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ADB:Stosch, Albrecht von

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Artikel „Stosch, Albrecht von“ von Hermann von Petersdorff in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 54 (1908), S. 576–607, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Stosch,_Albrecht_von&oldid=- (Version vom 20. November 2024, 16:32 Uhr UTC)
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Stosch: Albrecht von St., General und Chef der Admiralität, Vertrauter des Kronprinzen Friedrich Wilhelm von Preußen, einer der namhaftesten Zeitgenossen Bismarck’s, geboren am 20. April 1818 zu Coblenz, † am 29. Februar 1896 zu Oestrich im Rheingau, stammte aus einem Zweige eines alten schlesischen Adelsgeschlechts, der den Adel ablegte und eine Reihe tüchtiger reformirter Theologen hervorgebracht hat. Unter anderen gehörte dazu der bekannte Hofprediger des Großen Kurfürsten, Bartholomäus St. (s. A. D. B. XXXVI, 460). Auch der Großvater Albrecht’s v. St. war Hofprediger in Berlin. Dessen Söhne wandten sich der militärischen Laufbahn zu. Dies gab Veranlassung, den abgelegten Adel zu erneuern. Es geschah am 18. April [577] 1811 für den Lieutenant Wilhelm St. und am 11. Januar 1815 für dessen Bruder, Hauptmann Ferdinand St., den Vater Albrecht’s. Ferdinand v. St. war ursprünglich Jurist und wurde als Justizrath von seinen Mitbürgern zum Landwehrcapitän erwählt. Die sein Leben bestimmende Richtung empfing er durch Gneisenau, zu dem er im Frühjahr 1813 in ein überaus nahes persönliches Verhältniß trat und für den er sich mit schrankenloser Bewunderung erfüllte. In den entscheidendsten Augenblicken der großen Kriegsjahre war er Gneisenau’s ständiger Begleiter. Er blieb ihm auch als Adjutant in Coblenz zur Seite. Später unterstützte er Pertz lebhaft bei Abfassung der Biographie Gneisenau’s. Im J. 1857 ist er als General gestorben. Während seiner Coblenzer Zeit wurde ihm von seiner Frau, einer geborenen Woltersdorf, der Tochter eines vermögenden Potsdamer Kaufmanns und geschiedenen Frau eines Majors v. Kräwel, mit der er seit 1814 verheirathet war, als dritter Sohn der nachmalige General Albrecht v. St. geboren. Nach der Darstellung Albrecht’s muß die Mutter die begabtere und auch die energischere Persönlichkeit der beiden gewesen sein. Von ihr hat der künftige große Organisator und Feldherr sicherlich die Hauptzüge seines Wesens geerbt. Zugleich wurde seine Jugend aber auch von der gutpreußischen und dabei liberalen Gneisenau’schen Atmosphäre beherrscht, deren Spuren sich sein ganzes Leben hindurch in ihm bemerkbar machten. Gustav Freytag traf durchaus den Kernpunkt der Sache, wenn er später einmal von St. sagte, in ihm lebe der Reformgeist Scharnhorst’s fort, und auch der Reichskanzler Caprivi hob aus guter Kenntniß der Verhältnisse hervor, daß in St. die Gneisenau’sche Tradition fortwirke. Seinen ersten Schulunterricht genoß Albrecht v. St. auf der evangelischen Stadtschule zu Coblenz, dann in der Sexta des Gymnasiums daselbst. Elfjährig, kam er in die Kadettenanstalt zu Potsdam, drei Jahre darauf in die Hauptkadettenanstalt zu Berlin. Nach sechsjähriger Kadettenzeit trat er am 12. August 1835 als Secondlieutenant im 29. Infanterie-Regiment zu Coblenz ein. Aus dem Vaterhaus brachte er zuviel geistige Mitgift in die Kaserne mit, als daß ihm der dort herrschende „einseitige“ Geist behagen konnte. Er widmete sich daher eifrig dem Studium und vermochte dies um so eher, da er wenig Dienst hatte. Später äußerte der Generaladjutant Kaiser Wilhelm’s I., Graf Lehndorff, einmal zu ihm lachend: „Sie wollen Rheinländer sein? Dafür sind Sie ja viel zu fleißig“. Einer seiner besten Freunde wurde damals der Referendar Eduard v. Möller, der hochbegabte spätere Oberpräsident von Elsaß-Lothringen und intime Gegner Bismarck’s. Mit dem Füsilierbataillon seines Regiments wurde St. 1839 nach Trier versetzt. Von dort ward er (1839–1842) zur allgemeinen Kriegsschule, der heutigen Kriegsakademie, commandirt. Hier gerieth er in den Bann Hegel’s. Er las dessen sämmtliche Werke. Aber diese Begeisterung für abstracte Wissenschaft war bei ihm nur ein kurzer Rausch. Nach wenigen Jahren warf er die Schriften des Philosophen zornig in die Ecke: „Ich war böse über mich, daß ich an diesem gewaltsamen, geschraubten Denken jemals Gefallen gefunden hatte“, erzählt er. Das Wort zeigt, daß er sich mittlerweile klar über sich selbst geworden war. Er war eine eminent praktische Natur; und diese zu bethätigen zeigte er sich seitdem rastlos bemüht. Mit besonderer Liebe trieb er damals höhere Mathematik. Auf der Kriegsschule war einer seiner Lehrer der bekannte Erzieher des Kronprinzen Friedrich Wilhelm von Preußen, der nachmalige General Fischer, übrigens auch ein Mann liberaler Färbung, der ihm später förderlich sein sollte. In den Jahren, in denen er auf der Kriegsakademie war, verlobte er sich mit Rosalie Ulrich, der am 13. Dezember 1822 geborenen Tochter eines Medicinalrathes U. aus Coblenz. Beide waren arm, so daß zunächst nichts [578] aus der Heirath wurde. Seine Finanzen verbesserte er damals, wie er selbst in seinen Denkwürdigkeiten erzählt, wesentlich durch glückliches Spiel, das ihm erlaubte, recht gut zu leben. Der Kriegsschule schloß sich ein Jahr Commando zur Garde-Artilleriebrigade an (1843/44). Im Frühjahr 1844 kam er ins topographische Bureau des Generalstabes. Im nächsten Jahre wurde er wieder zum Topographiren verwandt, und zwar im Rheinlande. Dort gerieth der junge Officier in Conflict mit dem ihm vorgesetzten Generalstabshauptmann, der ihm ins Schlußurtheil setzte: „Neigung zur Indisciplin“. Zeitlebens hat St. diese Kritik gewurmt. Aber das Zeugniß des Generalstäblers war zweifellos nicht ohne Begründung: St. war eine stark eigenwillige Natur, die sich nicht gern beugte. Der erste Nackenschlag, den ihm jene Censur verursachte, war die Thatsache, daß er im J. 1847 nicht, wie er bestimmt erwartet hatte, in den Generalstab berufen wurde. Dies bereitete ihm eine grausame Enttäuschung. Seine Denkwürdigkeiten zeigen das recht deutlich: „Dieser Schlag traf mich in meiner innersten Seele. Ich war mir bewußt, etwas gelernt und geleistet zu haben. Ich hatte mich klüger und stärker als alle meine Kameraden erachtet.“ Die Enttäuschung machte sich auch deswegen unliebsam bemerkbar, als Stosch’s pecuniäre Stellung durch diesen Fehlschlag erschwert wurde. Seit dem 18. October 1845 hatte er die Braut heimgeführt. Bei seinen beschränkten Geldverhältnissen wäre ihm eine Zulage sehr erwünscht gewesen. Nun mußte er ohne diese zurück in die Front, nach Coblenz. Aber dort wurde das kommende Jahr interessant und bedeutungsvoll für ihn. Gab es ihm doch Gelegenheit, in den Märzereignissen zu seinem Theile eine active Rolle zu spielen. In Coblenz versagte damals der commandirende General. St. wurde mit dessen Abschiedsgesuch nach Berlin gesandt. Er kam hier unmittelbar nach den Märzkämpfen an und wurde zum Könige geführt. Der General erhielt den Abschied, nicht ohne daß Stosch’s Mittheilungen über ihn dazu mitgewirkt hätten.

Als St. von Berlin zurückkehrte, empfand er, daß ein Neues in ihn gekommen war. „Ich hatte tief in die Welt hineingeblickt und empfand einige Neigung, mitzuspielen“, schrieb er später mit ganz bismarckisch klingenden Worten. Schon immer hatte er Sinn für Politik gehabt. Dieser hatte ihn bereits in den Jahren, in denen er Commandos in Berlin hatte, mit dem hochbegabten, recht weit links stehenden Juristen Franz v. Holtzendorff zusammengeführt, mit dem er Freundschaft fürs Leben schloß. Jetzt verspürte er, daß die Politik seine Hauptleidenschaft neben dem Soldatenberuf war. Fortan theilten sich seine Interessen zwischen beiden Gebieten. Es ist dabei beachtenswerth, mit welcher Entschiedenheit er gegen die Demokratie Stellung nahm. Als diese sich beim Besuch des Königs im August 1848 in Düsseldorf übel bemerkbar machte, erklärte er zornig in einem Briefe an Holtzendorff: „Düsseldorf müßte man in die Luft sprengen.“ Er fand, daß die Disciplin mit eiserner Hand aufrecht erhalten werden müsse, und sprach sich kurzab dahin aus, daß demokratische Elemente aus dem Landwehrofficiercorps mit allen Mitteln auszustoßen wären. Es ist das Preußenthum, das ihm in die Wiege gelegt war, welches hieraus spricht. „Sind wir nicht groß geworden in dem Stolz, Preußen zu sein?“ fragt er einmal in diesen Jahren. Zugleich bekundete er einen regen Sinn für Religion. An Macaulay, den er eifrig studirte, gefiel ihm besonders, daß er dem religiösen Element im Volksleben großen Werth beilegte. Tief beklagte er die mangelhafte Organisation des Protestantismus. Sein Organisationstrieb offenbarte sich, indem er ausrief: „Unser Protestantismus wurde von Idealisten und Gelehrten gebildet, nicht von Staatsmännern. Wir haben uns jeder Form entblößt; was aber [579] lebendig sein will, muß Form haben.“ Seine religiöse Richtung zeigt sich auch in gelegentlichen Aeußerungen wie die: „Der Mensch muß in allen Lagen die eigenen Handlungen so regeln, daß er vor sich selbst bestehen kann und vor Gott. Habe ich dieses Bewußtsein, so lacht mir das Leben immer freundlich.“ Als er das Leben Jesu von Strauß gelesen hatte, schrieb er, er freue sich nicht an dem endlichen Resultate: „Denn der Glaube geht dabei verloren, und ich denke, daß wir dessen nicht entbehren können, selbst wenn wir alles Wissen dieser Welt in uns aufgenommen hätten.“ Sein realer Sinn ließ ihn auch die reactionäre Partei vollauf würdigen. So schrieb er im Mai 1851: „Die Partei der Kreuzzeitung beweist, daß der Adel und die höchsten Beamten eine wirkliche Macht bilden, die bisher zerstreut war und ohne Geltung, die wir aber zur stetigen Entwicklung unserer Staatsverhältnisse nothwendig brauchen.“ Ja noch in den trübsten Jahren der Reaction (1855) konnte er sich über deren führendes Blatt äußern mit Worten wie: „Von allen Zeitungen, die ich sehe, ist mir trotz mancher entgegengesetzten Ansichten die Kreuzzeitung die liebste, weil hier das gesteckte Ziel mit Consequenz und Verstand verfolgt wird. Das giebt Kraft und Sicherheit.“ Zuweilen kam es ihm so vor, als wenn er als politisch anrüchig gelte. Seine liberale Ader mag dazu Veranlassung gegeben haben. Aber die Sorge, daß er mißliebig wäre, wurmte ihn doch. Er war sich seines guten Preußenthums zu sehr bewußt, um ein solches Odium nicht unangenehm zu empfinden.

Nach den Märzereignissen wurde er zunächst als Adjutant des Generals v. Stockhausen an der französischen Grenze verwendet, dann kam er wieder nach Trier, um dort fünf Jahre zu bleiben. Während dessen fand er (im Herbst 1848) Gelegenheit, bei der Beruhigung des nördlichen Badens mitzuwirken. Am 24. October wurde er Adjutant des Commandeurs der 16. Landwehrbrigade in Trier, des Generals v. Palm. Dies blieb er drei Jahre. Damals schrieb er wiederholt Zeitungsartikel „im Interesse der Armee“. Das Garnisonleben befriedigte ihn indeß in dieser Stellung, in der er (am 23. Juni 1849) zum Premierlieutenant aufrückte, garnicht. Er empfand es oft, wie er schreibt, „mit Bitterkeit, daß ich meine Kräfte dem Alltagsleben in dem geistig toten Trier widmen mußte“. Freilich lernte er den Verwaltungsdienst gründlich kennen, und bei der Mobilmachung im J. 1850 offenbarten sich ihm die in der Organisation des Heerwesens bestehenden Mängel recht deutlich. Damals regte sich sein selbständiger Sinn wieder lebhaft, zumal da sein General etwas altersschwach war. Mehr gefiel ihm die Stellung als erster Adjutant bei der Division in Trier, die er am 29. Januar 1852 erhielt, weil er dadurch der Truppe wieder näher kam. Er rückte nun (22. Juni 1852) zum Hauptmann auf. Schon 1853 wurde er indeß in die Front zurückversetzt, und zwar kam er einstweilen nach Frankfurt a. M. Das empfand er abermals als Zurücksetzung. Und in der That geschah es, weil man ihm oben seine Selbständigkeit bei der Mobilmachung im J. 1850 verübelte. Wenigstens gibt das St. an. In Frankfurt sah er zuerst Bismarck. Er blickte mit Stolz auf den damaligen preußischen Bundestagsgesandten, der so trefflich das Interesse seines Staates wahrzunehmen wußte. In Verkehr kam er jedoch nicht mit ihm. Schon 1854 wurde er wieder nach Coblenz versetzt, zunächst in die Landwehr, dann (im Juli 1855) als Compagnieführer zu dem in jener Zeit dort stehenden 8. combinirten Reservebataillon. Der Dienst in Coblenz schien ihm geisttödtend. Schon verfiel er in eine gelinde Verzweiflung, da erhielt er eines Tages (am 18. Juli 1855) seine Berufung in den Generalstab beim Generalcommando in Coblenz, die ihm sein Gönner, der Oberst Fischer, besorgt hatte. In dieser Zeit kam er in Berührung mit dem Prinzen von [580] Preußen, dem er im Winter 1855/56 einen Vortrag über das Zündnadelgewehr hielt. Am 22. April 1856 zum Major befördert, wurde er gleichzeitig nach Posen versetzt. Auch dort kam er bald in den Generalstab des Generalcommandos zum Grafen Waldersee, der ihm in hohem Maße sein Vertrauens schenkte und ihm u. a. die Abfassung einer Mobilmachungsinstruction übertrug, die später maßgebend wurde. In Posen blieb er fünf Jahre, die für ihn eine Zeit reichen geistigen Lebens und stillen Schaffens wurden. Hatte er in Trier Italienisch gelernt, so eignete er sich in Posen das Polnische an. Mit scharfem Auge beobachtete er die polnischen Zustände. Er gelangte zu der Auffassung, daß der polnische Adel seiner innersten Natur nach ungeeignet sei, sich in einen deutschen Staat einzuleben. Er fand auch anregenden freundschaftlichen Verkehr. Aber noch immer blieb er unbefriedigt. „Die eigentliche Anregung der großen Welt vermißte ich dauernd.“ Wohl lockte ihn sein Freund Holtzendorff, nach Gotha zu kommen. Das lehnte er aber entschieden ab. „Die hiesige Garnison“, schrieb er am 11. August 1859, „ist stärker wie dort das ganze Heer. Ich habe hier viel Gelegenheit, Gutes zu stiften, und kann viel mehr leisten.“ Er fühlte, daß er zu Größerem berufen war, und brannte darauf, sich zu bethätigen. Schon 1851 schrieb er: „Manchmal bilde ich mir ein, in der Welt, und gerade in den schwierigsten Verhältnissen, etwas leisten zu können.“ Einige Jahre später schrieb er aus Posen an Holtzendorff: „Ich glaube, Sie möchten eigentlich Ministerpräsident sein; ich auch.“

Seine Carriere gestaltete sich mittlerweile in der That aussichtsreicher. Am 1. Juli 1860 zum Oberstlieutenant befördert, wurde er in derselben Zeit für einen einflußreichen Posten im Kriegsministerium vorgeschlagen. Allerdings sah man schließlich von ihm ab, weil er zu sehr „eigener Meinung“ sei. „Das ist ein Vorwurf, welchen man sich schon gefallen lassen kann“, bemerkte St. dazu in einem vertrauten Briefe, „zumal wenn man Soldat ist“. Wenigstens wurde er nunmehr, im Frühjahr 1861, Chef des Generalstabes eines Armeecorps, und zwar des IV. in Magdeburg. Er wurde dadurch der nächste Untergebene des Generals v. Schack, eines besonderen Vertrauten König Wilhelm’s I. und eines harten Reactionärs. In dieser Stellung rückte er am 18. October 1861 zum Obersten auf. General v. Schack erkannte mit scharfem Blick die ungewöhnliche Begabung seines Stabschefs. Schon im zweiten Jahre füllte er in seinem Qualifikationsbericht über St. das classisch-präcise Urtheil: „Zu jeder Stelle und zu jeder Thätigkeit geeignet.“ Fast hätte aber in diesen Jahren ein Unglücksfall seiner Laufbahn ein Ende bereitet. Am 7. November 1863 wurde ihm beim Reiten sein rechter Unterschenkel durch Hufschlag zertrümmert. Sieben Monate lag er fest, den Fuß in der Schwebe am Kronleuchterhaken befestigt. Man erwog, das Bein abzunehmen. Noch im Juni 1865 ging er infolge des Unfalls an Krücken.

