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ADB:Smidt, Johann

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Artikel „Smidt, Johann“ von Wilhelm von Bippen in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 34 (1892), S. 488–494, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Smidt,_Johann&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 16:10 Uhr UTC)
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Smidt: Johann S., bremischer Staatsmann, der in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts weit über den engen Kreis seines kleinen Heimathsstaates hinaus Ansehen und Einfluß besaß. Für seine Vaterstadt ist er der Bahnbrecher einer neuen Zeit gewesen.

Er entstammte einer vor zwei Jahrhunderten aus Brabant nach Bremen eingewanderten Familie, die dem Rathe der Stadt schon mehr als ein verdientes Mitglied gegeben hatte. Sein Vater aber hatte den Predigerberuf erwählt und, dem Zuge der damaligen bremischen Theologen folgend, seine geistige und lange Jahre hindurch auch seine physische Heimath in den Niederlanden gefunden. Von dort brachte er den streng reformirten Lehrbegriff der holländischen Kirche mit nach Bremen, als er 1760 im 48. Lebensjahre zum Pastor an der Stephanikirche seiner Vaterstadt erwählt worden war. 60 Jahre alt war der Pastor Johann S. zur dritten Ehe mit Johanne Holler geschritten, die einem nicht minder alten und in der bremischen Rathslinie noch öfter, als das Smidtsche vertretenen Geschlechte angehörte. Aus dieser Ehe wurde am 5. November 1773 der Sohn geboren, der die Verdienste aller seiner Vorfahren um das heimische Gemeinwesen überstrahlen sollte.

Auch der Sohn wählte nach Absolvirung des Gymnasiums, dem Beispiele des Vaters und der Neigung seines Herzens folgend, die Theologie zum Gegenstande [489] seines Studiums. Aber ihn dürstete nicht nach der scholastischen Weisheit der holländischen Calvinisten, die dem Vater den Stempel ihres Geistes aufgeprägt hatte, sondern nach der verjüngten Wissenschaft, die unter Kant’s Einfluß die deutschen Hochschulen und die Herzen der Jugend erobert hatte. Er bezog Ostern 1792 die Universität Jena, wo Kant’s Schüler Reinhold und Paulus einen bedeutenden Einfluß auf ihn übten, wo er von Schütz in ein tieferes Verständniß der alten Litteratur eingeführt wurde und das Glück hatte, zu dem kleinen Kreise von Studenten zu gehören, den im Winter auf 1793 Schiller noch einmal um sich versammelt hatte, um ihnen seine Aesthetik vorzutragen. Die nachhaltigste Wirkung auf ihn aber gewann seit Ostern 1794 Fichte. S. war durch Kränklichkeit in Gefahr, hypochondrischen Stimmungen zu verfallen, als Fichte den geistvollen Jüngling zu sich heranzog und ihn, wie S. noch viele Jahre später dankbar bezeugte, durch sein Vertrauen und seine Freundschaft, durch den ihm täglich vergönnten Anblick dieses energischen Daseins Muth und Kraft zurückgab und den Willen zum handelnden Leben in ihm weckte. Im Herbste 1795 kehrte S. nach Bremen zurück, ohne andere Absicht, als der Vaterstadt im geistlichen Lehramte zu dienen, wie er denn auch, als er im J. 1797 einige Freunde in der Schweiz besuchte, sich in Zürich zum Prediger ordiniren ließ. Auch das Amt eines Professors in der philosophischen Facultät des bremischen Gymnasii illustris, das ihm bald darauf vom Rathe verliehen wurde, galt dem Herkommen nach als Vorstufe für ein Predigeramt. Ihm gab die Professur, wie kärglich auch das mit ihr verbundene Einkommen war, doch den Muth, am 1. Januar 1798, da er kaum das 24. Lebensjahr vollendet hatte, mit Wilhelmine Rode, Tochter eines Apothekers, die Ehe zu schließen, die während mehr als 50 Jahren in einem überaus bewegten Leben für ihn der Hafen eines ruhigen Glücks gewesen ist.

