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ADB:Taubert, Wilhelm

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Artikel „Taubert, Wilhelm“ von Robert Eitner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 37 (1894), S. 430–433, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Taubert,_Wilhelm&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 04:13 Uhr UTC)
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Taubert: Wilhelm (Karl Gottfried) T., der Componist der Kinderlieder, ist geboren am 23. März 1811 zu Berlin und † am 7. Januar 1891 ebendort. Sein Vater war anfangs Regimentsoboist, erhielt dann als Civilversorgung eine Kanzleidienerstelle im Kriegsministerium zu Berlin, wirkte aber immer noch in Garten- und anderen Concerten als Oboist mit. Wilhelm’s erster Lehrer in der Musik war August Neithardt, der ebenfalls Militärmusiker war und später Director des Domchores wurde, er gab ihm Clavierunterricht (!). Seine Fortschritte waren unter dieser ungeeigneten Anleitung so gering, daß er eine Prüfung bei dem alten Zelter schlecht bestand, dennoch nahm sich der kunstsinnige General v. Witzleben des Knaben an und sorgte für eine allgemeine Bildung, sowie für die entsprechenden Musiklehrer. T. absolvirte das Gymnasium, bestand das Abiturientenexamen und besuchte darauf die Universität. Als Lehrer in der Musik hatte er inzwischen Ludwig Berger, den vorzüglichen Clavierpädagogen und Bernhard Klein für die wissenschaftliche musikalische Ausbildung erhalten. Unter dieser vorzüglichen Anleitung machte er hervorragende Fortschritte, sodaß ihn Berger schon in seinem 13. Jahre öffentlich auftreten ließ. Ludwig Berger war der Repräsentant der Schule Mozart’s. Eine ruhige Handhaltung, ein edler gesangreicher Ton waren ihre charakteristischen Merkmale im Gegensatze zur Clementi’schen Schule, die den Gebrauch des Handgelenkes einführte nebst einem aus Effect berechneten Vortrag, der in Liszt seine höchste Ausbildung fand. T. blieb zeitlebens ein Vertreter der Mozart’schen Schule und ein steter Feind der modernen Richtung. Noch in vorgerücktem Alter hörte ich ihn in den Sinfoniesoireen der kgl. Berliner Capelle das große Beethoven’sche Es-dur-Clavierconcert spielen, welches einen tüchtigen Spieler erfordert und mit staunenswerther Fertigkeit und seelenvollem Vortrage brachte er dasselbe zu Gehör. Der Vergleich mit der Bülow’schen Vortragsweise war ganz besonders interessant und man mußte zugestehen, daß jeder in seiner Weise dem Kunstwerke gerecht zu werden verstand. Taubert’s äußeres Leben war stets vom Glück begleitet, wozu das ansprechende Aeußere, die gute Empfehlung eines hochgestellten Militärs, aber auch sein ernstes gemessenes Wesen viel beitrug. Schon im Jahre 1831, also erst 20 Jahre alt, wurde ihm die Leitung der Hofconcerte übertragen, die er unter vier preußischen Königen bis ins hohe Alter beibehielt, sich stets nach dem Geschmacke des Hofes richtend und doch bemüht die Programme, soweit es sich thun ließ, einigermaßen der Kunst zu Ehren einzurichten. Da T. ein Verächter der Neuzeit war, mit Ausnahme Mendelssohn’s, den er hoch verehrte, so fiel es ihm nicht allzuschwer, sich den Wünschen der Hofgesellschaft anzuschließen. Im J. 1834 wurde er bereits zum Mitgliede der Akademie der Künste ernannt, womit eine Lehrstelle für Composition verbunden war. T. hat viel Schüler gebildet, doch keiner fand sich darunter der nur irgend etwas Hervorragendes geleistet hat; der einzige, der sich als Clavierspieler und Componist [431] in den Berliner Kreisen einiger Anerkennung erfreut, ist Louis Schlottmann. Er ist ein so treuer Anhänger Taubert’s, daß er sogar dessen Haß gegen die Neueren theilt und womöglich übertrumpft. 