er macht sich seine eigenen Theorien, wenn er sie auch oft wieder umgestalten muß und stützt sich, indem er die Meßinstrumente, selbst die Präcisionswaage verschmäht, auf seine Beobachtungsgabe, welche ihn, wenn auch oft auf Umwegen zu den schönsten Entdeckungen führt. Anderen überläßt er zahlreiche chemische Umsetzungen quantitativ zu studiren; ihm war es mehr darum zu thun, den chemischen Proceß als solchen in allen seinen Phasen mit Hilfe höchst empfindlicher Reagentien qualitativ zu untersuchen und nach den so gewonnenen Beobachtungen Theorien aufzustellen, welche eine befriedigende philosophische Erklärung desselben gestatteten.

Die erste Untersuchung gilt dem eigenthümlichen edelmetallähnlichen Verhalten des Eisens zur Salpetersäure, welches er als Passivität bezeichnet. Sie führt ihn zu einer Controverse mit Faraday und Mousson, sowie zu einer Hypothese über die stoffliche Natur der Metalle, speciell des Eisens. Insbesondere sind es die electrischen Eigenschaften des passiven Eisens, welche ihn zu zahlreichen Versuchen veranlassen. So kommt es, daß er in dem Streite Stellung nimmt, welcher damals um die Entstehung des galvanischen Stromes entbrannt war. Seine Passivitätsversuche führen ihn mit Entschiedenheit in das Lager der chemischen Theorie, obwol er sich den Vorkämpfern derselben, de la Rive, Bequerel und Faraday nicht in allen Punkten anzuschließen vermag. Er stellt deshalb eine neue Theorie der Voltaischen Säule auf, welche zwischen dieser und der Contacttheorie zu vermitteln sucht, indem er eine strenge Unterscheidung zwischen electrischer Spannung, welche durch Berührung, und dem electrischen [258] Strome macht, welcher nur durch chemische Zersetzung hervorgebracht werden könne, eine Auffassung, welche später allgemeine Annahme gefunden hat. Von Schönbein’s zahlreichen galvanischen Versuchen mit allen möglichen chemischen Stoffen sollen hier nur seine Gasketten, seine Säule mit passivem Eisen, welche zur Grove’schen Batterie führte, die Anwendung von Superoxyden zu galvanischen Elementen Erwähnung finden, zumal das von S. zuerst benutzte Bleisuperoxyd in den heutigen Accumulatorenbatterien eine so ausgedehnte Anwendung gefunden hat. Geringeren Bestand hatte Schönbein’s Theorie von der Electrolyse der Salze, wo er als Gegner der Davy’schen Anschauung zu der alten Berzelius’schen Lehre vom muriumsauren Natron zurückkehrte.

