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ADB:Stender, Gotthard Friedrich

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Artikel „Stender, Gotthard Friedrich“ von August Bielenstein in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 46–47, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Stender,_Gotthard_Friedrich&oldid=- (Version vom 9. Oktober 2024, 15:47 Uhr UTC)
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Stender: Gotthard Friedrich St., Glied einer alten aus Brabant stammenden Predigerfamilie, die von 1648 bis heute in Kurland tüchtig und segensreich gewirkt hat; einer der allerhervorragendsten Kenner und Bearbeiter der lettischen Sprache. Geboren am 27. August 1714 als Sohn des Pastors zu Lassen im kurischen Oberlande Hermann Konrad St., empfing er den ersten gründlichen Unterricht in den classischen und orientalischen Sprachen von seinem gelehrten Vater und dem Rector Isack Bauer in Subbath, studirte von 1736 bis 1739 Theologie, alte Sprachen und Beredsamkeit in Jena und Halle, und wirkte als Lehrer zuerst am Franckeschen Waisenhause, dessen pietistische Richtung ihn einer freieren Auffassung des Christenthums zutrieb. Nach Kurland zurückgekehrt, legte er sich als Hauslehrer auf das Studium der Mathematik und wurde 1742 als Conrector an der Mitauschen Stadtschule angestellt. Hier schloß er seinen Ehebund mit Anna Elisabeth Braunschweig und wurde 1744 Pastor zu Birsgallen, wo er bei der geistlichen Arbeit an dem lettischen Volke den Grund zu seiner eminenten Bekanntschaft und Vertrautheit mit der lettischen Sprache legte. Nachdem ihm 1752 eine Feuersbrunst und eine Viehseuche seine Habe geraubt, ward er für sechs Jahre Pastor zu Záimen in Littauen, wo er so wenig Muße für die ihm lieben Studien fand, daß er 1759 das Amt aufgab und mit seiner Familie nach Helmstedt auswanderte, wo er für den Herzog von Braunschweig einen Globus (3 Fuß im Durchmesser) anfertigte und darauf von diesem zum Rector der neuerrichteten Realschule in Königslutter 1760 berufen wurde. Auch hier hielt es der unruhige, strebsame und daher auch in manchen Conflict verwickelte Mann nicht lange aus. Er zog 1763 nach Hamburg, von wo aus er durch Vermittlung des russischen Gesandten am dänischen Hof als Professor der Geographie nach Kopenhagen berufen wurde, weil König Friedrich V. auch einen Globus wünschte, den St. in einer Größe von 23 Fuß Durchmesser construirte. Schwieriger politischer Verhältnisse und gedrückter Finanzlage wegen wurde Stender’s Professur 1765 aufgehoben. Er kehrte nach Kurland zurück und wurde auf Grund seines großen Rufes, den er durch seine bereits zum Theil im Auslande gedruckten lettischen Schriften u. s. w. sich erworben, 1766 zum Adjuncten, 1769 zum Nachfolger des Pastors G. Chr. Radetzky zu Selburg und Sonnaxt eingesetzt. Im J. 1782 wurde er zum Propst der Selburg’schen Diöcese und zum Consistorialassessor erwählt. Seit 1778 wurde er von seinem Sohn Alex. Joh. St. als Adjunct im Amt unterstützt. Er starb am 17/28. Mai 1796. Auf seinem Grabe bei der Selburg’schen Kirche[1] liegt eine mächtige Granitplatte mit der lettischen Inschrift, welche die Hauptarbeit seines Lebens merkwürdig charakterisirt: „Hier ruht G. F. Stender, der Lette.“ –

Stender’s litterarische Thätigkeit ist eine höchst mannichfaltige, vielseitige gewesen. Im „Allgemeinen Schriftsteller- und Gelehrten-Lexikon der Provinzen Livland, Esthland und Kurland, bearbeitet von Joh. Friedr. v. Recke und Carl Eduard Napiersky, Mitau 1827–32“ IV, 283 ff., finden sich Stender’s sämmtliche (31) Druckschriften und nachgelassenen (7) Manuscripte verzeichnet. An dieser Stelle genügt betreffs des minder Wichtigen zu bemerken, daß er Schriften hinterlassen über Fragen der biblischen, der historischen, der dogmatischen Theologie, der deutschen Sprachforschung und der physikalischen Geographie, der [47] Philosophie und des Musikunterrichts, des Damspiels und der Magie. Die Muße des hohen Alters hatte ihn als ein Kind seiner Zeit zu alchymistischen Studien und Beschäftigungen geführt, die ihn bis ins Ausland so berühmt machten, daß aus der Ferne Männer zu ihm nach Kurland kamen, um mit ihm über das Goldmachen und über das Lebenselixir sich zu besprechen.

Stender’s großes Verdienst ist das um die lettische Sprache und das lettische Volk. Wiederum gehören nicht hierher seine zahlreichen, lange sehr populär gebliebenen lettischen, von religiösem Geist durchwehten Unterhaltungsschriften, seine Schulbücher für Religionsunterricht u. s. w., seine zahlreichen trefflichen Uebersetzungen von Kirchenliedern, die in der prosaischen Zeit des Rationalismus durch christliche Wärme und Poesie der Schmuck der lettischen Gesangbücher waren und zum Theil sich einen dauernden Platz da erworben haben.

Aber bahnbrechend und epochemachend war seine 1761 zu Braunschweig in erster Auflage (164 S.), 1783 zu Mitau in zweiter Auflage (312 S. 8°) gedruckte lettische Grammatik. Vor allen früheren Arbeiten auf diesem Gebiet zeichnet sich dieselbe aus durch den Reichthum und die relative Vollständigkeit ihres Inhalts, durch die bewundernswerthe musterhafte Richtigkeit und Genuität des lettischen Sprachmaterials und durch die geistvoll klare und praktisch populäre Darstellung. Bemerkenswerth sind für jene Zeit seine Abschnitte über die Lautlehre, die lettischen Dialekte und die der Grammatik angefügten Anfänge einer lettischen Volkskunde, die Sammlungen von Sprüchwörtern, Räthseln, die Bemerkungen über lettische Mythologie und das lettische Volkslied. Neben der lettischen Grammatik ist es das „Lettische Lexikon“ Mitau 1789 (Th. I, 404, Th. II, 773 S.) gewesen, welches Stender’s Namen unsterblich gemacht hat. Vor ihm hatte die lettische Lexikographie nur sehr Geringes geleistet. Fast gleichzeitig mit St. hatte Jac. Lange, Generalsuperintendent in Livland, sein lettisch-deutsches und deutsch-lettisches Lexikon (Mitau 1777) herausgegeben, konnte aber nicht die Geltung sich bewahren, die St. fast hundert Jahre lang behauptet hat, bis die lexikographischen Arbeiten von Bischof Dr. C. Chr. Ulmann (1872) und Pastor G. Brasche (1880) ihn ablösten.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 46. Z. 11 v. u. l.: bei der Kirche von Sonnaxt. [Bd. 45, S. 673]