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ADB:Stadion, Anton Heinrich Friedrich Graf

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Artikel „Stadion, Graf Anton Heinrich Friedrich“ von Karl Georg Bockenheimer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 54 (1908), S. 427–429, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Stadion,_Anton_Heinrich_Friedrich_Graf&oldid=- (Version vom 29. November 2024, 08:21 Uhr UTC)
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Stadion: Graf Anton Heinrich Friedrich St. (Stammvater der Friedericianischen Linie des gräfl. Hauses von Stadion zu Thun- und Warthausen[1]) ist geboren am 5. April 1691 als der Sohn des kurf. mainz. Geheimrathes und Großhofmeisters Johann Philipp v. St. († 1741). Zum Eintritt in den Staatsdienst bestimmt, machte St. nach Vollendung seiner Vorbereitungsstudien Reisen nach Holland, Frankreich und Italien, wobei er Gelegenheit fand, mit den hervorragendsten Geistern des Auslandes in Berührung zu kommen. Auf diesen Reisen hat St. sich nicht bloß den äußeren Schliff geholt, [428] wie dies bei dem jugendlichen Adel seiner Zeit Sitte war, sondern er sah sich auch überall mit offenen Augen um und eignete sich Kenntnisse an, die für seinen künftigen Beruf förderlich waren. In jugendlichem Alter in den Staatsdienst aufgenommen, gelang es ihm, dank seiner großen Befähigung, rasch vorwärts zu kommen und zur Würde eines kurmainz. Großhofmeisters aufzusteigen. In dieser Stellung übte er unter drei Kurfürsten einen großen Einfluß auf die Gestaltung der öffentlichen Verhältnisse des Kurstaates aus. Es wäre kaum zu verstehen, wie Kurfürsten von streng gläubiger Richtung einen Mann frei schalten und walten ließen, der im Verkehr mit aus- und inländischen Freigeistern stand, sich in den Dienst der Aufklärung stellte und seine freisinnige Richtung in seinen Amtshandlungen zum Ausdruck brachte, wenn man nicht wüßte, daß seine Herren, namentlich Philipp Karl v. Eltz (1782–1743) und Johann Friedrich Karl v. Ostein (1743–1763) schwache, bequeme und in Staatsgeschäften durchaus unerfahrene Fürsten waren. Diese mochten ihrem Großhofmeister umso mehr vertrauen, als er seine Thätigkeit mit der Einführung einer Reihe von gemeinnützigen Einrichtungen begonnen hatte. So war es ein höchst verdienstvolles Werk, durch Schaffung eines für den größten Theil des Kurstaates (mit Ausnahme von Erfurt und vom Eichsfeld) gültigen Landrechts willkürlichen Abweichungen vom gemeinen Recht ein Ende zu machen und durch eine zeitgemäße Gerichtsordnung den Gang des Verfahrens in bürgerlichen und Strafsachen zu regeln. An der Herstellung der am 1. Januar 1756 in Kraft getretenen Gesetzgebung arbeitete St. in Verbindung mit dem Hofkanzler v. Vorster, mit den Mitgliedern des Hofraths: Freiherrn v. Breidbach-Bürresheim, v. Lammertz, v. Stubenrauch, v. Clemens, v. Cunibert, Rüssel, Ottenthal und Hartmann und mit den Mitgliedern des Hofgerichts: Preetz und Itzstein. Eine Reihe von wichtigen, zur Förderung von Handel und Verkehr in der Zeit von 1747–1750 erlassenen Verordnungen sind niedergelegt in einer im J. 1752 erschienenen ersten „Sammlung deren in Policey u. Commercien-Sachen erlassenen Churf.-Maintzischen Verordnungen“. Die damals getroffenen Anordnungen haben sich vorzüglich bewährt und wurden bis zu Ende des Kurstaates gehandhabt. Hierher zählt zunächst die Einführung von zwei jährlichen Messen von je 14 Tagen in Mainz (Verordnung vom 22. December 1747) und die Regelung des Meßcredits und der Zahlungstermine. Auf Stadion’s Betreiben wurde ein Warenlager am Rhein und ein Weinmarkt in Mainz eingerichtet, der dem Haupthandelszweige der Stadt gute Dienste leistete. Ein Vorläufer der künftigen Handelskammer war die durch Verordnung vom 22. December 1747 geschaffene Vertretung des Handelsstandes unter Leitung des Vicedom-Amtes, die zu berathen hatte über alles, „was zur Aufnahme der Gewerbe und Kauffmannschaft dahier gereichen, und Schaden und Abgang zu verhindern vermag.“ In Verbindung damit stand die Neuregelung des Schiffahrtswesens. Zu nämlicher Zeit widmete sich die Regierung der besseren Gestaltung des Pfandhausverkehrs, des Löschwesens und der Steuerung des Bettelunfugs.