Um diese Zeit knüpften sich die ersten Beziehungen Stosch’s zum Kronprinzen Friedrich Wilhelm, und zwar dadurch, daß St. mitwirkte, als es sich darum handelte, der Kronprinzessin[WS 1] einen Ersatz für ihren damals verstorbenen[WS 2] Privatsecretär Ernst v. Stockmar zu schaffen. St. empfahl dazu den ihm befreundeten Hauptmann v. Normann, der denn auch den wichtigen Posten bekam und dauernd behielt. Der Freundschaft mit Normann, so berichtet er, hatte er es zu verdanken, daß der Kronprinz ihn immer wieder heranzog. In dem Heeresconflict stand er fachlich auf Seiten der Fortschrittspartei, da er ein Freund der zweijährigen Dienstzeit war; principiell und aus Erwägungen realpolitischer Natur hielt er es aber mit dem König: „Durch ein Nachgeben des Königs und einen Sieg der Fortschrittspartei werden wir in den Strudel der theoretischen Revolution, der Principienreiterei, der unpraktischen, [581] ehrgeizigen Demokratie geworfen.“ „Es ist ein Unsinn, eine Normalzeit für die Ausbildung festzusetzen.“ „Das Demokratengeschrei hält sich nur an die äußere Erscheinung und erkennt die Sache nicht.“ Das sind Worte, die zeigen, wie wenig er mit der Opposition ging. Zuweilen machte ihn der Conflict geradezu melancholisch. In dieser Lage schrieb er: „Ich fühle mit den wachsenden Jahren immer mehr, daß mein eigenes Wohl mit dem des Vaterlandes auf das innigste zusammenhängt.“ Er athmete auf, als ferro ignique gesprochen wurde. Als richtiger Soldat hatte er sich stets nach einem Kriege gesehnt. Mit der Zeit verband sich damit das Gefühl, daß der Krieg für Preußen nützlich sei. Am 31. December 1860 schrieb er: „Ich sehne mich nach einem Kriege. Gebt uns die Mittel, ihn zu führen, dann wird Preußen gedeihen und Deutschland vorwärts kommen.“ Als nun der Krieg um die Elbherzogthümer begann, da bemerkte er, ganz im Bismarck’schen Geiste: „Blut ist in der Weltgeschichte wie auf dem Ackerboden ein fruchtbringender Stoff.“ Und als die ersten namhaften Erfolge preußischer Waffen erstritten waren, da entrang es sich ihm begeistert: „Seit langer Zeit hat mich nichts so aus innerster Seele erhoben, wie die Erstürmung der Düppeler Schanzen; als ich den Bericht las, sind mir unaufhaltsam die dicken Thränen heruntergelaufen.“ Bismarck’s Art gefiel ihm: „Der Kerl ist thätig und unermüdlich, das bringt immer Erfolge. Dieses persönliche Eingreifen auf dem richtigen Fleck bekundet großen staatsmännischen Blick.“ Weniger behagten ihm die radicalen Sympathien, die ihm die Kronprinzessin zu bezeigen schien. „Eine radicale Königin ist ein furchtbarer Unsinn“, schrieb er an Holtzendorff. „Ich habe Normann gesagt, daß er hier ein reiches Feld für Meliorationen habe.“ Geradezu mit Bedauern beobachtete er, daß es Bismarck anscheinend nicht gelänge, „seine Macht zu fundiren“.

Allmählich kam er mit dem Kronprinzen in persönliche Berührung, zum ersten Male am 13. Mai 1865, mehr noch in Merseburg im September desselben Jahres, dort auch mit der Kronprinzessin. Diese übte auf ihn hinfort eine besondere Anziehungskraft aus, und er auch wohl auf sie. „Warm macht mich nur die kleine Frau“, schreibt er nach jener Begegnung von ihr. „Sie hat mich bisher zwei Mal nach der Tafel angesprochen und dann zum Entzücken geplaudert. Sie könnte in ihrem menschlichen und edlen Wesen, in ihrer anspruchslosen Liebenswürdigkeit den ältesten Esel bis über die Ohren verliebt machen.“ Er fühlte seine Position auch beim Könige wachsen. Das that Schack’s Empfehlung. König Wilhelm äußerte schon im December 1863 zum Generalarzt Löffler: „Den Obersten lege ich Ihnen besonders ans Herz; die Armee erwartet noch vieles von ihm.“ Nach den Manövern des IV. Corps im Herbst 1865 äußerte der Monarch: er habe noch keinem Corpsmanöver beigewohnt, welches so den Stempel der sicheren Leitung getragen habe wie das jenes Corps. St. durfte dies Lob großentheils auf sich beziehen. Seit jenem Manöver suchte der Kronprinz St. in seine Nähe zu bringen. Als St. sich Ende 1865 zur Heilung seiner Wunde in Frankreich aufhielt, richtete der Kronprinz durch Normann officiell die Frage an ihn, ob er sein Stabschef werden wolle. St., der mit einigermaßen gemischten Empfindungen diese Frage hatte kommen sehen, sagte doch zu. „Halb zog es ihn, halb sank er hin.“ Aber das Militärcabinet, dessen Chef damals der General v. Tresckow[WS 3] war, lehnte den Antrag des Kronprinzen ab, weil Stosch’s politische Stellung mißliebig und die Auszeichnung des Obersten durch die Kronprinzessin übel vermerkt worden war. Dies verstimmte nun St. doch tief, und er hatte in der Folge eine heftige Auseinandersetzung mit Tresckow. Der Kronprinz fühlte sich ebenfalls verletzt durch die Ablehnung seines Wunsches und wollte St. nun zum persönlichen [582] Adjutanten haben. Dies lehnte St. jedoch ab. Er hatte einen Widerwillen gegen die Hofluft, was bei seiner Selbständigkeit nicht Wunder nimmt. „An den Hof gehe ich nicht“, erklärte er bestimmt. Die Beziehungen zum kronprinzlichen Paare bestanden aber weiter fort. Im Februar 1866 zog die Kronprinzessin St. wieder in ein längeres Gespräch. Das weckte neues Mißtrauen bei den herrschenden Kreisen. Auch Stosch’s Chef, General v. Schack, zeigte sich davon angesteckt. Dabei bewahrte sich St. seine Unabhängigkeit. Er erfuhr davon, daß Artikel der „Grenzboten“ den Zorn des Kronprinzen erregt hätten. Nun war er seit dem Jahre 1863 durch Holtzendorff mit Gustav Freytag, der ja damals die „Grenzboten“ leitete, befreundet worden. Dieser setzte von Anfang an – und er wird dazu begründeten Anlaß gehabt haben – die größesten Hoffnungen auf ihn. Schrieb er doch am 14. September 1865, in derselben Zeit, in der St. in Merseburg seine verheißungsvollen persönlichen Beziehungen zum Kronprinzenpaare knüpfte, an Heinrich v. Treitschke, ohne Frage mit Bezug auf St.: „Für die beste Stütze, welche ein neuer König in dem Stoff seines Landes finden kann, halte ich einzelne feste und dauerhafte Männer, die im preußischen Heere den Stolz Preußen zu sein und den Reformgeist Scharnhorst’s durch alle Misère der gegenwärtigen Heeresleitung bewahrt haben. Glücklicherweise sind sie auch in der äußeren Stellung, welche einem Fürsten bequem macht, sie nicht zu Adjutanten, sondern zu verantwortlichen Berathern zu machen. Ihnen wird wahrscheinlich anheimfallen, mit dem tauglichen Beamtenmaterial und einzelnen Führern der Opposition den Staat und die deutsche Frage zu ordnen. Mir scheint, daß dafür in der Stille schon vorbereitet wird.“ St. hätte also wohl auf Freytag mildernd einwirken können. Er schrieb ihm jedoch geradezu ermunternd: „Ich bin der Meinung, Sie müßten ihn [den Kronprinzen] in der auswärtigen Politik noch schärfer anfassen; denn er läßt sich durch die englischen Beziehungen in ein falsches Fahrwasser treiben.“ Beim Herannahen des Krieges gegen Oesterreich stand es fest, daß St. in die Umgebung des Kronprinzen kommen sollte. Er gehörte nicht zu denen, die schwächlich vor dem „Bruderkrieg“ zurückscheuten. Schon im J. 1855 hatte er, ganz wie Bismarck in derselben Zeit, erkannt, daß die Waffen zwischen Oesterreich und Preußen noch einmal entscheiden müßten. Am 9. April jenes Jahres schrieb er nämlich: „Oesterreich hat uns noch niemals als gleichberechtigt anerkannt und wird es nicht eher thun, als bis wir es noch einmal bezwingen. Bruder- und Bürgerkrieg sind gewiß verabscheuungswerth, aber wir sind in der Nothwehr und müssen leben.“

Am 18. Mai 1866 wurde er zum Oberquartiermeister, d. h. etwa zum 2. Chef des Generalstabes der II. Armee unter dem Kronprinzen ernannt. In seiner humoristischen Art erklärte ihm Moltke dazu: er habe die „genialen Gedanken des 1. Chefs der II. Armee [d. h. des Generals v. Blumenthal][WS 4] auf die Beine zu bringen.“ Voller Verständniß verfolgte St. die von Bismarck eingeschlagene Taktik. Ueber den Kriegsrath vom 25. Mai, dem er beiwohnte, urtheilte er: „Bismarck ist entschieden der Klarste und Schärfste. Ich hatte die Ueberzeugung, er hatte die ganze Staatsaction veranlaßt, nur um den König kriegerischer zu stimmen.“ Er selbst ging mit großem Eifer an seine Aufgabe. „Noch geht alles sehr schläfrig, aber ich werde schon Zug hineinbringen.“ Etwas hinderlich war ihm sein noch immer nicht geheiltes Bein. Außerdem sah Blumenthal auf ihn mit einer gewissen Eifersucht und suchte seinen Einfluß zu bekämpfen. Doch St. wußte sich zu helfen. „Seitdem ich mir darüber klar geworden bin, daß irgend etwas an oder in mir Blumenthal reizt, bin ich zum hinterlistigen Diplomaten geworden, um das [583] gute Einvernehmen zu erhalten“, schrieb er; „ich durchtränke Verdy und Burg [Generalstabsofficiere, die dem Stabe des Kronprinzen beigegeben waren] mit meinen Absichten, bis sie sie verstehen, und wenn sie dann ihm en passant die Sache auseinandergesetzt haben, so geht er stillschweigend darauf ein, und jeder Dissens ist vermieden.“ Aus dieser Taktik Stosch’s erklärt sich wohl die von dem Historiker des Feldzuges von 1866, Lettow-Vorbeck[WS 5], hervorgehobene Thatsache, daß sich so wenig in den Acten über Stosch’s Wirksamkeit während jener Monate findet. St. gelangte zu der Ansicht, daß Blumenthal ein viel besserer General sei, als Chef des Generalstabes, denn er brauche thatsächlich immer jemand, seine „Pläne auf die Beine zu bringen“.

Am 15. Juni 1866, also bei Beginn des Krieges, wurde St. zum Generalmajor ernannt. Gleich zu Anfang, am 27. Juni, fand er Gelegenheit, in dem Gefecht von Nachod mitzuwirken, indem er durch die Wucht seines persönlichen Eingreifens ein Zurückfluthen der durch das Zurückweichen preußischer Dragoner erschreckten Vortruppen der 2. Gardedivision hemmte. Die scharfe Energie seines Preußenthums leuchtet aus einer Bemerkung heraus, die er selbst überliefert. Als er nach dem Nachoder Gefecht preußische Officiere mit gefangenen österreichischen in lustiger Gesellschaft sah, schnitt er diesen Verkehr ab mit den Worten: ein unverwundeter gefangener Officier sei bis zu vollendeter Untersuchung ein Hundsfott. In den folgenden Kämpfen trat er nicht hervor. Dagegen erhob er sich an dem Geiste der Truppe. „Vor jedem gemeinen Soldaten bekommt man einen Respect, daß man stolz ist, Preuße zu sein, so wie er“, schrieb er einmal. Er machte sich Vorwürfe, daß er nicht persönlich die Verfolgung bei Königgrätz übernommen hätte. „Meine brennende Beinwunde machte mich mürbe.“ Die Wunde machte sich so unliebsam bemerkbar, daß Wilms zu Rathe gezogen wurde, der sofort amputiren wollte, wogegen sich St. jedoch ablehnend verhielt. In den entscheidenden Tagen hatte er wieder Gelegenheit, Bismarck zu beobachten und erfüllte sich dabei mit steigender Bewunderung für ihn. So notirte er: „Bismarck entwickelte wundervoll klar und anregend die Forderungen, die einem Frieden zu Grunde zu legen wären.“ „Es war das erste Mal, daß ich Bismarck im persönlichen Verkehr sah [4. Juli 1866] und ich bekenne gern, daß der Eindruck, den ich von ihm empfing, mich geradezu überwältigte.“ Auf Veranlassung von Blumenthal überbrachte er am 16. Juli dem General Moltke nach Brünn die wichtige Nachricht, daß die gesammte österreichische Nordarmee aller Wahrscheinlichkeit nach Olmütz verlassen hatte. Auf Befehl des Kronprinzen hatte er an diesem Tage in Brünn mit Bismarck eine lange politische Unterhaltung, um für den Kronprinzen Auskunft über die Gestaltung der Lage zu erhalten. Was Freytag schon im Jahre vorher annahm, das wurde jetzt allgemeinere Anschauung: man begann in ihm den Mann einer nicht mehr fernen Zukunft zu sehen; rechneten doch viele Kreise mit dem baldigen Ableben Wilhelm’s I. St. merkte das: „Die Welt fängt an, an meine Macht zu glauben, und vergißt ganz, daß der junge Herr selbst noch keine hat.“ Ihm war bewußt, daß seine günstige Stellung zum Kronprinzen hauptsächlich auf der Gunst beruhte, die ihm die Kronprinzessin erwies. Die hohe Frau stand mit ihm durch Stosch’s Correspondenz mit seinem Freunde, ihrem Privatsecretär v. Normann, in stetiger Beziehung. St. hatte auch schon lange erkannt, daß die größere geistige Bedeutung der Gemahlin des Thronfolgers zuzusprechen war. Schon am 12. Juni 1866 schrieb er: „Die Kronprinzessin hat mehr Entschiedenheit im Blick als der Gatte“; am 31. Juli: „Der Herr ist vor allen Dingen Mann seiner Frau. Sie bestimmt seinen Gedankenkreis auf die weiteste Entfernung.“ Volle Befriedigung fand St. freilich nicht in dem Verhältniß [584] zu den hohen Herrschaften. Als der Kronprinz ihm am 3. August 1866 in Brünn feierlich erklärt hatte, das Band zwischen ihnen beiden sei für ewige Zeiten geknüpft, schrieb St. gleich darauf einem Freunde: „Ich kann Dir sagen, daß ich an dem bischen Hofluft, das ich genossen, für alle späteren Zeiten vollständig genug habe. Es wäre ein großes Opfer, wenn ich mich je wieder in gleiche Beziehungen zum Herrn versetzte.“ Zugleich setzte er, diesmal bei Normann, den Hebel an, um die englische Richtung des Kronprinzenpaares zu bekämpfen: „Daß die Kronprinzeß sich nicht an der Thätigkeit der Frauenvereine betheiligt hat, kann nicht durch die luminösesten Gedanken und nicht durch die brillantesten Geldspenden ersetzt werden. Die hohe Frau steht neben der Bewegung, entbehrt der so leichten Popularität und ist außer Stande, selbst so viel zu schenken, wie sie nur durch ihre Anwesenheit aus anderen Taschen herausziehen würde.“ Auch als er hörte, daß die Kronprinzessin dringend sein Bleiben in der Umgebung des Kronprinzen wünschte, erklärte er: „Das Hofleben ist die undankbarste Existenz, die ich kennen gelernt habe.“ Gleichwohl behielt er enge Fühlung mit dem Thronfolgerpaare. So weilte er im September 1866 in Erdmannsdorf zu Besuch bei den Herrschaften. Er ging dort stundenlang an der Seite der Kronprinzessin spazieren. Dabei kam es zu tieferer Aussprache. Der präsumtive Ministerpräsident Friedrichs’s III. suchte die radikale Richtung seiner künftigen Königin zu bekämpfen: „Sie war sehr erstaunt, als ich ihr einmal sagte, sie sei eben noch sehr jung und deswegen in ihren Reformbestrebungen stürmisch. Lebensfähiges erzeuge man nur langsam, doppelt langsam, wenn man dabei nicht Leben zerstören wolle. Das wurde dann lange ausgesponnen und sie stiller, ruhiger, endlich nachgiebig.“ Noch im Jahre vorher hatte die hohe Frau erklärt: „Mit Stosch werde ich schon fertig werden.“ Wenn jenes Wort überhaupt andeuten sollte, daß sie sich ihm gewachsen fühlte, so mochte sie jetzt doch wohl erkennen, daß sie in ihm ihren Meister gefunden hatte. St. erwärmte sich in jenen Erdmannsdorfer Unterhaltungen für die kluge Fürstin nur noch mehr. „Es ist ein Charme, mit ihr zu plaudern“, schrieb er am 17. September, „sie vereint Geist und Gemüth und besitzt beides in hohem Grade.“ Schließlich wurde der engere Verband mit dem Kronprinzen dadurch gelöst, daß St. am 18. September 1866 mit den Competenzen eines Brigadecommandeurs zu den Officieren von der Armee versetzt wurde. Die Wahl seines Aufenthaltsortes wurde ihm überlassen. Zugleich (20. Sept.) wurde er durch den Orden Pour le mérite ausgezeichnet.

