ADB:Hontheim, Nikolaus von (Historiker)

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Artikel „Hontheim, Johann Nikolaus v.“ von Franz Xaver Kraus in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 13 (1881), S. 83–94, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hontheim,_Nikolaus_von_(Historiker)&oldid=- (Version vom 27. April 2024, 12:48 Uhr UTC)
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Hontheim: Johann Nikolaus v. H., trierischer Weihbischof, Bischof zu Myriophit, kurtrierischer geheimer Staatsrath, geb. zu Trier am 27. Januar 1701 (nicht zu Koblenz 1700, wie Meusel, Adelung, Weidlich u. A. angeben), gest. zu Montquintin am 2. Septbr. 1790. Seine Eltern waren Karl Kaspar v. H., Generaleinnehmer des Obererzstifts, Hochgerichtsschöffe und Stadtrath, auch mehremal Bürgermeister von Trier (1657–1724), und Anna Margaretha v. Anethan, der Großvater, Johann Nikolaus v. H., kurtrierischer Hofrath (geb. 1617, † am 28. Jan. 1665), der Urgroßvater, Joh. Wolfgang v. H., kurtrierischer und speyerischer Rath (vgl. die weitere Genealogie im Tr. Wochenblatt 1819, Nr. 22). Der Vater des Urgroßvaters, Nikolaus v. H., war Doctor der Rechte; ihm verdankt man die Schrift: „De Syntaxi et fide Instrumentorum sive de arte Notariatus ad Rom. Curiae, Imperialis, Spirensis celeberrimorumque iudiciorum mores etc.“. Moguntiae 1607. Als Geburtshaus wird das in der Palastgasse damals mit Nr. 94 bezeichnete Haus angegeben. Am 29. Januar wurde H. nach Ausweis der Pfarrregister in S. Laurentius in Trier getauft. Zwölf Jahre alt, erhielt er durch Verleihung seines Oheims, Hugo Friedrich v. Anethan, ein Canonicat an dem St. Simeonsstift zu Trier, in Folge dessen er am 25. Mai 1713 die Tonsur nahm. Seine Gymnasialstudien machte er bei den Jesuiten in Trier; seine Eltern gaben ihm eine treffliche Erziehung und auch seine Gegner mußten ihm den Ruf einer durchaus tadellosen und reinen Jugend zugestehen. Die höheren theologischen und juristischen Studien machte er zu Trier, wo er die Professoren Deel und Nalbach, den späteren Weihbischof, hörte, in Löwen, wo Bawens, Hackius, Bugenhaut seine Lehrer waren (van Espen lehrte, wie H. selbst in einer Notiz anmerkte, nicht mehr, kam aber gern zu den Disputationen der Studirenden und argumentirte dabei mit), endlich in Leyden, wo er den Vorlesungen von Vitriarius und Wessenberg folgte. Nach fünfjährigem akademischen Studium wurde er nebst seinem älteren Bruder Wolfgang in Trier zum Doctor der Rechte promovirt (6. April 1724; die Promotionsschrift handelte: „De Jurisprudentia naturali et summo imperio“), machte im nämlichen Jahre und 1729 Reisen in Belgien, Holland, Deutschland und Italien. Nach längerem Aufenthalte in Rom wurde er 1728 Assessor und geistlicher Rath am Consistorium zu Trier und 1732 Professor des Civilrechts an der dortigen Universität, in welcher Eigenschaft er bis 1738 wirkte. Eine Anzahl Dissertationen rührt aus dieser Zeit. 1738 berief ihn der Kurfürst Franz Georg nach Koblenz, wo er im folgenden Jahre zum erzbischöflichen Offiziale ernannt wurde. In dieser Stellung, welche H. bis zum J. 1747 bekleidete, sammelte er zum größten Theil die Materialien zu seinen großen historischen Werken, und begann er zugleich einen bedeutenden [84] Antheil an der kirchenpolitischen Bewegung der Zeit zu nehmen. Als im Jahre 1740 Karl VI. starb, wurde H. dem kurtrierischen Botschafter Frhrn. v. Spangenberg beigegeben, um die Interessen des Kurfürsten bei den Vorbereitungen zur Kaiserwahl zu vertreten. H. selbst erzählt: „wir arbeiteten gemeinschaftlich unter den Augen des Fürsten – bis zur Abreise Spangenberg’s zum Gesandtschaftsposten nach Frankfurt. Nun war ich allein bei dem Kurfürsten, da Franz Georg in den Geschäften, die Kaiserwahl betreffend, die er mit dem größten Geheimniß betrieb, sich keines andern seiner Räthe bediente. Nach dem Tode des Kaisers Karl VII. waren wieder die nämlichen Umstände, und ich hatte den nämlichen Dienst am Hofe, bis zur Wahl und Krönung des Kaisers Franz I., zu welcher ich den Kurfürsten nach Frankfurt begleitete.“ Damals scheint es gewesen sein, daß die anmaßlichen Forderungen des päpstlichen Nuntius Doria und dessen indiscrete Einmischung in die Angelegenheiten der Kurfürsten und des Reiches in H. den Gedanken wachgerufen, die Grenzen der päpstlichen Gewalt einer erneuten kritischen Untersuchung zu unterziehen. Man erzählt, der Freiherr v. Spangenberg habe damals in einer Gesellschaft die Uebergriffe der Curie lebhaft beklagt und den Wunsch ausgesprochen, es möge ein gelehrter Geistlicher aufstehen, und in einem gründlichen Werke den Unterschied zwischen der geistlichen Macht des Papstes und der angemaßten politischen Gewalt desselben aufweisen; H., der zugegen war, habe dann beim Weggehen gesagt: „ich will es versuchen, der deutschen Kirche einen solchen Geistlichen zu stellen“ (Wittola, Neueste Beiträge zur Religionslehre und K.G., I. 2. S. 928 f. Wien 1790).

