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ADB:Schunke

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Artikel „Schunke“ von Robert Eitner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 33 (1891), S. 61–64, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schunke&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 05:22 Uhr UTC)
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Schunke. Eine weitverzweigte und bis in unsere Zeit reichende musikalische Familie, die sich durch ihre Virtuosität auf dem Waldhorn einen ausgebreiteten Ruf erworben hat. Der Ahnherr dieser Hornvirtuosen war ein Bäckermeister in [62] Schkortleben bei Weißenfels an der Saale, der neben seinem Handwerk sich durch Aufspielen zum Tanze manchen Nebenverdienst erwarb und seine sieben Söhne zu gleicher Thätigkeit anspornte, obgleich er streng darauf hielt, daß sein Handwerk die Hauptsache blieb; doch einer nach dem anderen wuchs ihm über den Kopf, ließ das Handwerk im Stich und versuchte sein Glück in der Welt als Virtuose.

Gottfried S., der älteste Sohn, geboren am 3. Januar 1777, verließ um 1794 das väterliche Haus und ging zum Stadtmusicus Wansleben in Halle, um sich auszubilden, dort lernte ihn Türk kennen, der das außergewöhnliche Talent erkannte und für seine fernere Ausbildung Sorge trug. 1798 kam er als Waldhornist an das Stadttheater in Magdeburg, 1800 nach Berlin, wo der Umgang mit dem berühmten Lebrun ihm den letzten Schliff gab. 1806 ging er in herzogl. koburgische Dienste und trat 1807 eine Kunstreise an, deren Ziel Paris war, wo er ungewöhnliche Erfolge erzielte, und sein Name einen europäischen Ruf gewann. 1809 ging er nach Kassel an den glänzenden Hof Jerome’s, wo er mit seinen Brüdern zusammentraf. Durch ihre Duette für 2 Waldhörner versetzten sie Alle in Entzücken. Als die Herrlichkeit in Kassel zusammenbrach, wandte er sich nach London und langte im Januar 1814 dort an, wo er durch Concerte viel Geld verdiente, so daß er das Anerbieten, in die königliche Capelle einzutreten abschlug. Von London aus besuchte er mit seinem Bruder Michael die Provinzialstädte; beide kehrten darauf nach dem Festland zurück und durchzogen Europa kreuz und quer bis ins Jahr 1815, wo sie sich in Stuttgart niederließen und Kammermusici an der Hofcapelle wurden. Noch 1837 erwähnt seiner die Allgem. musikal. Zeitung in Leipzig, doch von da an verschwindet sein Name. Auch einige Compositionen für Horn sind von ihm gedruckt.

Michael S., der zweite Sohn, trat in des Bruders Fußtapfen, wenn auch gegen den Willen des Vaters, der seine Söhne lieber als Bäcker, wie als Musiker sah. Auch er hatte das Waldhorn gewählt, kam 1790 nach Paris und fand dort im Orchester eine gesicherte Stellung. 1794 ging er auf Kunstreisen und blieb schließlich auch in Kassel hängen, wo er mit seinem Bruder die Bewunderung der Gesellschaft erregte. Vereint gingen sie dann nach London und später nach Stuttgart, wo Michael 1821 starb. Er war der bedeutendste unter den Brüdern, sowohl in der Fülle und Schönheit des Tones, als in der Virtuosität, und die Zeitgenossen finden nicht Worte genug, seine Leistungen zu preisen.

Andreas S., der dritte der Brüder, 1778 geboren, machte dieselben Wandlungen vom Bäcker zum Stadtmusicus in Halle bis zum Virtuosen auf dem Waldhorn wie sein älterer Bruder Gottfried durch. Ging dann auf Concertreisen und siedelte sich in Berlin an. Er wurde der Stammvater der Berliner Waldhornisten Schunke. 1812 wurde er in der Berliner Hofcapelle angestellt, 1834 trat er in den Ruhestand und starb am 26. August 1849. (v. Ledebur, Berliner Tonkünstlerlexikon.)

