Zum Inhalt springen

ADB:Zahn, Johannes

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Zahn, Johannes“ von Max Herold in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 44 (1898), S. 666–668, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Zahn,_Johannes&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 23:26 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Band 44 (1898), S. 666–668 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Johannes Christoph Andreas Zahn in der Wikipedia
Johannes Zahn in Wikidata
GND-Nummer 120811588
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|44|666|668|Zahn, Johannes|Max Herold|ADB:Zahn, Johannes}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=120811588}}    

Zahn: Johannes Christof Andreas Z., seiner Zeit der Nestor der bairischen Kirchenmusik, in theoretischer und praktischer Arbeit für die gesammte evangelische Kirche hochbewährt, war Inspector des königl. Schullehrerseminars Altdorf bei Nürnberg bis 1888; von da an lebte er in Quiescenz zu Neuendettelsau, woselbst er noch Zeit und Kraft fand, seine Thätigkeit auf dem Gebiete der evangelischen Kirchenmusik im großen Stile abzuschließen. Er war geboren in Eschenbach an der Pegnitz am 1. August 1817 als fünftes Kind und einziger Sohn des dortigen Lehrers und Cantors Johann Zahn und seiner Ehegattin Kunigunde geb. Kleemann, Cantorstochter aus Kirchsittenbach: in sehr einfachen Verhältnissen, unter strenger, elterlicher Zucht wuchs der Knabe heran, der namentlich von mütterlicher Seite nachhaltige religiöse Eindrücke empfing. Die Neigung zur Musik trat frühzeitig hervor, schon mit neun Jahren konnte er den Vater auf der Orgel beim Gottesdienste vertreten. Auf Zureden einiger Candidaten, die dem strebsamen, mit klarem Verstand begabten Knaben auch Unterricht ertheilten, entschloß sich sein Vater, das große Opfer der humanistischen Ausbildung zu bringen, und in kaum einem Jahre eignete sich der Sohn so viel Kenntnisse an, daß er vierzehnjährig sofort in die oberste Lateinschule zu Nürnberg aufgenommen werden konnte. Der verdienstvolle Gymnasialrector Roth und Professor Nägelsbach nahmen sich seiner besonders an, der Unterricht des frommen Pfarrers Hering bei St. Egidien und Löhe’s damalige Predigten und Bibelstunden machten tiefen Eindruck. An der Universität Erlangen war Z. einer der ersten Schüler Hofmann’s; werthvoll wurde ihm der Verkehr mit dem v. Raumerschen Hause und die dortige Pflege classischer Hausmusik. In Berlin lernte er die damals noch vergessenen Meister Bach und Händel kennen, Winterfeld öffnete ihm sein Haus. Als Mitglied des Predigerseminars in München, zu welchem er nach wohlbestandenem theologischen Examen einberufen wurde, traf er dann mit jenen Männern zusammen, in deren Gemeinschaft es ihm später möglich werden sollte, eine Reform des evangelischen Kirchengesanges in Baiern anzuregen und durchzuführen. Dieselben veranlaßten ihn auch, seiner vorwiegenden Begabung für Unterricht und Musik zu folgen und sich um die erledigte Stelle [667] eines Präfecten und ersten Seminarlehrers am königl. Schullehrerseminare in Altdorf bei Nürnberg, der vormaligen Musenstadt, zu bewerben, welche er im J. 1847 erhielt. Nach sieben Jahren rückte er zum Inspector der Anstalt auf.

Mehr als tausend Schüler bei weitem befanden sich hier nach und nach unter seiner Leitung, ernst und doch freundlich mild, begeistert und unterwiesen für ihren künftigen Beruf als Lehrer und Cantoren, alles nach dem obersten Lehrgrundsatz, daß die Furcht des Herrn der Weisheit Anfang sei. Die Geltendmachung seines beherrschenden Einflusses auf die musikalische Ausbildung der jungen Lehrer, denen er als Meister der Orgel ein leuchtendes Vorbild war, verstand sich von selbst, und so erhielt Baiern eine stattliche Reihe von Lehrern, welche aufs beste ausgerüstet waren für ihre pädagogische und kirchenmusikalische Bestimmung.

Eine ausgedehnte und gründliche wissenschaftliche Thätigkeit Zahn’s ging neben seinem Amte her; weit überwiegend war dieselbe dem evangelischen Kirchenliede gewidmet, dessen Geschichte und Aufgabe er in seltenem Grade wie niemand vor ihm beherrscht hat. Aus einer kleinem Anzahl im Auftrage des baierischen Oberconsistoriums bearbeiteter rhythmischer Choräle erwuchs zunächst der Grundstock für das nachmalige vierstimmige Melodienbuch der baierischen Landeskirche, welches Z. 1854 herstellte, harmonisirte und mit sorgfältigsten historischen Notizen versah, das einen kräftigen Anstoß zur Wiederbelebung des rhythmischen Gemeindegesanges nach seinen kirchlich ernsten und doch frischen Weisen in weiten Kreisen der deutschen Kirche gegeben hat. 14 Auflagen haben bisher den außergewöhnlichen Werth dieses Melodienbuches erwiesen.