Im J. 1746 schlichtete H. im Auftrag des zum Schiedsrichter gewählten Kurfürsten von Trier einen Streit zwischen dem Fürstbischof von Speyer und dem Domcapitel; im selben Jahre entsendete ihn der Kurfürst, der auch Bischof von Worms war, dorthin, um über das dasige Generalvicariat und die vier Stiftskirchen Visitation zu halten. Das Uebermaß der Anstrengungen veranlaßte ihn indessen, 1747 von dem Offizialate zurückzutreten und sich nach Trier auf sein Canonicat mit dem Titel eines Geheimeraths, den er seit 1741 trug, zurückzuziehen, um seine angegriffene Gesundheit zu pflegen. Man bewilligte ihm, wie H. selbst berichtet, diese Ruhe nur nach großem Widerspruch und mit „böser Miene“; da sich aber sein Befinden sehr bald besserte, ernannte ihn der Kurfürst Franz Georg aus eigenem Antriebe schon am 13. Mai 1748 zum Nachfolger des am 11. Mai verstorbenen Weihbischofs v. Nalbach. In diesem Amte, welches H. bis zu seinem Tode, auch unter den beiden nachfolgenden Kurfürsten Johann Philipp und Clemens Wenceslaus inne hatte, und welches mit dem Generalvicariate in spiritualibus verbunden war, entwickelte H. eine von allen Seiten anerkannte höchst ersprießliche administrative Thätigkeit. Da die Kurfürsten am Rheine residirten und mehr weltliche Herren als Bischöfe waren, lag auf ihm eigentlich die ganze Last der kirchlichen Verwaltung, was ihn aber nicht hinderte, auch in den weltlichen und politischen Geschäften durch seine Einsicht und Erfahrung den Kurfürsten die erheblichsten Dienste zu leisten. Es ist geradezu erstaunlich, wie ihm gleichwol die Zeit geblieben ist zu einer höchst umfassenden und bedeutenden litterarischen Thätigkeit.

Hontheim’s kleinere Arbeiten auf litterarischem Gebiete waren außer den erwähnten akademischen Dissertationen die „Norma studiorum pro Universitate Trev. et pro Gymnasio Confluentino“ (1751), die „Argumenta Psalmorum et Canticorum“ (1759), eine Anzahl geistlicher Reden (so ein „Sermo habitus a R° Suffraganeo ad Serenissimum nomine cleri apud valvas Metropolitanae Trev. die inthronisationis 22. Febr. 1768) und akademischer Ansprachen, die er als Procancellarius der Universität 1749 ff. hielt (Auszüge in der Tr. Kronik [85] 1821, S. 198 f., 226 f., 1822, 3). Die Herausgeber der Gesta Trevirorum (III. 254 b) schreiben ihm auch die Revision des trierischen Breviers (1748) zu, ob mit Recht, muß dahingestellt bleiben, da die historischen Lectionen desselben mit Hontheim’s Ansichten vielfach in hellem Widerspruch stehen. Aber zwei Hauptwerke sind es vor allem, welche Hontheim’s Namen berühmt machten: die Arbeiten über die Geschichte seiner Vaterstadt und der Febronius. Die trierische Geschichte war vor H. keineswegs unangebaut geblieben. Die Annales Trevirenses der Jesuiten Brower und Masen, die rechtgeschichtlichen und urkundlichen Forschungen eines Kyriander und Zillesius werden stets Denkmäler liebevoller und erfolgreicher Beschäftigung mit diesem Gegenstand bleiben. Aber es fehlte vor allem noch an einer umfassenden Herbeischaffung und Zurechtlegung des weitschichtigen gedruckten, wie besonders handschriftlichen Materials: erst wenn diese Vorarbeit erledigt war, konnte an eine kritische Bearbeitung der Geschichte dieser hochinteressanten Stadt gegangen werden. H. war es, der sich dieser doppelten Aufgabe unterzog und sie für jene Zeit in mustergiltiger Weise löste. Die „Historia Trevirensis diplomatica et pragmatica inde a translata Treveri praefectura praetorio Galliarum ad haec usque tempora: e genuinis scripturis eruta atque ita digesta, ut non solum jus publicum particulare archiepiscopatus et electoratus Trevirensis in suis fontibus plenissime exhibeat, sed et historiam civilem et ecclesiasticam Germaniae ejusque singularia jura publica ac privata illustret“ – erschien zu Augsburg und Würzburg bei Martin Veith, 1750, in 3 Bänden in kl. Fol., und gibt außer einem trierischen Urkundenbuch „Dissertationes praevias“, in welchen die politische und kirchliche Entwickelung, die allgemeinen Kulturzustände, Geschichte und Alterthümer der betreffenden Zeitabschnitte kritisch abgehandelt werden. Während die „Historia diplomatica“ die Urkunden gibt, sammelte H. in seinem 1757 in demselben Verlag zu Augsburg in 2 Foliobänden erschienenen „Prodromus Historiae Trevirensis diplomaticae et pragmaticae exhibens Origines Trevericas Gallo-Belgicas, Romanas, Francicas, Germanicas sacras et civiles aequalium et scriptorum fide et monumentorum authoritate assertas“, die Mittheilungen sämmtlicher ihm bekannt gewordener antiker und mittelalterlicher Schriftsteller über Trier und gab zugleich hier eine erste Ausgabe zahlreicher trierischer Historiker. Auch sind weitläufige Commentare beigegeben, in denen alle wesentlichen Fragen der trierischen Staats-, Stadt- und Kirchengeschichte berührt, die meisten erschöpfend abgehandelt werden. Es war allem Anschein nach Hontheim’s Absicht, eine dritte Sammlung ähnlicher Art herauszugeben, welche offenbar den Prodromus ergänzen sollte. Dieses Werk ist unter dem Titel „Historiae Scriptorum et monumentorum Trev. amplissima Collectio“ in 2 Bänden handschriftlich erhalten und aus dem Nachlasse Hontheim’s in die trierische Stadtbibliothek (Cod. 1823) übergegangen: es enthält eine Menge bis jetzt noch keineswegs ausgenutzter Beiträge. Hontheim’s Leistungen auf dem Gebiete der trierischen Geschichte sind für alle Zeit bahnbrechend und grundlegend geblieben. Freilich stellt die Gegenwart höhere Anforderungen an die Herausgeber von Texten und Urkunden; aber das 18. Jahrhundert hat wenig sorgsamere Editoren aufzuweisen: Grandidier z. B. und Schöpflin erreichen in dieser Hinsicht unsern H. nicht, der beiden, wie überhaupt fast allen deutschen Forschern jener Zeit an Unbefangenheit der Auffassung und Schärfe der Kritik überlegen ist. Große Lücken haben allerdings seine Bücher, und das handschriftliche Material ist nicht entfernt in ihnen erschöpft; aber man muß dankbar für das sein, was hier geboten war, und nicht vergessen, wie schwer es in jener Zeit war, die Archive und Bibliotheken, welche meist in ganz ungeordnetem Zustand waren, zu benutzen. Allerdings war, sollte man glauben, H. durch seine Stellung mehr als irgend Jemand in der Lage, sich des Materials [86] zu bemächtigen; aber trotzdem ist gewiß, daß man ihm, wie Grandidier im Elsaß vielfach aus Argwohn die wichtigsten Actenstücke vorenthielt. Den Beweis für diese Behauptung liefert mir die handschriftliche Glosse eines Benedictiners von S. Maximin in Cod. 629 der Supplém. latins der Nationalbibliothek zu Paris; hier, in einer ehemals der Abtei S. Maximin bei Trier gehörigen, St. Paulin angehenden Handschrift merkte der P. Maugerard, exbénédictin, pensionnaire de S. M. Napoléon le Grand an: que M. de Hontheim n’a jamais pu obtenir la communication de se manuscrit (contenant l’histoire des Martyrs de la légion Théb.) du chapitre de S. Paulin à qui il appartenait. Ce chapitre et autres corps ecclésiastiques ayant remarqué qu’il semblait n’écrire que pour relever le pouvoir temporel de l’Electeur, dont les prédecesseurs s’appelèrent dans les 9. 10. et 11 seculis sanctae ecclesie Trevirensis humilis minister –, lui ont refusé leurs archives et l’ont livré à ses sistèmes de mondanité, tout homme de bien qu’il étoit (le 11 juin 1811).

