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Alexandria (Meyer’s Universum)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
CCCLXXXV. Teplitz in Böhmen Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Neunter Band (1842) von Joseph Meyer
CCCLXXXVI. Alexandria
CCCLXXXVII. Das General-Postamt in London
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ALEXANDRIA

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CCCLXXXVI. Alexandria.




Es liegt eine unverwüstliche, erhaltende Kraft in manchem Orts-Namen. Wie ein Schutzgeist knüpft er sich an seinen Gegenstand, wacht gleichsam unablässig über sein Daseyn, oder geht mit ihm durch die Wechsel des [36] Blühens und Welkens, Großwerdens und Vernichtens. Während andere Städte mit jeder Aenderung ihrer Geschicke, der Gebieter oder der Herrschaft ihren Namen ablegen wie ein altes Kleid – ist jenen der Name gleichsam eine Mitgabe für die Ewigkeit. Athen, Rom, Alexandria sind solche Namen.

Alexandria! wer kann dich aussprechen, ohne daß der Hauch zugleich den Heros heraufbeschwöre, dem du der Schlußstein werden solltest zu dem Riesenbau seines Lebens! Zur Haupt- und Handelsstadt seines Weltreiche warst du erkoren, und an die Marken dreier Welttheile gestellt, solltest du die Reichthümer der ganzen Erde fassen.

Drei hundert und zwei und dreißig Jahre vor Christo wurde von Alexander auf jener schmalen Landzunge, bei welcher der westlichste Arm des Nils mündet, der erste Stein gelegt, und unter den Architekten Diochares und Cleomenes Leitung führten hunderttausend Arbeiter des großen Königs Plan aus. Die erste Anlage war für einen Raum von einer Stunde im Viereck berechnet. Später, unter den Ptolemäern, wuchs der Umfang der Stadt bis auf 8 Stunden. Auf einer Felsenreihe, die man bei der Einfahrt in den neuen, äußern Hafen zur Linken sieht, stand das königliche Schloß; zur Rechten, auf der Insel Pharus, der berühmte, 400 Fuß hohe, aus mehren Etagen bestehende Leuchtthurm, aus dessen Trümmern das Castell gebaut wurde, das jetzt den Hafen schützt. Ein 4500 Fuß langer Molo (das Heptastadium) streckte sich von der Stadt durch’s Meer bis zur Insel Pharus aus, und stellte zwei sichere Häfen dar. Hochüberbrückte, schiffbare Kanäle, jetzt ausgefüllt mit Schutt, durchbrachen den Damm und verbanden die Häfen. Noch ist der Molo vorhanden als eine 600 Fuß breite Landzunge, welche vom jetzigen Frankenquartier eine Viertelstunde weit in’s Meer sich streckt, das Türkenquartier trägt und den sogenannten alten vom neuen Hafen scheidet. Zunächst dem Damm lag die Residenz, ein weiter Palastcyklus der Ptolemäer. Dort waren die weltberühmten Anstalten für Wissenschaft versammelt, die jene Königsraçe pflegte, und die zu dem Ruhme Alexandriens eine neue Glorie fügten. Zunächst der Königsburg stand das Museum, ein Haus des geistigen Lebens für viele Jahrhunderte; dabei die Bibliothek, in welcher, auf 700,000 Schriftrollen, die gesammte Literatur der alten Welt bewahrt worden; sodann jenes Mausoleum Alexanders, später das Begräbniß der Könige, von allen Künsten herrlich geschmückt. Südlich lag das Gymnasium, die Stätte der Uebung für Geistes- und Körperkraft, mit den 600 Fuß langen Säulenhallen; weiter ostwärts, vor dem Canopusthore, wo jetzt die armseligen Hütten der Araber stehen, versammelte der Hippodromus (die Rennbahn) die Jugend und den Glanz der alten Hauptstadt zum Preisspiel; westwärts aber vom Molo erhob sich der Serapistempel, der prachtvollste des Orients, mit den Schulen der priesterlichen Weisheit und einer Bibliothek von 200,000 Rollen. Nach ihm erhielt dieser ganze Stadtbezirk den Namen Serapium. Ein Schuttberg läßt noch die Tempelstelle erkennen. In der Mitte der innern Stadt kreuzten sich auf einem freien, mit Bildsäulen und Monumenten [37] geschmückten Platze die 4 schnurgeraden Hauptstraßen, jede 1 Stunde lang, 100 Fuß breit, – an deren Ende die Hauptthore, als prachtvolle Triumphpforten, in’s Freie führten. Südwestwärts, außerhalb der Thore, war die Nekropolis, die Stadt der Todten, mit den Katakomben, in deren Labyrinth jetzt Hyänen hausen.

