ADB:Spreng, Johannes
Melanchthon zum Examinator hatte, und dort hat er auch noch weiter seine Studien fortgesetzt. Heimgekehrt gab er eine kurze Zeit an dem St. Annen-Gymnasium seiner Vaterstadt Unterricht, nicht nur in den classischen Sprachen, sondern auch im Schreiben, für das er zuerst öffentliche Lehrstunden einrichtete (1559). Nach kurzer Lehrthätigkeit entsagte er diesem Beruf und nahm im Winter 1561 (immatr. 5. Nov.) in Heidelberg seine Studien wieder auf. Dort fand er seinen jüngeren Landsmann Wilh. Xylander als Professor des Griechischen auf dem Lehrstuhle Micyll’s. Daß er zu ihm in nähere Beziehungen trat, dafür zeugt die Elegie, die Xylander 1561 an seinen Tübinger Fachgenossen Mart. Crusius richtete, als dieser die Gattin verlor; S. steuerte zu dem Gedicht acht glatte, aber leere lateinische Distichen bei. Von Heidelberg ging er 1563 wieder in die Vaterstadt zurück, ließ sich als öffentlichen Notar eintragen und genoß in diesem seinem Beruf bald hohes Ansehen. Freilich, wenn ihn die Augsburger mit Stolz als „einen der größten Meister seiner Zeit“ feierten, so dankte er das seiner litteratischen Nebenarbeit, die zumal in den sechziger Jahren überaus ergiebig war, während ihn später die zunehmende juristische Praxis mehr und mehr in Anspruch nahm. An der Regierung der Stadt ist S. unseres Wissens nie betheiligt gewesen. Er starb 77 Jahre alt am 30. März 1601. Das uns erhaltene Bild zeigt einen langbärtigen Greis mit hoher Stirn und [289] markirten Gesichtszügen, die auf einen scharfen, aber etwas engen Geist hinzudeuten scheinen.
Spreng: Johannes S. (der Name Sprenger, der auch zuweilen begegnet, ist unrichtig), angesehener Uebersetzer und Meistersänger des 16. Jahrhunderts, wurde 1524 in Augsburg geboren. Den Magistergrad der freien Künste und Philosophie erwarb er sich Juli 1554 in Wittenberg, wo er u. A.S. dankt seine dichterische Schulung im wesentlichen dem Meistergesang, der zumal in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts gerade in Augsburg in einer Blüthe stand, wie selbst in Nürnberg kaum mehr. Hat er die Töne der Augsburger Sänger nicht ganz so oft benutzt, wie die der alten zwölf und der berühmten Nürnberger Meister, so sind doch die Weisen Dulner’s, Wirt’s, Schmidt’s, Schrott’s, Schwarzenbach’s, Wild’s, Danbeck’s, Mayr’s reichlich bei ihm vertreten. Merkwürdig, daß er selbst nie einen Ton erfunden hat: das lag wol an mangelhafter musikalischer Begabung. Der Meistergesang hat ihn sein Leben lang beschäftigt, von 1547 (oder 1554) bis mindestens 1599 sind Meisterlieder Spreng’s bezeugt, und gerade aus seiner späteren Lebenszeit haben sich zahlreiche Lieder von ihm erhalten. Bei der Wahl der Töne bestimmte ihn oft ihr Name, wie er etwa Mayr’s grüne Weingartenweis benutzt, um das Gleichniß vom Weingarten zu besingen, oder wie ihm des Ehrenboten Spiegelton geeignet scheint, um das Bild des Spiegels auf das menschliche Herz anzuwenden. Auch S. hat weit überwiegend geistliche, biblische Stoffe behandelt: war ja doch seit Luther’s Auftreten das möglichst wörtliche Reimen von Bibelpartien eine Hauptaufgabe des gesammten protestantischen Meistergesanges. S. benutzt dabei im Großen und Ganzen Luther’s Text, im Einzelnen spielt die Züricher Bibel