In unsern Augen werden Hontheim’s Arbeiten zur Geschichte seiner Vaterstadt stets sein glänzendster Anspruch auf Unsterblichkeit sein; aber viel bekannter wurde sein Namen und viel bedeutender sein Einfluß auf die Zeitgeschichte durch sein zweites Hauptwerk, welches zuerst unter dem Titel: „Justini Febronii Icti de Statu Ecclesiae et legitima potestate Romani Pontificis Liber Singularis, ad reuniendos Dissidentes in religione Christianos compositus, Bullioni apud Guillelmum Evrardi“, 1763, in einem starken Quartband erschien. Der wahre Druckort war Frankfurt a M., der Drucker der Buchhändler Eßlinger, dem es durch Hontheim’s intimsten Freund, den k. Rath Baron v. Krufft, unentgeltlich, aber unter der Bedingung der Verschwiegenheit zugestellt worden war. Das Manuscript, welches Herrn v. Krufft nach dem Druck wieder zurückgegeben werden sollte, kam indessen, da dieser inzwischen nach Wien zurückgekehrt war, und Eßlinger starb, durch den katholischen Geistlichen Dumeiz in Frankfurt, welcher für H. die Correctur besorgt hatte, an den protestantischen Gelehrten Mieg zu Heidelberg, der es laut Brief vom 27. Febr. 1792 noch 1792 besaß (s. Treviris 1834, II. u. 52). H. hatte seinem Werke, das er pseudonym in die Welt schickte (den Namen Justinus Febronius wählte er nach einer Aeußerung des Freih. v. Krufft, „weil zwei seiner geschätzten Verwandten Justina und Febronia hießen“; richtiger, weil seine Schwester, Stiftsdame in der adelichen Damenabtei Juvigny Justina Febronia hieß, wie dies der kurtrierische Staatskalender ausweist), Widmungen an P. Clemens XIII., weiter an die christlichen Könige und Fürsten, die Bischöfe, die Doctoren der Theologie und des canonischen Rechts vorausgeschickt, in welchen er sich über den Zweck desselben mit wünschenswerther Offenheit ausspricht. Er will, sagt er, die Auctorität des hl. Stuhls nicht angreifen, sondern im Gegentheil befestigen, indem er den wahren Umfang derselben untersucht und ihr die richtigen Grenzen anweist, in welchen sie sich zum Segen der Christenheit zu bewegen hat. Indem die Träger dieser Auctorität diese Grenzen überschritten, haben sie unzählige wohlberechtigte Klagen der gesammten, namentlich aber der deutschen Christenheit hervorgerufen, die große Kirchentrennung verursacht, und diese Grenzüberschreitung der päpstlichen Gewalt ist noch jetzt die Hauptursache der fortgesetzten Spaltung der Kirche. Er beschwört den Papst, auf die Wege der alten christlichen Tradition zurückzukehren und den Curialisten ferner kein Gehör zu schenken, welche nur alles aufbieten, um die Einheitsbestrebungen zu Nichte zu machen.

Das System der kirchlichen Verfassung, welches H. nun in seinen 9 Kapiteln entwickelt, ist im wesentlichen dasjenige der gallicanischen Schule, wie es namentlich Richer vorgetragen. Der Grundgedanke des Werkes ist die Leugnung der monarchischen Verfassung der katholischen Kirche: nach Febronius erhalten Papst und [87] Bischöfe ihre Gewalt von der Kirche, welche durch das Generalconcil vertreten wird, das über dem Papste steht. Er leugnet den Primat nicht, wol aber, daß derselbe nothwendig mit dem römischen Bischofsstuhl verbunden ist. Ohne Reception und Consens seitens der Kirche sind die Decrete des Papstes weder in Dingen der Disciplin, noch des Glaubens irreformabel; viele dem Papste jetzt zustehende Rechte, wie die Confirmation der Bischofswahlen, die Postulation, Consecration und Absetzung der Bischöfe, Errichtung neuer Bischofssitze, Canonisation u. s. f., sind zufällige, nicht inhärirende Rechte des Primates; angemaßte und falsche Rechte desselben aber seien z. B. die Infallibilität, die Gewalt in weltlichen Dingen, die mit den Bischöfen concurrirende Gerichtsbarkeit; den Bischöfen widerrechtlich entzogen seien die Reservation von Sünden, die Exemption gewisser Orden, die Verleihung von Präbenden und Dignitäten über den Kopf der Ordinarii, die Beschränkung der bischöflichen Wahlen, die Annaten, die Ausübung unmittelbarer Legislation in den Diöcesen, zahlreicher Dispensationen und die Appellationen von den Sprüchen des untern Richters. H. erklärt nun, die Kirche müsse in Hinsicht all’ dieser Dinge in den Zustand der ersten Jahrhunderte zurückkehren, in die Zeit, „ehe die pseudo-isidorischen Decretalen die gesammte Gesetzgebung derselben gefälscht und zu Gunsten Roms umgeworfen haben“. Und da die römische Curie, ja selbst die allgemeinen Concilien sich unfähig erwiesen hätten, diese Reform und damit die durch sie bedingte Wiedervereinigung der getrennten Kirchengesellschaften zu bewerkstelligen, so sei es an den weltlichen Fürsten, der Kirche die Freiheit wieder zu verschaffen. Jeder Fürst, namentlich aber der Kaiser, solle in seinem Reiche das anordnen, wodurch die Geltung des alten Rechts wiederhergestellt würde; zu dem Zwecke sollen sie auch ein allgemeines und Nationalconcilien selbst gegen den Willen des Papstes einberufen und eventuell den Gehorsam in den von der Curie angemaßten Dingen verweigern.

