Allgemeine Geschichte der Literatur von Johannes Scherr
[823] Allgemeine Geschichte der Literatur von Johannes Scherr. Das geistvolle Werk unseres verehrten Mitarbeiters ist längst ein Eigenthum der Nation, denn fünf starke Auflagen desselben sind in den Händen der deutschen und außerdeutschen Lesewelt. Wenn wir entgegen unserer Gewohnheit, nur neue Erscheinungen des wissenschaftlichen Büchermarktes in den Bereich der Betrachtung zu ziehen, heute trotzdem auf diese jüngsthin in sechster Auflage erschienene Literaturgeschichte hinweisen. so geschieht es in Anbetracht ihres außergewöhnlichen Werthes und der Seltenheit ihres Genres. Es ist in der That eine staunenswerthe Summe des Fleißes und Wissens, des Sammelns und Sichtens, des Gruppirens und Gestaltens, vor Allem aber des allseitig geschulten Urtheils in Gesinnung und Geschmack, die hier niedergelegt ist. In zwei mittelstarken Bänden eine erschöpfende, durchaus nicht lückenhafte Geschichte der Literaturen aller Völker von den ältesten Zeiten an bis auf unsere Tage zu geben – man [824] weiß nicht, was man mehr bewundern soll, die Menge des hier gebotenen Stoffes oder die künstlerische Oekonomie seiner stets auf das Gründliche und doch auf das Knappe gerichteten Anordnung. Dieses Handbuch ist vermöge seiner Vollständigkeit und lichtvollen Composition ein äußerst lehrreiches, vermöge des Geistes echter Idealität, der es durchweht, aber auch ein in höherem Sinne ungemein nützliches Buch. Mit gleichem Feuer tritt es ein für die idealen Güter des literarischen Schaffens der Völker, wie es den falschen Idealismus, alles sentimentale und unkräftige Wesen in Schriftthum und Leben, bekämpft. Was dieser „Allgemeinen Literaturgeschichte“ aber noch einen besonderen Reiz verleiht, das ist die überall hervorleuchtende tüchtige und eigenartige Ursprünglichkeit der Persönlichkeit des Verfassers. Hierin liegt der Schlüssel zu dem Geheimniß, daß man über der Lectüre des Scherr'schen Buches, wie nüchtern und antiquarisch auch der Stoff dieses und jenes Capitels sein mag, stets das Gefühl wohlthuender Frische hat; diese Frische ist hier, wie bei allen Scherr'schen Schriften, der Ausfluß eines gewissen eigenartigen, subjectiven Stilgepräges, das die Kathedergelehrten so sehr hassen, das aber trotzalledem das wahre Merkmal selbständigen Denkens und Urtheilens und zugleich der richtige Becher ist, in dem man dem Volke den Wein literarischen Genießens credenzen soll, wenn anders man es dauernd fesseln will. Wir laden Jedermann ein, den Wein Scherr'schen Geistes zu kosten, der in dieser „Geschichte der Literatur“ stießt.