Christoph S., der vierte der Brüder, 1796 geboren, wurde in der Hofcapelle in Karlsruhe Waldhornist.

Gotthilf S., der fünfte Bruder, 1799 geboren, ging als Waldhornist nach Stockholm und fand an der kgl. Capelle daselbst Anstellung.

Louis S., ein Sohn Gottfried’s, geboren am 21. December 1810 zu Kassel, † am 7. December 1834 in Leipzig, war einer jener wunderbar begabten Menschen, die schon im kindlichen Alter durch ihre virtuosen Leistungen die Mitwelt in Erstaunen und Bewunderung versetzen. Doch nicht das Waldhorn war sein Instrument, sondern das Clavier, auf dem er so Außerordentliches [63] leistete. Leider werden solche wunderbare Leistungen von den Vätern der Kinder zu oft in so ausgiebiger Weise als Geldquelle ausgeschöpft, daß die körperliche Entwicklung sich nicht in dem Maße entfalten kann, um einen gesunden kräftigen Körper zu erzeugen, und so sehen wir fast alle virtuosen Wunderkinder früh ins Grab sinken, alle schönen Hoffnungen mit sich nehmend. Mit zehn Jahren trat Ludwig schon öffentlich auf, und als der Vater von dem sicheren Erfolge überzeugt war, reiste er mit ihm von Stadt zu Stadt, von Süd nach Nord, von Osten nach Westen und gab mit seinem Sohne Concerte. Im J. 1828 kamen sie nach Paris, und hier beschloß der Vater, einen Ruhepunkt eintreten zu lassen, theils um von den dortigen Virtuosen, wie Kalkbrenner, Herz u. a. Vortheil zu ziehen, theils um das sich mächtig regende Compositionstalent des Sohnes unter Reicha’s Leitung auszubilden. Im August 1830 kehrte Ludwig nach Stuttgart zurück und lebte im stillen seiner Kunst, sich hauptsächlich mit Componiren beschäftigend. Im J. 1832 reiste er nach Wien, um dort seine Werke 5–8 in den Druck zu geben. Die früheren waren bereits in Paris erschienen. Im folgenden Jahr ging er auf Umwegen nach Leipzig und ließ sich dort nieder, hauptsächlich durch Robert Schumann gefesselt, mit dem er innige Freundschaft geschlossen hatte. Im Verein mit ihm gründete er 1834 die „Neue Zeitschrift für Musik“, an der er ein fleißiger Mitarbeiter wurde, ohne seinen Namen zu nennen. Schumann und Ludwig wohnten in Leipzig Wand an Wand und waren unzertrennliche Freunde. Kurze Zeit war aber ihrer Freundschaft nur gewährt, denn Ludwig starb, wie oben gesagt, schon Ende 1834. Zwei Jahre darauf beurtheilte Schumann die Werke Nr. 9 und 10, zwei Capriccio, in der Neuen Zeitschrift 1836, S. 182 (wieder abgedruckt in den gesammelten Werken Schumann’s, Leipzig, Reclam, Bd. 1, S. 219). Hier widmet er seinem Freunde den schönsten und treffendsten Nachruf. Ich wiederhole nur dasjenige, was sich ganz besonders auf ihn als Künstler und Mensch im allgemeinen bezieht. Er schreibt: Wenn ein Virtuose stirbt, sagen die Leute gewöhnlich: „hätt’ er doch seine Finger zurückgelassen!“ Diese machten’s bei Ludwig Schunke nicht: ihm wuchs alles aus dem Geist zu und von da ins Leben. Hat er nun auch, nach dem jetzigen möglichen Ueberblick, als Componist nicht die Höhe erreicht, wie als Virtuos (die Sicherheit und Kühnheit seines Spiels, namentlich in den letzten Monden vor seinem Tode, stieg ins unglaubliche und hatte etwas Krankhaftes), so war ihm nach dieser einzigen zweiten Caprice eine fruchtbare und ruhmesvolle Zukunft zuzusichern … Ja, ihn spielen zu hören! Wie ein Adler flog er und mit Jupiterblitzen, das Auge sprühend aber ruhig, jeder Nerv voll Musik … Bei seinem Eingenommensein gegen Publicum und öffentliches Auftreten, was sich in etwas aus dem Verdachte, nicht genug anerkannt zu werden, herleitete und sich nach und nach bis zum Widerwillen gesteigert hatte, was natürlich auf die Leistungen zurückwirken mußte, kann man nicht verlangen, daß die, die ihn nur einmal obenhin gehört, in ein Urtheil einstimmen können, das sich auf dem Grund eines tagtäglichen Verkehrs zu so großer Erhebung herausstellte … Ein ander Mal ruft Schumann aus: „Nie konnte der Tod eine Geniusfackel früher und schmerzlicher auslöschen als diese“ (Neue Zeitschrift II, 156). Ein Rondo (Op. 15) erschien noch um 1847, es ist nur L. Schunke gezeichnet und wird ebendort XXVII, 44 als eine altmodische und prosaische Clavierpiece bezeichnet. Wahrscheinlich vom Vater oder den Brüdern aus seinen Jugendarbeiten entnommen und wie gewöhnlich zum Schaden des Autors ans Tageslicht gezogen. Eine anziehende Schilderung seines Lebens in Leipzig findet man auch in Jansen’s Davidsbündler (Leipzig 1883, S. 123).