Der Febronius, obwol lateinisch und in keineswegs angenehmer Form geschrieben, hatte gleichwol einen Erfolg, wie kaum je ein anderes Buch. Schon 1765 folgte eine zweite Auflage, Nachdrucke erschienen in Zürich und Venedig, Uebersetzungen in vielen Landessprachen; so ein deutscher Auszug 1764, zwei französische und eine italienische. Namentlich auch in Portugal und Spanien fand das Buch große Verbreitung; hier gewann es geradezu das Ansehen eines Codex der kirchlichen Gesetzgebung, und H. selbst erzählte aus Portugal, daß einem Werke Pereire’s eine kirchliche Approbation vorgedruckt war, welche ihren Text aus Febronius entlehnte. Selbstverständlich lenkte sich die Aufmerksamkeit Roms rasch auf das Buch und seinen Autor. Der Nuntius Borromeo zu Wien verschaffte sich eines der ersten Exemplare und sandte dasselbe durch eine Estafette nach Rom, wo bereits am 27. (n. A. 25.) Februar 1764 die Verurtheilung desselben erfolgte; am 21. Mai d. J. forderte der Papst durch ein Breve alle Bischöfe Deutschlands zur Unterdrückung des Febronius auf, eine Aufforderung, welcher neun Bischöfe (Trier, unterm 14. Juni, Köln, Mainz, Augsburg, Bamberg, Constanz, Freisingen, Würzburg und Prag) nachkamen, während 16 sich, wie es scheint, ganz passiv verhielten. Der Cardinal Corregiani verbot unter 10jähriger Galeerenstrafe jedem Unterthan des Kirchenstaates die Lectüre des Werkes. Das hinderte indessen nicht, daß das Werk bei den Höfen ungetheilten Beifall fand und größten Einfluß gewann. Seiner Einwirkung war es zu verdanken, wenn der König von Neapel die Regeln der römischen Kanzlei für jene Staaten aufhob, Venedig 1768 den Bischöfen die Jurisdiction über die Ordensleute wiedergab, Maria Theresia ähnliche Verfügungen für das Herzogthum Mailand traf. Der Bischof von Coimbra, welcher den Febronius verbot, wurde eingezogen, seine Verordnung cassirt und ihm der Prozeß gemacht. Die Beschwerden, [88] welche die Abgesandten der drei rheinischen Kurfürsten, v. Deel, H., Karl Hillesheim 1769 (18. Decbr.) auf der Versammlung zu Coblenz im Namen ihrer Mandatare gegen Rom erhoben, später die Emser Punktationen, decken sich vielfach mit den Ausführungen des Febronius (s. diese Gravamina bei Le Bret, Magazin für Staaten- und Kirchengesch., VIII. 1–21) und Josephs II., wie Leopolds von Toscana kirchliche Reformpläne säumten nicht, den von Febronius angegebenen Weg zu betreten und die widerstrebende Kirche nach dessen Rezept zu curiren. Vergebens versuchte der Wiener Nuntius, Maria Theresia ein Verbot des Buches abzulocken; nicht minder hatten alle ähnlichen Versuche in Venedig nur den Erfolg, die Verbreitung des Febronius mit staatlicher Genehmigung zu fördern (Wittola, I. 918 f., Walch, I. c. 1. S. 154 f., 158).

Es konnte nicht fehlen, daß Hontheim’s Werk zahlreiche litterarische Befehdung fand. Blos bis zum J. 1777 standen zwanzig Schriftsteller der curialistischen Richtung gegen ihn auf: der Pseudonymus Justinianus Frobenius, der Jesuit Kleiner, Professor zu Heidelberg, die Kölner Universität (1765), Georg Trautwein, Abt zu Ulm (Antonius de Vigilibus, 1765), der Minorit Sangallo, dessen Ordensbruder Ladislaus Sappel (4 Bde., 1766–75), Joh. Godf. Kaufmanns, Prof. in Köln, die Jesuiten F. X. Zech in Ingolstadt (in seinem Kirchenrecht), Zaccaria mit seinem Antifebronius (1767–72, 4 Bde.) und Feller, Pietro Ballerini in Verona (1768), der Dominicaner Corfi, Constantini, der Capuziner Cocaleus (Italus ad Febr., 2 Bde., 1773), die Jesuiten Anton Schmidt, Joh. Carrich (1773) und ein Anonymus ihres Ordens, weiter Pellizer (De statu eccl. c. Febr., Bayonne 1777) und die Dominicaner Mipemelli und Mamachi, der bekannte Archäolog. Diesen und andern Angriffen setzte H., immer die Anonymität wahrend, vier weitere Bände des Febronius entgegen, welche zu Frankfurt und Leipzig 1770, 1772, 1773 und 1774 (3 Bde., der letztere in zwei Abth.) erschienen und endlich gab er 1777 einen Auszug des Ganzen unter dem Titel: „Febronius abbreviatus“ heraus, welchem 1785 ein gleichnamiger zur Widerlegung entgegengesetzt wurde. Als die Jesuiten nach ihrer Auflösung 1773 mißvergnügt die Waffen in diesem Kampfe streckten (Zaccaria’s Benehmen schlug so um, daß man ihn für den Verfasser einiger damals ausgegebenen Vertheidigungsschriften des Febronius halten konnte und in Rom eine Untersuchung gegen ihn eingeleitet wurde – Gazette de Cologne 22. Febr. 1774, vgl. Febron., IV. 2. 339; Walch a. a. O. VI. S. 204 A.), war es hauptsächlich Mamachi, gegen den sich Febronius zu wehren hatte (von anderen Gegnern nenne ich: J. Aletophili Epist. ad Febron. in s. retract. und Reflexiones in liter. retract. Febronii, beide Frankf. 1779, 4°.): als er im Begriff stand, sich gegen diesen zu vertheidigen, brach die Katastrophe über seinem Haupte aus.

