ADB:Vilmar, Eduard
[723] Gymnasium zu Hersfeld, studirte alsdann zu Marburg und Halle bis 1854 Theologie und legte hier unter Hupfeld’s (s. A. D. B. XIII, 423) Leitung den Grund seiner Kenntniß der orientalischen Sprachen, welche letztere er dann bei Gildemeister in Bonn in den Jahren 1855 bis 1858 weiter betrieb. Die erste Frucht dieser Studien war eine Dissertation, durch welche er 1857 den Grad eines Doctors der Philosophie erwarb (s. u.). Nach kurzer Beschäftigung am Gymnasium in Kassel ward er Repetent an der Stipendiatenanstalt zu Marburg und erwarb sich 1860 die Würde eines Licentiaten der Theologie. Nach einer Zeit schwerer innerer Kämpfe, in die ihn der Gegensatz des Glaubensbedürfnisses seines Gemüthes und der neu gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse hineingeworfen hatte, griff er nach wieder erlangter innerer Harmonie seiner Ueberzeugungen mit neuer Frische die akademische Wirksamkeit und die alten Studien wieder auf. Seine gründliche Arbeit an Abulfath’s Annalen (s. u.) verschaffte ihm schnell 1865 die Ernennung zum außerordentlichen Professor der Theologie in Marburg und 1867 den Ruf zum ordentlichen Professor derselben an die Universität Greifswald. Hier schloß er in demselben Jahre den Bund der Ehe und es waren so alle Bedingungen gegeben, die ein dauerndes und für Wissenschaft und Kirche erfolgreiches Wirken erwarten ließen. Da meldeten sich die üblen Nachwirkungen eines bereits in seiner Kindheit zur Heilung des freiwilligen Hinkens angewendeten Heilverfahrens. Es machten sich wiederholte Operationen nöthig. Dazu trat eine Nierenkrankheit und so wurde der treffliche Gelehrte bereits am 30. Mai 1872 dahingerafft [in der Zeitschr. der morgenl. Ges. Bd. 26, S. X, steht fälschlich der 6. April]. Vgl. „Zum Andenken an E. V.“ Greifswald, akad. Buchhandlung, S. 11–14.
Vilmar: Eduard V. ward am 4. December 1832 in Rotenburg a. d. T. geboren. Durch väterlichen Unterricht vorgebildet bezog er von 1848–50 dasSein oben genanntes Erstlingswerk („carmen de vocibus tergeminis arabicis ad Qutrubum autorem relatum e codicibus manuscriptis edidit et explicavit“, 66 S. Marburg 1857) ward gleich von allen Seiten sehr günstig aufgenommen. Vgl. die oben genannte Zeitschr. d. D. M. G. XI, 335–337 (E. Roediger), Göttinger gel. Anzeigen 1858, Nr. 156 (L. Krehl), Lit. Centralbl. 1857, Nr. 23. – Der im Titel genannte Qutrub ist ein altarabischer Grammatiker, der zuerst derartige Nomina von gleichen Consonanten, die unter dem ersten derselben einen verschiedenartigen Vocal haben, durch den eine Verschiedenheit der Bedeutung herbeigeführt wird, gesammelt und erläutert hat. Ihm hat die Ueberlieferung auch das von V. edirte Gedicht zugeschrieben (vgl. auch die obige Zeitschr. Bd. 17, S. 163), um dessen Text und litteraturgeschichtliche Erläuterung sich V. mit Erfolg bemüht hat. Im J. 1860 veröffentlichte V. seine theologische Dissertation „de Nasiraeatus ratione“, von der er 1864 in den theolog. Studien und Kritiken H. 3, S. 438–484 eine eingreifende Umarbeitung in deutscher Sprache mittheilte. Im Anschluß an Hupfeld wird das Nasiräat als eine Form der außerordentlichen Weihe der eigenen Person für