Doch wohl auf seinen Wunsch wurde er unter dem 27. September zum Kriegsministerium commandirt und am 18. December desselben Jahres zum Chef des Militärökonomiedepartements ernannt. Er arbeitete dort sofort eine Instruction für das Etappenwesen im Kriege aus, die im Feldzuge 1870/71 zur Anwendung gelangte. Im Anschluß an diese Instruction erhielten das Feldlazarethwesen, Post, Eisenbahn und Telegraphie ihre Kriegsreglements. An der Eisenbahnordnung fand St. später viel zu tadeln, weil sie nicht militärisch genug organisirt gewesen wäre. Seine politisch wichtigste Action wurde aber in der nächsten Zeit seine Mitwirkung am Abschluß der Militärconvention mit Sachsen, die freilich viel umstritten ist und einstweilen noch nicht klar gestellt werden kann. Es wäre dringend wünscheneswerth, daß diese Frage endlich einmal auf Grund der Acten untersucht würde. So viel steht fest, St. mußte an Stelle des Generals v. Podbielski, der am 21. October 1866 eine Bismarck nicht zusagende Militärconvention mit Sachsen abgeschlossen hatte, mit dem militärischen Vertreter Sachsens, dem General v. Fabrice, eine neue Militärconvention verabreden. Er glaubte schließlich seine Sache [585] vortrefflich gemacht und unter den vorliegenden Verhältnissen das Menschenmögliche erreicht zu haben. Es war ihm u. a., wie er am 24. November an Gustav Freytag schrieb, gelungen, eine sehr entschiedene Allerhöchste Willensmeinung und „bedeutende Contreminen“ gegen die sächsischen „Minengänge“ zu veranlassen. Einen wesentlichen Punkt bei den Verhandlungen bildete der Artikel 12 des Vertrages, welcher dem Bundesfeldherrn die Berechtigung zusprach, dem sächsischen Armeecorps im Kriegsfalle einen neuen General zu geben. St. schlug dafür, wohl im December, die Fassung vor: „Mit befohlener Mobilmachung hört die Sonderberechtigung eines königl. sächsischen Armeecorps im Bundesheere auf“, und fand dabei die Unterstützung des mit der allgemeinen Friedensunterhandlung beauftragten Herrn v. Savigny. Die Verständigung ließ sich aber nur sehr langsam erzielen. Noch zu Anfang Februar stritt sich St., wie er einer Freundin schrieb, „stundenlang“ mit den sächsischen Vertretern herum, die nicht an die Unterordnung der sächsischen Truppen unter den König von Preußen heranwollten. Trotz aller Bemühungen hatte er es aber Bismarck nicht recht gemacht, und infolge dessen kam es zwischen den Beiden zu einem heftigen Zusammenstoß, den sie Beide nicht verwunden haben. Wenige Tage vorher noch hatte St. im Gefühle höchster Befriedigung über seine Verhandlungen mit Sachsen jener Freundin gestanden: „Ich habe noch nie so voll gelebt wie jetzt“, obwohl er einräumte, daß die diplomatische Thätigkeit ihm schwer fiel. Plötzlich erlebte er nun eine Demüthigung. Bismarck hat später in der Erinnerung die Verhandlungen Podbielski’s mit denen Stosch’s durcheinander geworfen. Aber auch Stosch’s Erinnerung ist schwerlich ungetrübt geblieben. Genug, von jenem Zusammenstoß rührt der Keim zu einer unversöhnlichen Gegnerschaft der beiden bedeutenden Männer her. Die Schilderung, die St. in seinen Denkwürdigkeiten von jenem Auftritt zwischen ihm und Bismarck gibt, zeigt deutlich, wie tief der General sich im Innersten verwundet fühlte durch die Behandlung, die ihm von dem mächtigen Staatsmann widerfuhr. Darf man eine Combination aufstellen, so hat er Bismarck durch Einwendungen gereizt. Wie wir wissen, konnte Bismarck diese nicht vertragen. Die Erzählung bei St. paßt ganz zu der Warnung, die der Minister Graf Fritz Eulenburg dem Landrath Tiedemann für den Verkehr mit Bismarck ertheilte: „Hüten Sie sich, ihm sofort zu widersprechen. Thun Sie es, dann findet er, leicht erregbar, wie er ist, so niederschmetternde Gründe für seine Ansicht und verbeißt sich so fest in diese, daß keine Macht der Erde ihn je wieder davon abbringen wird.“ St. hat, wie wir ihn kennen, offenbar nicht nach diesem Muster gehandelt. Seine Angabe, daß ihm kurz darauf von Bismarck derselbe Vertrag, nur mit einigen stilistischen Aenderungen, zurückgeschickt wurde, mit der Weisung, die Vollziehung zu veranlassen, würde darauf hindeuten, daß Bismarck, weil gereizt, weiter gegangen war, als er gewollt hatte, und nachträglich einlenkte. Bismarck selbst spricht indeß in seinen „Gedanken und Erinnerungen“ von persönlichen Entschließungen des Königs. Die Vollziehung der Militärconvention geschah am 7. Februar 1867.

Stosch’s Kameraden erkannten damals sein eigentliches Wesen nur zu wohl. Der General v. Gersdorff, der später bei Sedan an der Spitze seines Corps fiel, sagte ihm im December 1866 ins Gesicht, sein ganzer Ehrgeiz sei „Macht“. Und St. gab sich keine Mühe, das zu verbergen. „Das kann wahr sein,“ bemerkte er zu Gersdorff’s Aeußerung, „aber dann kann ich versichern, daß mein Ehrgeiz hier [im Kriegsministerium] noch nicht befriedigt ist.“ Es blieb immer der Ausblick auf die Stellung als Ministerpräsident. Und St. glaubte in der That allmählich selbst, daß er für den künftigen [586] Herrn unentbehrlich sei. Im April 1867 meinte er, der Kronprinz würde sich schaden, wenn er sich von ihm trenne. Sehr energisch sträubte er sich aber dagegen, als man ihm wieder einen Posten neben Blumenthal anweisen wollte. „In die zweite Stelle gehe ich nicht“, erklärte er bestimmt.

Ein Gebiet, auf dem er sich auch Ansehen erwarb, war inzwischen die Schriftstellerei geworden. Dazu verhalf ihm sein Freund Gustav Freytag und dessen Zeitschrift. St. machte sich daran, seine militärischen Kenntnisse litterarisch zu verwerthen. Zunächst schrieb er über den schleswig-holsteinschen Krieg. Doch blieb diese Arbeit ungedruckt. Dagegen behandelte er den nordamerikanischen Krieg in einer Reihe von Aufsätzen, die Freytag annahm und „zurechtstutzte“. Triebfeder zu dieser Thätigkeit war vornehmlich der Wunsch, seinem Geldbeutel aufzuhelfen. Er schrieb auch gelegentlich Bücheranzeigen für die „Grenzboten“, so über das Leben Gneisenau’s von Pertz. Geradezu Aufsehen erregten militärische Briefe, die er an derselben Stelle über den Feldzug gegen Oesterreich veröffentlichte. Vortrefflich war ein Brief vom 14. Juli 1866. Im Hauptquartier war man ohne Zweifel über die Person des Verfassers nicht im Unklaren, obwohl das Geheimniß äußerlich streng gewahrt blieb. Belustigt schrieb St. einmal nieder: „Verdy fand die Grenzboten bei mir und ließ sich des längsten über die militärischen Correspondenzen darin aus, die ganz ausgezeichnet seien und aus einer hervorragenden Feder stammten. Ich that ganz unbekannt mit den Aufsätzen. Ob ihm wohl der Verfasser ebenso unbekannt war?“ Später lieferte er zusammenfassende Darstellungen über den Krieg von 1866 für das Blatt seines Freundes. Die Kronprinzessin drückte ihm den Wunsch aus, daß diese Briefe englisch erschienen; er solle das besorgen. „Ahnt sie denn“, so fragte sich der Verfasser, „daß ich jene Aufsätze schrieb?“ Natürlich wußte die hohe Frau um den Sachverhalt. Man nahm vielleicht eher eine zu große Mitarbeiterschaft Stosch’s bei den „Grenzboten“ an. Behauptete doch Theodor Bernhardi im J. 1868, St. hätte viele anonyme Artikel gegen die neue Heeresorganisation und gegen die dreijährige Dienstzeit unter Verletzung seiner Dienstvorschriften in den „Grenzboten“ drucken lassen. Aus Stosch’s Denkwürdigkeiten läßt sich die Richtigkeit dieser Behauptung nicht erkennen. Es wäre dankenswerth, wenn einmal die Mitarbeiterschaft des Generals an den „Grenzboten“ genauer untersucht würde. Gelegentlich sagte St. dem Grenzbotenherausgeber politische Wahrheiten. So schrieb er Freytag am 18. Februar 1867 bündig: „Das Officiercorps ist die Stütze für den Bestand der Armee, und wenn Sie auch politisch auf unsere Junker und den armen Adel schimpfen, so liefert dieser doch die bravsten Jungen und brillante Officiere.“ Freytag suchte ihn schon damals auch für Arbeiten über das Marinewesen einzuspannen. So sollte St. ihm im April 1867 einen Aufsatz über die möglichen Wirkungen der französischen Flotte schreiben. Nach einigem Sträuben ging der nachmalige Marineminister in der That an diese Arbeit und übersandte dem Grenzbotenleiter einen Aufsatz über die Bedrohungen, denen die deutsche Küste in einem Kriege mit Frankreich ausgesetzt sei.

Es verstimmte St., daß der Kronprinz ihn im Gegensatz zum Prinzen Friedrich Karl, der ihn zu intimen Diners heranzog, „trotz aller Freundschaft“ nur zu Routs einlud. Er entnahm daraus, daß seine Chancen doch nicht so völlig sicher waren. So erfüllte er sich wieder mehr mit dem Gedanken, sich seine Carrière im militärischen Fache zu construiren. Schon Anfang Mai 1867 wurde er zum Armee-Intendanten in Aussicht genommen. Zufrieden notirte er am 19. Mai: „Jetzt wäre mir nach Lage der Akten der Intendant sicher.“ Er gefiel sich darin, strenge Musterung in seinem Ressort [587] vorzunehmen. Wie ein leibhaftiger Würgengel mag er manchem Untergebenen damals erschienen sein. Seine Briefe deuten das an: „Die Herren, die ich inspicirte, werden nicht immer sehr glücklich sein über meine Berichte. Aber es hilft nichts, und die Armee soll den Vortheil davon haben.“ „Die Herren in Berlin werden sich wundern, aber wenn ich nicht scharf bin, so bleibt alles bei der alten Bummelei.“ Er schonte sich selbst auch nicht. „Es kostet Nerven, will man den alten Schlendrian auswurzeln“, schrieb er einmal und ein ander Mal: „Ich arbeite wie ein Pferd, um die Armee mit allen Erfahrungen des vorigen Krieges verbessert bereit zu stellen. Zu lange freilich darf diese Spannung nicht dauern.“ In diesen Arbeiten überkam ihn dann aber gelegentlich die Sorge, daß es zu spät für ihn werden könnte, eine Rolle zu spielen. „Noch bin ich jung und frisch genug, um meinem Ehrgeiz das höchste Ziel zu stecken, aber zu lange darf diese Gelegenheit nicht ausbleiben.“ „Ich will mich bestreben, mich frisch zu erhalten, damit ich noch lebenspendende Elemente in mir habe, wenn ein gütiges Geschick mich in alten Tagen auf einen hohen Posten bringt. Meine jetzige Thätigkeit gibt mir viel Gelegenheit zu schaffen, und Sie wissen, daß das die höchste Wonne aller irdischen Kreatur ist, daß dabei aber schließlich die Nerven erschlaffen müssen. Davor fürchte ich mich und möchte gern davon.“ Er lavirte offensichtlich, um sich nach allen Richtungen möglich zu halten. Als er im November 1867 von der Kronprinzessin wieder durch eine längere Unterhaltung ausgezeichnet wurde, war er zwar abermals „hingerissen“ von ihrem Geiste und ihrer Persönlichkeit. Es behagte ihm indeß nicht, daß die hohe Dame zuweilen verfängliche Gebiete der Politik streifte und so laut Namen nannte, daß es ihm vor der ohrenspitzenden Umgebung schwer wurde, zu antworten. „Hoffentlich bin ich mit blauem Auge davon gekommen“, schrieb er darüber. Als sich ihm bei der Geburtstagsfeier der Kronprinzessin der Vertraute des Kronprinzen Geheimrath Friedberg und der Adjutant des Thronfolgers Hauptmann v. Jasmund vorstellen ließen, meinte er: „Es ist mir vorläufig nicht angenehm, mit ihnen öffentlich gesehen zu werden, da man dann hier gleich verurtheilt ist.“ Bei seiner sonstigen Offenheit und Ungenirtheit ist dieses Laviren charakteristisch. Etwas entsagend klingt es, wenn er am 12. Januar 1868 berichtet: „Unser alter Herr fängt an, seine Gesundheit ungemein zu schonen.“ Mit Unbehagen nahm er wahr, wie ungeheuer fest inzwischen Bismarck’s Macht fundirt war. Im März 1868 nannte er ihn geradezu einen Majordomus.

Als er im April 1868 ausersehen wurde, den Kronprinzen auf dessen Reise nach Turin und Florenz zu begleiten, griff er mit Eifer zu. Theodor Bernhardi, der damals als diplomatischer Beirath des preußischen Gesandten Usedom in Turin weilte, war ganz und gar nicht erbaut über die Nachricht davon, weil er den Einfluß antibismarck’scher Kreise darin witterte. Zu seinem Verdrusse gelang es zudem den Piemontesen, trotz seiner und Usedom’s Gegenbemühungen, den Kronprinzen über den wahren Verlauf der Dinge im italienischen Feldzuge von 1866 zu täuschen, da die Piemontesen es verhinderten, daß der hohe Herr mit unterrichteten Generalen zusammenkam, die ihn über das Verhalten Lamarmora’s[WS 6] aufklären konnten. Vielmehr wußte die piemontesische Partei den preußischen Thronfolger ganz für Lamarmora einzunehmen. Derjenige, der es verursachte, daß es so kam, war St., der, wie es doch den Anschein hat, an die italienischen Verhältnisse recht harmlos herantrat. „St. ist wunderbar leidenschaftlich befangen, fährt gleich auf und wird heftig“, schrieb Bernhardi und setzte mißmuthig hinzu: „Zu machen war nichts; ich mußte es aufgeben.“ Rückblickend urtheilte der kluge Diplomat: „St. vor [588] allem war sehr entschieden ins Garn gegangen.“ In der That scheint das diplomatische Gewerbe Stosch wieder, wie bei der Convention mit Sachsen, Schwierigkeiten bereitet zu haben; es war doch nicht völlig sein Feld. Die ganze Affäre brachte den Kronprinzen in einigen Widerspruch mit der eigenen Regierung. Er hatte die Weisung bekommen, Lamarmora kalt zu behandeln. Das hat er aber nicht gethan, und König Wilhelm war, wie aus einem Briefe von ihm an Bismarck hervorgeht, peinlich überrascht, in einem Berichte seines Sohnes eine förmliche Apologie Lamarmoras’s zu erkennen. „Wer zu diesem Urtheil meinem Sohne die Materialien liefert, ist mir unerklärlich“, schrieb er. Es kann kaum einem Zweifel unterliegen, daß die Verantwortung für jenen Bericht St. trifft.