Eine andere Reihe von sorgfältigen und erfolgreichen Untersuchungen gilt dem sog. electrischen Geruche. Die unermüdliche Ausdauer, welche S. der Erforschung dieses Gegenstandes widmete, führte zu seiner schönsten Entdeckung, der des Ozons. Den eigenthümlichen Geruch, der beim Ausströmen der Electricität aus Spitzen, sowie beim Unterbrechen eines Stromes entsteht, bemerkt S. auch an den Gasen, welche sich bei der Wasserelectrolyse entwickeln, zumal bei der starken Batterie, welche er mit Grove zusammen bei Gelegenheit der britischen Naturforscherversammlung in London, 1839, construirte. Auch beim Stehenlassen von Phosphor an feuchter Luft beobachtet er den neuen Stoff, dem er den Namen Ozon gibt (ὄζον, das Riechende). Zuerst hält er ihn für stark oxydirtes Wasser, dann für ein chlorähnliches Halogen, für ein besonderes Element, endlich für einen Bestandtheil des Stickstoffes, den er als Ozonwasserstoff betrachtet, während wieder andere das Ozon für eine Verbindung von Stickstoff mit Sauerstoff hielten und mit der salpetrigen Säure identificirten. Die Thatsache aber, daß man Ozon aus reinem Sauerstoff darstellen und wieder in denselben zurückverwandeln konnte, nöthigt ihn, es als einen modificirten Sauerstoff anzusehen. Die Existenz zweier Elementargase, welche aus demselben Stoff bestehen und ganz verschiedene Eigenschaften haben, wird heute durch die verschiedene Atomanzahl in der Gasmolekel erklärt; damals war dieselbe völlig paradox. S. war daher begreiflich bemüht eine Erklärung dafür aufzufinden. Seine Forschungen führten ihn zu der Theorie von der Polarisation des Sauerstoffs. Als S. das Ozon aus verschiedenen Sauerstoffverbindungen untersuchte, glaubte er zu bemerken, daß manche ein Ozon von in gewissem Sinne entgegengesetzten Eigenschaften lieferten, als andere. Auch bei der Wasserelectrolyse fand er an beiden Polen verschiedene Ozone, von denen er nun das eine Ozon oder negativ activen, das andere Antozon oder positiv activen Sauerstoff nennt. Beide sollten durch chemische Polarisation aus gewöhnlichem oder passivem Sauerstoff entstanden sein und beim Zusammentreffen wieder solchen bilden. Wenn diese Theorie auch keine allgemeine Anerkennung finden konnte, so ist sie doch durch die zahlreichen Untersuchungen, welche ihre Discussion veranlaßt hat, äußerst fruchtbar gewesen, indem sie zur genaueren Kenntniß des Wasserstoffsuperoxyds, in welchem S. das Antozon vermuthete, sowie höchst empfindlicher Ozonreagentien beigetragen hat.

Eine andere epochemachende Entdeckung, welche mit Schönbein’s Ozonuntersuchungen ebenfalls aufs engste zusammenhängt, ist noch zu erwähnen. Aus lediglich theoretischen Gründen vermuthete S., daß ein Gemisch von Schwefel- und Salpetersäure stark oxydirende Eigenschaften haben müsse. Die Voraussetzung bestätigte sich bei der Einwirkung auf Schwefel, Phosphor, Papier, Zucker; zumal aber die Umwandlung von Baumwolle durch dieses Gemisch erregte bald das größte Aufsehen. Die Erfindung der Schießbaumwolle, wie S. die neue Substanz nannte, welche das Schießpulver an Explosionsgewalt weit übertraf, fällt in den Anfang des Jahres 1846. Versuche der Militärverwaltung und Sprengungen im Tunnel vor Istein bestätigten die eminente Kraft derselben. Als im Herbst [259] desselben Jahres Böttger in Frankfurt dieselbe Entdeckung machte, wurden die Versuche gemeinschaftlich fortgesetzt; allein die Darstellung konnte nicht lange geheimgehalten werden, da Otto in Braunschweig, dem die Bereitung ebenfalls gelungen war, seine Versuche veröffentlichte. Die großen Erwartungen, zu welchen die Schießbaumwolle berechtigte, sollten allerdings zu Lebzeiten der Erfinder nicht erfüllt werden. Zwar wurden in allen Staaten, zumal in Oesterreich und in England ausgedehnte Versuche damit gemacht, aber ihrer kriegerischen Verwendung stellten sich unerwartete Schwierigkeiten in den Weg. Nur auf friedlichen Gebieten schien sie Erfolg haben zu sollen: ihre Auflösung in Aether-Alkohol fand auf Schönbein’s Veranlassung in der Heilkunde und zumal das aus dieser Lösung bereitete Collodium in der Photographie eine höchst ersprießliche Anwendung. Die gewaltige Umwandlung aber, welche die Schießbaumwolle in der modernen Kriegstechnik zu Wasser und zu Lande durch ihre Verwendung zur Füllung der Torpedos, wie zur Bereitung des rauchlosen Pulvers in allen Staaten hervorgerufen hat, sollte ihr Erfinder nicht mehr erleben. S. starb in Wildbad, wo er Heilung von einem Gichtleiden erhoffte, am 29. August 1868.

Vgl. Ed. Hagenbach, C. F. Schönbein. Rectoratsrede d. Univ. Basel, 1868. – Pet. Merian, Verh. d. nat. Ges. Basel V, 341–352.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: uach