[64] Ernst S., zweiter Sohn Gottfried’s und Bruder Louis’, war zu Kassel am 6. Mai 1812 geboren und ein würdiger Schüler seines Vaters. Schon als Knabe reiste er in Gemeinschaft mit Vater und Bruder, und man wollte wissen, daß er seinen Vater als Hornist in den Hintergrund stelle. Die große Jugend that das Uebrige, um den Enthusiasmus des Publicums zu steigern. Er wurde später Kammermusikus an der Hofcapelle in Stuttgart.

Von Gottfried’s acht Kindern widmeten sich noch Adolph (geboren 1821 in Stuttgart, Violoncellist) und Hugo (geboren 1823 ebendort, Violinist) der Musik, und zeigte Letzterer besonders großes Talent, doch ist von Beiden nichts weiter bekannt.

Karl S., ein Sohn des Andreas, 1811 in Berlin geboren und am 28. April 1879 ebendort gestorben, widmete sich wie sein Vater dem Waldhorn und trat im J. 1820 bereits öffentlich mit seinem Bruder Julius in einem Concerte seines Vaters in Berlin auf. 1827 wurde er Kammermusiker an der dortigen Opernhauscapelle und bei Gründung der Hochschule für Musik Lehrer an derselben. Die Allgem. Musikztg. in Leipzig erwähnt seiner als Virtuose vom Jahre 1830 ab unzählige Male; das letzte Mal im Jahre 1843. Sein oben erwähnter Bruder Julius sagte der Musik im J. 1831 ab und wurde Schauspieler.

Hermann S., der jüngste Sohn Andreas’, ist seit 1856 Waldhornist an obiger Capelle in Berlin.

Karl S., ein Sohn von Michael und Pianist, war 1801 in Magdeburg geboren und starb am 16. December 1839 zu Paris. Er war ein Schüler Ferdinand Ries’, begab sich nach vollendeter Ausbildung als Claviervirtuose auf Reisen und wurde in Paris zum Pianisten der Königin von Frankreich ernannt. Seine Virtuosität setzte man derjenigen Kalkbrenner’s an die Seite und auch in Hinsicht seiner Compositionen bewegte er sich in demselben seichten Fahrwasser. Nur allzusehr huldigte er dem Pariser oberflächlichen Musikgeschmacke und verzettelte seine Zeit mit Rondos und Phantasieen über beliebte Opernthemata. Die Musikverzeichnisse von Hofmeister weisen fünfzig Opuszahlen mit solchen Erzeugnissen auf.

Schilling’s Musiklexikon. – v. Ledebur’s Tonkünstlerlex. u. a.