Nicht lange nach der italienischen Reise sollte St. das kronprinzliche Paar nach England begleiten. Schleunig machte St. sich daran, seine englischen Sprachkenntnisse zu vervollkommnen. „Die Studien der Jugend rentiren sich jetzt“, sagte er selbstzufrieden. Er freute sich sichtlich auf die Reise; „Man will mir die ganze Größe Englands zeigen, und die kleine Frau erklärte, sie wäre stolz darauf, dies thun zu können.“ Arg mag die Enttäuschung gewesen sein, als Normann ihm im November schließlich eröffnete, daß man von seiner Begleitung abgesehen hätte. Möglicherweise waren wieder Intriguen im Gange gewesen. Es kann aber auch der Unabhängigkeitssinn Stosch’s gewesen sein, der den Kronprinzen selbst verstimmte. St. verleugnete doch nie sein starkes Borussenthum. Bei seiner Begeisterung für die Kronprinzessin wollte er vielleicht weniger deren Abneigung gegen Preußen erkennen und vertheidigte sie daher gelegentlich gegen Holtzendorff deswegen. Aber bei dem Kronprinzen vermißte er unliebsam die soldatische Ader: „So voll der alte Herr bei der Sache [dem Militärwesen], so gleichgültig ist der junge Herr dagegen.“ Vielleicht hat er den Kronprinzen seine abweichende Auffassung merken lassen. Ja bisweilen nahm er sich sogar Bismarck’s in seiner gutpreußischen Art gegen den Thronfolger an. Er bat diesen im Februar 1869 geradezu, den Kanzler im Kampfe gegen das Ministerium zu unterstützen, und ihn nicht Taktlosigkeiten entgelten zu lassen: „Graf Bismarck ist der einzige, der uns vorwärts hilft.“ Er vertheidigte Bismarck auch gegen G. Freytag, der ja nie das richtige Verhältniß zu dem Kanzler gefunden hat. Dabei stellte er eine äußerst feine Diagnose des Bismarck’schen Wesens (Denkwürdigkeiten S. 150). Das urwüchsige Preußenthum tritt öfter ganz massiv bei ihm in die Erscheinung. Ueber Hamburg äußert er einmal in dieser Zeit: „Im übrigen ist es eine schöne Stadt und verdient, preußisch zu werden.“ Als er 1868 an einem Essen bei alten Frankfurtern theilnahm, die sich recht preußenfeindlich gesinnt zeigten, erklärte er den Herren beim Nachtisch: „sie sollten nur mal auspacken; ich wolle ganz still sein. Da brach der lang verhaltene Groll vor, und es donnerte und blitzte. Ich sagte ihnen dann, sie möchten ruhig über den Rechtsstandpunkt streiten, davon sähe ich vollständig ab. Der Streit sei aber unpraktisch; je länger sie uns das Recht der Gewalt einräumten, um so später bekäme das Recht Gewalt. – Nach drei Stunden trennten wir uns unter Händedrücken.“ Mit Sehnsucht wünschte er den drohenden Entscheidungskampf herbei. „Deutschland muß unbedingt nach außen seine Kraft bethätigen, soll es vorwärts kommen“, erklärte er G. Freytag im Januar 1868. Trotz seines angeblichen Mißerfolges bei den Verhandlungen mit Sachsen wurde er Ende 1868 doch wieder als Unterhändler mit diesem Staate gebraucht. Auch diesmal war er selbst ganz zufrieden mit seinem Erfolge: „Ich bin freigebig mit Geld gewesen, habe aber die Principien gerettet.“ Aber wiederum hatte er es Bismarck nicht recht gemacht. Das erste [589] Mal sollte er den Sachsen zu viel eingeräumt haben; jetzt meinte der Olympier, St. hätte den Sachsen zu wenig zugestanden; es könne das nur zu politischen Mißstimmungen führen, die zur Zeit unbequem wären.

Aufs neue kam St. als Reisebegleiter des Kronprinzen in Frage, als dieser zur Eröffnung des Suezcanals reiste. St. brannte darauf, diese Reise mitzumachen. „Ich bin neugierig, ob er mich mitnimmt“, schrieb er, „es würde mir das sehr passen.“ Bei dem Manöver im September 1869 in der Nähe von Stettin war er wieder um das Kronprinzenpaar und widmete sich vornehmlich der Kronprinzessin. „Als ich sie ein paar Mal richtig dirigirt hatte, kam ihr die Ueberzeugung, sie sähe mit mir mehr als sonst. So mußte ich das Geschäft die nächsten Tage fortsetzen. Ich hatte ein sehr gutes Pferd und konnte der kleinen Frau, die wie der Teufel reitet, überallhin folgen. Kein Graben war zu breit, je toller es ging, desto vergnügter wurde sie. – Da habe ich denn auch viel mit ihr geplaudert.“ Thatsächlich wurde er gleich danach vom König und Bismarck als erster Begleiter des Kronprinzen auf der Reise nach Aegypten bestimmt. Ihm war jetzt mehr wie je zu Muthe, daß es ihm gelingen würde, eine entscheidende Rolle zu spielen. Nur seine Vermögenslage beengte ihn etwas: „Je mehr mein Leben in die politische Sphäre geführt wird, um so intensiver wird mein Wunsch, so viel Vermögen zu besitzen, daß ich jederzeit ohne Nahrungssorgen vom Schauplatz abtreten kann. Ich will ein freier Mann sein, um auch in höherer Stellung unabhängig zu bleiben.“ Die neue Reise erhielt wieder einen sehr diplomatischen Charakter, besonders durch den Besuch des Kronprinzen in der Wiener Hofburg. König Wilhelm ertheilte St. für diesen Theil der Fahrt bei der Abreise von Berlin am 5. October eine besondere Instruction. St. erstattete dem König unter dem 8. einen längeren Bericht über die Begegnung mit dem Kaiser Franz Joseph.

Mit vollen Zügen genoß er die großen Eindrücke, die ihm die Reise bot. Zugleich schlief sein reger Orientirungssinn nicht in ihm. So benutzte er die Gelegenheit, an Bord der „Hertha“ sich über die Marine zu orientiren – unterstanden dem Befehl des Kronprinzen auf jener Reise doch fünf Schiffe – und wußte dabei den Seeleuten durch große Wetterkunde zu imponiren. Zugleich entgingen seinem wachsamen Auge nicht einige Uebelstände: „Da ist vieles aufgefallen, was zwar Manchen ärgern wird, aber deshalb nicht verschwiegen werden darf.“ Voller Genugthuung nahm er wahr, wie alle Fremden ein Gefühl von dem Aufstreben des Deutschthums hatten und dessen Schutz zu gewinnen suchten. „Man reist schon mit dem Stolz ein Norddeutscher zu sein.“ In Jerusalem erwehrte auch er sich bei der Begrüßung durch deutsche Diakonissen nicht der Thränen. In diesen Tagen packte ihn die bezaubernde Erscheinung des Kronprinzen. Nicht leicht war für ihn die Berichterstattung an den König und Bismarck, da so viele kirchliche Fragen hineinspielten. Mit klaren Worten betonte er die größeren Ziele, die den Johannitern gewiesen werden könnten. „Diese würden mit größeren Aufgaben wachsen, wie wir es schon 1866 sahen.“ Eine wahre Wohlthat war es ihm zu bemerken, „wie Preußens Könige als ausschließliche Schutz- und Schirmherren des Protestantismus im Auslande angesehen werden“. Heimgekehrt, fühlte er sich dem Kronprinzen für die Reise sehr zu Danke verpflichtet, so daß er gern die mannichfaltigen Aufträge erfüllte, die ihm der hohe Herr seitdem ertheilte, obwohl sie ihm öfter die Nacht kosteten. Nur war er in soweit nicht ganz befriedigt, als der Kronprinz ihn immer noch selten und nie allein sah. Von der geistigen Bedeutung des liebenswürdigen Thronfolgers dachte er freilich weniger denn je besonders hoch. Als er im Februar 1870 zum ersten Male [590] dessen engeren Vertrauten Friedberg eingehender sprach, da lief es ihm wie kaltes Wasser über den Rücken: „Er sieht einen Zukunftshelden, wo ich guten Willen, aber unklare Phantastik finde; er macht allgemeine politische Redensarten, wo ich klare Vorbereitung fordere, um das Fundament zu bauen, das die Zukunft unseres Staates sicher stellt; er bildet sich ein, den Herrn lehrreich zu behandeln, erzählt mir vor, was er ihm alles sagt u. s. w., während ich die Ueberzeugung habe, daß der Herr ihm gar nicht folgen will. Denn der ganze Verkehr mit den Liberalen ist dem Herrn nur dadurch angenehm, daß diese ihm die Cour machen und er sich dadurch als eine Art Macht fühlt.“ Er suchte seinen hohen Gönner fortgesetzt in positivem Sinne zu beeinflussen, drückte ihm den Wunsch aus, er möge sich dem Könige mehr nähern, damit er den alternden Herrn unterstütze; das sei eine Pflicht des Patriotismus und der eigenen Erhaltung. Er sandte ihm eine zwölf Bogen lange Abhandlung über die Militärfrage. So suchte er sich dem Herrn unentbehrlich zu machen, und der kluge General wußte wohl, daß er ungleich mehr zu bieten hatte, als die andern Persönlichkeiten, die sich um die Gunst des künftigen Königs bemühten. In seinen Denkwürdigkeiten treten uns diese Männer, die mehr oder minder alle ein Anrecht auf das Portefeuille des Kanzlers zu haben wähnten, mit vortrefflich kennzeichnenden Etikettes von Stosch’s Hand geziert, entgegen, außer Friedberg noch Samwer, Roggenbach und besonders Geffcken. Am meisten hatte St. für Roggenbach übrig. Ueber den Nebenbuhler Samwer urtheilte er: „Samwer spricht nur, um sich selbst glänzen zu lassen, der ist nicht gefährlich.“ Die vernichtendste Kritik erfährt Geffcken: „Geffcken ist so bescheiden und gemüthlich, daß er die Offenheit herauslockt.“ „Der große Diplomat mit dem kleinen Gesichtskreis.“ „Geffcken ist der reine Techniker. Ich wollte, er verschonte mich mit seinem ewigen Intriguenspinnen.“ St. pflegt die Persönlichkeiten mit geradezu frappanter Treffsicherheit zu beurtheilen, so auch Herzog Ernst von Coburg, den Prinzen Friedrich Karl, den General v. Goeben. Seltsam mochte es ihn anmuthen, als Heinrich Geffcken sich ihm am 27. Juni 1870 – also einige Tage vor Beginn des Krieges gegen Frankreich – ziemlich unverblümt als der künftige leitende Staatsmann vorstellte.

Bei Ausbruch des Krieges weilte St. in Borkum. Am 15. Juli brachte ihm beim Morgengrauen ein Fischerboot aus Emden den Befehl zur Rückkehr. Eine Stunde darauf fuhr er mit demselben Boot ab. Bei der Rückerinnerung an die Zeit, die nun anbrach, schrieb er: „Es ist eine Freude, in solchen Zeiten zu leben, und ein unermeßliches Glück, thätig darin mithelfen zu können.“ Er fühlte, daß jetzt die entscheidende Stunde für Deutschland geschlagen hatte. Noch vor wenigen Wochen hatte er über den Gegensatz zwischen Nord und Süd geschrieben: „Man muß sich immer wieder sagen: freiwillig kommen die beiden nicht zusammen; dazu gehört eine große Krisis innerer oder äußerer Art.“ Er war durchdrungen davon, daß die deutschen Waffen den Sieg behalten würden. Hatte er sich doch während seines Aufenthaltes in Frankreich im J. 1865 davon überzeugt, daß der französischen Armee ebenso wie den französischen Einrichtungen der sittliche Kern fehlte. Eine Aenderung gegen früher, die seine verbesserte Position zum Kronprinzen kennzeichnete, war es, daß der Thronfolger jetzt ihn zum Chef seines Stabes verlangte. Dieses Begehren scheiterte jedoch an Moltke’s Einspruch: Blumenthal (gegen den St. von 1866 her eine gewisse Animosität zurückbehalten hatte) sei nicht anders zu placiren. Noch im J. 1867 war es Stosch’s Ehrgeiz gewesen, Generalintendant zu werden. In dieser Stunde behagte es ihm aber nicht, als Roon nunmehr erklärte, St. sei der einzige General, der die Verpflegung im Felde leiten könne. Er [591] empfand mit Bedauern, daß dem Posten des Generalintendanten „jedes militärische Element“ fehle; als solcher versah er lediglich die Stelle eines Verwaltungsbeamten. Aber er tröstete sich mit der großen Arbeit und der ungeheuren Verantwortlichkeit seiner Aufgabe. Sehr energisch ergriff er die Zügel. Sofort veranlaßte er den Ankauf von je drei Millionen Pfund Fleischconserven, Zwieback, Hafer und Preßheu in England, deren Einlieferung in Köln zu erfolgen hatte, und überwand damit die ersten Schwierigkeiten, die bei dem plötzlichen Ausbruch des Krieges erwuchsen. Auch im Verlaufe des Feldzuges gelang es ihm, die Verpflegung der gewaltigen Heeresmassen immer erfolgreich zu bewerkstelligen. Die Fruchtbarkeit des Landes unterstützte ihn wohl dabei, wie er selbst hervorhob, aber es gab auch Zeiten, auch im Sommer, wo er nicht mit diesem Vortheil rechnen durfte. Die ihm unterstellten Intendanten ignorirte er bald. Er traf alle Vorkehrungen in directen Verhandlungen mit den Obercommandos. Erklärlich, daß ihn seine Untergebenen nicht gerade mit freundlichen Blicken betrachteten. Gleich zu Anfang beschwerten sich die Intendanten bei ihm über sein Vorgehen. St. aber scheint ihnen bewiesen zu haben, daß sie es mit einem Vorgesetzten zu thun hatten, der nicht mit sich spaßen ließ und sich wohl zu helfen wußte. „Ich glaube, zum zweiten Male werden sie mir solche Mittheilung nicht machen“, schrieb er schmunzelnd seiner Gattin. Später hören wir allerdings wieder von Mißhelligkeiten zwischen St. und dem Intendanten der III. Armee, die dem General v. Blumenthal großen Verdruß bereiteten.

Am 26. Juli wurde er zum Generallieutenant befördert. Gleich zu Beginn des Krieges hatte er den Tod seines jüngeren Bruders zu beklagen, der an der Spitze seines Reiterregiments bei Wörth fiel. Der Schlacht von Gravelotte wohnte er im Gefolge des Königs bei, tiefbekümmert, daß er in solcher Stunde nicht mitwirken konnte. Am 20. August traf er mit dem Kronprinzen zusammen, der ihn küßte und ihm erklärte, er vermisse ihn. Das war Balsam für St., ebenso ein Beileidschreiben der Kronprinzessin aus Anlaß des Todes seines Bruders. Auch bei Sedan war er im Gefolge des Monarchen; er ritt aber auch während des Kampfes hinüber zu seinem Freunde Gustav Freytag, um mit ihm von der Höhe bei Donchery dem Ausgang des Kampfes zuzusehen. Mit dem König blieb er ständig in enger Berührung, desgleichen mit Moltke. Zuweilen fand er Gelegenheit, Meinungsverschiedenheiten zwischen König und Kronprinz zu schlichten. Schon im October bezeichnete er es als eine mißliche Sache, daß der Kronprinz, sein Generalstabschef Blumenthal und sein Generalquartiermeister Gottberg alle drei Engländerinnen zu Frauen hätten. „Das macht unwillkürlich eine Partei aus ihnen, sogar in politischen Dingen.“ Eine besondere Aufgabe erwuchs ihm durch Regelung des Verpflegungswesens bei der Einnahme von Metz. Bei der Reise dorthin sah sein Auge mancherlei Mißstände hinter der Armee. Nicht lange darauf, während er noch eben mit Samwer und besonders mit Roggenbach weidlich über die künftige politische Gestaltung der Dinge discutirt hatte, wurde er als Chef des Generalstabs zu der vom Großherzog Friedrich Franz von Mecklenburg befehligten Armeeabtheilung an die Loire entsandt, um die dort entstandene verfahrene Situation wieder ins rechte Geleis zu bringen. Moltke athmete geradezu auf, als sich St., der bei den täglichen Besprechungen des Generalstabs über die gefährliche Sachlage auf dem Kriegsschauplatz an der Loire vollkommen unterrichtet war und die Verlegenheit im großen Hauptquartier wegen der zu treffenden Wahl eines passenden Generalstabschefs für den Großherzog durchaus ermaß, durch den [592] Obersten v. Verdy bereit erklärte, eventuell die heikle Mission zu übernehmen.

