ADB:Scheidt, Christian Ludwig
Christian Gottlieb Schwartz, ein berühmter Vertreter der Geschichte, Philosophie und Beredtsamkeit, der die Universität zu neuer Blüthe brachte, in Straßburg Scherz und Schöpflin seine Lehrer. Auf die Studienzeit folgte eine ebenso lange als Hofmeister. In dieser Eigenschaft bereiste er 1732 mit drei Brüdern von Holzhausen die Schweiz, Frankreich und Holland; ging er 1734 mit dem Erbgrafen Joh. Friedrich von Oettingen nach Halle und 1736 mit einem Grafen Henckel von Donnersmark, dem Sohne des Grafen Erdmann Heinrich (s. A. D. B. XI, 731), nach Göttingen. Der Aufenthalt in Halle wurde für seine religiöse, der in Göttingen für seine wissenschaftliche Richtung und seine äußeren Schicksale bestimmend. Er schloß sich in Halle Siegmund Jacob Baumgarten an zu einer Zeit, da er noch nicht der große theologische Lehrer war, aber nach Scheidt’s Ausspruch seinen Heiland zärtlicher liebte und kam von da in die pietistischen Kreise der gräflich Henckel’schen Familie in Pölzig. Gelegentlich der Inauguration Göttingens (1737) promovirte er als Doctor juris und wurde im nächsten Jahre als außerordentlicher Professor in der juristischen Facultät angestellt. Seine schriftstellerischen Arbeiten dieser Zeit sind Beiträge zu einzelnen Materien des deutschen Privatrechts mit besonderer Beziehung auf Braunschweig-Lüneburg. Schon nach einem Jahre folgte er einem Rufe nach Kopenhagen, wo er Ordinarius des bürgerlichen und dänischen, nach Hoier’s Tode (1739) des Natur-, Völker- und Staatsrechts wurde. Er lebte sich rasch in die dänischen Verhältnisse ein, sprach schon 1740 von seinem gut dänisch gesinnten Herzen in seinem teutschen Leibe und machte sich anheischig, ein ganzes Volumen von dem Vorzug derer dänischen Lande und Unterthemen vor anderen, auch selbsten seinen eigenen Landesleuten zu schreiben. Dem entsprach seine gelehrte Thätigkeit; als Vertheidiger der Hoheitsrechte der dänischen Krone bestritt er, daß je eine Lehnsabhängigkeit Dänemarks von Deutschland bestanden habe. Das heißt Geschichte wünschen, nicht sie schreiben, hat dazu schon Dahlmann bemerkt. Sein politisches Verhalten zusammen mit seiner religiösen Richtung empfahl ihn dem Könige Christian VI., der, selbst ein gottseliger Herr, ihm den Unterricht des Kronprinzen anvertraute. Aber dieser, der nachherige König Friedrich V., fand wenig Gefallen an dem Lehrer, dem schon sein Aeußeres im Wege stand. Als 1748 Hofrath Gruber, Bibliothekar und Archivar in Hannover, starb, erinnerte sich G. A. v. Münchhausen des [711] früheren Göttingers und berief ihn zu Gruber’s Nachfolger. In dieser Stellung, die S. bis an sein Ende bekleidete, hat er die Arbeiten geschaffen, die seinen Namen in der geschichtlichen Litteratur begründet haben. S. war kein schöpferisches Talent; Kritik und Einzelforschung sind ihm nachzurühmen; seine Arbeiten schließen sich größtentheils erweiternd, ausführend und berichtigend an die anderer an. Zunächst edirte er von seinen Vorgängern hinterlassene Abhandlungen, die, als Prolegomena der „Origines Guelficae“ und der „Annales imperii occidentalis“ beabsichtigt, sich in Archiv und Bibliothek vorfanden. Beschränkte er sich bei der Herausgabe von Leibnizens Protogea (1749) und Eccard’s „de origine Germanorum“ (1750) auf Ausstattung mit Vorreden, so fügte er den von Gruber fertig gestellten „Origines Guelficae“ ausführliche Excurse und Abhandlungen hinzu. 