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ADB:Tscharner, Vincenz Bernhard von

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Artikel „Tscharner, Vincenz Bernhard von“ von Emil Blösch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 38 (1894), S. 704–705, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Tscharner,_Vincenz_Bernhard_von&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 18:15 Uhr UTC)
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Tscharner: Vincenz Bernhard v. T. wurde am 4. Mai 1728 geboren. Sein Vater, bernischer Landvogt – oder „Hofmeister“, wie dort eigentlich der Titel hieß – zu Königsfelden im Aargau, gehörte zu den regierenden Geschlechtern von Bern und galt als einer der „frömmsten und gelehrtesten“ Magistrate der Republik. Vincenz Bernhard erhielt ausschließlich Privaterziehung. Als frühreifer Knabe schon mit dem 8. Jahre geistig beschäftigt, wurde er von seinem Hauslehrer, dem späteren Professor der Theologie Johannes Stapfer, sorgfältig unterrichtet und im 14. Jahre noch zu einem Aufenthalte in Iserten in der französischen Schweiz begleitet zur Vollendung seiner Studien. Im J. 1751 begab er sich, zugleich mit einem Bruder (s. o. S. 702[WS 1]), auf Reisen, durchwanderte Deutschland und Holland, England und Frankreich, verheirathete sich, 26 Jahre alt geworden, mit Salome v. Bonstetten, und lebte in angenehmer Unabhängigkeit, seine Zeit zwischen litterarischer Arbeit und heiterer Geselligkeit theilend, auf einem schönen Landsitze in der Nähe von Bern. Schon seit dem 14. Jahre in Dichtungen sich übend, zog er früh die Aufmerksamkeit der beiden Züricher Litteraten Bodmer und Breitinger auf sich, die ihm, wie Albrecht v. Haller, ihre Freundschaft bis zum Tode bewahrten und ihn zu weiteren Versuchen ermunterten. Im J. 1747 gab er unter Vermittlung Haller’s in Göttingen eine kleine Sammlung von Gedichten heraus; er übersetzte Haller’s „Alpen“ und einige Theile von Klopstock’s „Messias“ nicht ohne Glück ins Französische. Wie zur Poesie, so sah er sich nachher zu geschichtlichen Studien hingezogen. Mit sehr ungenügendem Material, aber mit Fleiß und Geschick, verfaßte er seine „Historie der Eidgenossen“, die in Zürich 1756–1768 in 3 Bänden im Druck erschien, die Zeit von 1308–1586 umfassend. T. hat hernach aufs höchste bedauert, daß er das Werk in seiner unvollkommenen Form veröffentlicht habe, und arbeitete unablässig an einer gründlichen Umgestaltung nach einem andern Plane; doch erst nach seinem Tode kam die neue Auflage zu Stande, in 2 Bänden, Zürich 1784 und 1789. Erst Johannes v. Müllers „Schweizergeschichte“ hat das Werk in Vergessenheit gebracht. Unterdessen hatten praktische Aufgaben ihn in Anspruch genommen; er war einer der Gründer der damals berühmten „Oekonomischen Societät“ von Bern, die an der Spitze aller gemeinnützigen Fortschrittsbestrebungen stand und vielen andern zum Vorbild gedient hat. Lange Jahre war er deren Secretär und hat als solcher die von ihr herausgegebene hochangesehene Zeitschrift geleitet. Diese Stellung gab ihm Gelegenheit, mit Rousseau in Verbindung zu treten, um dessen Duldung auf bernischem Gebiete er sich dann eifrigst aber freilich erfolglos bemühte. Im J. 1764 wurde er in den „Großen Rath“ aufgenommen und begann damit seinem Vaterlande auch als Staatsmann Dienste zu leisten. 1769–1775 war er Landvogt zu Aubonne am Genfersee, wo er sich in ungewöhnlichem Grade beliebt zu machen verstand und mit dem Ehrenbürgerrecht der Stadt Rolle beschenkt wurde. 1776 Mitglied des „Geheimen Rathes“ geworden, hatte er Theil zu nehmen an den Verhandlungen über den Abschluß eines als äußerst wichtig betrachteten Bündnisses mit Frankreich, und im Sommer 1778 sandte ihn der Rath als Regierungscommissär in die schweizerischen Herrschaften jenseits des Gotthard. In Lugano erkrankt – die Familie glaubte an Vergiftung aus politischem Fanatismus – wurde er nach Bern zurückgebracht und starb, wenig über 50 Jahre alt, am 16. Sept. 1778, allgemein betrauert als einer der geistreichsten, gebildetsten und und liebenswürdigsten Männer der Zeit. Er sprach und schrieb mit gleicher Fertigkeit Französisch und Lateinisch, Englisch und Italienisch. Seine Briefe – ungefähr 260 an der Zahl – zeigen ihn in geistigem Verkehr mit den bedeutendsten [705] Zeitgenossen, mit A. v. Haller, Bodmer, Breitinger, Salomon Geßner, mit J. G. Zimmermann und dem Basler Iselin, mit Wieland, Rousseau und Klopstock. Die litterarhistorisch inhaltreiche Sammlung befindet sich jetzt im Besitz der Berner Stadtbibliothek.

Auch der jüngere Bruder Tscharner’s, Beat Rudolf, 1733–1799, der von 1776–1782 Landvogt zu Nidau und 1790 Salzdirector war, hat sich als Geschichtsschreiber verdient gemacht, indem er eine „Historie der Stadt Bern“ bearbeitete und im Druck herausgab, Bern 1765–1766, in 2 Bänden.

Lobrede auf V. B. Tscharner, 1779 in der Oekonomischen Gesellschaft gehalten, in den „Sammlungen der Oekonomischen Gesellschaft von Bern“ Bd. II. Zürich 1782. S. LXV–LXXXV. – Fr. E. v. Mülinen, Prodromus einer Schweizerischen Historiographie, Bern 1874. – R. Hamel, Mittheilungen aus Briefen V. B. Tscharner’s. Rostock 1881. – R. Hamel, Briefe von J. G. Zimmermann, Wieland und Haller an V. B. Tscharner. Rostock 1881. – Sonntagsblatt des „Bund“, Jahrg. 1879. Nr. 20.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: S. 792