ADB:Theodemer (Ostgotenkönig)
Widemer’s (bis c. 473, s. beide Artikel). Nach langer Unterbrechung der Reihe ostgothischer Könige (seit c. 400), während welcher Zeit das Volk unmittelbar unter hunnischer Herrschaft gestanden, ward Walamer zum König der Ostgothen erhoben (c. 440), aber seine beiden Brüder standen ihm, obzwar nicht Könige (auch nicht „Unterkönige“), an Macht und Ansehen nahe: Jordanis rühmt im Gegensatz zu den hadernden Söhnen Attila’s die schöne Eintracht unter den drei Amalern. Th. mußte wie seine beiden Brüder Attila 451 bei dem Zuge nach Gallien Heeresfolge leisten. Nach der Befreiung von dem hunnischen Joche, nach des großen Chane’s Tod (a. 453), erbaten und erhielten die Ostgothen von den Römern Land in Pannonien, da die nach Osten zurückgeworfenen Hunnen nun die alten gothischen Sitze am Pontus einnahmen. Hier jedenfalls, wenn nicht schon früher, erhielten Widemer und Th. in einer räumlichen Landtheilung eigene Gebiete zu (beschränkt) selbständiger Verwaltung zugetheilt, wenn auch die Zusammengehörigkeit dieser Theile, die Einheit des ostgothischen Reiches, sich darin ausdrückt, daß auch jetzt noch nur Walamer „König“, rex, (Thiudans) ist und heißt: – also grundverschieden von den späteren merowingischen Theilreichen. Walamer hatte sein Gebiet zwischen Saritza und Raab oder Leitha und Raab, Th. am See „Pelsois“ (Plattensee? Neusiedlersee? Da die Namen Scarniunga Aqua nigra, Pelsois sonst nirgends genannt werden, ist die Lage nicht genau festzustellen), Widemer in der Mitte zwischen beiden. Diese Gebiete liegen so [690] weit auseinander, daß die Söhne Attila’s, da sie die befreiten Gothen „wie entlaufene Knechte“ in ihre Gewalt zurückzwingen wollen, den einen Bruder Walamer – also wol den am meisten gen Ost ausgesetzten – ohne Wahrnehmung der Andern angreifen können. Sie werden aber zurückgeschlagen und an dem Tage, da diese Siegesbotschaft in Theodemer’s Halle gelangt, wird ihm von Ereliva, einer Concubine, ein Knabe geboren: der spätere Theoderich der Große (wahrscheinlich 454); Ereliva gebar noch einen Sohn, Theodemund (s. unten S. 698), und zwei Töchter, deren eine 479 starb, während die andere, Amalafreda, die Mutter Theodahad’s und Amalaberga’s von einem Unbekannten, in zweiter Ehe dem Vandalenkönig Thrasamund (s. diesen Artikel) vermählt ward. (Ereliva lebte noch zwischen 492 und 496; sie soll katholisch geworden und auf den Namen Eusebia[WS 1] getauft sein.) Etwa acht Jahre später sahen sich die Amaler aus ihrer günstigen Stellung zu Byzanz verdrängt durch einen anderen gothischen Häuptling Theoderich den Schieler (Strabo: s. diesen), sie stellten durch Krieg (a. 462) die alten Verhältnisse her (s. Walamer), sollten aber als Geisel für den Frieden den achtjährigen Knaben Theoderich nach Byzanz senden. König Walamer kann das dem widerstrebenden Vater nicht befehlen, nur durch Bitten dies Opfer abringen: Walamer hatte offenbar keinen Sohn, sonst würde der Kaiser wol den Königssohn verlangt haben. Daraus erklärt sich auch gut, weshalb später, als Walamer gefallen ist (c. a. 470), nun Th. zu seinem Nachfolger erhoben wird. Damals heerte ein Suebenkönig Hunimund – wahrscheinlich markomannisch-quadischen Stammes – in Theodemer’s Gebiet und trieb erbeutete Heerden mit sich fort. Aber auf dem Rückweg überfiel Th. in stürmischer Nacht das Lager der Feinde an dem See Pelsois, tödtete viele und nahm die übrig gebliebenen, darunter König Hunimund, gefangen, entließ diesen jedoch, nachdem er ihn zum Wahlsohn (per arma?) angenommen, eine unter den germanischen Fürsten häufige Form, Treuverbindungen zu begründen. Hunimund jedoch brach alsbald den Frieden indem er auch die (gothischen) Skiren an der Donau zu Verbündeten gewann. In der nun folgenden Schlacht siegten zwar die Gothen, aber Walamer fiel (c. 470). Nun wählten sie Th. zum Nachfolger: erst jetzt wird dieser Rex genannt, erst jetzt nimmt er die Abzeichen eines Königthums an: er beherrscht fortab wie sein bisheriges auch Walamer’s verwaistes Gebiet unmittelbar und steht – als König – auch über seinen Bruder Widemer, der zwar eine Landschaft behält, aber zum Heerbann vom König aufgeboten wird. Hunimund