1750–53 erschienen die vier Foliobände des Werkes, denen erst Scheidt’s Nachfolger Jung 1780 den fünften Band anreihte. Scheidt’s Abhandlung: „Historische und diplomatische Nachrichten von dem hohen und niederen Adel in Teutschland“ (1754) ist gegen den Hallischen Historiker K. F. Pauli gerichtet, der den niederen Adel als aus Knechten, Jungens und Mägden des hohen Adels stammend und alle Gerechtsame des Adels als den Fürsten abgepreßt vorgestellt hatte. Dem Buche J. J. Moser’s über das braunschweig-lüneburgische Staatsrecht setzte er in der Form von „Anmerkungen und Zusätzen“ (1757) eine Widerlegung entgegen, immer bemüht, den frommen und verdienstvollen Mann, der sich ohne hinreichende Kenntniß an eine ihm fremde Aufgabe gemacht hatte, glimpflich zu behandeln. Er ließ dem Buche einen „Codex diplomaticus“ (1759) folgen, ebenso wie er dem Buche über den Adel eine „Mantissa documentorum“ (1755) nachgesandt hatte, Sammlungen ungedruckter Urkunden, die er dem Vorrath eines länger von ihm geplanten „Codex diplomaticus Brunsvico-Luneburgicus“ entnahm. Die 1758 veröffentlichte „Bibliotheca historica Gottingensis“ machte sich verdient durch die Publication von Quellenschriften aus den Schätzen der hannoverschen Bibliothek: die „Translatio sancti Alexandri“, die Anklageschrift Klenkock’s gegen den Sachsenspiegel sind hier zuerst ans Licht getreten; außerdem enthält die Sammlung Urkunden K. Wenzel’s, bairische Urkunden, die späte Compilation des Johann von Essen und die von Leibniz für seine Annalen bestimmte Abhandlung über die Päpstin Johanna. Eine fleißige Mitarbeiterschaft an den Göttingischen gelehrten Anzeigen und den Hannoverschen Beiträgen zum Nutzen und Vergnügen lief nebenher. So groß nun auch die Gelehrsamkeit und der kritische Scharfsinn sind, den S. in allen diesen Arbeiten bethätigt, es hat ihnen nicht der Vorwurf erspart werden können, daß den Verfasser Unparteilichkeit und leider auch Gewissenhaftigkeit verlassen, so oft wahre oder vermeintliche Gerechtsame des Hauses Braunschweig im Spiele sind: ein besonders starkes Beispiel ist es, wenn er in dem Abdruck einer Urkunde (Or. Guelf. III, 520) Heinrich den Löwen von Hildesheim als civitas nostra gegen civitas vestra der Vorlage sprechen läßt. In den die Göttinger Universität betreffenden Angelegenheiten bediente sich der Curator v. Münchhausen seines Rathes und seiner Mitarbeiterschaft. Bei den Versuchen J. J. Moser zu berufen, den Verhandlungen über eine Reform des juristischen Unterrichtes, dem Ersatz für Mosheim, den Conflicten zwischen der theologischen Facultät und J. D. Michaelis sehen wir ihn mitwirken; er bringt den Landsmann Gatterer nach Göttingen, er schützt die theologische Facultät gegen den Consistorialrath Götte, der gar zu gern orthodoxe Ketzermacher nach Göttingen verpflanzt hätte. Dem kurzen Aufenthalt Scheidt’s in Göttingen entstammt auch die Tragik seines Lebens. Der kleine und verwachsene Mann verheirathete sich dort mit der jungen schönen Tochter des bekannten Publicisten Schmauß. Die acht Kinder, die sie ihm gebar, [712] starben alle jung. Nach dem Tode des letzten im Februar 1755 entdeckte er den Ehebruch der Frau mit seinem betrügerischen Bedienten. In seiner Gutmüthigkeit glaubte er die Frau durch den Umgang mit den pietistischen Kreisen in Wernigerode auf bessere Wege bringen zu können. Es war vergeblich und die Ehe wurde im Januar 1758 geschieden. Noch im selben Jahre verheirathete er sich wieder mit Beate v. Maydel, Tochter eines kaiserlich russischen Generalmajors, die er in den Kreisen der Frau v. Münchhausen kennen gelernt hatte. Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte S. in schwerer Krankheit.
Scheidt: Christian Ludwig S., Geschichtsforscher, geboren am 26. September 1709 zu Waldenburg im Hohenlohischen, † am 25. October 1761 zu Hannover. Sohn eines gräflichen Amtmanns und Rathes, besuchte er die Schule zu Oehringen und in den Jahren 1724–30 die Universitäten Altorf und Straßburg. In Altorf waren- Pütter, Gelehrtengeschichte I, 53, II, 60; Litt. des Staatsrechts II, 31. – Büsching, Beyträge z. Lebensgesch. denkwürd. Personen III (1785), 265 ff. – Scheidt, Abgedrungene Apologie (Kopenh. 1740), S. 17 ff. – Dahlmann, Gesch. v. Dänemark I, 234, 261, 278. – Wenck, Hessische Landesgeschichte II, 474, 728. – Spittler, Gött. gel. Anz. 1789, S. 1496. – Neues vaterl. Archiv 1827 II, 45 ff.