Der rasche Pulsschlag der Zeit duldete Smidt’s beweglichen Geist doch nicht in den Bahnen des Herkömmlichen. Das Interesse an der Menschengeschichte, über das er vor einem größern Kreise einen auch im Drucke erschienenen Vortrag gehalten hatte, durch die außerordentlichen Wandlungen der Zeit immer aufs neue angefacht, drängte die philosophischen Speculationen in den Hintergrund und forderte ihn auf zur Theilnahme am öffentlichen Leben. Die Bürgerconvente boten freilich nur ein enges Feld, um seine Talente zu zeigen, ein größeres fand er in einer 1799 von ihm begründeten Zeitschrift, dem „Hanseatischen Magazin“, das vier Jahrgänge unter seiner Leitung erlebt hat. Es ist charakteristisch für Smidt’s künftige staatsmännische Wirksamkeit, daß die ersten Gedanken, mit denen er vor ein größeres Publicum trat, dem Bedürfnisse entsprangen, die Berechtigung der staatlichen Sonderexistenz der Hansestädte inmitten der allgemeinen Umwälzungen durch den Hinweis auf das, was sie für das Allgemeinwohl leisten, darzuthun. Und von hier aus wurde er, gemeinsam mit den Freunden in Bremen, Hamburg und Lübeck, die sein Unternehmen unterstützten, naturgemäß zur Erörterung einer Reihe rein praktischer Fragen gedrängt. Die Anlage von Sparkassen, die Ursachen der letzten Handelskrisis (1799) und ihr Einfluß auf Bremen beschäftigten ihn jetzt. Der Realismus des geborenen Staatsmannes drängte sich hervor und fand rasch gerechte Würdigung in einem kleinen Kreise von Männern, die gleich S. die Vaterstadt in neue Bahnen zu lenken wünschten. So kam es, daß am 18. December 1800, als der Zufall des Würfelspiels, das nach uraltem Statut vier Mitglieder des Raths zur Wahl eines neuen Senators bestimmte, drei von Smidt’s nahen Freunden in das Conclave brachte, zur Ueberraschung der freien Reichsstadt nicht ein Jurist oder ein Kaufmann, sondern der Theologe und Professor der Philosophie Johann S. als neuer Rathsherr aus der Wahl hervorging.

[490] Von da an hat S., mit der kurzen unterbrechung durch die französische Occupation, länger als 50 Jahre auf alle wichtigsten Geschäfte des bremischen Gemeinwesens den nachhaltigsten Einfluß ausgeübt. Ihm verdankt es Bremen, man kann vielleicht sagen, verdanken es die drei Hansestädte, zwar nicht allein, aber doch in hervorragendem Maße, daß sie noch heute in der Reihe der deutschen Staaten selbständig ihre Stimme vernehmen lassen können. Aus seiner umfassenden Thätigkeit können hier nur die wichtigsten Momente kurz hervorgehoben werden.