1841 wurde T. Musikdirector an der kgl. Oper und 1845 zum Hofcapellmeister derselben ernannt. Er und Heinrich Dorn, der 1849 neben T. Hofcapellmeister wurde und gleiche Rechte genoß – jeder hatte bestimmte Opern zu dirigiren und bei neu einzustudirenden Opern trat ein steter Wechsel ein – sorgten dafür, daß keine irgendwie bedeutende Oper während ihrer Amtsthätigkeit zur Aufnahme gelangte, befürchtend, daß ihre eigenen Erzeugnisse dadurch beeinträchtigt würden, denn fast Jahr für Jahr brachte einer der Hofcapellmeister eine eigene Oper auf die Hofbühne, die aber stets nach drei Aufführungen aus Mangel an Zuhörern bei Seite gelegt wurde. Nur Dorn’s Nibelungen hielten sich eine Zeit lang, wurden aber dann durch Wagner’s Tannhäuser verdrängt. Allerdings mußten sie sich gefallen lassen, daß Friedrich Wilhelm IV. ihnen Meyerbeer als Generalmusikdirector vorsetzte, doch hat derselbe sein Amt stets nur dann benützt, wenn er eine eigene Oper zur Aufführung bringen wollte, im übrigen ließ er den beiden Capellmeistern völlig freie Hand, so daß sein Amt nur dem Titel nach bestand, obwol er ein hohes Gehalt bezog. 1832 brachte T. die erste Oper „Die Kirmes“ auf die Bühne, 1834 folgte „Der Zigeuner“, 1842 „Marquis und Dieb“. Auch zu Schauspielen schrieb er die Musik, so zum „Grauen Männlein“, Chöre zur Medea von Euripides, zu Tieck’s gestiefeltem Kater und Blaubart, zu Shakespeare’s Sturm und zur Phädra. An Opern sind noch zu nennen „Joggeli“, „Macbeth“ und „Cäsario“, nach Shakespeare’s Was ihr wollt. Im J. 1842 gründeten die Mitglieder der Operncapelle die Sinfoniesoireen, um einen Fonds für ihre Wittwen und Waisen zu bilden. Jeder verpflichtete sich bei 12 Concerten im Jahre unentgeltlich mitzuwirken. Die Intendanz gab den großen Schauspielsaal unentgeltlich. T. gebührt das Verdienst diese segensreiche Einrichtung mit allen Kräften unentgeltlich in jeder Weise unterstützt zu haben; er wurde von den Mitgliedern zum Dirigenten gewählt. Berlin hatte in musikalischer Hinsicht stets eine conservative Richtung und das Neue fand schwer Eingang. Selbst im J. 1842 waren unsere Classiker dem Publicum und selbst vielen Musikern, besonders was Beethoven betraf, noch vielfach ein unbekanntes Feld, das zu betreten man sich scheute. Hier fand nun T. das geeignete Feld, seine Verehrung für Haydn, Mozart und Beethoven in seinem ganzen Umfange zu bethätigen, und über 40 Jahre hindurch hat er sein Publicum fast ausschließlich mit den bekannten Sinfonien und Ouverturen man könnte sagen übersättigt, denn Ausnahmen bildeten nur hin und wieder Mendelssohn mit seinen Sinfonien und Ouverturen und einige wenige Ouverturen von Cherubini, nicht zu vergessen Taubert’s eigene Compositionen in diesem Fache. T. kannte sein Publicum, welches sich vorwiegend aus den höheren Beamtenkreisen zusammensetzte und unwillig andere Compositionen als die der Classiker aufnahm. Als aber Bülow mit seinen Sinfonieconcerten so berechtigtes Aufsehen in Berlin machte und der Unterschied der Vortragsweise klar zu Tage trat, dennoch die kgl. Capelle unter Taubert’s Leitung im alten Schlendrian fortfuhr – man kann sich heute kaum einen Begriff davon machen in welcher Weise die classischen Werke heruntergesudelt wurden – so regte sich der Oppositionsgeist selbst unter den Mitgliedern der Capelle, die zum größten Theile sich verjüngt hatte; sie wählten einen anderen Dirigenten. Zuerst Radecke, dann Kahle, bis endlich Weingartner ans Ruder kam. Taubert’s Verdienst: die Classiker in Berlin zu Ehren gebracht zu haben, soll nicht geschmälert werden, doch sein Publicum war den Umständen nach ein beschränktes und gehörte ausschließlich den Spitzen der Gesellschaft an; erst Liebig war es vorbehalten mit seiner Militärcapelle den [432] Classikern zur rechten Popularität zu verhelfen und für wenige Groschen Jedem wöchentlich mehrere Male zu ermöglichen sie kennen und schätzen zu lernen. – Im J. 1870 wurden T. und Dorn ganz plötzlich ohne jeglichen Anlaß auf eine sehr beleidigende Weise ihres Amtes als Capellmeister an der Oper entsetzt und Karl Eckert mit doppeltem Gehalte angestellt. Man kann dem einstigen Intendanten v. Hülsen nicht die Schuld