So dankbar die Kurmainzer diese Wohlfahrtseinrichtungen anerkannten, so entschieden wehrten sie sich gegen Regierungmaßregeln, die geeignet waren, das religiöse Empfinden des Volkes zu verletzen. So lebensfroh der Mainzer des 18. Jahrhunderts war, so wenig er sich zum Kopfhänger eignete, so hielt er in religiösen Dingen doch stark an dem Althergebrachten. Es erregte darum großes Aergerniß, als St., um Platz für die von ihm nach Mainz gezogenen Meßleute zu gewinnen, ein von den Jesuiten im J. 1720 errichtetes Kreuz bei der Sebastianuscapelle in Mainz entfernen ließ (1754). Die Aufregung hierüber wurde geschürt durch Leute, denen Stadion’s freisinniges Wesen zuwider [429] war, wobei namentlich eine Predigt des Jesuitenpaters Winter ihre Wirkung nicht verfehlte. Zur Beruhigung der aufgeregten Menge ließ die Regierung unter großem Gepränge ein neues Kreuz errichten (Vogt, Rheingeschichten und Sagen IV, S. 204–206, Schaab, Geschichte der Stadt Mainz II, S. 172, 173). Dem ersten Vorstoß gegen St. folgte bald ein zweiter nach. Als einen Gesinnungsgenossen hatte St. den Professor D. Joh. Baptist Horix gehegt und beschützt. Als dieser für den Gebrauch bei seinen Vorlesungen eine Arbeit drucken ließ (Tractatiuncula in fontibus juris canonici germanici), worin er gegen die von Rom angestrebte Vermehrung der Machtvollkommenheit ankämpfte, regte sich die Geistlichkeit gegen den Gelehrten und ruhte nicht, bis dieser gemaßregelt und zum Widerruf seiner Ansichten gezwungen wurde. Es glückte den Großhofmeister in diese Angelegenheit zu verwickeln, dem die Demüthigung nicht erspart blieb, die Erklärung abgeben zu müssen (29. April 1759), daß er an der Arbeit des ihm nahestehenden Professors keinen Antheil gehabt.

Die Erkenntniß, wie wenig er sich auf den schwachen Kurfürsten Ostein verlassen könne, bewog St., sich nach Warthausen zurückzuziehen (1761), ohne aus dem Staatsdienst auszuscheiden, was erst nach einigen Jahren erfolgte, als es zwischen dem Herrn und Diener zum Bruch kam. Dagegen trat St. in freundschaftliche Beziehungen zu Ostein’s Nachfolger Emmerich Josef v. Breidbach-Büresheim, ohne den Versuch zu machen, in den kurmainzer Dienst wieder einzutreten. Auf Empfehlung Stadion’s ernannte der neue Kurfürst den Dichter Christoph Martin Wieland, der sich seit 1760 in der Nähe von Warthausen, in Biberach, aufhielt und mit St. in enge Beziehungen trat, zum Professor der Philosophie an der Hochschule in Erfurt, worüber man in den Mainzer Kreisen nicht besonders erbaut war. Stadion’s Einfluß auf Emmerich Josef ließ sich auch erkennen in der Umgestaltung des Unterrichtswesens in Mainz, wobei Stadion’s Freunde Freiherr v. Benzel-Sternau und Großhofmeister v. Grosschlag, beide freisinnige Männer, eine hervorragende Rolle spielten (Messer, Die Reform des Mainzer Schulwesens im Kurfürstenthum Mainz unter Emmerich Josef, 1763–1774, S. 13). Auch dadurch suchte St. seinen Einfluß auf geistliche Höfe aufrecht zu erhalten, daß er seinen Schüler, wahrscheinlich auch seinen natürlichen Sohn, den Georg Michael Franck (de la Roche) in Diensten des kurtrierschen Hofes brachte. Ganz im Sinne Stadion’s wirkte Franck als Verfasser der Briefe über das Mönchswesen, ein Werk, das sich an die oben erwähnte Arbeit von Horix und an das Werk von Febronius anschloß und gleiche Ziele wie jene verfolgte (vgl. Rhein. Antiq. II. Abth., 1. Bd., S. 89 u. 107, ferner das 13. Buch von Goethe’s Wahrheit und Dichtung und Asmus, G. M. de la Roche, ein Beitrag zur Geschichte der Aufklärung).

An den geistreichen Minister erinnert in Mainz noch ein für ihn errichteter Bau, der Stadionenhof, der dem feinen Geschmack des prachtliebenden Bauherrn alle Ehre macht.

St. verstarb in Warthausen am 28. October 1768; aus seiner Ehe mit Maria Anna Auguste v. Sickingen waren drei Töchter und zwei Söhne hervorgegangen. Von seinem Sohne Franz Konrad stammen die Enkel Friedrich Lothar (geb. 6. April 1761) und Johann Philipp (geb. 3. Juni 1761 ab, beide später als österreichische Staatsmänner bekannt geworden.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 427. Z. 7 v. u. l.: Thann- (statt Thun-) und Warthausen. [Bd. 55, S. 901]