den Dienst Jahve’s gefaßt. Eingehend wird die symbolische Bedeutung der Haarkrone, der Weinenthaltung und der verschärften rituellen Reinheitsverpflichtung erörtert und die ursprünglich geschichtliche Erscheinung des Nasiräats von der späteren gesetzlichen Regelung desselben geschieden. Besondere Sorgfalt ist hierbei der sprachlichen Seite der Untersuchung zugewendet. – Inzwischen hatte V. sich auch als Kenner des Samaritanischen ausgewiesen, indem er in der Z. D. M. G. 1863 (Bd. 17, S. 375 f.) das von Heidenheim in der deutschen Vierteljahrsschr. für engl. theol. Forschung 1863, H. 1, S. 78 ff. mitgetheilte Schreiben der Samaritaner an ihre angeblichen Religionsgenossen in Europa besprach und einige Anstoß erregende Stellen dieses Schreibens durch eine verbesserte Uebersetzung beseitigte. – Im J. 1865 erfolgte dann die Ausgabe des arabischen Urtextes von Abulfath’s annales Samaritani nach einem Manuscript der Berliner Universitätsbibliothek, einem solchen [724] der bibliothèque nationale zu Paris und einem zu Oxford befindlichen, zu dessen Collation er 1864 nach England gereist war. Den Urtext begleitete eine lateinische Uebersetzung. Diese merkwürdige Chronik enthält die samaritanische Sage von der griechischen Uebersetzung der Thora. (Vgl. zur Sache die oben gen. Z. D. M. G. Bd. 20, (1866), S. 144; Bleek-Kamphausen, Einl. in das A. T., S. 689 f.; de Wette-Schrader, Lehrb. der hist.-krit. Einl. in d. A. T. § 197 c.) Im J. 1867 gab V. aus Hupfeld’s Nachlaß eine Abhandlung über „eine bisher unbekannt gebliebene Handschrift der Masorah“ heraus in Z. D. M. G. Bd. 21, S. 201–220. Er beschränkte sich hierbei auf Beseitigung einzelner stilistischer Härten der Hupfeld’schen Arbeit und genaue Vergleichung der Citate. Die wenigen eigenen Bemerkungen Vilmar’s sind in Klammern beigefügt (vgl. Gosche, wissenschaftl. Jahresber. über die morgenl. Studien von 1862–67 im Supplement zu Bd. 24 der Z. D. M. G. S. 34). – Ebenfalls in Bd. 21 der Z. D. M. G. hat V. auf S. 288–292 in der Besprechung der Schrift von J. J. L. Bargès über 2 Fragmente eines hebräisch-samaritanischen Pentateuchs (1865) auch einen werthvollen Beitrag aus seiner eigenen Kenntniß des Samaritanischen geliefert, indem er die Lesezeichen der jüngeren samaritanischen Litteratur einer sorgfältigen Untersuchung unterzog. Vgl. zur Sache H. Ewald, Nachrichten der Göttinger Ges. d. Wissenschaften 1867, S. 221–231. – Zu alle diesem kamen mehrfache Recensionen wissenschaftlicher Werke, unter denen besonders die über Bickell’s Ephraemi carmina Nisibena in den Theol. St. und Kritiken 1871, S. 373–382 Beachtung verdient. – Dem Gebiet des A. Testaments gehören aus späterer Zeit noch die für das Verständniß weiterer Kreise berechneten Abhandlungen über den Propheten Jeremia (im Beweis des Glaubens 1869, Januar) und über Mose (ebenda als Fragmente nach des Verf. Tode 1878 im Aprilheft abgedruckt). Wenn auch namentlich die letztere in ihren wissenschaftlichen Voraussetzungen sich gegenüber der inzwischen gewonnenen Erkenntniß der historischen Sachlage kaum haltbar erweisen dürfte, so erfreut sie doch den Leser durch die religiöse Innigkeit und Tiefe, die aus ihr spricht.