Dieß die Andeutungen der alten Hauptstadt der orientalisch-hellenischen Welt, der Herrin der klassischen Weisheit, der Pflegerin der Wissenschaften, der Wiege der christlichen Gottesgelahrtheit, jener Alexandria, welche aus der Hand der Nachfolger des Welteroberers nach einander in die der Römer, der Araber, der Türken fallend, nach so vielen Katastrophen und Verheerungen sich immer wieder aus ihren Trümmern erhob. – Nur wenige antike Reste sind noch sichtbar. Vieles verdeckt die neue Stadt, und unter den Schutthaufen ist gewiß noch Herrliches verborgen; Vieles ist auch verschleppt worden in alle Welt; schon Rom und Byzanz haben sich mit dem Schmuck der alten Alexandria geziert, und was neu aufgefunden wird, das wandert gewöhnlich in die Museen und Kabinette Europa’s: doch ist immer noch genug übrig, erkennen zu lassen, wie herrlich, groß und mächtig die Herrscherin der Meere gewesen. Unter den letzten Ptolemäern hatte Alexandria über 1 Million Einwohner, soviel als das heutige Paris, und Diodorus Siculus berichtet sogar, daß sie 300,000 freie Bürger zählte. Alle Völker der Erde waren hier zu Hause. Am zahlreichsten waren die Griechen, die Aegypter, der spekulirende, geschäftige Jude und der stolze, gebietende Römer. Dadurch, daß Aegypten zum römischen Weltreich geschlagen worden, verlor Alexandrien wenig. Sein Pharus leuchtete nach wie vor den Handelsflotten der Erde. Von Rom gejocht, aber auch geschützt, blieb es der Markt, wo Arabien, Indien, Afrika ihre köstlichen Produkte hinbrachten, wo Europa Korn und Manufakturwaren für sein Gold und Silber tauschte; der Kanal, in den wieder zurückfloß, was der räuberische Römer der Welt entpreßte, die sein Joch trug. – Erst durch die Theilung des Reichs, 395 n. Chr., wurde Alexandriens Verfall entschieden, der schon früher eingeleitet war; denn der römische Westen wand sich im Todeskampfe mit den eindringenden Germanen, die Marken Ostroms wurden nicht viel später von asiatischen und scythischen Völkern geplündert, Roms Kraft fraß der unfruchtbare Krieg, und die Quellen des Reichthums für Alexandrien begannen zu versiegen. Indeß blieb ihm immer noch vom unermeßlichen Gute viel zurück, daß es, nachdem das Westreich selbst gestürzt war, lange noch als die erste Stadt der Erde galt und Byzanz selbst überstrahlte. Zur Katastrophe kam es erst dann, als der Araber Volk zur Ehre Gottes und seines großen Propheten auszog, die Welt zu bekehren und zu beherrschen. Amru, der Feldherr des Nachfolgers Mohammeds, führte seine begeisterten Schaaren vor das christliche Alexandrien – und am 11. Februar 641 versank das Kreuz in einem Blut- und Flammenmeere. 23,000 Mann hatte den Arabern der Sturm auf Alexandrien gekostet: – zweimal hunderttausend Christen aber fraß das Schwert, die meisten übrigen Einwohner wurden als Sklaven verkauft. „Wer,“ schrieb nach der Einnahme Amru dem Chalifen, „wer könnte die [38] Herrlichkeit der großen Stadt des Wassers beschreiben? 4000 Paläste haben wir schon gezählt; 400 Theater und Rennbahnen, 40,000 Kaufleute: – Alles ist nun unser, Allah sey gelobt!“ Damals ging auch der Schatz der Wissenschaft unwiederbringlich verloren, den die Ptolemäer in Jahrhunderten gesammelt hatten. Die Schriftrollen der großen Bibliothek dienten wochenlang zum Heizen der Bäder, und von der Gelehrsamkeit, der Poesie und der Wissenschaft des Alterthums blieben der Nachwelt blos Trümmer als Erbe zurück. Nie erhob sich nach dieser Katastrophe die große Alexandria wieder, und aller spätere Glanz ist doch nur ein grauer Schatten im Vergleich zu dem, was sie gewesen war. – Der frühe Verfall des Chalifats machte Alexandrien zum Zankapfel der streitenden Partheien. Nach mehren Dynastiewechseln kam es in die Hand der Fatimiden (908) und eine kurze Periode des Gedeihens folgte; aber 1171 zerstampften es die Rosse der Seldschucken, und diesen folgten 1250 die Mamelucken nach, welche vollends vernichteten, was jene übrig gelassen hatten. Belagerung, Erstürmungen, Verheerung durch Brand und Plünderung folgten in kurzen Zeiträumen auf einander. – Genueser und Venetianer zogen dann in die Trümmer ein, und machten sich als Kaufleute wohnlich. Ihre Flotten führten noch einmal auf ein paar Jahrhunderte Leben und Verkehr in die Alexanderstadt; aber auch dieses verging wieder, als 1497 die Portugiesen den sicherern und wohlfeilern Seeweg nach Indien aufgefunden hatten und 1517 die Despotie der Türken mit ganz Nordafrika und Aegypten auch Alexandrien in ihre Fesseln warf. Noch ragte damals aus der fünffachen Decke des Schutts manches große Erinnerungsmal der Ptolemäerzeit. Die Türken aber schleiften, zerschlugen, sprengten mit Pulver, und Alles verschwand nun bis auf die wenigen jetzt vorhandenen Reste. Selbst die schöne Araberstadt aus der Chalifenzeit wurde damals niedergebrannt und der Erde gleich gemacht. Der Hafen allein hielt noch Keime des Lebens fest, – auf den Trümmern siedelten sich abermals Kaufleute an, es entstand das türkische Alexandria, ein Agglomerat schmutziger arabischer Hütten, zwischen denen das zierliche Haus eines Franken, oder die castellmäßige Wohnung eines türkischen Beamten stand. Festungswerke und eine Citadelle umfaßten das Ganze. In solchem Zustande fand Bonaparte den Ort, als er im Juli 1798 die Eroberung Aegyptens mit der Erstürmung dieser Stadt begann. Drei Jahre lang blieb sie in französischen Händen; unter seinen Mauern schlugen die neuen Herren viele Schlachten gegen Türken und Briten, bis diese jene verdrängten. Als Menou mit seinen Franzosen 1801 capitulirte, hatte Alexandrien kaum 7000 Bewohner, die, arm und elend, in Lehmhütten wohnten, eingebaut den Ruinen. In diesem Zustande kam es in Mehemed Ali’s Hände, der zwar ein Macedonier ist, aber freilich kein Alexander. Doch hat er das neue Alexandrien geschaffen, das wir nun betrachten. –