Damit kam der größte Augenblick in Stosch’s Leben. Einst hatte er sich in tiefer Friedenszeit mit seinem Freunde Gustav Freytag über den höchsten Beruf des Mannes unterhalten. Freytag hatte seinem militärischen Selbstgefühl entgegengesetzt, daß die höchste Kraft des Soldaten sich nur in den Wochen bewähren könne, in denen die bürgerliche Gesellschaft nicht in normalen Verhältnissen lebe, und St. hatte dem entgegnet, daß die Zeit des Friedens auch dem Soldaten die Periode sei, wo er still säe, was auf den Schlachtfeldern geerntet werde. Schon im J. 1866 hatte er, wie er in einem Briefe in den „Grenzboten“ darlegt, das Wonnegefühl der Ernte gehabt. „Durch unser Herz ziehen die größten Empfindungen, welche einem Menschen vergönnt sind“, schrieb er damals. Aber im J. 1866 stand er selbst noch in zweiter Linie. In den drei Wochen vom 27. November bis 19. December 1870 brachte er nun die reichste Ernte seines eigenen Lebens in die Scheuern, indem er selbst in den Gang der Weltgeschichte eingriff. Das größte Verdienst um die Herbeiführung der so enorm wichtigen Entscheidung, daß die Versuche, Paris zu entsetzen, schließlich fehlschlugen und der namhafteste General der französischen Republik, Chanzy, den deutschen Waffen erlag, hat zweifellos der Generallieutenant Albrecht v. Stosch gehabt, dem es vornehmlich zu danken war, daß die Schlachten von Loigny-Poupry am 2. December und von Beaugency-Cravant am 8.–10. December geschlagen und gewonnen wurden. Die Schlacht von Loigny-Poupry war der größte Sieg, den die deutschen Heere im Feldzuge von 1870 in freiem Felde über die französische Republik errangen. Es stritten dort die 17. Division (Mecklenburger und Hanseaten unter Generallieutenant v. Tresckow), die 22. Division (Thüringer und Hessen unter General v. Wittich) und das 1. bairische Armeecorps unter General v. d. Tann sowie zwei Cavalleriedivisionen, darunter die des Prinzen Albrecht Vater, im ganzen ungefähr 34 200 Deutsche gegen 87 000 Franzosen. Bei diesen wurden 18 000 außer Gefecht gesetzt, während die Deutschen einen Verlust von 4200 Mann zu verzeichnen hatten. Die strategische Wirkung dieses Sieges der Armeeabtheilung unter dem Großherzog war die Thatsache, daß die in die Defensive verfallene II. Armee unter dem Prinzen Friedrich Karl wieder zur Offensive fortgerissen und Orleans zurückerobert wurde. Die Armeeabtheilung zog noch in der Nacht vom 4. zum 5. December ohne Wissen des Prinzen Friedrich Karl in Orleans ein. In der darauf folgenden Schlacht von Beaugency-Cravant leistete St. nach dem Urtheil eines Militärhistorikers vielleicht das Größte mit den unzureichendsten Mitteln in der ganzen neueren Kriegsgeschichte, indem er mit den Truppen der Armeeabtheilung, denen noch auf Stosch’s dringende Vorstellungen die 25. Division zur Unterstützung nachgeschickt wurde, einen an Zahl etwa dreifach überlegenen Feind schlug. In den dreitägigen Kämpfen wurde die Loire-Armee Chanzy’s so gut wie zersprengt. Stosch’s Aufgabe war damit gelöst, die Pariser Cernirungsarmee gerettet und die Belagerung der Hauptstadt konnte ihren ruhigen Fortgang nehmen.

Nie hatte St. so Gelegenheit gehabt, die unschätzbare Eigenschaft, die ihm eignete, zu offenbaren: daß er in kritischer Lage nicht im Entschluß gelähmt wurde, sondern dann gerade die Dinge am klarsten beurtheilte und am schnellsten zu handeln wußte. Seine Errungenschaft trat um so mehr in die Erscheinung, als schon vor ihm einer der befähigtsten Generalstabsofficiere, der Oberst v. Krenski, in das Hauptquartier des Großherzogs von Mecklenburg geschickt war, um diesem in seinen Verlegenheiten beizustehen. Krenski hatte aber nicht zu helfen [593] vermocht, sondern die Situation eher noch verschlimmert. Sowie St. erschien, kam Sicherheit in die Operationen, die sich bis dahin durch ihre „Quecksilbrigkeit“ ausgezeichnet hatten. Mit wahrem Glücksgefühl ging er an die Lösung der ihm gewiesenen Aufgabe. „Ich kann gar nicht sagen, wie dankbar ich dem lieben Gott bin, daß er mich zur Truppe zurückgeführt hat“, meldete er gleich in den ersten Tagen nach Hause. Er formirte zunächst das Hauptquartier des Großherzogs, brachte alsdann nicht nur sofort Leben in die Operationen der Armeeabtheilung, obwohl er deren Officiere durch das Kreuz- und Quermarschiren niedergedrückt und die Truppen ermüdet gefunden hatte, sondern er belebte auch die überhaupt wenig starke, jetzt aber besonders tief gesunkene Entschlußkraft des Prinzen Friedrich Karl. Aber es war ein saures Stück Pensum, das er überwinden mußte. Der von Gambetta entfesselte Volkskrieg stellte doch ganz ungewöhnliche Anforderungen an die Gefechtsbereitschaft von Führern und Mannschaften. Nach der Entscheidung schrieb St. den Seinen: „Wir haben härteste Tagelöhnerarbeit geleistet; denn die Franzosen entwickeln eine große Zähigkeit des Widerstandes und werden von Chanzy merkwürdig gut geführt. Die Baiern konnten positiv nicht mehr, und auch der Großherzog fing an, genug zu haben.“ Wie er an Gustav Freytag erzählt hat, sah er in diesen Tagen wohl zuweilen nach der Wintersonne und sehnte den Abend herbei, weil ihm keine Reserven mehr zur Verfügung standen. Am 12. December schrieb er das inhaltsschwere, sein Wesen bezeichnende Wort: „Wir waren Sieger, nur weil wir es sein wollten.“ Der Großherzog von Mecklenburg hatte ihn mit gemischten, ja wohl mit bedrückten Gefühlen empfangen und war manchmal nur schwer an das gegangen, was ihm St. gerathen hatte. Es mußte diesem daher eine schöne Genugthuung bereiten, als der Fürst ihm am Schlusse der Operationen hochherzig die Hand schüttelte und sagte: „Sie haben doch recht gehabt.“

Die glänzendste Genugthuung für St. war es, als ihn der wortkarge Moltke bei seiner Rückkehr nach Versailles am 21. December mit den Worten empfing: „Wir haben Ihre energische Hand gespürt.“ So lautete der Dank des Strategen nach Stosch’s eigener Mittheilung. Nach der Angabe eines anderen Zeugen, des Oberstlieutenants v. Verdy, hat Moltke gesagt: „Wir haben Ihre starke Hand stets durchgefühlt.“ Nach der Angabe eines Militärhistorikers, vermuthlich Fritz Hoenig’s, lautete die Wendung: „Wir haben Ihren starken Arm herausgefühlt. Ihnen verdanken wir die Entscheidung an der Loire.“ Man sieht, die Anerkennung des Feldmarschalls hat sich den Hörern eingeprägt, und das ist natürlich; denn sie wog centnerschwer. St. selbst äußerte voller Frohgefühl: „Ich gehe doch als Soldat und nicht ohne Anerkennung aus dem Feldzuge hervor, und dafür bin ich dem lieben Gott dankbar.“ In der Heimath erfuhren es allerdings nur die wenigsten, daß er die Seele in jenen entscheidungsschweren Kämpfen an der Loire gewesen war.

Inzwischen hatten sich die Verhältnisse vor Paris wegen der Beschießungsfrage aufs höchste zugespitzt. St. selbst hatte bei der Ankunft vor Paris wie Andere geglaubt, daß die Weltstadt ohne Kampf genommen werden könnte. Nach wenigen Tagen dachte er, man müsse es auf einen Sturm ankommen lassen. Ende October packte ihn die Ungeduld darüber, daß noch nicht geschossen wurde. Von der Loire zurückgekehrt, sah er, daß die Angelegenheit der Beschießung noch nicht vom Flecke gekommen war. Er übte nach seiner Art eine schonungslose Kritik an dieser Saumseligkeit: „Wir haben zu lange getrödelt und Paris ist langsam an unserer Schwäche gewachsen. Wo unsere Einschließung Energie zeigt, das ist unter dem thätigen Kronprinzen von [594] Sachsen; hier war Blumenthal bisher jedem Vorgehen hinderlich.“ Schon bei seinem Besuche der Hauptstadt von Frankreich im J. 1865 war er bei Besichtigung der Fortlinien von Paris zu der Ansicht gelangt, daß die Front von St. Denis am leichtesten angegriffen werden könne. Jedenfalls schloß er sich sofort aufs eifrigste der Schießerpartei an. Bei dem Herannahen der Capitulation und des Waffenstillstandes gab es für ihn wieder gewaltig zu thun. Dabei fehlte es denn auch nicht an neuen Conflicten mit Bismarck, den St. in der Zeit der größten Reibungen im Hauptquartier möglichst bei guter Laune zu erhalten gesucht hatte. Um dem Ausbruch einer Hungersnoth bei Uebergabe der Weltstadt vorzubeugen, stellte St. große Vorräthe von Lebensmitteln bereit, mit denen die Pariser versorgt werden sollten. Darüber gerieth Bismarck, dem Jules Favre[WS 7] die Verproviantirung der Stadt als nicht dringlich dargestellt hatte, in Zorn, weil so ein großer Theil der Wagen nicht für den Munitionstransport im deutschen Heere verfügbar war. Die Vorkehrungen Stosch’s erwiesen sich jedoch nachher als zweckmäßig, da Bismarck sich selbst veranlaßt sah, St. um eilige Verproviantirung der Pariser zu ersuchen. Durch Stosch’s Hand ging die Zahlung der Pariser Capitulationsgelder. Er schloß dann auch den Vertrag über die Verpflegung der deutschen Occupationsarmee mit der französischen Regierung ab. Ueber diesen kam es wieder zu einer Meinungsverschiedenheit mit dem Bundeskanzler, bei der Stosch’s Ansicht durch Entscheidung des Königs durchging. Nach Stosch’s Angabe hat Bismarck ihm das nie vergessen.

Neben den rein patriotischen Empfindungen regten sich besonders seit den Kämpfen an der Loire in ihm aufs neue die egoistischen Gedanken. Gleich nach der Rückkehr nach Versailles meinte er, die Episode seiner Feldherrnthätigkeit wäre für seine Stellung von „colossaler Bedeutung“. Dann beschäftigte ihn der Gedanke, daß er in die Lage kommen würde, „in politische Angelegenheiten mit einzugreifen“, und freute sich, daß durch die längere Dauer des Kriegs ein Kriegsjahr mehr in Rechnung käme, was ihm für solche späteren Möglichkeiten von Vortheil sein würde. Als bei den Verhandlungen über die Kaiserfrage der Kronprinz vermittelnd eintrat, fiel ein Theil der Sorge auf ihn. „Ich bin gezwungen, den Sachen selbst näher zu treten. Kurz, ich schwimme oben. Die Welt plagt sich schon wieder mit dem Gedanken, mich zum Minister zu machen“, schrieb er am 15. Januar, und am 22. Januar heißt es in seinen Briefen: „Der Generalintendant ist zu einer sehr gesuchten Person geworden, der überall gestreichelt wird, und heut sogar bei Bismarck ißt.“ Stark beschäftigte ihn der Gedanke, ob ihm eine Dotation zufallen würde. Nach vielem Hin-und-her war er so glücklich, sich eine zu verschaffen. Bei Beginn des Waffenstillstands suchte er sich auf jede Weise die Stelle eines Generalgouverneurs des Elsaß zu besorgen, hatte hiermit aber keinen Erfolg. Mit einiger Ungenirtheit scheint er sich auch an dem „Retten und Rollen“ französischer Kunstwerke aus zerstörten Schlössern betheiligt zu haben. Als Gustav Freytag gegen die von vielen deutschen Officieren geübte Praxis, die vielleicht doch nicht so zweifelsfrei war, als sie und mit ihnen St. aufrichtig meinten, in den „Grenzboten“[1] seine Stimme erhob, schrieb St. ironisch: „Ich habe reuig an mein Herz geschlagen und Freytag geantwortet, daß auch ich Beute nach Hause gesandt habe.“ Anfang März trat der Kronprinz wieder mit dem Ersuchen an ihn heran, er möchte sich nach dem Kriege zu seiner Person versetzen lassen. Dringend und wiederholt bat St., ihn nicht in den Hofdienst zu ziehen, wo er sich verbrauchen würde; man solle ihn lieber an einer einflußreichen Stelle auf dem Laufenden der Ereignisse [595] lassen, dort wäre er nützlicher. Aus dem Gedanken des Kronprinzen wurde nichts.

Mitte März 1871 war St. wieder in der Heimath. Der Brief, den er unter dem 19. aus Berlin über die Heimkehr an Freytag richtete und der zu den schönsten gehört, die St. geschrieben hat, wurde von dem treuen litterarischen Freunde, den St. auch in der Folge vielfach mit militärisch-politischem Material versah, im „Neuen Reich“ veröffentlicht. In Berlin befahl ihn eines Tages der Kaiser in sein Palais und erschloß ihm als dem Vertrauten seines Sohnes sein besorgtes Herz: „Mein Leben geht zu Ende, und es macht mir Sorge, daß mein Sohn der heutigen Regierung so fern steht und gar nicht recht für den Thron vorbereitet ist. Ich fürchte, daß er mit der Negierung des Bestehenden beginnt.“ Im Folgenden drückte er dem General den Wunsch aus, zu veranlassen, daß der Kronprinz sich an den Sitzungen des Ministeriums betheilige. St. versuchte in diesem Sinne auf den Thronfolger einzuwirken, aber vergeblich; und St. konnte ihm nicht ganz Unrecht geben, da es zweifelhaft war, ob der Kronprinz angesichts der beherrschenden Stellung des Reichskanzlers in jenen Ministerialsitzungen irgendwelche Geltung erlangt haben würde. Soviel aber setzte er durch, daß der hohe Herr sich fortan alle staatsministeriellen Arbeiten, Abstimmungen der Minister und die Protokolle über deren Sitzungen zugehen ließ. Dadurch besserte sich die Stellung Friedrich Wilhelm’s zu seinem Vater erheblich.

Obwohl St. glaubte, durch seinen Vertrag mit der französischen Regierung glänzend für die Verpflegung der in Frankreich verbleibenden deutschen Occupationsarmee gesorgt zu haben – und in der That bezogen die deutschen Officiere dank seiner Abmachungen Tagegelder, die ganz ungewöhnlich hoch bemessen waren und den Empfängern Gelegenheit gaben, erhebliche Ersparnisse zu machen –, gab es doch mancherlei Klagen über mangelhafte Versorgung. Ob dabei thatsächlich Massen verdorbenen Specks, der ursprünglich, als er noch frisch war, von den Parisern bei der Capitulation zurückgewiesen wurde, eine Rolle spielten, wie Bismarck erzählt, läßt sich nicht übersehen. Alle diese Dinge werden ja vielleicht noch später einmal actenmäßig ergründet werden können. Zur Abstellung der Klagen wurde St. im Mai 1871 angewiesen, die occupirten Provinzen zu bereisen und nach dem Rechten zu sehen. Nach vierzehn Tagen kehrte er über Karlsruhe, wo er eine längere, anscheinend wichtige Unterredung mit der Großherzogin von Baden hatte, zurück, um an den Einzugsfeierlichkeiten in Berlin theilzunehmen. Wenige Tage darauf erhielt er ein ehrenvolles Commando, indem er dem Befehlshaber der Occupationsarmee, dem General Edwin v. Manteuffel, als Chef des Stabes zugetheilt wurde. Für die demnächst zu erwartende Zeit der Beurlaubung Manteuffel’s sollte er die Vertretung übernehmen. Ihn reizte außer der großen Stellung, die ihm das Commando über eine Armee von 150 000 Mann verlieh, auch die politische Rolle, die er dabei zu spielen hatte. Vor seinem Abgang erfuhr er noch, daß der Kronprinz und Bismarck die Idee verfolgten, ihn zum Marineminister zu machen. Als er sich beim Kaiser abmeldete, erwies sich dieser außerordentlich gnädig. Wohl in Erinnerung an die St. von dem General v. Schack ausgestellte Conduite äußerte er zu ihm: „Warum sind Sie auch für alle Sättel gerecht und können überall Gastrollen geben?“ Triumphirend meldete der so Geehrte seiner Frau: „Also die Zukunft lacht.“ Als er den greisen Herrn wenige Tage darauf abermals in Ems begrüßte, fand er ihn merkwürdig angegriffen. „Mein Eindruck ist, daß er rasch seinem Ende entgegengeht“, schrieb er an Freytag, „und Sie mögen ermessen, welch eine Menge von Reflectionen diese Verhältnisse in mir wachgerufen haben.“ Augenscheinlich [596] glaubte er sich jetzt dem Ziel seiner Wünsche sehr nahe. Doch verhehlte er sich nicht, daß der Zeitpunkt noch etwas verfrüht gewesen wäre. „Noch ist die Person des Kaisers das wichtigste Moment für die Constituirung Deutschlands. Wir können ihn mit der ruhigen Würde seines Alters noch nicht entbehren.“ Und auch den Kronprinzen hielt er noch für zu wenig eingearbeitet.