Weiter gab Z. eine Anzahl von Liedersammlungen heraus für Kirche, Verein und Haus, zu welchem Behuf er allmählich ein umfassendes, immer reicheres Material vom Gebiete des evangelischen Chorals, wie man ihn unrichtig nennt, ansammelte, zurückgehend bis auf die Reformation und früher. Kein Gesangbuch oder Büchlein von Bedeutung, das irgendwo und irgendwann erschien, ist ihm wohl unbekannt geblieben. Auch mit Hymnologen der katholischen Kirche setzte er sich freundlich, aber erfolgreich auseinander. So gelang es ihm endlich, die Frucht seines Lebens in einem großartigen Denkmal des Kirchenliedes in dem sechsbändigen Werke niederzulegen „Die Melodien der deutschen evangelischen Kirchenlieder aus den Quellen geschöpft und mitgetheilt“, welches bei C. Bertelsmann in Gütersloh erschien und im J. 1893 durch die Unterstützung der königl. preußischen, baierischen und anderer Staatsregierungen zum Abschluß kam. Der sechste Band ist allein von den Verzeichnissen und genauen Angaben der benutzten mehr als 1500 Gesang- und Choralbücher ausgefüllt. In den übrigen Bänden sind über 8800 Liedweisen behandelt. Die Facultät Erlangen verlieh dem Herausgeber den theologischen Doctor honoris causa.

Von seinen sonstigen Arbeiten, welche die „Siona“ 1885, S. 122–124, vollständig aufgeführt hat, seien genannt: „Evangelisches Choralbuch. Eine Auswahl der vorzüglichsten Kirchenmelodien (80) älterer und neuerer Zeit in den ursprünglichen Tönen und Rhythmen“ [mit Herzog, Güll und Ortloph] (München 1844); „Evangelisches Choralbuch für den Männerchor“ (Gütersloh 1847. 5. Auflage); „Revidirtes vierstimmiges Kirchenmelodienbuch“ (Erlangen 1852); „Die Melodien des deutschen evangelischen Kirchengesangbuchs in vierstimmigem Satz für Orgel und für Chorgesang. Aus Auftrag der deutsch-evangelischen Kirchenconferenz zu Eisenach in Verbindung mit v. Tucher und Faißt“ (Stuttgart 1854); „Vierstimmiges Melodienbuch zum Gesangbuch der evangelisch-lutherischen Kirche in Baiern“ (Erlangen 1854); „Dreistimmiges Schulmelodienbuch“ (Nürnberg 1856); „Stimmenhefte des baierischen Kirchenmelodienbuchs“ (Erlangen 1858); „Kirchengesänge für den Männerchor des 16. [668] und 17. Jahrhunderts“ (Gütersloh 1857 u. 1860, 2. Aufl. 1886); „Liederbuch für den Männerchor“ (Nördlingen 1859, 6. Aufl.); „Präludienbuch zu dem baierischen Melodienbuch“ (Erlangen 1868, 2. Aufl. 1885); „Handbüchlein für evangelische Kantoren und Organisten“ (2. Auflage 1871); „Geistliche Lieder, christliche Grabgesänge, Lieder der Brüder in Böhmen u. a.“; „Kirchenliederbuch für gemischten Chor“ (Nördlingen 1884); „Psalter und Harfe für das deutsche Haus“ (Gütersloh 1886, 560 Melodien); „Chorgesangbuch des evangelischen Kirchengesangvereins für Hessen“ (Darmstadt 1888); „Vierstimmige Graduale für die christlichen Feste mit Benutzung alter Texte und Melodien“ (1891); „Altkirchliche Introitus, vierstimmig“ (1893); „Strophenüberleitungen zum baierischen Melodienbuch“ (1893); „Präludien für das Harmonium componirt“ (1893, 94).

Erwähnenswerth ist das Referat bei dem IV. deutsch-evangelischen Kirchengesangsfest in Nürnberg 1885 über „Die musikalische Ausbildung der Cantoren und Organisten“; ferner seine Mitarbeiterschaft an der liturgisch-musikalischen Monatsschrift „Siona“ (seit 1876 von dem Unterzeichneten herausgegeben), seine Thätigkeit auf den bairischen Generalsynoden, wobei er auch für die liturgische Seite des Gottesdienstes und weiter für die Entwicklung der Nebengottesdienste entschieden eintrat. Von eigenen Compositionen nennen wir die drei weithin eingebürgerten Kirchenmelodien: „Beschwertes Herz, leg’ ab die Sorgen“, „Gottlob, nun ist die Nacht verschwunden“ und „Die stille Nacht ist nunmehr angebrochen“; Präludien, geistliche und weltliche Gesänge, durch schlichte Weise und feine, edle Stimmführung ausgezeichnet, wie alles, was Z. schrieb. Vergleiche die Musikbeilagen der „Siona“, sowie die Chorgesanghefte des baierischen Kirchengesangvereins.

Die ganz einzigartige Bibliothek kirchenmusikalischer und liturgischer Werke (5–600 Nummern), welche Z. mit ungemeiner Mühe und Umsicht erworben hat, wurde auf wiederholte Anregung von competenter Seite durch das königl. bairische Staatsministerium angekauft und der Staatsbibliothek in München einverleibt.

Am 17. Februar 1895 ist D. Z. in Neuendettelsau nach einer letzten siebenjährigen Ruhezeit, 77 Jahre alt, verstorben und auf demselben Friedhofe, wo Löhe begraben liegt, wurde er bestattet. Eine traute, fromme Häuslichkeit nahm damit ebenfalls ihr Ende. Unter seinen Kindern hat Adolf Z., Pfarrer in Rehlingen bei Pappenheim, das ererbte musikalische Charisma bisher mehrfach litterarisch erwiesen. Der Heimgegangene selbst wurde am Grabe als Sangmeister gerühmt, „der das Lied der Väter und den Glaubensgeist der Gegenwart in edler, reiner Harmonie zusammenzuführen wußte und in den Psalmen und Hymnen entschwundener Jahrhunderte so heimisch war, wie in dem lebendigen Sang, welcher unsere Zeit tröstet, reinigt, heiligt und erhebt“. So war es ihm möglich, eine reiche Saat auszustreuen.