Das neue Alexandrien gewährt von der Seeseite aus der Ferne her einen Anblick, welcher keineswegs die Erwartungen erfüllt, die den Reisenden zur Stadt des großen Macedoniers gewöhnlich begleiten. Das Bild der [39] ägyptischen Küste ist scheußlich, denn es ist eine weite, hügelige Sandebene ohne alle Vegetation; kein Gebirge, kein Hügel rahmt es ein, und die Phantasie des Schauenden verliert sich traurig in die lybische Wüste. Erst in der Nähe des Ziels treten Erkennungspunkte hervor; eine Warte, der Thurm der Araber; dann der des Marabuts, auf den man lossteuert; dann ein Mastenwald, und endlich die Pompejussäule, welche sich einsam und majestätisch oberhalb der neuen Stadt erhebt, welche einen kleinen Raum auf dem Schutte der alten einnimmt. Die modernen, weißen, schönen Häuserreihen, welche gegen das Meer gerichtet sind, haben ein europäisches und recht freundliches Ansehen und machen einen artigen Contrast zu den Gruppen schlanker Palmen, die hie und da über die Gebäudemasse ihre Kronen entfalten. Die Küste selbst aber behält den Charakter der Unfruchtbarkeit. Hinter ihrer von den Fluthen zerfressenen Felsenwand herrscht die Oede.

Vor der Stadt öffnen sich beide Häfen. Der Molo trennt sie und vereinigt die vorliegende Insel Pharus mit dem festen Lande. Ein schlanker Leuchtthurm steht an der Stelle des ptolemäischen. Der östliche Hafen dient jetzt nur zur Aufnahme der Quarantaine haltenden Schiffe; der westliche aber ist zu jeder Jahrzeit mit Fahrzeugen bedeckt. Er ist mit einem Halbzirkel von Felsenriffen umgeben, welche, als natürliche Wellenbrecher, die Schiffe im Hafen sichern und seinen Zugang schützen und vertheidigen. Das Fahrwasser schlängelt sich nämlich mitten durch die Riffe durch, und ist so schmal, daß nur ein Linienschiff auf einmal einlaufen kann, während welcher Passage es dem Kreuzfeuer der Hafenbastionen stets ausgesetzt ist. Dieses natürliche Bollwerk, welches die gewaltigen Befestigungen des Vicekönigs verstärkt haben, macht Alexandria von der See her jetzt unangreifbar. Ohne Piloten ist die Einfahrt überhaupt nur mit der größten Gefahr möglich, und deshalb besteht die Einrichtung, daß jedem Schiff, welches sich von seewarts der Küste nähert, ein Lootsenboot entgegengeht, dessen Eigenthümer Besitz vom Steuer nimmt und für die sichere Führung des Fahrzeugs in den Hafen mit seinem Kopfe haftet. Der Lootse, der das Unglück hat, daß das Schiff bei der Einfahrt Schaden leidet, wird gnadlos erschossen.

