ADB:Thomas, Johann Gerhard Christian
Schelling hörte, und wurde 1807 Advocat in seiner Vaterstadt. 1809 wurde er vom Fürsten Primas zum zweiten Archivar ernannt und arbeitete dann in verschiedenen Zweigen der großherzoglich Frankfurtischen Verwaltung, besonders im Finanzwesen unter seinem Gönner Staatsrath Steitz. Bei der Wiederherstellung der freistädtischen Unabhängigkeit wurde er Rathsschreiber und 1816, nachdem er kaum das wahlfähige Alter erreicht, Senator. Als Mitglied des Senats betheiligte er sich nach und nach an den wichtigsten Geschäften des städtischen Verwaltungs- und Gerichtsdienstes; zwei Mal (1824, 1829) war er jüngerer, drei Mal (1832, 1835, 1838) älterer Bürgermeister. 1828 war er als Vertreter Frankfurts beim Abschluß des mitteldeutschen Handelsvereins, 1836 bei der Aufnahme seiner Stadt in den preußischen Zollverein in hervorragendem Maße thätig; 1832–1837 vertrat er Frankfurt im Bundestag, eine schwierige Aufgabe, da in dieser Zeit das Frankfurter Attentat und die dadurch hervorgerufenen Beschwerden der Regierungen den Vätern der Stadt große Besorgniß und Arbeit verursachten. Als jüngster Syndicus hatte Th. zugleich die Untersuchung gegen die Theilnehmer am Attentat und sonstige politisch Verdächtige zu führen, eine Arbeit, durch welche er sich wenig Dank, aber um so mehr Haß und Mißliebigkeit zuzog. Ein Schlaganfall entriß ihn plötzlich am 1. November 1838, als er sein letztes Bürgermeisteramt noch nicht zu Ende gebracht hatte, aus einer vielseitigen politischen und wissenschaftlichen Thätigkeit. – Die letztere hat zwar vielfach durch die erstere gelitten; während aber der Politiker nur für die Vaterstadt von Bedeutung war, darf der Gelehrte einen hervorragenden Platz unter den Männern der Wissenschaft beanspruchen. Die Geschichte des deutschen Rechtes und die Geschichte der Vaterstadt waren die Gebiete, denen er seine kärglichen Mußestunden widmete. 1826 besorgte er mit einem Freunde eine Ausgabe Tauler’s, 1828 veröffentlichte er in Fichard’s Wetteravia Aufsätze über Wetterauische Weisthümer und über das älteste Frankfurter Stadtrecht, 1831 eine Abhandlung über die Entstehung des deutschen Strafrechts in Schlosser-Bercht’s Archiv. Seine beiden bedeutendsten Arbeiten erschienen nach seinem Tode. 1839 brachte das zweite Heft des Archivs für Frankfurts Geschichte und Kunst, herausgegeben [92] von einer von Th. mitbegründeten Gesellschaft von Freunden der vaterstädtischen Geschichte die „Frankfurter Annalen 793–1300“, die erste kritische Sammlung von Notizen aus Quellenschriftstellern und Urkunden, grundlegend für die Forschung nach den geschichtlichen Anfängen und dem Wachsthum der Stadt. Thomas’ bedeutendstes Werk „Der Oberhof zu Frankfurt a. M. und das fränkische Recht in Bezug auf denselben“ wurde 1841 von Dr. L. H. Euler aus seinem Nachlasse herausgegeben; das Vorwort schrieb Jakob Grimm. Das Buch ist von mehr als localgeschichtlichem Werthe, da der Bezirk des Frankfurter Oberhofs einen bedeutenden Theil Westdeutschlands umfaßte. – Th. lebte in Frankfurt in einer edlen, anregenden Geselligkeit; er war enge befreundet mit J. F. Böhmer, dessen Kaiserregesten er ein eifriger Förderer war, mit J. K. v. Fichard, mit dem ihn nach politischem Hader die Gemeinsamkeit der historischen Studien wieder zusammengeführt hatte; den durchreisenden Fremden von Bedeutung eröffnete er gern sein gastfreies Haus. Eine innige Freundschaft verband ihn mit J. und W. Grimm, mit den Gebrüdern Boisserée, und auch Goethe, der Freund seiner Schwiegereltern Willemer, schätzte ihn hoch, weil er Marianne-Suleika ein treuer Freund, eine feste Stütze war. Th. war ein edler, trefflicher Mensch; in seinen politischen Anschauungen am Alten hängend, ein entschiedener Feind der jungdeutschen Bewegung, in den religiösen Ansichten ein überzeugter Anhänger des lutherischen Bekenntnisses, aber frei von confessioneller Engherzigkeit. Wir schließen mit den Worten Böhmer’s: „In einer neugewordenen Zeit, deren Vorzüge er mit reicher Empfänglichkeit auffaßte, deren schlimme Seite er in ihrer ganzen Tiefe erkannte, war er aus Ueberzeugung des Verstandes und mit Wärme des Herzens der Art und dem Glauben der Väter treu geblieben. Mit Gewandtheit und Kenntnissen in allen Zweigen der Verwaltung, mit Charakterfestigkeit, wo es galt, das Recht, in dem er nach germanischer Weise auch zugleich die Freiheit erkannte, zu ehren oder zu erhalten, verband er jene erleuchtete Liebe zum Vaterland, welche ihren Gegenstand auch kennen wollte, und war aus diesem Grunde ein warmer Freund des deutschgeschichtlichen Studiums“.