Ueber den Urheber des Febronius hatte man anfangs verschiedene Vermuthungen, welche sich theils auf den Professor Behlen zu Mainz, theils auf Hontheim’s berühmten Freund, Professor Neller zu Trier (s. Acta Erudit. Lips. Jan. 1764) richteten. Noch 1785 kam in Ungarn ein Mönch Martinovicz in den Verdacht, das Buch geschrieben zu haben, die Inquisition bemächtigte sich seiner, kerkerte ihn ein und folterte ihn; es gelang ihm, zu entkommen und den Schutz der Kaiserin anzuflehen, doch hatte er über der Verfolgung den Verstand verloren (s. Schlözer’s Staatsanzeiger, VIII. 158. 1785). Dagegen wußte die römische Curie seit 1764 sofort den Namen des wahren Verfassers, welchen der Abbate Garampi, Begleiter des Nuntius Oddi bei der Wahl Josephs II. zum römischen König, dem Buchhändler Eßlinger abgepreßt hatte. Aber die Dinge lagen lange nicht so, daß sie es für klug hielt, gegen H. einzuschreiten, der noch 1771 sagen konnte: „man hatte es mit einem Manne zu thun, der den römischen Verfolgungen allerdings im Stande war auszuweichen“ (Walch a. a. O. I. [89] S. 156). Den ersten Versuch einer Einwirkung finde ich in der von H. selbst aufgezeichneten Unterredung, welche er am 30. October 1768 mit dem Nuntius Caprara Montecuculi auf dem Wege von S. Thomas nach Schönbornslust hatte und in welcher der italienische Prälat ihm den Gedanken eines Widerrufs oder wenigstens einer Erklärung über gewisse Sätze des Febronius unterbreitete. H. wies einen Widerruf von sich ab, erklärte sich aber bereit, „Beleuchtungen zu einigen Artikeln“ zu geben; noch am 28. April 1773 kehrte er von Coblenz nach Trier zurück, beruhigt wegen seines Febronius, indem der Kurfürst ihm versprochen hatte, er werde ihn dieses Gegenstandes wegen niemals in Unruhe versetzen. Am 11. Mai reiste Clemens Wenzeslaus nach Augsburg, wo er den Exjesuiten Beck in seine Dienste als Generalvicar nahm. Dem Einfluß dieses Mannes wird es hauptsächlich zugeschrieben, daß der Kurfürst sich nun doch zum Einschreiten gegen H. veranlaßt sah. Daß er es bisher nicht gethan, wird von Woker seiner Verstimmung gegen Rom, das ihn seit seiner Erhebung zum Erzbischof von Trier zur Verzichtleistung auf die Bisthümer Regensburg und Freising gezwungen, zugeschrieben; und ebenso wird die Aenderung seiner Politik damit in Verbindung gebracht, daß sich die Curie dem Erzbischof seit 1778 in Hinsicht der gefürsteten Propstei Ellwangen willfährig erzeigte. Ich weiß nicht, ob es nöthig und statthaft ist, so unlautere Motive der Handlungsweise des Kurfürsten unterzuschieben, der zwar ein schwacher, aber kein schlechter Mann war. Das erneute Andringen Pius’ VI. erklärt die Sache hinreichend, in Verbindung mit der unleugbaren Thatsache, daß der Febronius denn doch Dinge enthielt, die selbst einem sehr freidenkenden Katholiken, wenn er überhaupt ein solcher bleiben wollte, höchst bedenklich erscheinen mußten. Sehr glaublich ist, daß Beck dem Kurfürsten vorgestellt, er könne seine Hand nicht dazu leihen, daß derartige Dinge seitens seines Weihbischofs und Generalvicars offen gelehrt würden. So forderte denn Clemens Wenzeslaus am 29. April 1778 H. zu einer Unterwerfung unter das Urtheil Roms auf und bat ihn, „in sich zu gehen, ehe er in die Hände der göttlichen Gerechtigkeit falle“ (s. Briefwechsel zwischen Clemens Wenzeslaus und H., Frankfurt a/M. 1813). Die nächste Veranlassung zu dieser Correspondenz war Hontheim’s Einmischung in die damals so viel Aufsehen erregende Angelegenheit des Mainzer Professor Isenbiehl; es war aber diesem Schritt ein Besuch des päpstlichen Nuntius in Köln, Carlo Bellisomi, auf dem Lustschlosse zu Kärlich vorausgegangen; auch eine andere Maßregel, bereits unter dem 2. März 1777 H. angekündigt, mußte den kommenden Sturm voraussehen lassen. Der Kurfürst hatte nämlich in der Person des unbedeutenden Franzosen d’Herbain H. einen Coadjutor gesetzt, der am 31. Mai 1778 in Koblenz unter großem Pomp zum Bischof von Ascalon geweiht wurde. Jetzt kamen erneute Einladungen des Kurfürsten (Anfang Juli), welche immer dringender H. zu einem Widerrufe aufforderten. Am 1. September 1778 fand sich Clemens Wenzeslaus selbst in Trier ein, um den Neubau des clementinischen Seminars in Augenschein zu nehmen; vielleicht mehr, um H. zu völligem Nachgeben zu bewegen. Dieser hatte sich inzwischen bereits zu einer Retractation entschlossen: wie zahlreiche Correspondenzen und seine ganze Handlungsweise zeigen, weit weniger aus Ueberzeugung, als um des Friedens mit Rom und dem Kurfürsten willen und geängstigt durch Gewaltmaßregeln, welche man ihm angedroht zu haben scheint. Hontheim’s Verwandte, die in kurfürstlichen Diensten standen, waren mit Entlassung aus dem Amte bedroht worden, falls er nicht nachgebe (Brief eines hochgestellten, als Zeitgenosse berichtenden Geistlichen an den Herzog von Nassau 1808, s. Eilers’ Deutsche Blätter, 1839, Heft 3, S. 86 Anm. – Wittola a. a. O. S. 913). So war der Widerstand des Greises gebrochen, und er sandte am 14. Juni 1778 eine Erklärung an den Kurfürsten, die dieser [90] einem französischen Theologen zur Begutachtung vorlegte. Da Clemens Wenzeslaus H. vorher ein Promemoria eines französischen Theologen (Bergiers?) unterbreitet hatte, in welchem 16 Sätze des Febronius als verdammenswerth ausgehoben waren, so suchte H. in einer Denkschrift vom 29. diese Sätze zu vertheidigen, wobei er sich auf zwei ihm von Wien und aus Franken zugegangenen Gutachten stützte – ein Versuch, der Clemens Wenzeslaus sehr unangenehm berührte und der ihn zu der Aeußerung an H. veranlaßte, es scheine, daß dieser trotz seines rührenden Schreibens an den Papst sein Buch lieber vertheidige als verwerfe. Die Retractation vom 14. Juni ward nun auch nicht genügend befunden und theilweise umgearbeitet an diesen zurückgeschickt, damit er sie umschreibe und unterzeichne (Brief des Kurfürsten vom 16. Juli 1778). Die Erklärung, welche der Verfasser des Febronius nun endlich abgab, war, wie er selbst zu einem Freund äußerte, sehr allgemein gehalten und es war nicht zu verwundern, daß sie in Rom nicht befriedigte (Breve vom 22. August). Sie gelangte nebst einem Breve vom 12. Septbr. „mit Emendationen“ an den Kurfürsten zurück, welche H. in seine Retractation aufzunehmen habe, soferne man nicht annehmen müsse, locum omnem nostrae veniae nostraeque in eum Pontificiae gratiae ab illo nobis esse praeclusum. H. entschloß sich auch dazu und ließ die emendirte Retractation, wie ihm aufgegeben, ganz