Am 22. Juli traf er in Compiègne ein, wo Manteuffel im Schlosse Quartier hatte. Eine ungemein interessante Episode seines Lebens begann nun. Eben noch hatte er unter Moltke und als Chef des Stabes des Großherzogs von Mecklenburg wenigstens nominell eine zweite Stellung eingenommen. Jetzt erklärte er gleich: „Es würde mir sehr schwer werden, auf die Dauer im täglichen Geschäft von einem Vorgesetzten abhängig zu werden.“ Er hoffte daher bald an Manteuffel’s Stelle allein die Geschäfte zu führen. Kommt bei dieser Erwägung die Herrschernatur Edwin Manteuffel’s in Betracht, mit der auszukommen nicht leicht war, so läßt jenes Wort doch auch erkennen, wie erheblich das Selbstgefühl Stosch’s gewachsen war. Seit seinen Errungenschaften von 1870 war er in der That kaum noch anders zu verwenden, als an einer leitenden Stelle. Zwar gab er sich alle Mühe, mit dem geistreichen Poseur, der ihm vorgesetzt war, auszukommen, und es ist eine reizende kleine Begebenheit, daß St. das „Neue Reich“ und Freytag benutzte, um Manteuffel gegen Angriffe der Presse in Schutz zu nehmen. Er fand in Manteuffel einen Vorgesetzten, der ihm gewachsen war. „Eins ist mir klar“, schrieb er sehr bald, „ich muß auf meiner Hut sein, damit Manteuffel mich nicht ‚über den Löffel barbiert‘. Er hat eine merkwürdige Art, einem seine Ideen für den Augenblick plausibel zu machen.“ Bald begriff St., daß der Verkehr mit Manteuffel ihm recht nützlich war. Er bekannte, viel von ihm zu lernen: „Ich fange an, auf den künstlichen Wegen der Politik heimisch zu werden.“ Natürlich dauerte es nicht lange, da geriethen die beiden eigenwilligen Männer aneinander. „Ich schwieg noch gerade im rechten Augenblick“, meldete St. seiner Gattin. Am 14. September wurde das Hauptquartier von Compiègne nach Nancy verlegt und gleich darauf ging Manteuffel auf Urlaub. St. hauste nun „im ganzen Komfort eines kaiserlich-französischen Marschalls. Heiterkeit verursachte es ihm, als er von den Freunden erfuhr, daß sie seinen Umgang mit dem Reactionär Manteuffel als unheilvoll für ihn ansahen. Bei Beobachtung der Bismarck’schen Taktik Manteuffel gegenüber empfand er einen wahren Hochgenuß. Während der ganzen Kriegszeit war er stets voller Bewunderung für den Kanzler gewesen, ebenso auch für Moltke. Gelegentlich heißt es in einem seiner Briefe über die Beiden (24. Jan. 1871): „Tadellos in ihrer specifischen Größe bleiben mir allein Moltke und Bismarck.“ Jetzt brach die Bewunderung für den genialen Diplomaten, gegen den St. doch schon recht viel persönlichen Groll angesammelt hatte, wieder mit voller Ursprünglichkeit durch: „Uebrigents habe ich ihn [Bismarck] im Kampf noch höher schätzen gelernt, und man muß die Sicherheit seiner Handlungsweise bewundern. Er manövrirt zum Entzücken schön und von langer Hand mit großen Gesichtpunkten.“ Viel Zeit kostete ihm die Geschäftsführung nicht, seitdem Manteuffel fort war. Er fand dadurch Muße zum Lesen und beschäftigte sich u. a. mit Hartmann’s „Philosophie des Unbewußten“[WS 8]. „Ich calculire dabei das Unbewußte in der Kriegführung“, schrieb er darüber.

Mittlerweile rückte seine Ernennung zum Marineminister heran. Es liegen einige Anhaltspunkte dafür vor, daß das Interesse und das offene Auge, das er zu verschiedenen Malen, so u. a. noch bei der Reise nach Aegypten, für die Marine gezeigt hatte, mitbestimmend dabei eingewirkt hat, um die [597] Wahl bei Besetzung dieses Postens auf ihn zu lenken. Besonders war es der Kronprinz, der dadurch auf ihn verfiel. Hatte St. ihm doch auch nach jener Reise nach Aegypten in einer Denkschrift seine Ansichten über die maritime Wehrmacht dargelegt. Entscheidend war bei dieser Ernennung aber doch sicherlich die oft hervorgetretene ungewöhnliche Verwendbarkeit Stosch’s in jeder Lage, die zuerst General v. Schack betont hatte. Die erst in den Anfängen stehende deutsche Marine hatte damals noch keine Kraft größeren Stiles von der nöthigen umfassenden militärischen und allgemeinen Bildung aufzuweisen, die an die Spitze gestellt werden konnte. Außerdem mußte es der Regierung erwünscht sein, eine besonders energische Persönlichkeit zu gewinnen, die im Stande war, der Marine den Geist des Staatsganzen einzuhauchen und sie aus ihren unfertigen Zuständen schnell herauszuarbeiten. Stosch’s Wahl für den Posten war ohne Frage ein genialer Griff.

Zwar wollte St. – und das ist verständlich –, als es mit der Ernennung Ernst wurde, nicht gern heran. „Für das Marineministerium kann ich mich noch gar nicht erwärmen; es ist ein so sehr fremdes Fahrwasser“, schrieb er am 7. October. Mitte October war es aber bestimmt, daß er den Posten erhielte. Allmählich hatte er sich vertrauter mit dem Gedanken daran gemacht. Am 19. October schrieb er aus Nancy: „Man verhandelt nur noch, wie weit meine Stellung selbständig werden soll, und das hat seine Schwierigkeiten, weil wir im Reich keinen verantwortlichen Minister neben dem Reichskanzler haben. Eigentlich würde das mit meinen Wünschen übereinstimmen, denn ich mag keine verantwortliche Stellung unter Bismarck’s Herrschaft, wo man doch nur nach seiner Pfeife tanzt und der Begriff Verantwortlichkeit ganz hinfällig wird.“ Man sieht, seine hochfliegenden Hoffnungen von früher waren etwas herabgestimmt, da er sah, daß Bismarck’s Stellung einstweilen noch unverrückbar fest war. „Im übrigen“, so fügte er aber jenen Auslassungen selbstbewußt hinzu, „will ich mir meine Stellung schon machen“. Gleich darauf schwankte er wieder, ob er annehmen sollte. Wenn er sich schließlich doch dazu entschloß, so geschah es, weil den energischen Mann wieder gerade die Schwierigkeit der Aufgabe reizte. Das geht aus Aeußerungen zu G. Freytag hervor: „Es ist ein schönes Ding, von Grund auf und zielbewußt schaffen zu können; ich fühle, daß ich noch ein paar Jahre der Leistung vor mir habe, und so will ich gern mir in diesen die Ruhe verdienen, um dann in schöner warmer Gegend das dolce far niente zu genießen.“ Am 26. October 1871 wurde er zur Disposition des Kriegsministers gestellt, der die Anweisung erhielt, ihn in die Geschäfte einzuführen. Am 30. October brach er von Nancy auf, um sich seiner neuen Mission zu widmen.

Seine künftige Stellung wurde so geregelt, daß er Staatsminister werden sollte mit Sitz, aber nicht Stimme im Staatsministerium, den Oberbefehl über die Marine nach den Anordnungen des Kaisers, die Verwaltung aber unter der Verantwortlichkeit des Reichskanzlers führen sollte. Gern hätte er eine unabhängige Position erhalten; aber er sagte sich: „Nach der Reichsverfassung ist nicht viel anderes daraus zu machen, und ich bin zufrieden in der Hoffnung, Bismarck, mit dem ich auf politischem Gebiet nicht kollidiren kann, wird mich in meinem Ressort möglichst ungeschoren lassen.“ Er bereiste Kiel und Wilhelmshaven incognito, um sich die dortigen Marineetablissements anzusehen; Stationschef und Marinewerftdirector waren natürlich ins Geheimniß gezogen. Sodann vertiefte er sich in die Kriegsacten der Admiralität. „Man kommt sich vor wie ein Schuljunge“ schrieb er an Freytag, „aber es muß sein und wird auch Früchte tragen, ich kann doch dann vom ersten Augenblick an mit einiger Sicherheit auftreten.“ Noch steckte in ihm eine tüchtige Portion [598] Streitlust, „Ich kämpfe“, erklärte er Anfang December, „so lange ich ein Amt habe, gehe aber, wenn meine Kräfte verbraucht sind und die Leute sich nicht mehr vor mir fürchten“. Am 31. December 1871 trat er dann seine Stelle unter Ernennung zum Chef der Admiralität an.

Er ergriff die Zügel in der ihm unterstellten Verwaltung mit der ihm eigenen ungewöhnlichen Energie. Seine Untergebenen mußten scharf heran und „kurze Denkschriften zu seiner Information“ liefern. Immer war sein Auge auf das Wesentliche gerichtet und immer wußte er die einfachsten Mittel zu finden, die zum Ziele führten. Vor dem Reichstage hat er einmal ein Wort ausgesprochen (13. September 1878), das ihn so recht charakterisirt, zumal da er es einer parlamentarischen Versammlung ins Gesicht sagte: „Wer je fest etwas gewollt hat, wird mir zugeben, daß in seinen Handlungen durch Majoritäten sich bestimmen zu lassen die sicherste Garantie ist, überhaupt nicht zu handeln.“ Schon Ausgang Januar 1872 war eine neue Geschäftsordnung für die Centralbehörde hergestellt. Sie wurde in eine militärische, eine technische und eine Oekonomieabtheilung zerlegt, zu denen das Auditoriat und das hydrographische Bureau traten. Am 1. Februar 1872 brachte er aus einem Vortrage beim Kaiser die Bestimmung mit, daß sich die Marine in Zukunft „Kaiserlich“ statt „Königlich“ zu nennen habe. Eine erste größere Arbeit widmete er dem Entwurf einer Dienstanweisung für das von ihm neu geschaffene hydrographische Bureau, für das er eine besondere Vorliebe an den Tag legte. Die Grundlage für seine ganze Wirksamkeit als Chef der deutschen Marine wurde bald ein Flottengründungsplan. Unter dem 9. November 1867 war bereits einmal ein solcher vorgelegt worden. Ueber seine Ausführung wurde zu Anfang des Jahres 1872 in einer Denkschrift, an deren Ausarbeitung St. noch nicht wesentlich mitgewirkt hatte, berichtet. Jener Plan war durch die Ereignisse völlig überholt und ganz veraltet. St. selbst ging nun an die Ausführung eines neuen. Dieser ist in einer eigenhändig von ihm herrührenden „Denkschrift betr. die Entwickelung der Kaiserlichen Marine und die sich daraus ergebenden materiellen und finanziellen Forderungen“ enthalten.

Diese umfassende Denkschrift legte St. am 5. November 1872 dem Reichstage vor (im Druck weicht sie etwas ab von seiner eigenen Niederschrift). Er führte darin zur Begründung eines neuen Flottenplans aus, daß der deutsche Seehandel außerordentlich an Bedeutung zugenommen habe, daß ferner die Machtentwicklung des deutschen Reiches die im Auslande lebenden Deutschen wieder zu Deutschen gemacht habe: „sowohl diejenigen Deutschen, welche den heimathlichen Verband auf auswärtigen Handelsniederlassungen erhalten haben, sowie die ganz ausgewanderten Deutschen suchen eine Anlehnung an das Deutsche Reich in einer Ausdehnung, wie sie 1867 nicht vorherzusehen war.“ „Wenn an den Westküsten Südamerikas eine der vielen Revolutionen zerstörend in das tägliche Leben eingreift, wundern sich die in jedem Ort dort lebenden zahlreichen Deutschen, daß das mächtige Vaterland ihnen nicht schützend zur Seite steht. Kurz, Deutschland, das früher im eigensten Lande nicht zu finden war, zeigt sich jetzt in allen Gegenden, ja man könnte sagen in allen Winkeln der Erde, und will sich geltend machen als in das Leben dieser Welt überall mächtig eingreifend. Daß dieses Sichregen der Deutschen an allen Ecken und Enden den Widerstand bei allen den Elementen erweckt, welche bis dahin die unbedingten Herren waren, bedarf wohl nur der Andeutung.“ Daraus ergäbe sich die Forderung, daß mehr zum Schutz und zur Vertretung des Seehandels auf den Meeren geschehen müsse, als 1867 verlangt worden wäre. Zur Erfüllung der zweiten, schon [599] 1867 aufgestellten Forderung, „Vertheidigung der vaterländischen Küsten“, müsse noch sehr viel geschehen. Diese Küstenvertheidigung könne so lange nicht geführt werden, als nicht ein Nordostseecanal gestatte, die Schiffe auf einer inneren Linie zu bewegen, ohne die von den Dänen beherrschten Wasserstraßen zu passiren. Drittens gälte es zur Erfüllung der auch schon 1867 gestellten Forderung der Entwicklung des eigenen Offensivvermögens, wesentlich größere Mittel, als früher vorgesehen, flüssig zu machen. Allerdings habe die deutsche Flotte nicht die Aufgabe, gegen die großen europäischen Staaten offensiv zu verfahren, „sondern sie soll nur dahin unsere Macht tragen, wo wir kleinere Interessen zu vertreten haben und wo wir die eigentliche Macht unseres Staats, die Landmacht, nicht anders hinbringen können. Wir müssen die Mittel haben, schützend auftreten zu können, wo unsere deutschen Interessen unmotivirt verletzt worden sind, wie dies in denjenigen Staaten so leicht geschieht, wo die Leidenschaften des Einzelnen größer sind, als die Macht und die Vernunft des Staates“. Er bezeichnete nun eine Anzahl Aufgaben, die es zu lösen gälte, und verlangte fast 73 Millionen Thaler, d. h. Mehrkosten gegen den Flottengründungsplan von 1867 in Höhe von über 63 Millionen Thaler. Im wesentlichen war es ein Schiffsbauplan. Es wurden viel mehr Panzerschiffe und vor allem Torpedofahrzeuge, die 1867 gar nicht gefordert waren, verlangt. Der Plan fand die Genehmigung des Reichstags, und nach ihm ist in den nächsten zehn Jahren verfahren worden. Zu seiner Durchführung wurden u. a. 18 Millionen Thaler aus der französischen Kriegsentschädigung entnommen.

Ein Merkmal der Verwaltung Stosch’s ist die Thatsache, daß er allmählich den ganzen Schiffsbau vom Auslande unabhängig machte und nur deutsche Werften beschäftigte. Als er sein Amt antrat, wurde bei dem unentwickelten Stande der deutschen Industrie ein wesentlicher Theil der Schiffe noch im Auslande hergestellt. In erster Linie wurde von St. die Weserwerft in Bremen, ferner der Stettiner „Vulkan“, später die „Germania“ in Kiel, die Reihersteig-Werft in Hamburg und Schichau in Danzig berücksichtigt. Um die Panzerplatten nicht mehr aus England beziehen zum müssen, bestimmte St. den Besitzer der Dillinger Hüttenwerke, den späteren Freiherrn v. Stumm, zu Versuchen zwecks Herstellung solcher Panzerplatten. Dillingen zahlte jahrelang Lehrgeld, ehe es mit den englischen Plattenwerken wetteifern konnte. Aber im J. 1877 gelangen die Versuche endlich vollständig nach Wunsch.

Auf den höchsten Standpunkt ist unter St. das Torpedo- und Minenwesen gebracht. Sein Nachfolger, General v. Caprivi, durfte in dieser Beziehung mit Recht sagen, daß es zur Zeit nichts Besseres gäbe. Erst wurden die Torpedofahrzeuge bei dem Erfinder Whitehead in Fiume hergestellt. Allmählich aber bewirkte es St., daß die deutsche Firma Schwartzkopff die Torpedos für die deutsche Marine lieferte. Im J. 1879 wurden die ersten Schießversuche angestellt, am 14. Juli 1880 führte St. die Waffe dem Kronprinzen vor, dabei diente der Veteran der deutschen Flotte, „Barbarossa“, als Ziel. Noch war St. damals nicht befriedigt; das war erst der Fall am 17. September des nächsten Jahres, als er vor dem Kaiser den Torpedoschuß abgab. Noch wichtiger wie die große Entwicklung der unterseeischen Angriffswaffe war unter Stosch’s Verwaltung aber die Herstellung von vier Ausfallscorvetten der „Sachsen“-Classe. Von Bedeutung waren auch die großen Hafenbauten, die unter seiner Verwaltung vorgenommen wurden. Im Flottengründungsplan sah St. nur zwei auswärtige Stationen vor, in Ostasien und Westindien. Die Entwicklung brachte es mit sich, daß er auch in Westamerika, in Australien und im Mittelmeer [600] Stationen errichten mußte. Eine große Schöpfung war ferner das 1878 in Gebrauch genommene Marinelazareth in Yokohama.