Der Hafen ist sehr belebt; selten liegen weniger als 300 Schiffe vor Anker. Man erkennt die Flaggen der meisten handeltreibenden Nationen; am zahlreichsten die englische, die französische.

Das erste Gebäude, welches die Aufmerksamkeit der Ankommenden fesselt, ist das Serail des Vicekönigs. Es steht auf der Landzunge, welche die eine Seite der Hafeneinfahrt bildet. Weniger imponirt’s durch die Magnificenz seiner Architektur, als durch die Größe seines Umfangs; denn es besteht aus vielen, leichtgebauten Pavillons von hübschem Aeußern und es sieht einer großen Fabrik oder einer Kaserne ähnlicher, als einer Fürstenwohnung. Unmittelbar an das Serail stoßen die unansehnlichen Gebäude, welche des Pascha weitläufige Ateliers für Schiffbau, die Holzvorräthe etc. enthalten, und durch die Zwischenräume derselben sieht man die Gerippe der auf den Werften im Bau begriffenen Schiffe. Auf der andern Seite des Arsenals ziehen sich die dauerhaft gebauten Kayen hin mit ihrem [40] immer lebendigen, vielstimmigen Gewimmel von Matrosen und Menschen, die das Ein- und Ausladen der Waaren beschäftigt; dahinter ragen die Fronten der öffentlichen Speicher, wo die Waaren des Auslandes unverzollt gegen eine geringe Abgabe niedergelegt werden können. Sie laufen fort bis zum Damme des Kanals Mahmudieh, und ihnen gegenüber ist wieder eine lange Reihe Speicher, große und vielstockige Gebäude, die jene Waaren in sich aufnehmen, welche aus dem Innern des Landes kommen und zur Ausfuhr dienen. Alles das sind Anlagen des Mannes, dessen despotischer Wille die Stadt, den Kanal, die Flotten schuf, der um das neue Aegypten den Prachtmantel der Civilisation warf, freilich keine Hülle für das Elend des Volks, das unglücklicher ist, unter Mehemed Ali’s Joch, als irgend eine auf der weiten Erde. Man muß dem Tyrannen fluchen, obschon man den Thatenmenschen anstaunen möchte: denn wer Alexandrien, das verlassene, wüste, öde, stille, am Anfang des Jahrhunderts sah und jetzt wiedersieht, kann der Versuchung kaum widerstehen, den starren Willen zu bewundern, der alles das so gänzlich verwandelt hat. Das Klopfen der Aexte und schweren Hämmer in den Ankerschmieden, das Knirschen der Sägen, das Knarren der Winden, der schrillende Ton der Pfeifen, das Rasseln der Trommeln, das Gewehrgeprassel der beständig exercirenden Truppen; das in Getöse sich auflösende Geschrei der Menschen aller Farben, Gepräge und Trachten; der abgemessene Gang der tausend und aber tausend Arbeiter an den öffentlichen Werken, an den Neubauten und in den Docks; das Halloh der Schiffer und Bootführer; die ankommenden und absegelnden Schiffe, und die langraaigen Barken, welche in jeder Richtung die Fluthen durchstreifen; der unaufhörliche Donner der Kanonen von den Forts, der die Salutationen der fremden Schiffe beantwortet: das nimmerrastende Durcheinander im Treiben der Gewerbthätigkeit, des Handels und des Kriegs sind ein wunderbares Schauspiel, das die Sinne verwirrt. Dabei erscheint es extravagant, unnatürlich und auf gewaltigen Effekt berechnet. – Ein Gemälde andrer Art und nicht weniger Staunen erregend erwartet den europäischen Neuankömmling im Innern. Menschen, Thiere, Gebräuche, Sprachen, Formen, Farben, nichts gleicht dem, was ihm bis jetzt bekannt war. Da sind Beduinen mit braunen Gesichtern, dichtem Barte, lebhaften und durchdringenden Augen, wie römische Senatoren in weiße Togas gehüllt; Fellahs in brauner und blauer Tunika und rothem Käppchen; grandiose Türken in ihren Pelzen; krausköpfige, schwarze und nackte Abyssinier und Mohren aus Sennaar und Kordofan; Frauen, ohne andere Bekleidung als ein blaues Stück Zeuch und Hemd, andere mit Leinwandlarven wie häßliche Carnevalslarven, während die anmuthigen Formen und Glieder an antike Göttergestalten erinnern; Negerbataillone in rother Uniform; Marinesoldaten mit den rothen, faßweiten, gestreiften Pantalons und barfuß; Araber-Schaaren zu Pferde; europäische Reiter, vor denen schwarze Läufer hertrollen; Wasserträger, die auf ihren Dromedaren sitzen und gestreckten Trabes mitten durch die Volksmenge fliegen; dann lange Caravanen, die sich wie ein tausendköpfiger, tausendfüßiger Lindwurm langsamen Schrittes vorwärts bewegen; und Alles dieß drängt sich, kreuzt sich, stößt sich in erstickenden, dumpfigen [41] Bazars, wo Myriaden Muskitos summen, ein roher, schmutziger, türkischer Pöbel wimmelt, und Bettler und Kranke ohne Zahl ihr Elend und ihre oft ekelhaften Leiden zur Schau tragen. Ein sehr großer Theil der arbeitenden Classen in Alexandrien leidet nämlich am Aussatz und häufiger noch an den Augenkrankheiten, welche das Delta Aegyptens so verrufen machen.