Schon an den Verhandlungen, die gleich nach Smidt’s Eintritt in den Senat zur Erwerbung der in die Stadt und in das Gebiet Bremens hineinragenden hannoverschen und oldenburgischen Besitzungen führten, hat er Antheil genommen, wenn auch das wesentlichste Verdienst an der glücklichen Durchführung dieses Geschäfts dem diplomatischen Geschick seines ältern Collegen Georg Gröning (s. A. D. B. IX, 717 ff.) gebührt. Selbständiger tritt S. erst seit dem Jahre 1806 hervor. Vornehmlich auf sein Betreiben fanden gleich nach der formellen Auflösung des deutschen Reiches im September und October in Lübeck Conferenzen von Deputirten der drei hansestädtischen Senate statt, die in der Erneuerung ihres alten Bundes ein Mittel suchten, um einestheils der drohenden Gefahr eines erzwungenen Anschlusses entweder an den Rheinbund oder an den preußisch-norddeutschen Bund zu entgehen, anderntheils die vom Regensburger Reichstagsschlusse festgestellte, aber von den Mächten seither keineswegs geachtete Neutralität der Hansestädte wirksam zu machen. Noch war S., der Epoche seiner Bildung entsprechend, mehr, als es den grausamen Wirklichkeiten des Lebens entsprach, von idealistischen Anschauungen erfüllt, wenn er hoffen konnte, die Hansestädte um des allgemeinen Besten willen zu Inseln des Friedens inmitten einer vom Kriegslärm erfüllten Welt zu machen, wenn er im October 1806, noch ohne Kunde von der zwei Tage früher erfolgten Niederlage Preußens, die Meinung aussprach, Bremen sei infolge der Auflösung des Reichs auf den Gipfel seiner Unabhängigkeit gelangt. Die Folgen der Schlacht bereiteten solchen Anschauungen und den in Lübeck vereinbarten Entwürfen eine bittere Enttäuschung, aber darum hat S. den früh ergriffenen und zu ernster Ueberzeugung in ihm entwickelten Gedanken nicht fahren lassen, daß die Hansestädte nicht sowohl um ihrer selbst, um des historischen Rechtes, sondern daß sie als Dienerinnen des Gemeinwohls, als die berufenen Vermittler des Welthandels, um Deutschlands, ja um Europas willen in ihrer Selbständigkeit erhalten werden müßten.

Selbst auf französische Staatsmänner, namentlich auf Reinhard, machte der Gedanke Eindruck, als dieser im J. 1809 auf Befehl Napoleon’s in Hamburg mit hansestädtischen Deputirten über die künftige Stellung der Städte verhandelte. Freilich war die Verwirklichung des Gedankens eben jetzt, da die Continentalsperre die Wurzeln der Existenz der Hansestädte abgegraben hatte, weiter als je von ihrem Ziele entfernt, und als bald darauf Napoleon „in seiner steten Fürsorge für das Wohl der Hansestädte“ ihre Vereinigung mit dem Kaiserreiche beschloß, wurde der letzte Rest ihrer Unabhängigkeit vollends vernichtet. Zu Anfang des Jahres 1811 mußte S. die widerwärtige Aufgabe übernehmen, der französischen Organisationscommission in Hamburg und demnächst den Ministern in Paris mit Renseignements über Verfassung und Verwaltung seiner Vaterstadt an die Hand zu gehen. Eine merkwürdige Scene spielte sich damals im Tuilerienhofe ab. „Nach schon beendigter Cour trat der Kaiser plötzlich in den Empfangssalon zurück, ging auf S. zu, sah ihn einige Augenblicke starr an und verließ dann, ohne ein Wort zu sagen, das Gemach.“ Er hatte soeben einen Bericht des Generalgouverneurs des neuen Departements, Davoust’s, erhalten, [491] worin dieser S. als einen der gefährlichsten Menschen bezeichnete. Auch „den Franklin Bremens“ hat Davoust ihn einmal höhnisch genannt. Und er hatte recht, wenn er damit etwa die unantastbare Integrität des Charakters bezeichnen wollte, aber unrecht, wenn er meinte, einen revolutionären Hang in S. zu entdecken.

S. zog sich nach Erledigung des erwähnten Auftrages mit der Mehrzahl seiner Collegen in das Privatleben zurück, das indifferente Geschäft eines Notars ergreifend, um sich und die Seinigen vor der äußersten Noth zu schützen. Der französischen Staatspolizei, die ihm die Ehre einer sorgsamen Ueberwachung angedeihen ließ, hat er nie den Gefallen gethan, seine Hoffnungen auf ein baldiges Ende der Gewaltherrschaft in nutzlose Thaten umzusetzen.