Ein gewaltiges Arbeitsgebiet erwuchs St. in der Regelung der Beamtenverhältnisse. Zunächst ging er an eine Reform des Ingenieurcorps, das er gesellschaftlich zu heben suchte. Das Officiersmaterial war stark durchsetzt mit Seeleuten aus der Handelsmarine, bei denen das seemännische Wesen und die militärische Auffassung im Widerstreit lagen und der auf geringerer Disciplin beruhende Seemannston nur zu oft das Herrschende war. Um hier Abhülfe zu schaffen, gründete St. die Marineakademie, die bereits am 5. März 1872 ins Leben trat. Er traf dann Neuerungen in der Heranbildung des Officiersersatzes. Es wurde die zweijährige Auslandsreise auf dem Kadettenschulschiff eingeführt. Auf großen Widerstand bei der Marine stieß er, als er zur Schaffung von Mannschaftsersatz die Einstellung auch nicht seemännischer Freiwilliger anordnete bei Uebernahme vierjährigen Frontdienstes. Er führte die Neuerung jedoch durch. Noch mehr Widerstand fand er bei seinen Untergebenen bei seinen zahlreichen Versuchen, die militärischen Anschauungen auf die Marine zu übertragen. Er unternahm das mit einer gewissen Ostentation. Als er bei seinem Amtsantritt über eine Instruction für einen Schiffscommandanten ein Gutachten erhielt, kritisirte er es mit den Worten: „In dem Urtheil steckt nicht die Spur eines Soldaten“, es „fehlt jede soldatische Anschauung“. Im April 1874 entwarf er eine Dienstanweisung zur Regelung des Geschwaderdienstes, die lediglich vom Gesichtspunkte der militärischen Disciplin eingegeben war. Dabei war besonders charakteristisch das Begleitwort, daß er ihr mitgab: „Ich habe in der Anlage flüchtig zusammengeschrieben, wie nach meiner Ansicht die Instruction für den Geschwaderchef zusammenzustellen und abzufassen ist. Ich wünsche, daß hiernach ein Concept bearbeitet wird und dem betreffenden Decernenten zur baldigen Correvision zugeht, wonach es dann zu vervollständigen und mir zur Genehmigung vorzulegen ist. Ich bemerke, daß mein Concept sachlich durchaus festzuhalten ist, ich stelle nur Vervollständigung, sachliche Ordnung der Materie und Correctur des Stils sowie der technischen Ausdrücke und Anschauungen anheim.“ Diese Dienstanweisung erregte bei den Seeofficieren das stärkste Befremden. Eine daran geübte Kritik wies St. aber gelegentlich scharf zurück, und die Dienstanweisung erhielt am 15. Februar 1876 die kaiserliche Sanction. Als er einmal nicht verstanden war, bemerkte er kalt: „In diesen militärischen Dingen spreche ich natürlich eine andere Sprache, als die Herren, welche in der Marine groß geworden sind.“ Stark betheiligt war St. ferner an der Ausarbeitung einer Seetaktikordnung, die am 29. Februar 1876 vom Kaiser genehmigt wurde. Nur unter großen Reibungen vollzog sich die Reform der Intendantur, bei der St. thatsächlich zu sehr an dem Armeemuster festgehalten zu haben scheint. Bei diesem Reformwerk gerieth er auch mit dem Reichskanzler in Conflict. Sein Grundgedanke bei der Ausbildung der Marine, wie überhaupt ein Grundgedanke seines Lebens war es, die Verantwortungsfreudigkeit des Einzelnen zu heben. „Die Lust, Verantwortung zu übernehmen, welche als die erste militärische Tugend angesehen werden muß, darf durch Instructionen nicht getötet werden“, hat er einmal gesagt.

Ein Feld, auf dem St. ständig Reibungen mit dem Reichskanzler hatte, war der auswärtige Dienst. Dem Fürsten Bismarck trieb die Marineverwaltung lange nicht genug Seefahrt, und St. sah sich gezwungen, immer wieder zu hemmen, weil die ihm zur Verfügung stehenden Machtmittel zu geringfügig waren, um den Wünschen des verantwortlichen Leiters der deutschen Politik nachzukommen. So bei Gelegenheit der Ermordung des Hauptmanns Schmidt [601] durch Carlisten im J. 1874, wo das Auswärtige Amt wollte, daß die deutsche Flagge möglichst eindrucksvoll an der spanischen Küste vertreten würde, und Entsendung eines Panzergeschwaders verlangte, während St. die Entsendung der Kanonenboote „Nautilus und „Albatroß“ für genügend erachtete. Er drückte dem Auswärtigen Amt den Wunsch aus, ihm „nicht den Marinetheil zu bezeichnen, welcher zu verwenden, sondern die Aufgabe, welche zu lösen sei“. Vielleicht hatte er in diesem Falle bei den mangelhaften Kräften der Marine Recht; der Kaiser ließ es bei der Entsendung der Kanonenboote bewenden. Als am 5. Mai 1876 die Consuln von Deutschland und Frankreich in Saloniki ermordet wurden, entsandten nicht nur Frankreich, sondern auch England und Italien große Geschwader, St. entfaltete jedoch anfangs nur eine geringe Macht. Ja, er verhinderte es sogar, daß der sehr bewegliche Capitän Zembsch vom „Nautilus“ in Action trat. Erst als Bismarck einen Druck ausübte, entsandte er ein größeres Geschwader, das er bald nach der ersten Beruhigung der Mohammedaner wieder zurückgezogen haben würde, wenn nicht Bismarck darauf bestanden hätte, daß einige der Panzer dablieben, die dann auch noch genug zu thun bekamen. Glatter wickelte sich die Regelung eines Zwischenfalles in Nicaragua im J. 1878 ab, bei dem St. sehr dabei war, Schiffe zu verwenden, und bei dem es durch genügende Machtentfaltung schnell gelang, die deutschen Forderungen durchzusetzen. Großentheiles scheint es sich bei jenen Differenzen mit Bismarck über die Verwendung von Schiffen im Auslande um das Bestreben Stosch’s gehandelt zu haben, sich nicht die Directive über seine Schiffe vom Auswärtigen Amt aus der Hand winden zu lassen, d. h. es wird ein gut Theil Eigenwilligkeit und Eigensinn dabei im Spiele gewesen sein. Bismarck spottete wohl über die Sparsamkeit, die St. bei der Verwendung von Schiffen im Auslandsdienst beobachtete – St. nannte das Haushalten mit den Kräften –: „wir haben eine Flotte, die nicht fahren kann, und dürfen deshalb keine verwundbaren Punkte in fernen Welttheilen haben“. Sicherlich verlangte der Kanzler aber zu viel von der jungen deutschen Kriegsmarine.

Eine cause célèbre allerersten Ranges, bei der Stosch’s ganzes, der Marine aufgezwungenes stramm militärisches System eine schwere Niederlage erlitt, war das große Unglück, das am 30. Mai 1878 die deutsche Flotte durch den Untergang des Panzerschiffs „Großer Kurfürst“ auf der Rhede von Folkestone betraf. 256 Officiere und Mannschaften fanden dabei in den Wellen ihren Tod. Der Materialschaden betrug über 7 Millionen Mark. Das Schiff hatte ungeübte Heizer, mangelhafte Kohlen und war in jeder Weise unvorbereitet, um im Geschwader zu fahren, da eine gehörige Einübung der Mannschaften für die verschiedenen Manöverrollen nicht stattgefunden hatte. Die gerichtliche Untersuchung über die Begebenheit währte anderthalb Jahre und endete schließlich mit der Verurtheilung des Geschwaderchefs Admiral Batsch zu sechs Monaten Gefängniß, während der Capitän des Schiffes, Graf Monts, zuletzt freigesprochen wurde. In Wirklichkeit war das System Stosch’s die Ursache des Unglücks. Er verlangte das Unmögliche, indem er Armeeanschauungen allzu unvermittelt auf Marineverhältnisse übertrug und z. B. schon damals verlangte, daß ein Panzerschiff 1. Classe acht Tage nach der Indienststellung seeklar sein müsse, wo doch das Schiff bei der Indienststellung völlig leer und die Mannschaften durchaus fremd waren. Die öffentliche Meinung hatte ein unbestimmtes richtiges Gefühl dafür, daß St. die Verantwortung traf. Das Wort vom „System Stosch“, das die Ueberspannung aller Kräfte im inneren Dienst bezeichnen sollte, klang ihm seitdem immer böse ins Ohr. Immer wieder mußte er im Reichstage Rede stehen über den [602] Untergang des „Großen Kurfürsten“. Seine kurzen und schroffen Reden befriedigten gar nicht. Zwar ignorirte er Beleidigungen in der Presse. „Ich habe gar kein Gefühl für solche Sachen“, schrieb er an den Rand eines Schriftstücks, das ihm zur Klage rieth. Aber es war nicht zu verkennen, daß dieses schwere Mißgeschick ihm die Lust und Freude an seiner Verwaltung einigermaßen raubte. „Die Pamphletisten sollten mir meine Freiheit geben, und nie will ich wieder auf der großen Bühne erscheinen“, schrieb er. Seit dem Jahre 1880 klagte er öfter über Amtsmüdigkeit.

Nebenher gingen die Conflicte mit Bismarck besonders im Reichstage. Im December 1875 kam St. in der Budgetcommission beim Marineetat einem Antrage des Abgeordneten Eugen Richter-Hagen entgegen, indem er in die Herabsetzung einer von der Regierung verlangten Forderung, für die sich der Minister Delbrück lebhaft eingesetzt hatte, einwilligte. Schwerlich war er zu dieser Concession befugt. Denn er war nicht die entscheidende Instanz bei Marineverwaltungsangelegenheiten. Wie es heißt, kam Delbrück wegen dieser Sache um seinen Abschied ein. Später, am 10. März 1877, knüpfte Bismarck daran in einer Rede vor dem Plenum an. Ihm war St. ohne Frage damals als muthmaßlicher Nebenbuhler und Vertrauter des Kronprinzen unbequem geworden. Er witterte in jener Zeit ständig in ihm das Haupt eines künftigen deutschen Ministeriums Gladstone, das sich aus liberalen und ultramontanen Elementen zusammensetzte. Namentlich in der Haltung eines Theils der damaligen nationalliberalen Partei, der sich um den Abgeordneten Heinrich Rickert gruppirte, im Culturkampfe und dessen Liirung mit St. glaubte er die Ansätze zu einer solchen liberal-katholischen Regierung zu erkennen. Jene eigenmächtige Concession Stosch’s gegenüber dem Führer der Fortschrittspartei bot ihm eine Handhabe, um ihm einen wuchtigen Schlag zu versetzen und ihn womöglich aus dem Ministerium auszuschalten. Er meinte, der leichte Erfolg Richter’s St. gegenüber hätte ihn überrascht. Er, der Kanzler, hätte selbst einen ähnlichen Erfolg der Marineverwaltung gegenüber in den Monaten, die der Vorlage vorausgingen, vergeblich zu erstreiten versucht. Er hätte einen monatelangen, mit vielem dialektischen Aufwande geführten Kampf gehabt, um eine höhere Forderung der Marineverwaltung bei der Reichsfinanzverwaltung (32 statt 28 Millionen) durchzusetzen, aber vergeblich. Er hätte daher zu seinem Bedauern die Forderung der Marineverwaltung nicht erfüllen können. Nachher hätte sich diese aber ganz leicht zu weiteren Abstrichen bewegen lassen. St. antwortete auf diese Bloßstellung mit seinem Abschiedsgesuch (12. März) und verlangte von Bismarck eine schriftliche Erklärung, daß er ihn nicht habe beleidigen wollen und das seine Darstellung des Verhältnisses zwischen ihnen, dem Kanzler und dem Chef der Admiralität, keine vollkommen zutreffende gewesen sei. In einer parlamentarischen Soirée vom 17. März erzählte Bismarck das seinen Gästen und meinte, er werde diese Erklärung nicht abgeben, da er nicht gesonnen sei, in dem Streit mit St. nachzugeben. Am 25. März lehnte der Kaiser Stosch’s Abschiedsgesuch ab. Darauf reichte Bismarck selbst unter dem 27. sein Entlassungsgesuch ein, das er am 2. April wiederholte. Am 7. April erging darauf das „Niemals“ des Kaisers.

Ob die Veranlassung zu dieser Kanzlerkrisis in dem Ausgang jenes Streits mit St. liegt, wie man wohl annehmen möchte, steht freilich dahin. Die „Grenzboten“, die jetzt von dem Handlanger Bismarck’s Moritz Busch bedient wurden, bestritten das bestimmt, und es mag sein, daß der Ausgang der Angelegenheit nur mitwirkte, den Kanzler amtsmüde zu machen. Auch entzieht sich unserer Kenntniß, ob dieser Conflict zwischen Bismarck und St. [603] zusammenhängt mit dem von St. in seinen Denkwürdigkeiten erwähnten, den er in das Jahr 1876 setzt. Bei dem Conflict, dessen St. gedenkt, griff der Kanzler, nach Stosch’s Angabe, auf dessen Vertrag wegen der Verpflegung der deutschen Truppen vom 11. März 1871 zurück und forderte das Reichsjustizamt auf, die Anklage gegen St. zu formuliren, weil St. durch jenen Vertrag mit Bewußtsein und gegen seine ausdrückliche Anweisung die Interessen des Reichs geschädigt hätte. „Die Anklage“, so erzählt St. weiter, „wurde nur durch den Umstand hinfällig, daß der Vertrag von Ferrières in das Frankfurter Friedensinstrument Aufnahme und somit des Kanzlers Zustimmung gefunden hatte.“

Es ist nicht verwunderlich, daß die beiden Staatsmänner nach solchen Vorgängen sich fortan mit äußerster Kühle gegenüberstanden. Wie damals schon, auch im Hinblick auf diese Dinge, Treitschke in einem Schreiben an G. Freytag hervorhob, konnte Bismarck keinen selbständigen Charakter neben sich ertragen. „Ich rathe keinem Freunde, seinen Kopf in diese Schlinge zu stecken“, schrieb der geistvolle Historiker in diesem Zusammenhange. St. aber war so unvorsichtig. Im J. 1878 sah Bismarck ganz deutlich das deutsche Ministerium Gladstone in der Bildung begriffen, und zwar meinte er, es würde sich auf den Einfluß der Kaiserin und des Hausministers v. Schleinitz[WS 9] sowie des kronprinzlichen Hofes stützen und man rechne dabei auf den Eintritt des Grafen Botho Eulenburg[WS 10]. Auch Friedenthal[WS 11] und Otto Camphausen sah er neben St. und Rickert darin, ebenso einige Vertreter der höfischen Ultramontanen. An eine Haltbarkeit eines aus so verschiedenen Elementen zusammengesetzten Ministeriums glaubte er natürlich nicht. Er meinte später, diese Frage hätten sich die Interessenten schwerlich vorgelegt. Ihr Ziel sei zunächst gewesen, ihn zu beseitigen. Daß die Combination schließlich gescheitert wäre, hätte daran gelegen, daß weder König noch Kronprinz dafür zu haben gewesen wären. In wieweit Bismarck hierbei in irrigen Vorstellungen befangen war, läßt sich heut noch nicht erkennen. Wir tappen, gerade was diese Dinge anbelangt, vorläufig noch vollkommen im Dunkeln. Fast möchte man annehmen, daß Bismarck sich täuschte. Denn nach dem St., wie er uns in seinen Denkwürdigkeiten entgegentritt, zu urtheilen, war er nicht der Mann, der sich mit Theoretikern wie Rickert und Bunsen auf ein politisches Bündniß einlassen konnte, das auch nur einige Zeit währen sollte. Dazu war St. doch viel zu realpolitisch und praktisch, zu positiv und preußisch veranlagt. Allerdings zeigen die Denkwürdigkeiten des Generals, daß er mit dem Culturkampf und der Polenpolitik Bismarck’s nicht einverstanden gewesen ist, und das er den Katholiken gegenüber eine wohlwollende Haltung einnahm. Unbestritten waren ferner auch die Beziehungen Stosch’s zu den liberalen Parlamentariern Rickert, Georg v. Bunsen und Max v. Forckenbeck. Es ist möglich, daß der Wille zur Macht beide Theile, sowohl St. wie die liberalen Parlamentarier, geneigt machte, sich untereinander Concessionen zuzugestehen, wenn sie ans Ruder gelangten. Und als zweifellos darf man wohl annehmen, daß St. gern den Platz des Reichskanzlers eingenommen hätte. Die Thatsache, daß St. seit 1872 dem Kronprinzen ständig über die Staatsministerialsitzungen Bericht zu erstatten hatte, beweist zur Genüge, daß er nach wie vor das Vertrauen des Thronfolgers besaß, und läßt annehmen, daß er dessen politische Anschauungen wesentlich beeinflußte, wenn nicht bestimmte. Auszüge aus jenen Berichten über die Ministerialsitzungen bilden den Haupttheil der bisher noch unveröffentlichten Stücke seiner Denkwürdigkeiten.