und ein anderer Suebenkönig Halarich (Alarich) hatten nämlich wieder ein Bündniß gegen die Ostgothen zu Stande gebracht: außer den Ueberbleibseln der Skiren unter den Edelingen Edika und Hunulf hatten sie Rugier und Gepiden und zwei Sarmatenkönige gewonnen und waren bis zu dem (unbestimmbaren) Flusse Bolia in das Gothengebiet vorgedrungen, hier aber wurden sie von Th. (und Widemer) zurückgeschlagen (471). Bald darauf (Winter 472) überschritt Th. die gefrorene Donau und drang soweit gen Westen, daß er nicht nur diese Donau-Sueben (Baiern, die hier zuerst, aber wohl um zwanzig Jahre verfrüht, in der neuen Heimath genannt werden), auch die ihnen verbündeten Alamannen erreichte und schlug. Zurückgekehrt fand er (472) den soeben aus Byzanz entlassenen nun 18jährigen Sohn, der inzwischen auf eigene Faust einen Rachezug wider einen jener feindlichen Sarmatenkönige glücklich durchgeführt hatte. Aber den Römern gab er ein paar hierbei gewonnene Städte nicht heraus: das Verhältnis zu Byzanz schlug wieder in Feindschaft um; denn die Landnoth (s. unten Litteratur) d. h. die Unmöglichkeit, die stark wachsende Volkszahl durch den roh betriebenen Ackerbau zu ernähren, zumal die von Byzanz versprochenen Getreidelieferungen und Jahrgelder sehr oft ausblieben, zwang die Ostgothen, von dem Kaiserreich weitere Gebiete und Spenden zu ertrotzen: auch [691] war hier durch Raubfahrt mehr zu holen als bei den oft schon heimgesuchten Barbaren der Nachbarschaft. Mehr gezwungen von seinem Volksheer als freiwillig beschließt denn der König Th. den Krieg, an dem auch Widemer Theil nehmen muß. Sagenhaft und obenein sich selbst widersprechend ist der Bericht des Jordanes, wonach das Loos zwischen beiden Brüdern entscheiden soll, wer da Ost-, wer das Westreich angreifen solle, während er gleich darauf Th. als den Mächtigeren sich den mächtigeren Feind – Byzanz – auserwählen, dem schwächeren Bruder das schwächere Westreich zutheilen lässt. Alsbald zieht Widemer, nun thatsächlich wenigstens von Theodemer’s Oberherrschaft gelöst, nach Westen ab: König wird er aber auch jetzt nicht genannt. Wohl hätte sich nun die Gestaltung dieser abgesplitterten Gaue zu einem eigenen Reich vollziehen können – wie etwa die Bataver am Niederrhein nach ihrem Abzug von den andern Chatten thaten –: aber es kam nicht dazu: Kaiser Glycerius gelang es (a. 474), diese ostgothischen Wanderschaaren durch reiche Geschenke von Italien ab nach Gallien zu lenken, wo sie mit den viel zahlreicheren Westgothen zu einem Volke verschmolzen. Th. aber zog mit den Seinen nach Mösien, erzwang den Durchmarsch (473) gegenüber Sarmaten und Römern, nahm den letzteren Städte wie Naissus (Nissa) und Ulpiana (Sophia?) weg, ließ sich aber durch Geschenke (wohl Jahrgelder?) von weiteren Angriffen auf Byzanz abhalten. Vor seinem Tod (474/475) empfahl er den Gothen seinen Sohn Theoderich zum Nachfolger, der dann auch, da der Waffenruhm seinen im Geblüte liegenden Anspruch verstärkte, von dem Volksheer zum König gekoren wurde.
Theodemer, ostgothischer König (bis c. a. 475), Amaler, Sohn des Wandalar (s. unten „Quellen“), Bruder des Königs Walamer (c. a. 440–470) und- Quellen und Litteratur: Jordanes, Getica ed. Mommsen, Mon. Germ. hist. 1882, c. 14, 38–56. Romana c. 347. – Ennodius panegyricus Theodorico regi dictus ed. Vogel, Mon. Germ. hist. auctor. antiq. VIII. 1885. – Priscus. de legationibus ed. Niebuhr Corpus scriptor. Byz. 1829. – Anonymus Valesianus (sogenannter) ed. Mommsen l. c. Chronica II. – Cassiodorus (Variarum libri XII) VIII, 9, ed. Mommsen l. c. auct. antiq. 1894. – Dahn, Könige der Germanen. Leipzig 1862. S. 60–67 (hier auch die weitere Litteratur: jüngere (seit 1863) s. Könige VII, 1, 1894, p. X. seq., s. den Stammbaum der Amaler: hier ward nachgewiesen, daß zwischen Winithar und Th. einzuschieben ist: Wandalar. – So jetzt auch Müllenhoff bei Mommsen, Jordanes l. c. – Dahn, die Landnoth der Germanen. Festschrift für Windscheid. Leipzig 1889.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Zum Taufnamen Eusebia siehe Otto Seeck, Eusebia 2, in: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, Bd. VI,1 (1907), Sp. 1366.