Als aber im October 1813 durch Tettenborn’s kecken Handstreich auch für Bremen die Befreiungsstunde schlug und nach einer nur wenige Tage dauernden Rückkehr der Franzosen am 5. November, dem Geburtstage Smidt’s, die Wiedergeburt des bremischen Staatswesens durch den russischen General verkündigt wurde, da trat S. mit der ganzen Lebhaftigkeit seines Geistes und mit der vollen Energie seines Charakters für die Selbständigkeit Bremens und der beiden Schwesterstädte in die Schranken. An das alte Postulat hansestädtischer Neutralität dachte jetzt Niemand mehr. Wenn die bremische Jugend jetzt ebenso, wie die lübeckische und hamburgische es schon im Frühjahr gethan hatte, dem Rufe der Ehre und dem berechtigten Gefühle der Rache gegen die Unterdrücker folgend, sich schaarenweis unter die Fahnen stellte, so betonte S. vor allem, daß die ernste Theilnahme Bremens am Kampfe gegen den gemeinsamen Feind das dringendste Erforderniß sei, wenn anders es hoffen wollte, in dem neuen Deutschland als ein selbständiges Glied anerkannt zu werden.

Nach wenigen Tagen reiste S. in das große Hauptquartier nach Frankfurt ab, um bei den verbündeten Monarchen die Anerkennung der Selbständigkeit Bremens zu erwirken. Die erwünschten Versicherungen der beiden Kaiser und Friedrich Wilhelm’s III. erhielt er, unter Stein’s thätiger Mitwirkung, schon bald, aber die Angelegenheit des bremischen Truppencontingents und die Fragen, die sich auf die Neugestaltung Deutschlands bezogen, machten sein ferneres Verbleiben im Hauptquartiere auch dann wünschenswerth, wo nicht nothwendig. So machte S. den Zug der Heere bis nach Paris mit, neben den bremischen zugleich die Interessen der beiden Schwesterstädte wahrnehmend, da Hamburg wegen seiner fortdauernden Occupation außer Stande war, und Lübeck lange zögerte, einen Deputirten in das Hauptquartier zu senden. Ueber die Bedeutung, die Smidt’s Persönlichkeit in der Gesellschaft der europäischen Staatsmänner gewann, äußert sich Varnhagen, der die von ihm als Secretär Tettenborn’s schon in Bremen angeknüpften Beziehungen zu S. in Paris erneuerte, folgendermaßen: „Ein Mann von Geist gilt durch sich selber mehr, als durch die Stelle, welche der Zufall ihm anweist. Smidt’s Ansichten und Aeußerungen blieben nicht gleichgültig und fanden bisweilen Wiederhall in den höchsten Regionen.“ Und kurz vorher heißt es an derselben Stelle (Denkwürdigkeiten VI, 101): „In seiner launigen Heiterkeit schien er alles nur leicht zu nehmen und nahm doch die Sachen, auf die es ankam, mit schwerem Ernst und festem Nachdruck, so daß gewiß kein Punkt, wo seiner Stadt oder des Vaterlandes Interesse sich anknüpfen ließ, ihm unbeachtet blieb, wobei doch ein sicherer Tact ihn vor Vielthuerei bewahrte, wohin solche Gaben in zu beengtem Geschäftskreise wohl zu verlocken pf1egen.“ Die umfangreiche Correspondenz, in der S. über die Ereignisse und Verhandlungen jener bewegten und hoffnungsfreudigen Monate nach Hause berichtete, bezeugt die Richtigkeit von Varnhagen’s Urtheil. Die geistvolle Art, in der S. in dem Kreise der Stein, Humboldt, Metternich [492] seine Gedanken über die Nothwendigkeit der hansestädtischen Selbständigkeit zu vertreten wußte, erwarb ihm nicht allein die dauernde Freundschaft dieser Männer, sondern auch die Sicherheit, daß die Unabhängigkeit der Städte durch die Neuorganisation Deutschlands nicht mehr in Frage gestellt werden würde.

Es verstand sich von selbst, daß S. Bremen auch auf dem Wiener Congresse vertrat und auch dort hat das Gewicht seiner Persönlichkeit die Bedeutung des von ihm vertretenen Staates weit übertroffen. Die hohe Achtung, die ihm als gewandtem Diplomaten, arbeitsamem Geschäftsmann, integrem Charakter und geistvollem Gesellschafter von allen Seiten entgegengebracht wurde, hat ihre Rückwirkung auch auf die Stellung der Hansestädte in dem neuen deutschen Bunde geübt und insbesondere die Interessen Bremens dort fördern helfen.