St. erschien dem Reichskanzler deswegen besonders gefährlich, weil dieser recht wohl Stosch’s Begabung kannte. In seinen „Gedanken und Erinnerungen“ [604] hebt der so wenig zur Anerkennung neigende Fürst doch Stosch’s Talente hervor. Um St. zu Falle zu bringen, hat er mehr wie eine Preßpolemik herbeigeführt; so im November 1878 in der „Kölnischen Zeitung“, so im März 1880 in den „Grenzboten“. Eine Stoschische Eigenmächtigkeit, wegen der er den General auch zur Rede stellte, erblickte er darin, daß dieser mit dem Auslande einen Vertrag wegen der Hebung des Panzerschiffs „Großer Kurfürst“ abgeschlossen hatte, ohne den Reichskanzler hinzuzuziehen. Wie der spätere Minister Robert Bosse[WS 12] berichtet, wurde St., trotzdem er Staatsminister war, in jener Zeit gar nicht zu den Sitzungen des Staatsministeriums eingeladen. Die demonstrative Stellung, die St. selbst gegen Bismarck einnahm, befremdete Bosse, der sie aus der Nähe beobachten konnte, nicht wenig. Er meinte dazu: „Entweder muß er tiefer liegende, sittliche Gründe haben oder sein Verhalten ist kindischer Trotz.“

Erst eine Meinungsverschiedenheit mit dem Kaiser in der Frage der Steuerfreiheit der Officiere führte schließlich den Rücktritt Stosch’s vom Amte herbei. Er erfolgte am 20. März 1883 zu einem Zeitpunkt, zu dem Stosch’s Flottengründungsplan so gut wie durchgeführt war. Der hohe Herr hatte sich stets sehr gnädig gesinnt gegen ihn erwiesen. Im J. 1874 hatte er ihn noch dadurch geehrt, daß er das Fort Jägersberg nach ihm benannte. Am 22. März 1875 beförderte er ihn zum General der Infanterie, am 22. September desselben Jahres stellte er ihn mit dem Range eines Admirals à la suite des Seebataillons. Am 18. Januar 1878 verlieh er ihm das Großkreuz zum Rothen Adlerorden, am 17. September 1881 den Schwarzen Adlerorden. Nur ungern trennte er sich von Stosch’s Mitarbeiterschaft. Das zeigt das Schreiben, daß er St. auf dessen am 7. März eingereichtes Abschiedsgesuch zugehen ließ. „In kaum zu hoffender Weise“, so bezeugte er ihm darin, hätte er „die Entwicklung der jungen Marine“ gefördert. Er hätte sie „in feste Systeme und sichere Bahnen“ gebracht, und „in der That Ungewöhnliches“ geleistet. Kein Zweifel, daß St. seine Aufgabe als Marineminister, trotz aller Fehlgriffe und trotz einer gewissen Ueberspannung seines Systems ruhmvoll gelöst hatte. Nicht nur das Material der Flotte hatte er zeitgemäß entwickelt, er hatte auch Officieren und Mannschaft einen einheitlichen Geist einzuhauchen gewußt, den stolzen, mannhaften Preußengeist, in dem er selber lebte und webte. Seit seiner Verwaltung besteht erst eine engere bewußte Wesensgemeinschaft zwischen dem deutschen Landheer und der deutschen Marine. St. hatte sich seinem Amte mit ganzer Seele gewidmet. So wurde ihm denn das Scheiden daraus trotz allem schwer. „Nun ist mir etwas öde zu Muthe“, klagte er seinem Freunde und Kameraden Hollmann. In den Listen der Marine wurde er à la suite des Seebataillons fortgeführt.

Als in der Folge die Idee der deutschen Colonisation mehr in den Vordergrund trat, da gingen ihm die damit verknüpften Fragen viel durch den Kopf. Schon im J. 1883 schrieb er das prophetische Wort nieder: „Wenn wir Colonien haben wollen, sollten wir eine Festsetzung in China ins Auge fassen. China muß an der Berührung mit Europa zerfallen.“ Im J. 1886 setzte er eine Denkschrift auf: „Die deutsche Marine und die Colonisation“, in der er betonte, daß durch die Inangriffnahme der Colonisation eine Vergrößerung der Marine nothwendig würde. „Das sichtbare Heraustreten der deutschen Macht in die Weltsphäre“, so hieß es darin, „und das Verbinden unserer Macht mit den Handelsinteressen der Deutschen in allen Welttheilen müssen unserer Marine Aufgaben stellen, denen ihre heutige Stärke nicht entspricht. Diese paßt auf den im Jahre 1873 vorgelegten Gründungsplan, aber wie klein war damals noch die deutsche Welt!“ Mit Bedauern constatirte er, daß [605] die seemännische Bevölkerung Deutschlands zurückginge. Das dürfe aber nicht abhalten, die Kriegsmarine zu verstärken. Er schlug vor, zur Begünstigung der Colonisation, dem Beispiel der Franzosen entsprechend, Erleichterungen in der Militärdienstpflicht zu schaffen. Bis zuletzt widmete er den Wetterberichten der Seewarte ein besonderes Interesse. Sie wurden ihm regelmäßig übersandt. Er hielt, da die deutsche Marine sich mehr qualitativ als quantitativ vor den anderen Marinen auszeichnen konnte, die wissenschaftliche und litterarische Thätigkeit in ihr für besonders wichtig. Mit einiger Sorge verfolgte er die ostentative Art, mit der Wilhelm II. die Vergrößerung seiner Flotte betrieb. „Der Kaiser hat nun richtig, wie der Reichskanzler erwartet, in seinem Toaste die Marineforderung in die Welt geschleudert und die Welt in Unruhe versetzt.“ Seine letzten Wünsche begleiteten die kräftige Entwicklung, die die Marine unter dem thatkräftigen Regiment dieses Monarchen nahm. Als ihm der damalige Staatssecretär für die Marine, Hollmann, das Werk von Wislicenus über die deutsche Kriegsflotte zugesandt hatte, schrieb er dem Freunde im Januar 1896: „Ich habe bei der Durchsicht in Vergangenheit und Zukunft geschwelgt; werde das Aschenbrödel durch Ihren Zauber zur mächtigen Königin.“

Seit seiner Verabschiedung hatte er sich auf das von der ihm verliehenen Dotation erworbene Weingut zu Oestrich im Rheingau zurückgezogen. Das „Haus Stosch“ wurde von ihm aus einem kleinen Wohnhause zu einer geräumigen Villa umgeschaffen. Obwohl es dicht am Rheine lag, war die übrige Gegend doch recht reizlos. Der Garten, den er anlegte, bot auch gar nichts Einladendes. Die ihn kannten, erklärten sich die Wahl der Gegend und die Art, wie er sich darin einrichtete, aus Stosch’s im Grunde prosaischer Natur, deren er sich selbst wohl bewußt war. Gestand er doch gelegentlich ziemlich offen ein, daß ihm die Poesie fern läge. Als er durch Erbschaft in Besitz größerer Geldmittel gelangte, kaufte er noch einige Weinberge hinzu. Das ganze Besitzthum brachte er in einen vortrefflichen Zustand, auch hier ein tüchtiger Mann der Praxis. Sehr bald beschäftigte er sich mit dem Gedanken an die Niederschrift von Memoiren seines Lebens. Man merkt an der Ausgabe, die sein Sohn Ulrich nachher veranstaltete, Ansätze zu dieser Arbeit bereits aus dem Jahre 1884. Er erbat sich zu diesem Zwecke von seinen Freunden, insbesondere von Holtzendorff, Gustav Freytag, Karl v. Normann und dem Amtsrath v. Rosenstiel die Briefe, die er an sie gerichtet hatte, zurück, um sie als Unterlage zu benutzen. Etwa im J. 1890 mögen diese Denkwürdigkeiten von ihm zu einem gewissen Abschlusse gebracht sein. Nicht ohne Fehler und zweifellos sehr geschickt zurechtgestutzt, sind sie doch eine der ausgezeichnetsten Quellen zur Geschichte der Bismarck’schen Zeit, in der man immer wieder mit Genuß lesen wird und an der die darin zu Tage tretende ungeschminkte Offenheit der Sprache, die diesem Charakter eigenthümlich war, außerordentlich fesselt. Mit seltsamen Gefühlen mag St., der so leidenschaftliche Machtgelüste gehegt hatte und schließlich doch nur in begrenztem Maßstabe hatte herrschen können, den allgemeinen Gang der Politik verfolgt haben. Als er Bismarck’s große Rede vom 6. Februar 1888 las, da faßte ihn noch einmal die ganze gewaltige Größe dieses Mannes, der ihm wie ein Felsblock den Weg versperrt hatte, und er schrieb an Karl v. Normann: „Ich kann ihn nicht lieben, aber ich muß ihn bewundern mit allen meinen geistigen Kräften.“ Als dann aber der Titane stürzte, da war St. doch der erste, der ein Jubellied anstimmte, wie aus Chlodwig Hohenlohe’s[WS 13] classischem Berichte hervorgeht: „St. erzählte mir viel von seinem Zerwürfniß mit Bismarck und war froh wie ein Schneekönig, daß er jetzt offen reden konnte und daß der große [606] Mann nicht mehr zu fürchten ist.“ Eine besondere Freude gewährte es ihm noch in seinen letzten Jahren, daß Gustav Freytag durch seine Uebersiedlung nach Wiesbaden sein Nachbar wurde. Der Verkehr mit dem alten Freunde gestaltete sich nun besonders rege und herzlich. Noch drei Tage vor seinem Tode dictirte der Dichter einen Brief an St. Auch die Kaiserin Friedrich besuchte St. noch im Mai 1895 in Schloß Friedrichshof. Als die Vierteljahrhundertfeier der Siege von 1870 durch das Land ging, da hätte wohl mancher erwartet, daß der Mann, der bei Loigny-Poupry und Beaugency-Cravant die Krisis an der Loire überwand, durch die Verleihung des Feldmarschallstabs geehrt worden wäre. Er hätte ihn mindestens so verdient, wie Andere, denen nachträglich diese Auszeichnung zu Theil wurde. Doch hat man seiner bei den Jubelfeiern auffälligerweise gar nicht gedacht. Am 12. August 1895 feierte er sein 60jähriges Dienstjubiläum. Im October 1895 beging er das Fest seiner goldenen Hochzeit. „Ich spüre das Alter, besitze aber doch noch Lebenslust“, schrieb der 77jährige damals. Als er aber im Januar 1896 aus Berlin, wo er dem Capitel des Schwarzen Adlerordenes beigewohnt hatte, nach Oestrich zurückkehrte, fühlte er sich völlig erschöpft. Am 29. Februar ist er dann einem Schlaganfall erlegen.

Seine Gattin überlebte ihn bis zum 26. Juli 1902; einer der beiden ihn überlebenden Söhne, der Major a. D. Otto v. St., geboren am 11. Juni 1849, folgte ihm schon am 26. Juni 1897 im Tode. Seine ihn auch überlebende einzige Tochter, Luise, geboren am 12. Mai 1854, verheirathete sich mit dem am 6. September 1900 verstorbenen Viceadmiral z. D. Georg Freiherrn v. Hellen. Sein jüngster Sohn, Ulrich, geboren am 10. December 1858, der als Compagniechef im 3. Garderegiment den Abschied nahm, gab seine Denkwürdigkeiten heraus. Zwei Söhne, Albrecht, geboren am 4. September 1847, und Max, geboren am 11. August 1852, waren in frühem Kindesalter gestorben.

Unter der dichten Schar kraftvoller Gestalten im neuen deutschen Reich ist Albrecht v. Stosch ohne Frage eine der namhaftesten gewesen, gleich ausgezeichnet durch Energie wie durch reiche Talente. Gewiß besaß er das Zeug zu einem leitenden Staatsmann. In manchem Zuge erinnert er wohl an Bismarck. Aber er hatte in seiner Natur doch noch mehr das Gewaltsame in sich als der Begründer der deutschen Einheit, und die liebenswürdigen Züge des Gemüths und des Humors vermissen wir in seinem Wesen doch allzusehr. Zu fesseln vermag uns an ihm neben der wuchtigen Thatkraft, der bewundernswerthen Organisationsgabe, der außerordentlichen Vielseitigkeit und dem feinen politischen Augenmaß, das an diesem General zu beobachten oft geradezu Genuß gewährt, vor allem die heiße Liebe zum Vaterlande und insbesondere für sein Preußen, in der er ähnlich wie Bismarck aufgegangen ist. Die egoistische Ader in ihm war zwar auch stark. Er hat unleugbar etwas von einem Streber an sich, um dieses banale, aber doch hier zutreffende Wort zu gebrauchen. Seine eigenen Interessen standen ihm aber doch in zweiter Linie. Wenn wir ihm in der Geschichte des preußischen Staates einen Platz anzuweisen suchen, so kommen wir zu dem Ergebniß, daß in ihm der Geist der preußischen Reformer Scharnhorst und Gneisenau, die Vereinigung von Preußenthum und Liberalismus, zur Zeit Bismarck’s einen glänzenden Vertreter gefunden hat. Die erdrückende Macht des leitenden Staatsmanns hat ihn nicht seiner Bedeutung entsprechend zur Geltung kommen lassen. Drei Mal hat er sich um sein Vaterland in hervorragendem Maße verdient gemacht, das erste Mal, indem er die Verpflegung der deutschen Heere im Kriege gegen Frankreich ins Werk setzte, das zweite Mal, indem er die [607] Schlachten von Loigny-Poupry und Beaugency-Cravant gewann, und das dritte Mal, indem er in langjähriger schwieriger Arbeit die Grundlagen zu einer gedeihlichen Entwicklung der deutschen Marine schuf.

Denkwürdigkeiten des Generals und Admirals Albrecht v. Stosch, ersten Chefs der Admiralität. Briefe und Tagebuchblätter. Herausgegeben von Ulrich v. Stosch. Stuttgart und Leipzig 1903 (und spätere Auflagen). (Auch in der Deutschen Revue 27, 1–4; 28, 1. 2.) – R. Koch (Geh. Admiralitätsrath), Albrecht v. Stosch als Chef der Admiralität. Skizzen aus den Acten. Berlin 1903. – Herman Granier, Biographisches Jahrbuch und Deutscher Nekrolog I, 422–423. – Aus dem Leben Theodor v. Bernhardi’s, Bd. 8. – Gustav Freytag, Lebenserinnerungen. – Batsch (Viceadmiral), Erinnerungen an Stosch, Deutsche Revue 21, 4. – Derselbe, General v. Stosch über die Marine und die Colonisation, Deutsche Revue 22, 1. – Pertz, Gneisenau, Bd. III–V. – Gritzner, Standeserhöhungen. – Grenzboten 1864–1866. – A. Dove, G. Freytag und H. v. Treitschke im Briefwechsel. – Lettow-Vorbeck, Geschichte des Krieges von 1866, Bd. 2. – Tagebücher des Generalfeldmarschalls Graf v. Blumenthal. – Hassel, König Albert, Bd. 2. – Freiherr v. Friesen, Erinnerungen aus meinem Leben, Bd. 2. Dresden 1882. – Fritz Hoenig, Der Volkskrieg an der Loire, Bd. 1–6. Berlin 1893–97. – Kölnische Zeitung 1896, Nr. 196: Nekrolog auf Stosch (Verfasser ist wohl Fritz Hoenig). – Stenographische Berichte des Reichstags 1872–1884. – Paul Koch (Geh. Admiralitätsrath), Geschichte der deutschen Marine. Berlin 1902. – Fürst Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. – Anhang zu den Gedanken und Erinnerungen des Fürsten Bismarck. – Poschinger, Bismarck und der Bundesrath. – Derselbe, Bismarck und die Parlamentarier. – Bismarckjahrbuch VI, 48 f. – Moritz Busch, Tagebuchblätter. – Moltke’s militärische Correspondenz 1866. – J. v. Verdy du Vernois, Im Großen Hauptquartier 1870/71. – Tagebücher Kaiser Friedrich’s. – Der deutsch-französische Krieg 1870/71, redigirt von der kriegsgeschichtlichen Abtheilung des Großen Generalstabes. – Erinnerungen Robert Bosses in den „Grenzboten“ 63, 2 (1904). – Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe. – Ulrich v. Hassel in der Monatsschrift f. Stadt u. Land (Berlin 1903), S. 1183 ff.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 594. Z. 7 v. u. l: in der Wochenschrift „Im neuen Reich“ (statt in den „Grenzboten“). [Bd. 55, S. 901]


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Victoria Adelaide Mary Louisa, Prinzessin von Großbritannien und Irland (1840–1901); nach dem Tod ihres Mannes auch Kaiserin Friedrich genannt, war als erstes Kind von Albert von Sachsen-Coburg und Gotha und Königin Victoria von Großbritannien eine britische Prinzessin aus dem Hause Sachsen-Coburg und Gotha. Als Gemahlin Friedrichs III. war sie zudem Königin von Preußen und Deutsche Kaiserin.
  2. E. v. Stockmar schied zwar 1865 aus dem unmittelbaren Dienst als Privatsekretär aus, ist aber erst 1886 gestorben.
  3. Hermann von Tresckow (1818–1900), 1864–1871 Chef des pr. Militärkabinetts.
  4. Leonhard Graf von Blumenthal (preußischer Generalfeldmarschall (1810–1900).
  5. Oskar von Lettow-Vorbeck (preußischer Generalmajor; Kriegshistoriker; 1839–1904).
  6. Alfonso La Marmora (1804–1878), Politiker und General, 1866 ital. Befehlshaber in der Schlacht bei Custozza.
  7. Jules Claude Gabriel Favre (1809–1880) frz. Politiker, 1870/71 Außenminister in der Regierung der nationalen Verteidigung.
  8. Hauptwerk des Philosophen Karl Robert Eduard von Hartmann (1842–1906), 1869 erschienen.
  9. Alexander Graf v. Schleinitz (1807–1885), jüngerer Bruder von Wilhelm v. Schleinitz.
  10. Botho Graf zu Eulenburg (1831–1912).
  11. Karl Rudolf Friedenthal (1827–1890).
  12. Julius Robert Bosse (1832–1901), 1892–99 preuß. Kultusminister.
  13. Chlodwig Fürst zu Hohenlohe-Schillingsfürst (1819–1901), 1866–1870 bayr. Ministerpräsident, 1894–1900 deutscher Reichskanzler und preuß. Ministerpräsident.