als von ihm ausgehend umschreiben, nur den Satz „ut proinde merito monarchicum ecclesiae regimen a catholicis doctoribus appelletur“, wollte er nicht aufnehmen und zu dem seinigen machen. Nach einer Unterhandlung des Kurfürsten mit dem Nuntius bestand man darauf nicht, da ersterer geltend machte, nur wenige deutsche und kein einziger französischer Theologe voudrait „admettre cette proposition telle quelle est enoncée. Car encore que tout catholique doive reconnaitre que le gouvernement de l’église est monarchique, en un certain sens, plusieurs cependant n’admettent point, que l’église soit une monarchie pure comme la proposition paroit le signifier, mais une monarchie tempérée d’aristrocatie“. Widerruf und Begleitschreiben (abgedruckt Walch, VIII. 210) gingen am 15. Novbr. an den Papst ab, der am Weihnachtsfeste ein geheimes Consistorium hielt, in welchem diese Aktenstücke verlesen und die Antwortschreiben Pius’ VI. an Erzbischof und Weihbischof verlesen wurden. Ein Breve vom 2. Januar 1779 constatirt den Jubel über den über Febronius errungenen Sieg. H. aber war über die Publikation seines Widerrufes (auf die er doch gefaßt sein mußte) sehr verdrießlich und gab seiner Stimmung in einem Briefe an einen Freund vom 4. Februar 1779 Raum. Solche Aeußerungen kamen ins Publicum, und bald verbreitete sich das Gerücht, der Widerruf sei von H. gar nicht verfaßt und die Unterschrift ihm abgezwungen worden. Verschiedene Zeitungen, namentlich aber die Gazetta universale von Florenz (1779, Nr. 9) besprachen die Angelegenheit in diesem der Curie ungünstigen Sinn, so daß diese und der Erzbischof eine weitere Erklärung zur Niederschlagung derartiger Anklagen von H. forderten (s. die Briefe Clemens Wenzeslaus’ Gest. Trev. III. Addit. S. 59 f.): „Que faire“, schrieb damals der Weihbischof an seinen Freund v. Krufft: „Refuser après des ordres si précis toute déclaration auroit pu m’exposer avec ma Famille à je ne sais quoi. Il est naturel que dans le public et là, où je ne puis me dispenser de lui parler, je ne puis aussi (quant à présent) tenir un autre langage, que celui de la Rétractation. Autre chose pour eux qui ne se trouvent pas dans ma situation, et que cette Affaire ne regarde pas directement: libre à eux de penser et de parler, suivant les idées, que raisonnablement ils s’en forment“ (Brief vom 6. April 1780, a. a. O. S. 59). Unter dem 7. April 1780 veröffentlichte H. also in dem Coblenzer Intelligenzblatt Nr. 28 eine Note, in welcher er erklärt, „daß sein Widerruf ein freiwilliger gewesen und er [91] Willens sei, selben in einem Werke, das er bereits angefangen, zu rechtfertigen und zu erläutern“. Diese Rechtfertigung erschien 1781 zu Frankfurt bei Eßlinger unter dem Titel: Justini Febronii ICti Commentarius in suam Retractationem Pio VI. Pont. Max. Kalendis Novemb. An. 1778 submissam (312 pag. in 4°). Hontheim’s eigenhändige Notizen berichten uns, daß der Commentar in Rom „der Erwartung nicht entsprochen habe“ (Brief vom 26. Decbr. 1781) und am 2. Decbr. 1782 schreibt man aus Rom: „daß der Commentar nicht befriedigt habe und man gewünscht, H. möge weiter nichts über seinen Widerruf schreiben, indem die römischen Gelehrten überzeugt seien, daß Herr v. H. bei seiner ersten Ansicht und seinen Grundsätzen verharre“. Auch v. Krufft bezeugt, daß H. bis an sein Ende seiner alten Ueberzeugung treu geblieben sei und dazu stimmt allerdings ein Brief, den die Hamburger Zeitung von 1781, S. 131, abdruckte, und in welchem es heißt: „Die Sätze meiner Schrift hat die Welt gelesen, geprüft und angenommen. Mein Widerruf wird denkende Menschen so wenig bewegen, diese Sätze zu verwerfen, als so manche Widerlegung, welche dagegen Theologaster, Mönche und Schmeichler des Papstes geschrieben haben“. Lassen diese und ähnliche Auslassungen den peinlichen Eindruck zurück, daß H. in dieser Angelegenheit sich charakterschwach und unwahr gezeigt habe, so ist doch nicht unwahrscheinlich, daß er schon bei Abfassung des Commentars eingesehen, daß viele seiner ehemaligen Behauptungen zu weit gingen, und man kann annehmen, daß die rücksichtslose Umsetzung der febronianischen Theorie in die Praxis durch Joseph II. ihn über manches aufgeklärt habe. Marx hat demnach nicht so Unrecht (S. 169), eine testamentarische Bestimmung Hontheim’s so aufzufassen, als solle dadurch seine innere Abkehr von den Gesinnungen des Febronius documentirt werden. Eine eigenhändige Verfügung Hontheim’s vom 25. Febr. 1788 sagt nämlich: „Nolo equidem ut post meum obitum quidoquam in meam laudem publicetur: neque enim ad id ulla suppetit materia. Verumtamen, cum variis titulis atque scriptis hoc in mundo apparuerim, de quibus diversa a diversis judicia prodiisse non ignoro atque episcopum omnino deceat hoc saeculum non relinquere sine testimonio probatae fidei, hinc eius loci post meum ex hac vita decessum publicari cupio Epistolam a Reverendissimo et Celsissimo S. R. I. Principe Abbate divi Blasii in Nigra Sylva, viro notorie doctissimo et religiosissimo ad me die decima decurrentis mensis amice exaratam“. Der Brief des Abtes Gerbert aber spricht seine Mißbilligung über den Emser Congreß aus, und sagt: er wundere sich, daß man in Ems Schutz zur Herstellung der bischöflichen Rechte bei demjenigen suche, der dieselben den Bischöfen gewaltsam entrissen und sich selber angemaßt habe. Darüber handele seine bald in Druck zu gebende Abhandlung „Ecclesia militans Regnum Christi in terris“, nach jenen Grundsätzen, die er (H.) in dem Commentar zu seinem Widerruf, der seinem Alter die Ruhe wiedergebe, aufgestellt habe (s. Gesta Trev. a. a. O. S. 60). Wir dürfen demnach allerdings annehmen, daß H. manche der zu weit gehenden Thesen des Febronius auch innerlich so zurückgenommen habe, wie der Commentar das unterstellen läßt. Da aber der Commentar gänzlich über das Kapitel der von Febronius auf dem Gebiet des politischen Rechts der Curie vorgeworfenen Anmaßungen schweigt, so ist kein Zweifel, daß H. nicht daran dachte, in dieser Beziehung sich zu retraktiren. Gerade das aber schmerzte in Rom am meisten. Nicht blos durch das, was er sagte, sondern vielmehr noch durch das, was er nicht sagte, befriedigte der Commentar nicht. Das war wol auch der Grund, weshalb man z. B. in Oesterreich auf Hontheim’s Widerruf kein Gewicht legte und den Abdruck desselben wol auch verbot (vgl. die Aeußerungen von Kaunitz, Krufft und Maria Theresia, Gesta a. a. O. S. 54 f. und Treviris II. u. 3).