Als S. gegen Ende November des Jahres 1815 in Frankfurt eintraf, um der Eröffnung des Bundestages beizuwohnen, die freilich noch lange auf sich warten ließ, war unter den besonderen bremischen Interessen, die er zu vertreten hatte, das wichtigste die Aufhebung des oldenburgischen Weserzolls. Zwar war dessen Beseitigung nach Verlauf von zehn Jahren schon durch den Reichsdeputationshauptschluß verfügt worden, da aber inzwischen die französische Occupation Oldenburgs eingetreten war, so hatte der Herzog, als er 1814 die Regierung seines Landes wieder übernahm, den Zoll alsbald wieder in Wirksamkeit gesetzt. Endlich im J. 1819 gelang es S., die definitive Aufhebung des Zolls, der den bremischen Handel zwei Jahrhunderte lang belästigt hatte, zum 1. Mai 1820 beim Bundestage zu erwirken. Wie sehr er sich abermals dadurch um die Vaterstadt verdient gemacht habe, erkannte die bremische Bürgerschaft durch die seltene Ehrenbezeigung eines besondern Dankesvotums an, das gerechterweise zugleich auch der Verdienste gedachte, die Georg Gröning in früheren Jahren um die Anbahnung des glücklichen Erfolges sich erworben hatte. Der Senat aber ehrte S. am 26. April 1821 durch seine Erwählung zum Bürgermeister. Damit wurde S. genöthigt, mehr als bisher auch den inneren Verhältnissen Bremens seine Aufmerksamkeit zu widmen. Der vielerlei Reformen, die er hier in der allgemeinen Geschäftsleitung, in der Verwaltung, vor allem im Kirchen- und Schulwesen, theils angeregt, theils unterstützt hat, kann hier im einzelnen nicht gedacht werden. Die Reform der veralteten bremischen Verfassung, schon 1814 als nothwendig erkannt und in einigen den Senat und die Bürgerschaft betreffenden Punkten auch bald ins Werk gesetzt, ist doch, zum Theil durch Smidt’s Schuld, zu einer vollständigen, namentlich die jüngere Generation befriedigenden Lösung nicht gediehen. S. legte, wie ungewöhnlich willenskräftige Männer in der Regel, im berechtigten Bewußtsein, daß Niemand das Staatswohl einsichtiger, unbefangener und selbstloser als er zu fördern vermöchte, ein sehr geringes Gewicht auf die Form der Staatsverfassung und wollte vor allem von einer Schmälerung der Regierungsgewalt des Senats nichts wissen.

In den auswärtigen Angelegenheiten behielt er nach wie vor die Leitung des Staates allein in der Hand. Auch als Bürgermeister hat er es sich, so oft im Turnus der vier freien Städte die Stimmführung am Bundestage Bremen zufiel, niemals nehmen lassen, sie selbst auszuüben. Denn dem deutschen Bunde, an dessen Wiege er gestanden hatte, blieben mehr, als wir heute verstehen können, seine Sympathien immer zugewandt. Den Verhandlungen des Bundestages ist er mit dem unermüdlichsten Eifer gefolgt und seine Berichte von dort, die eine lange Serie umfangreicher Bände anfüllen, gehören, wie es in seiner ausgesprochenen Absicht lag, zu dem besten Material für eine innere Geschichte des deutschen Bundestages.