eine überraschend große Rolle. Sclavischer Reimer der Vorlage ist er nirgends: er paraphrasirt, breit und ohne Aengstlichkeit; er läßt in Einleitung und Schluß seiner persönlichen Lehrseligkeit freien Lauf, begrüßt wol auch die Singschule, vor der er vorträgt; er erzählt nur andeutend, docirt dagegen mit sichtlichem Behagen. Bei diesem Trieb der Selbständigkeit liebt er es auch, sich aus den verschiedensten Bibelstellen fortlaufende Gedankenreihen zusammen zu suchen oder ganz seine eigenen Wege zu gehen: so wenn er etwa auf einem Spaziergang den Ackerbau geistlich sich zurechtlegt, oder wenn er das Leben als eine Tragödie darstellt, wenn er in einem Leichenliede den Tod feiert, wenn er mehrere „Gebete vor dem Essen“ verfaßt. Und er beschränkt sich nicht auf diese geistlichen Stoffe. Er verschmäht nicht ganz Anecdoten, die man ihm erzählt hat. Seine reiche Belesenheit führt ihn weiter auf Homer und Lucrez, auf Horaz und Ovid, auf Livius, Sueton, Justinus, Valerius Maximus, Plinius, ja auf Boccaccio und Petrarca: auch hier kommt es S. mehr auf die Moral als auf die Erzählung an, die ihm aber z. B. in einer äsopischen Fabel ganz gut gelingt; seine Lieblingsquelle ist demgemäß Plutarch. Für den Reiz der Thatsachen an sich wenig empfänglich, lenkt er oft schnell zur Anwendung, auch wol zur gewaltsamen Ausdeutung über. Er entwickelt dabei eine nüchterne, klare Sprachgewandtheit, die ihn sehr vortheilhaft vor der Mehrzahl der Meistersänger auszeichnet: man merkt seinen Liedern an, daß er auch außerhalb der Singschule die Feder zu regieren weiß; die Verstiegenheit empfindet er ebensowenig als Vorzug wie das enge Kleben am Wortlaut der Quellen. Von seiner großen Fruchtbarkeit zeugen mehr als 150 unter seinem Namen uns bewahrte Meisterlieder, die doch wahrscheinlich noch lange nicht den gesammten Umfang seines meistersingerischen Schaffens bezeichnen; kaum ein Drittel davon ist profanen Inhalts.
Spreng’s Neigung, die Thatsachen moralisch oder geistlich auszudeuten, entsprach die, wohl auf buchhändlerische Anregung zurückgehende Aufgabe, zu 178 Zeichnungen des Virgil Solis, die ihren Stoff aus Ovid’s Metamorphosen nahmen, den erklärenden Text zu schreiben. Diese Metamorphoses Ovidii vollendete er nach dem Datum der Vorrede am 22. Februar 1563 zu Heidelberg. Sein Text, der mit dem zugehörigen Bilde je ein Blatt füllt, bringt zunächst [290] eine kurze Prosabeschreibung des Bildes, dann eine an Ovid’s Originalfassung sich anlehnende enarratio in Distichen, schließlich in derselben Form die vera interpretatio, die z. B. in Apollo, der die Daphne verfolgt, den Satan sieht, der der Seele des Menschen nachstellt, und die aus dem Tode der Semele in Jupiter’s Armen nur die schädlichen Folgen der libido herausliest. Von andern Versuchen Spreng’s in lateinischer Dichtung ist mir, abgesehen von jenen Trostversen für Crusius, nichts bekannt; die in die Delitiae poetarum Germanorum Bd. VI aufgenommenen Verse sind sämmtlich aus Spreng’s Ovid ausgehoben, und ein Gedicht, Formica et luscinia, das ich erwähnt finde, habe ich nicht auftreiben können. Die Lust an dieser gelehrten Poesie wurde wohl zurückgedrängt durch die ungemeine Uebersetzerthätigkeit, die S. in Augsburg erfolgreich entfaltete.