[92] Zwei Mal war H. nahe daran, seiner Stellung in Trier durch Ertheilung eines Bisthums enthoben zu werden: im J. 1761 dachte die niederländische Regierung daran, ihm das Bisthum Ypern zu verleihen, was indessen daran scheiterte, daß die Kaiserin nicht wol einen Ausländer auf diesen Stuhl erheben wollte; als dann 1775 der Bischof von Gent starb, bot Maria Theresia H. dieses Bisthum an, das er aber mit Rücksicht auf sein hohes Alter ablehnte. Man behauptet auch, um 1780 habe H. Winke erhalten, die Errichtung eines Bisthums Luxemburg, von dem bereits 1572, dann 1700 Rede war, zu sollicitiren. Joseph II. wollte ihn auf diese Weise wol seiner bedrängten Lage in Trier entziehen; doch machte H. von diesem Anerbieten keinen Gebrauch (Tr. Kronik 1820, S. 96).

Seit 1746 Vicekanzler der Universität, hat H. nicht aufgehört, diesem Institut seine regste Theilnahme zuzuwenden und war namentlich bestrebt, die alles zerdrückende Herrschaft der Jesuiten an derselben zu brechen (s. Cod. 1506 der trierischen Stadtbibliothek, 12 Briefe Hontheim’s an den Kurfürsten, betr. die Intriguen der Jesuiten; einiges abgedruckt Tr. Kronik 1820, S. 226). Am 21. April 1779 entsagte H. wegen seines hohen Alters dem Decanate von S. Simeon, wo er bisher mit größter Gewissenhaftigkeit Morgens und Nachmittags dem Stundengebet beigewohnt hatte, die 104 Stufen nicht scheuend, welche in das obere Stockwerk der seit dem 11. Jahrhundert zur Ecclesia S. Simeonis umgewandelten Porta Nigra der Römerzeit hinaufführten. Er hielt bei dieser Gelegenheit an das versammelte Kapitel eine rührende Ansprache, in welcher er sich das Wort des Plinius (Epist. IV. 23) aneignete: prima vitae tempora et media patriae, extrema nobis impertire debemus und mit der Antwort eines den Abschied begehrenden Offiziers an Karl V. schloß: oportere inter negotia vitae et diem mortis tempus interponi medium. Sein Amt als Dechant hatte er aufs trefflichste verwaltet: hatte er zu rügen, so geschah es nicht öffentlich, noch im Zorn, sondern insgeheim und in väterlicher Weise. Am 7. März 1780 überreichte Hontheim’s Freund, der Professor Neller, in jenes Namen der Universität ein Verzeichniß von 1000 Werken, welche ihr nach seinem Tod als Geschenk zufallen sollten, wofür der Professor Frank im Namen der Hochschule dem Wohlthäter dankte. Hervorzuheben ist weiter Hontheim’s Verdienst um die Erhaltung der trierischen Denkmäler. Als im J. 1781 der Magistrat der Stadt Steine von dem Amphitheater und den sogen. römischen Bädern abbrechen ließ, um Wege damit zu pflastern, war es H., der dazwischen trat und die Bürgerschaft über den Werth ihrer Monumente belehrte, ähnlich wie das 20 Jahre später der geistreiche Benedictiner Sandrard Müller der Zerstörungswuth der Zeit gegenüber thun mußte.

Von Hontheim’s Aussehen und häuslichem Leben besitzen wir Erinnerungen eines in seine Zeit hinaufreichenden Localgelehrten: „Von Gestalt war er klein, kaum 5 Schuhe 3 Zoll groß, in seinen mittleren Jahren ziemlich stark, sein Knochensystem mittelmäßig mit Fleisch bedeckt; sein Nervensystem stark und dauerhaft, sein Magen bis in das hohe Alter stark, so, daß er an einer Tafel gewöhnlich einer der stärksten Esser war, um desto strengere Diät hielt er am Abend; im allgemeinen trank er nur wenig (doch soll er als echter Mosellaner viel vertragen haben; jene köstliche Predigt eines trierischen Weihbischofs über das Weintrinken, welche Goethe gelegentlich der Wallfahrt auf den Rochusberg aus dem Munde eines Trierers mittheilt, wird auf ihn bezogen); aus dieser Ursache, und wegen seiner anhaltend sitzenden Lebensart plagten ihn zeitlebens die Fehler der sitzenden Lebensart. Seine Miene war ernsthaft, besonders in den letzten 10 Jahren seines Lebens, doch vermischt mit dem Ehrwürdigen und Lieblichen. Selten lachte er, und dann geschah es etwas gezwungen; seine große [93] Seele beschäftigte sich gewöhnlich nur mit dem Ernsthaften; indessen war er doch an der Tafel munter und lebhaft. Holdselig und herablassend, wodurch sich so manche empfehlen, war H. eben nicht; deswegen hatte er indessen doch ein für die Nothleidenden sehr gefühlvolles Herz. Im J. 1780 schenkte er dem Bürgerhospital St. Jakob in Trier 450 Gulden, und im J. 1789 nochmals 671 Gulden, dem Mädchenwaisenhaus 300 Gulden, dem Knabenwaisenhaus, dem Arbeitshaus u. s. f. 750 Gulden, nebst einer jährlichen Abgabe an Früchten. In seinem Testament vermachte er dem Mädchenwaisenhaus nochmals 300 Gulden, dem Bürgerhospital 1000 Gulden und dem Knabenwaisenhaus 1000 Gulden nebst seinem ganzen Vorrathe von Mehl und Früchten; im J. 1779 hat er dem Stift St. Simeon ein Kapitel von 1000 Rthlr. verehrt. Selten im Jahre rief er zu Gast, aber wenn er Tafel gab, dann war sie reichlich versehen. Am 8. Septbr. 