Der Sieg, den S. in der Angelegenheit des Weserzolls über Oldenburg [493] erfochten hatte, wurde ungesucht der Ausgangspunkt zu derjenigen unter seinen staatsmännischen Thaten, die seinem Namen das dauerndste Gedächtniß geschaffen hat, zur Gründung Bremerhavens. Es war natürlich, daß Oldenburg die große finanzielle Einbuße, die es durch die Beseitigung des Zolls erlitt, grollend hingenommen hatte, und erklärlich, wenn auch nicht eben klug, daß es seither dem bremischen Handel auf andere Weise feindselig begegnete. Im J. 1825 kam dem bremischen Senate eine Instruction der oldenburgischen Regierung für ihre Consuln zur Kenntniß, die auf die unleugbare Thatsache gestützt, daß es einen bremischen Seehafen garnicht gab, dahin zielte, den Namen Bremens aus den Schiffsconnossementen völlig verschwinden zu machen und so allmählich Bremen auf den Stand einer binnenländischen Handelsstadt herabzudrücken. S. nahm die darin liegende ernstliche Bedrohung Bremens mit dem festen Entschlusse rascher und gründlicher Abwehr auf. Schon während der Verhandlungen über den Elsflether Zoll hatte er, auf seine freundschaftlichen Beziehungen zu den leitenden hannoverschen Staatsmännern gestützt, dem oldenburgischen Gesandten gegenüber gelegentlich die Einrichtung eines bremischen Hafens am rechten Ufer der Unterweser als Drohung hingeworfen. Der Gedanke, der damals nur darauf hinweisen sollte, daß es eine Möglichkeit gebe, den Elsflether Zoll lahm zu legen, wurde jetzt aufs neue ergriffen, um Bremen sein Lebenselement, den Seehandel, dauernd zu sichern. Am 1. Juni 1825 stand dieses Ziel fest vor Smidt’s Augen, und mit dem lebendigsten Eifer ging er unverweilt zu seiner Verwirklichung über. Es gelang ihm rasch, die hannoverschen Staatsmänner von der Identität des Interesses Hannovers und Bremens an der Ausführung des Werks zu überzeugen. Schon am 6. Januar 1826 konnte er in Hannover einen Präliminarvertrag abschließen, der seine Forderungen in allen wesentlichen Theilen sicherte. Dann freilich erwuchsen für den definitiven Abschluß erhebliche Schwierigkeiten, merkwürdigerweise mehr noch in der bremischen Bürgerschaft, als von Seiten der hannoverschen Regierung. In der bremischen Kaufmannschaft zeigte sich, von einigen intelligenten Freunden Smidt’s abgesehen, gar kein Verständniß für das große Unternehmen, das freilich dem bremischen Staatssäckel Opfer auferlegte, die damals für unerhört galten. Die Opposition wuchs noch mehr an, nachdem am 11. Januar 1827 der Vertrag endgültig geschlossen worden war und die Ausführung des Hafenbaus an der Geestemündung alsbald in Angriff genommen wurde. So sehr ließen die bremischen Rheder sich von einer feindseligen Stimmung gegen das Werk beherrschen, daß am 13. September 1830 ein amerikanisches Schiff das erste war, das in den neuen Hafen einfuhr. Es hat dann doch nicht langer Zeit bedurft, um die bremische Kaufmannschaft zu besserer Einsicht zu bringen. S. hat es noch erlebt, daß das Werk, das seinem staatsmännischen Blicke, seiner Energie und seiner diplomatischen Kunst das glänzendste Zeugniß ausstellte, allgemein als die Grundlage der Prosperität des bremischen Handels aufgefaßt wurde.

Wie sehr Smidt’s Thaten ihm die Liebe seiner Mitbürger und die Hochachtung im ganzen Vaterlande erworben hatten, das zeigte sich bei der Feier seines 25jährigen Bürgermeisterjubiläums am 26. April 1846. Die Huldigungen, die ihm die bremische Bürgerschaft, die Senate der Schwesterstädte und eine große Zahl deutscher Souveräne darbrachten, fanden ihren beredtesten Ausdruck in dem Beschlusse des Senats und der Bürgerschaft Bremens, sein Andenken durch Errichtung seines Standbildes in der Rathhaushalle zu ehren. Karl Steinhäuser in Rom, ein geborener Bremer, wurde mit der Ausführung des Werks betraut und vollendete die Marmorstatue im J. 1848. Aufgestellt aber wurde sie, Smidt’s Wunsche entsprechend, erst nach seinem Tode, das einzige [494] derartige Denkmal, das einem hansischen Staatsmanne jemals errichtet worden ist.