beimessen, denn er handelte nur gezwungen als Beamter des königlichen Hauses und wurde selbst von der höheren Entschließung überrascht. Die beiden Capellmeister erhielten zwar bis an ihr Lebensende ihren vollen Gehalt, doch konnte sie das nimmermehr für die zugefügte Beleidigung entschädigen. T. componirte rüstig weiter und Dorn machte seinem Grimm in schneidigen Zeitungsartikeln Luft, mit denen er die Jünger der Kunst in recht gehässiger Weise für jede That in ihrer Kunst abkanzelte. Er hat nur sich damit einen schlechten Denkstein gesetzt, statt der Kunst zu nützen. T. dagegen fehlte es nicht an äußeren Ehren, wodurch man wieder gut machen wollte, was an ihm verschuldet worden war. Die Akademie der Künste wählte ihn zu ihrem Vorsitzenden, eine Ehre, die noch nie einem Musiker zu theil geworden war. Der König von Baiern und der Herzog von Coburg verehrten ihm Orden höheren Ranges, während er von Preußen nur den Rothen Adlerorden 4. Classe erhielt. Noch bis ins hohe Alter versah er mit Rüstigkeit die ihm verliehenen Aemter und stand jüngeren Kräften gern mit seinem Rathe bei. – Wenn wir T. in seinen Leistungen als Componist betrachten, so überrascht die große Fruchtbarkeit und die Bereitwilligkeit der Verleger seine Werke in Verlag zu nehmen. T. hat sich in allen Fächern der Kunst versucht, von der Oper, der Sinfonie, dem Quartett und Trio herab bis zum kleinen Clavierstück und dem Liede. Bei seiner leichten Erfindungsgabe kann das nicht in Verwunderung setzen; nur bedauert man, daß ein Mann, der einen so scharfen Blick für Fehler anderer hatte, an seinen eigenen Werken so wenig Kritik übte und jeden Einfall für gut genug hielt ihn zur Grundlage eines großen Werkes zu wählen. In den Formen war er gewandt und sicher, doch auch darin fehlte er, daß er stets ein und dieselbe Form anwandte und alles sozusagen über einen Kamm schor. Die Mozart’sche Form ist für den Schüler mustergültig, doch wer Meister sein will muß die Kraft besitzen sie zu durchbrechen und dem Geiste der Composition gemäß umzuformen und zu erweitern. Dieser Mangel bei Taubert’s Compositionen drückt ihnen den Stempel der Monotonie auf und mancher glückliche Wurf wäre gelungen, wenn er sich nicht eigensinnig an die Mozart’sche Form gekettet hätte. Seine Instrumentation ist der von Beethoven angepaßt, ohne aber neue Momente selbständig zu erfinden. Seine Sinfonieen laufen regelrecht herunter und hinterlassen nur den Eindruck einer guten Schülerarbeit, die in allen Theilen richtig ist, aber die Grenzen des Hergebrachten nicht überschreitet. Glücklicher war er im Liede und besonders im Kinderliede, wie er selbst es zu nennen pflegte. Darin steht er in der That einzig da und wird stets weiterleben, weil der Ausdruck das naiv-kindliche in einer Weise trifft, die originell und ihm ganz allein zu eigen ist. Selbst bedeutendste Sängerinnen, wie Jenny Lind und Frau Jachmann-Wagner errangen Triumphe in öffentlichen Concerten mit diesen Kinderliedern und im Publicum sind sie heute noch auf jedem Clavierpulte zu finden und erfreuen Jung wie Alt. Ebenso innig und herzerfreuend sind einige seiner ernsten Lieder, die halb volksthümlich, halb kunstmäßig sind und durch ihre Einfachheit stets ansprechen werden. Seine Clavierstücke huldigen leider zu sehr dem modern klängelnden Salonton, was zwar für den Augenblick den Laien berauscht, aber auch ihn bald übersättigt. Einige derselben sind einst viel gespielt worden und doch heute schon fast verschollen, nachdem der Autor kaum die Augen geschlossen hat. Auch hier rächt sich abermals [433] Taubert’s Ablehnung der neueren durch Schumann und Chopin eröffneten Richtung. T. fehlte das Geschick seine Motive zu vergeistigen und man könnte glauben, daß der bezeichnende Ausdruck „Capellmeistermusik“ sich ganz besonders auf Taubert’sche Musik bezieht und durch seine Musik, mit der er Berlin überschwemmte, entstanden sei. Er war weder Contrapunktiker noch ein feiner Harmoniker.