1770 speiste der Kurfürst Clemens Wenzeslaus bei ihm, seine Tafel war damals nach aller Aussage königlich“ (Tr. Kronik 1820, S. 102). „In den letzten Jahren“, fährt diese Quelle fort, „hatte H. merklich an Fleisch abgenommen: seine Kleider hingen ihm nur noch am Leibe. Am Feste des heil. Simeon, am 1. Juni 1790, bestieg er noch als 90jähriger Greis die 104 Stufen hohe Treppe dieser Stiftskirche, aber auch zum letzten Male“. H. pflegte die Sommermonate bis zum October auf seinem Schlosse Montquintin zuzubringen; er hatte diese Herrschaft, welche auf einer Anhöhe nahe der französischen Grenze 1 Stunde südlich von Virton, 4 Stunden von Orval und etwa 14 Stunden westlich von Luxemburg liegt, sammt den Dörfern Couvrenz, Rouvroy und Dampicourt käuflich an sich gebracht und liebte die reine Luft und die ländliche Stille dieses Aufenthaltes, den er in der Regel mit seinen Hauskaplänen und seinen Dienern, luxemburger Unterthemen, theilte. Der Abt von Orval, Lucas de Brias, war sein Freund. Diesmal sollte er seinen geliebten Landsitz lebend nicht mehr verlassen. Nach sechswöchentlichem Aufenthalt mehrten sich seine Unterleibsbeschwerden, am 26. August traf ihn ein leichter Schlaganfall. Am 2. Sept. 1790, ¼ vor 10 Uhr verschied er, nachdem er die letzten Wochen sich aufs ernstlichste auf den Tod vorbereitet hatte. Am selben Tage noch ward die Leiche nach Trier abgesandt, wo sie am 3. Septbr. ankam und in des Weihbischofs ehemaliger Wohnung (das früher mit 404 bezeichnete Hotel der Suffraganbischöfe in der Fahrgasse; dasselbe war aus dem v. Musiel’schen Besitz in denjenigen der kurfürstl. Kammer übergegangen; vgl. Treviris II. u. 101, 1835), in der Hauskapelle, öffentlich ausgesetzt, worauf sie am 4. September, Vormittags 10 Uhr, unter großer Feierlichkeit in S. Simeon beigesetzt wurde (vgl. die Beschreibung des Leichenzuges im Tr. Wochenblatt, 1819, Nr. 31. Hontheim’s Gebeine ruhten in der untern Kirche vor dem Hochaltar neben zwei andern Gräbern; aber nur auf kurze Zeit. Nachdem 1794 die Franzosen das Blei vom Dache genommen, verfiel die Kirche rasch, und man entschloß sich daher 1803, als der kirchliche Charakter des Gebäudes überhaupt aufgegeben wurde, die sterblichen Reste Poppo’s, Neller’s (s. d., seine Grabschrift war von H. gefertigt) und Hontheim’s nach St. German, der jetzigen St. Gervasiuskirche in der Neustraße, zu verpflanzen. Seine Grabschrift lautet: „JOANNES NICOLAUS AB HONTHEIM | Episcopus Myriophitanus |, Suffraganeus Trevirensis |, Dominus in Montquintin, | Couvrenz, Rouvroi et Dampicourt | post sexaginta et ultra | annorum labores | requiem quaesivit | et hic invenit. | Natus 27. Januarii M. D. CC. J | Obiit die 2. Sept. MDCCLXXXX | Episcopatus anno XXXXII |. Tandem liber, tandem tutus | Tandem aeternus | R. I. P.“ (vgl. Tr. Kronik, 1820, 104. Holzer, S. 130).

Ein Porträt Hontheim’s in Kupfer (Joan. Rudolph. Störcklin, Cath. sculp. Aug. Vind. || Ludov. Felix Rhenastein pinxit) ist dem ersten Bande des Prodromus [94] beigegeben. Es stellt ihn im Alter von etwa 50 Jahren dar. Die trierische Stadtbibliothek besitzt ein Gemälde in Lebensgröße aus dem Ende seiner 60er Jahre, wo seine Gesundheit litt; ein zweites von dem koblenzer Professor Türk geschenktes Porträt ebendaselbst stellt ihn im selben Alter wie der Kupferstich dar. Aus seinem hohen Alter ist kein Bildniß vorhanden.

Hontheim’s Name ist der letzte große und in der Erinnerung des Volkes lange noch gesegnete und verehrte Name, der aus der kurfürstlichen Zeit in das 19. Jahrhundert herüberragt – trotz seiner Verirrungen und Schwächen der Stern, der sich von der geistigen Misère der untergehenden rheinischen Kurstaaten am hellsten abhebt: ein Leben, das sich in den Mitteln irren konnte und vielfach irrte, dessen Streben aber stets auf das Höchste und Beste gerichtet war und dessen Bedeutung selbst für die kirchenpolitischen Kämpfe der Gegenwart nicht zu unterschätzen ist.

Vgl. außer den im Texte angeführten Schriften u. a. v. Krufft’s Directoire chronologique und Hist. de la vie de Jean de H., beide abgedruckt bei Mejer (s. u., Anh. I–II). – Wittola, Neueste Beiträge zur Religionslehre und Kirchengeschichte, Jahrg. I. Bd. II. 928 f., Wien 1790. – Walch, Neueste Religionsgeschichte, I., Lemgo 1771. – Müller-Massis, De Joh. Nic. Honthemio Dissertatio, Trajecti ad Rh. 1863. – Briefwechsel zwischen weiland Ihrer Durchlaucht dem Herrn Churfürsten von Trier, Clemens Wenzeslaus, und dem Hrn. Weihbischof Niklas v. H. über das Buch J. Febronii de statu ecclesiae u. s. f., Frankf. a M. 1813. – Mémoires pour servir à l’histoire ecclésiastique pendant le 18. siècle, 2e édit., Paris 1816, II. 454. 649, IV. 512 f. – Trierisches Wochenblatt, 1819, Nr. 31. – Trierische Kronik, 1820, V. S. 95 ff., 223 f., 1821. VI. 198 f., 226 f. – Treviris 1834, I. Nr. 4 u. 5, 1835, II. Nr. 51 ff. (mitgeth. von Wyttenbach). – K. A. Menzel, Neuere Gesch. d. Teutschen, XI. 456 ff., XII. 1. 192. – Phillips, Kirchenrecht, III. 366 f.; – derselbe, Freiburger Kirchenlexikon, V. 324 ff. – Wyttenbach und Müller in ihrer Ausgabe der Gesta Trevirorum, Trier 1839, I Prol. S. LIII ff., III. 254 f., 268 f., 277, 284 f., 287, 295–300, 315 f., An. 52–60. – Marx, Geschichte d. Erzstifts Trier, V. 90 ff. – Woker, Hontheim und die römische Kurie in Bildern aus der Geschichte der kathol. Reformbewegung (altkathol. Tendenzschrift), Mannh. 1875, I. – Hontheim’s handschriftliche Hinterlassenschaft kam durch Schenkung (zum Theil aus den Händen v. Kruffts) wenigstens theilweise in die trierische Stadtbibliothek, wo sie bei den oben erwähnten Publicationen Wyttenbach’s u. A. vielfach benutzt worden ist. Es gehören dahin Nr. 1547, 1806, 1819 (Briefe Hontheim’s, Neller’s, Nalbach’s, Eyst u. s. f.), Nr. 1823 (die oben erwähnte Script. et monum. Trev. amplissima Collectio), und namentlich 1824–27. Diese Quellen sind zum ersten Male vollständig und systematisch von Otto Mejer in dessen Febronius, Weihbischof Johann Nikolaus v. Hontheim und sein Widerruf, Tübingen 1880, benutzt worden, welches Werk, nach Abfassung dieser Biographie veröffentlicht, vorbehaltlich des theologischen Standpunktes des Verfassers, als die beste historische Leistung über Hontheim zu bezeichnen ist.