Das Jahr 1848 brachte für S. schmerzliche Täuschungen. Er theilte nicht die Hoffnung, aus den revolutionären Stürmen ein einheitliches Deutschland hervorgehen zu sehen, aber er war voll Sorge, daß am Ende die kleinen Staaten die Zeche würden bezahlen müssen. Er zweifelte keinen Augenblick, daß die demokratische Hochfluth sich bald verlaufen werde, aber daß seine Vaterstadt weit länger, als das übrige Deutschland, von ihren trüben Wässern bedeckt blieb, hat er bitter empfunden. Bald nach dem stürmischen 8. März, der die Autorität des Senats zu Gunsten der bremischen Demokratie vernichtete, eilte S. nach Frankfurt, um hier im Centrum der deutschen Bewegung nach Feuer und Licht zu sehen und, so viel er vermochte, mitigirend auf die erregten Wogen einzuwirken. Erst nach dem Scheitern aller deutschen Projecte wandte S. seine Aufmerksamkeit wieder voll den heimischen Zuständen zu. Noch nach der Restauration des Bundestages, im Sommer 1851, herrschte in Bremen die Demokratie, ja eben jetzt erhielt sie bei der Neuwahl der Hälfte der Bürgerschaft noch eine beträchtliche Verstärkung. Zwar schlug der Senat, gestützt auf einen Beschluß des Bundestages, unter Smidt’s Leitung seit dem Herbste des Jahres einen festeren Ton gegen die Bürgerschaft an, aber es bedurfte doch erst der am 1. März 1852 beschlossenen förmlichen Intervention des Bundestages, um endlich die bremische Verfassung von 1849, die mit geordneten Staatszuständen unverträglich war, zu brechen. Daß die der Krone Hannover übertragene Intervention in den glimpflichsten Formen auftrat und Bremen in der Freiheit seiner Entschlüsse möglichst wenig beschränkte, war doch noch einmal dem Ansehen Smidt’s zu verdanken. Die deutschen Regierungen hegten keinen Zweifel, daß unter Smidt’s aufs neue gesicherter Leitung der bremischen Dinge erträgliche Zustände geschaffen werden würden. Die Verfassung von 1854, die liberalen Tendenzen in weitem Maße entgegenkam, hat sich denn auch in fast 40jähriger Geltung bewährt, ohne jemals ernstliche Conflicte zwischen den gesetzgebenden Gewalten herbeizuführen.

Als S. drei Jahre nach dem Abschlusse dieses Werks, am 7. Mai 1857 im 84. Jahre seines Lebens, das bis zuletzt durch volle Geistesklarheit und körperliche Rüstigkeit gesegnet war, von einem ruhigen Tode dahingerafft wurde, waren die Mißstimmungen der revolutionären Epoche längst wieder aus den Herzen seiner Mitbürger entschwunden. Die Todtenfeier gab der Trauer der ganzen Bürgerschaft um ihren großen Bürgermeister einen weihevollen Ausdruck. Noch einmal hat sich dann die Liebe und Verehrung Bremens für die schöpferische Kraft seines Genius und für die grenzenlose Treue, mit der er länger als ein halbes Jahrhundert in äußerlich immer gleich schlichter Anspruchslosigkeit seiner Vaterstadt gedient hat, in glänzender Weise bekundet bei der Säcularfeier seiner Geburt am 5. November 1873.

Bei diesem Anlasse veröffentlichte die historische Gesellschaft in Bremen: Johann Smidt, ein Gedenkbuch zur Säcularfeier seines Geburtstages, das neben einer von Otto Gildemeister verfaßten biographischen Skizze einige Epochen seines Lebens: S. als Student und Professor der Philosophie, von Hugo Meyer, das erste Jahr in Frankfurt, von Constantin Bulle und die Gründung Bremerhavens von dem Unterzeichneten ausführlicher behandelt und einige Mittheilungen aus Smidt’s handschriftlichem Nachlasse beifügt. Eine eingehende, der Bedeutung Smidt’s nach allen Seiten gerecht werdende Biographie, die ein interessanter Beitrag zur deutschen Geschichte der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts sein würde, fehlt noch immer.