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ADB:Tassilo III.

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Artikel „Tassilo III.“ von Sigmund Ritter von Riezler in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 37 (1894), S. 409–411, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Tassilo_III.&oldid=- (Version vom 26. November 2024, 22:03 Uhr UTC)
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Tassilo III. (nach älterer, unrichtiger Zählung II.), geboren ca. 742 als Sohn des Baiernherzogs Oatilo und der fränkischen Hiltrud, Schwester des Hausmaiers Pipin, der letzte Agilolfingerherzog Baierns 749–788. Nach dem Tode Oatilo’s hatte Grifo, der ehrgeizige Sohn Karl Martell’s von der bairischen Swanehild, Hiltrudens und des unmündigen Tassilo sich bemächtigt und eine unabhängige Herrschaft in Baiern zu begründen versucht. Pipin überwältigte ihn (749) und gab T. unter Obhut seiner Mutter das Herzogthum zurück, doch nur als fränkisches Lehen. In der französischen Heldendichtung, im Charlemagne des Girart von Amiens, leben diese Ereignisse in sagenhafter Entstellung fort; die Rollen sind dort vertauscht, Cassile-Tassilo zum Verräther und Usurpator, Naimes-Grifo, der wackere Held, zum legitimen Landesherrn umgestempelt. Nach Hiltrudens Tode (754) übernahm Pipin, nunmehr König der Franken, allein die Oberleitung. Mit seinen Baiern nahm der vierzehnjährige T. 756 an dem fränkischen Feldzuge gegen den Langobardenkönig Aistulf und der Eroberung Pavia’s theil. Mündig geworden, gelobte er das Jahr darauf auf dem Reichstage zu Compiègne Pipin und seinen Söhnen Vasallentreue. Aber seine Herrschaft schien ihm nicht in Pipin’s Gnade, sondern in seinem Geburtsrecht begründet, und er benützte die erste Gelegenheit, das aufgenöthigte Joch abzuschütteln. Zum vierten aquitanischen Feldzuge (763) hatte er wie vorher in anderen Kriegen die Baiern dem fränkischen Heere zugeführt; plötzlich aber verließ er, wir wissen nicht, wodurch gereizt, das königliche Feldlager mit dem zornigen Schwur, daß er seinen Oheim nie wieder sehen wolle. Achtzehn Jahre regierte er nun völlig selbständig, suchte jedoch bald mit den Franken wieder ein gutes Einvernehmen anzubahnen. Die Vermittlung des Papstes Paul I., die er zu diesem Zwecke anrief, ward zwar durch den Langobardenkönig Desiderius, dem die Spaltung zwischen Baiern und Franken willkommen war, vereitelt. Dann aber vermittelte Abt Sturm von Fulda Freundschaft zwischen T. und Pipin’s Sohne Karl. Dieselbe bestand mehrere Jahre und fand eine Stütze in der Verschwägerung der beiden Fürsten. Wie Karl reichte T. einer Tochter des Königs Desiderius seine Hand: seine Vermählung mit der stolzen Langobardin Liutbirg muß zwischen 765 und 769 angesetzt werden. Vielleicht bei diesem Anlaß erhielt Baiern seine südlichen Alpengaue Norithal und Vinstgau zurück, die unter Grimoald an die Langobarden verloren worden waren. 772 gelang es T., auch das von den Slaven besetzte Kärnten zurückzuerobern, wo nun mit frischer Kraft die unterbrochene Christianisirung wieder aufgenommen ward. In diesem Siege über die heidnischen Slaven und der damit verbundenen Ausbreitung des Christenthums, in Colonisationen und Klostergründungen liegen Tassilo’s Herrscherverdienste. Mit den Fortschritten nach Außen hielt unter ihm die Erstarkung der Kirche im Innern gleichen Schritt. Laut urkundlicher Zeugnisse sind die Klöster Innichen (769) und Kremsmünster (777) seine Gründungen, nach der Tradition auch Mattsee, das Manns- und das Frauenkloster auf den Inseln im Chiemsee und Wessobrunn, dessen Entstehung an ein Jagdabenteuer des Herzogs geknüpft wird. Unter seiner Regierung und zum Theil Mitwirkung entstanden ferner die Klöster Scharnitz, Schäftlarn, Schliers, wahrscheinlich auch Gars und St. Castulus in Moosburg. Von ihm [410] einberufen, tagten die bairischen Kirchensynoden zu Aschheim, Dingolfing, Neuching, deren Beschlüssen den Bund zwischen Staat und Kirche befestigten.