Der Anlaß war zunächst praktisch. Für Goldschmiede, Maler, Aetzer, Formschneider bot Ovid, zumal in den Bildern von Solis, eine Fülle wirksamer Motive; um sie auch den Lateinunkundigen bequem zugänglich zu machen, übertrug S. seinen lateinischen Ovid ins Deutsche (die Vorrede ist Augsburg, 20. Februar 1564 datirt): wie viel breiter seine deutschen silbenzählenden Reimpaare ausfielen als die Distichen des Originals, geht schon daraus hervor, daß im deutschen Ovid zu jedem Bilde zwei Textblätter gehören. Stärker als hier tritt die Plattheit der Spreng’schen Verse hervor in der fast gleichzeitigen gereimten Uebersetzung von des Marcellus Palingenius Stellatus „Zodiacus“ (Vorrede: Augsburg, 8. März 1564). S. streift der mit mythologischem Pomp und anderer rhetorischen Zierrath überladenen Rede des Italieners, dessen Werk er in maßloser Ueberschätzung der heiligen Schrift zur Seite stellt, theils um der größern Klarheit willen, theils weil ihm das Uebermaß heidnischer Vorstellungen störend ist, so viel von ihrem Glanz und Schmuck ab, daß aus seinen redseligen Versen von der Stilart des Originals kaum etwas zu errathen ist. Auch für seine Uebersetzung der Aeneis, für die er seinen Vorgänger Murner gar nicht benutzt zu haben scheint, brachte er lediglich die gewandte Sprache mit; jene Würde und Erhabenheit, die schon das 17. Jahrhundert an Virgil bewunderte, ist in Spreng’s Reimen vollkommen verwischt. Dagegen glücken ihm in der Uebertragung der Ilias, die jedenfalls nicht nur auf dem griechischen Original, sondern sehr wesentlich auch auf einer lateinischen Version beruht, so manche Partien, zu denen ein schlichter treuherziger Ton paßt, überraschend gut. Homer und Virgil wurden erst nach Spreng’s Tode, 1610 durch den Augsburger Verleger Willer publicirt: zählt Weienmair in seinem gereimten Nekrolog Spreng’s Arbeiten chronologisch auf, so würden, wofür auch Anderes spricht, die Homer- und Virgilverdeutschungen unmittelbar auf den Ovid und Marcellus gefolgt sein. Die in demselben Nekrolog angeführten Uebertragungen der Adagia des Erasmus und des Basilius habe ich nirgends auffinden können: ob sie überhaupt gedruckt sind? Jedenfalls standen sie als Prosaarbeiten näher zu dem 1569 erschienenen deutschen Josephus als zu jenen älteren Reimversionen. Gerade der Josephus hat die deutschen Uebersetzer des 16. Jahrhunderts im höchsten Maße angezogen. S. konnte Hedio’s Uebertragung mit reichem Gewinn zu Rathe ziehen. Seine Abhängigkeit von Hedio ist für die „alten jüdischen Geschichten“ sehr sichtlich; neben ihm benutzte er Pseudo-Rufin’s lateinische Version. In der Ausgleichung der Härten und gequälten Constructionen, an denen Hedio reich ist, bewährt sich auch hier Spreng’s formelle Gewandtheit, die nur keinen rechten Charakter hat. Von solchem Zusammenhang mit Hedio habe ich aber nur in der Ἀρχαιολογία deutliche Spuren gefunden, nicht in den übrigen Schriften des Josephus. Diese Verschiedenheit erklärt sich wol aus einer Notiz der Vorrede, die Feierabend und Rab, die Frankfurter Verleger, dem Werke vorausschicken (datirt Frankfurt a. M., 9. Sept. 1569). Danach hat S., durch viele Geschäfte [291] behindert, die Arbeit nicht zu Ende führen können, und es ist für ihn späterhin der Frankfurter Zach. Müntzer eingesprungen, der seit 1550 in Wittenberg studirt und dort vielleicht Spreng’s Bekanntschaft gemacht hatte; Müntzer scheint selbständiger, aber minder gelenk übersetzt zu haben.
- Weienmair, In Effigiem M. Johannis Sprengii, dem Spreng’schen Homer (Augsburg 1610) vorgedruckt. – Veith, Bibliotheca Augustana (Augsburg 1793) Alphabetum X, p. 217. – Die wichtigste Quelle für Spreng’s Meistergesang bildet die Jenaer Meisterliederhs. des Hans Birner; aber auch die Augsburger Hs. von 1565 (in Keller’s Verzeichniß altd. Hss. Nr. 104) und die Weimarische Hs. M 418 fol. enthält eine größere Anzahl Spreng’scher Lieder, von versprengtem Gut ganz abgesehen.