Doch sieht man den Orient in Alexandrien nie ganz; es bleibt eine Zwitterstadt, in deren Zügen zwar der orientalische Typus überwiegt, aber nichts desto weniger der europäische neben diesem sich überall kenntlich macht. – Die eigentliche Türkenstadt ist ungepflastert und daher stets äußerst schmutzig. Die Häuser sind entweder aus Backsteinen, die ein rother Kitt verbindet, oder aus weißem Sandstein aufgeführt, zwei, fast nie drei Stockwerk hoch; alle haben flache Dächer; die Thüren nach der Straße zu sind meist verschlossen, die Fenster vergittert. Schlechter noch ist das Quartier der Araber: – ein unregelmäßiger Haufe schlechter Lehmhütten. Der einzige schöne Stadttheil Alexandriens ist der, welcher europäisches Ansehn hat: – jene Parthie nämlich im Quartier der Franken, wo lange und breite Straßen mit geschmackvollen Wohnungen, ein weiter Marktplatz, aufgeputzte Läden, Kaffeehäuser und Hotels, Karossen und Livreebediente verrathen, daß hier der Reichthum und die Gesittung der Europäer ihren Wohnsitz aufgeschlagen haben. Der fortwährende Neubau in diesem Stadttheile gibt die wachsende Wichtigkeit des Orts für das Ausland zu erkennen.

Gegenwärtig hat Alexandrien in etwa 4000 Häusern 40,000 Einwohner. Die Bevölkerung ist ein Gemisch vieler Nationen mit überwiegenden türkischen und arabischen Elementen. Europäer mögen 2 bis 3000 hier seyn; darunter 120 Familien der Großhandelshäuser, unter denen die Engländer und Franzosen die Hauptrollen spielen; der Rest ist ein Schwarm Abenteurer, Charlatans und Schwindler aller Art, in welchem das französische und italienische Blut überwiegt.

Das Leben hat in Alexandrien keine allgemeine Norm. Jede Fraktion der Bevölkerung, – der Türke, der Araber, der Grieche, der Jude, der Europäer – folgt der eigenthümlichen heimathlichen Lebensweise, schließt sich ab und beschränkt ihren Verkehr mit den Andern auf die Geschäfte. – Der Handel, der Nerv und das Blut des heutigen alexandrinischen Lebens, wurde bisher unter dem Monopolsystem des Pascha’s, der die ganze Ausfuhr Aegyptens ausschließlich sich zueignete, durch Vermittlung begünstigter europäischer Großhändler getrieben, welche sich in der Regel gut dabei standen und in kurzer Zeit Millionen erwarben. Die veränderten Verhältnisse haben jetzt den Pascha genöthigt, diesem System zu entsagen, unter dessen überschwänglichem Drucke Volk und Land zu Grunde gegangen sind. Der beste Keim der Zukunft liegt gewiß darin, daß zur Verbindung zwischen dem indisch-britischen Reiche und England Aegypten das nothwendige Mittelglied ist. Dieses Verhältniß bringt früher oder später Aegypten in den Verband des britischen Weltreichs, und erst dann wird die Civilisation, [42] die jetzt nur ein Nimbus ist der ärgsten Tyrannei auf Erden, eine Wahrheit, und dem armen Aegypter-Volke ein Segen seyn, Alexandrien aber zu dauernder Größe gelangen.