Nach Unterwerfung der Sachsen blieben die Baiern der einzige deutsche Stamm, der dem Weltreiche Karl’s des Großen noch nicht eingefügt war. Daß dieses Verhältniß auf die Dauer bestehen würde, war um so unwahrscheinlicher, seit Karl durch die Zertrümmerung des Langobardenreiches T. seines Rückhaltes beraubt und seit er in dem Papste einen ergebenen Bundesgenossen gefunden hatte. Das Gewicht dieser Factoren machte sich sofort geltend, als Karl und Papst Hadrian 781 durch eine gemeinsame Gesandtschaft den Herzog an seine vergessenen Lehenspflicht mahnten: noch im selben Jahre erschien T. in Worms, erneuerte die alten Eide und stellte Geiseln. Doch er hatte zu lange fürstliche Selbständigkeit genossen, um sich in die Vasallenrolle zu finden. Wir wissen zwar nicht, ob ihn eine Schuld traf, wenn es 784 bei Bozen an der bairischen Südgrenze zu einem Kampfe zwischen Baiern und Franken kam. Aber der Auflehnung seines Schwagers Arichis von Benevent gegen Karl scheint er nicht ganz fremd geblieben zu sein, wenn er demselben auch gegen Karl’s Angriff (787) keine Hülfe leistete. Als Karl von diesem Feldzuge heimkehrte, traf er in Rom bairische Gesandte, die Papst Hadrian zur Wiederherstellung eines guten Verhältnisses zwischen Karl und T. gewinnen sollten. Da dieselben jedoch keine bindenden Verpflichtungen für ihren Herrn übernehmen wollten, drohte der Papst T. den Bann, wenn er die den Franken geschworenen Eide nicht beachten wolle. Auf einer Reichsversammlung zu Worms ward beschlossen, T. zu persönlicher Stellung aufzufordern, und da er keine Folge leistete, setzten sich von drei Seiten, von Süden, Norden und Westen ungeheuere fränkische Heere zum Entscheidungskampfe gegen Baiern in Bewegung. Noch vor der kriegerischen Uebermacht aber erwies sich T. die Gegnerschaft der Kirche als gefährlich. Schon vor Jahren hatte der Herzog dem Bischof Arbeo von Freising, „weil derselbe dem Könige Karl und den Franken getreuer war, als ihm selbst“, Besitzungen entzogen. Mit der Heiligkeit geschworener Eide verfocht jetzt die Kirche zugleich die Sache der geschichtlichen Nothwendigkeit. Ihr Einfluß, die Wirkung des vom Papste gedrohten Bannes und die fränkische Partei unter dem bairischen Adel waren schon zu mächtig, als daß das Loos der Waffen nöthig gewesen wäre, und ein allgemeiner Abfall des Volkes beraubte T. aller Mittel zum Widerstand. Am 3. Oktober 787 stellte er sich auf dem Lechfelde vor Karl, um zum dritten Male die fränkische Oberhoheit anzuerkennen. Unter den Geiseln, die er stellte, war sein Sohn Theodo, den er schon 777 zum Mitregenten erhoben hatte. Ueberdies mußte nun das ganze bairische Volk den Franken Treue geloben. Von Liutbirg, seinem bösen Dämon, aufgestachelt, scheint dann T. nochmals seinem Eide untreu geworden zu sein. Er soll Lehensmannen des fränkischen Königs, die in Baiern saßen, nach dem Leben gestrebt, seine Unterthanen zum Treubruch ermuntert, ja den Erbfeind, die heidnischen Avaren, um Beistand angegangen haben. Doch erschien er Ende Juni oder Anfang Juli 788 auf der Reichsversammlung zu Ingelheim, sei es, daß seine Pläne noch nicht gereift waren, oder daß er den König in Sicherheit gewiegt glaubte. Festgenommen und wehrlos gemacht, mußte er seine eigenen Unterthanen gegen sich als Ankläger auftreten sehen, mußte ohnmächtig dulden, daß eine fränkische Gesandtschaft in Baiern seine Gemahlin und Kinder verhaftete. Wie es scheint, ließ sich aber für die neuen Beschuldigungen doch kein sicherer Beweis erbringen, da die Reichversammlung in willkürlichem Verfahren auf den 763 begangenen Harisliz (Desertion) zurückgriff. Wegen dieses Verbrechens ward T. nach fränkischem Gesetz zum Tode verurtheilt. Karl milderte das Urtheil auf Verbannung in ein Kloster und ließ ihn am 6. Juli zu St. Goar als Mönch einkleiden, [411] ein Aufenthalt, den der Unglückliche bald mit dem Kloster Jumièges unterhalb Rouen und später mit Lorsch bei Worms vertauschte. Seine Familie ward auseinander gerissen und in verschiedene Klöster gesteckt. Nach sechs Jahren ward der Herzog nochmals vor die Reichsversammlung in Frankfurt geführt, um einen scheinbar freiwilligen Verzicht auf die bairische Herrschaft zu erklären. Von seinem Tode ist nur der Tag (11. December), nicht das Jahr überliefert. Die Sage hat sich seines Endes bemächtigt. Sie läßt ihn in blutiger Schlacht unterliegen, zeigt ihn in Lorsch als blinden Greis, geblendet auf Befehl des grausamen Siegers, von Engeln zum Altar geleitet. In Zügen, welche die ganze bairische Geschichte durchziehen und ihr die charakteristische Färbung geben, dem ununterbrochenen Aufeinanderwirken von Kirche und Staat und dem immer lebendigen Gegensatze zwischen Stammesgefühl und Reichseinheit ist dieser letzte Agilolfingerfürst, der haltlos zwischen erzwungener Pflicht und natürlicher Neigung schwankt, bis er zuletzt, vom eigenen Volke verlassen, mit dem Makel des Eidbrüchigen und dem Verdacht des Landesverraths befleckt, unrühmlichem Untergange verfällt, eine typische Erscheinung.

Büdinger, Oesterreich. Geschichte I. – Oelsner, Jahrbücher des fränkischen Reichs unter Pipin. – Sigurd Abel, Jahrbücher des fränkischen Reichs unter Karl d. Gr., 2. Aufl., bearbeitet von Simson. – Kneifel, Sturz des Baiernherzogs Tassilo (Jahresbericht des Domgymnasiums zu Naumburg a. S. 1875). – Riezler, Geschichte Baiern I.; Naimes von Baiern und Ogier der Däne (Sitz.-Ber. der Münchener Akad. 1893).