Thomas: Johann Gerhard Christian Th., geboren am 5. Februar 1785 zu Frankfurt a. M.-Sachsenhausen als nachgeborener Sohn eines dortigen Kaufmanns. Nach beendetem Schulunterricht zuerst im Frankfurter Gymnasium, dann bei Rector Roth in Friedberg bezog er 1802 die Universität Gießen, später Würzburg, wo er mit EiferThomas’ zweite Gattin war Rosette Staedel geb. Willemer; die innige Freundschaft, welche der greise Goethe dieser ausgezeichneten Frau weihte, gibt ihr ein volles Anrecht auf einen Platz in diesem Werke. 1782 als Tochter des Bankiers Willemer in Frankfurt a. M. geboren, heirathete sie 1799 den Kaufmann J. M. Staedel, wurde aber schon 1802 Wittwe und leitete dann das Hauswesen des verwittweten Vaters. Hier lebte sie mit der etwas jüngeren Marianne Jung in schwesterlicher Freundschaft, die durch die Heirath der Freundin mit dem Vater nicht getrübt wurde. Die Besuche Goethe’s auf der Gerbermühle bei Frankfurt (1814 und 1815) führten sie dem Dichter nahe; wie dieser sie schätzte, zeigt jedes Blatt seiner Briefe an Marianne und an Rosette selbst. 1819 schloß sie den überaus glücklichen Ehebund mit Th., dem sie geistig völlig ebenbürtig war. Sie überlebte den Gatten, dem sie vier Kinder geschenkt hatte, um mehrere Jahre; sie starb am 16. März 1845.
- Vgl. Neuer Nekrolog der Deutschen 1838, Theil II, S. 901 ff. (von Böhmer, vollständiger in dessen Briefen und kleinen Schriften, herausg. von Janssen, Bd. II, 469 ff., Freiburg 1868). – Heyden, Gallerie berühmter Frankfurter. Frankfurt 1861, S. 151. – Böhmer, Regesta imperii, die Urkunden Ludwig’s des Bayern. Frankf. 1839, S. XVI. – Sulpiz Boisserée. Stuttg. 1862. – Janssen, J. F. Böhmer’s Leben, Briefe etc. Freiburg 1868. – Creizenach, Briefwechsel Goethe’s mit Mar. v. Willemer. 2. Aufl., Stuttg. 1878. – Frankfurter Neuphilologische Beiträge. Frankf. 1887, worin E. Stengel einen Brief von Thomas an J. Grimm, interessant für des ersteren Anschauung über die revolutionäre Bewegung auf den Hochschulen, und einen [93] Brief Rosettens an denselben, ein herrliches Zeugniß von ihrer und ihres Gatten zartsinniger Freundschaft für die Brüder Grimm, mittheilt. – Mehrere Briefe und amtliche Schriftstücke von Thomas sind aus dem Nachlaß ins Frankfurter Stadtarchiv gekommen; seine und seiner Frau Briefe an die Brüder Grimm werden in der kgl. Bibliothek zu Berlin aufbewahrt.