Apokalypse des Sedrach
Die Rede des hl. Sedrach
über der rechtgläubigen Christen Liebe und Reue
und über die zweite Ankunft unseres Herrn Jesus Christus.
Herr! Gib deinen Segen!
als ungeheuchelte Liebe!
Wir fehlen ja oft jeden Tag, jede Nacht und jede Stunde.
Sie bedeckt ja eine Menge Sünden.
wenn wir alles haben,
nur die Liebe nicht!
Selig der Mensch,
der wahren Glauben und ungeheuchelte Liebe besitzt!
„Größere Liebe hat niemand,
als daß er sein Leben für seine Freunde hingibt.“ –
Sedrach! Du begehrst, mit Gott zu reden
und ihn zu bitten,
er mög dir offenbaren,
was du ihn fragen willst.
Was, mein Herr?
Da sprach zu ihm die Stimme:
Ich ward zu dir gesandt,
damit ich dich zum Himmel bringe.
Ich wollte mündlich nur mit Gott verkehren.
Ich bin nicht fähig, in den Himmel, Herr, zu gehen.
ergreift ihn
und fährt zum Himmel in die Flamme.
Er führt ihn bis zum dritten Himmel;
da trat in ihn der Gottheit Flamme.
Mein lieber Sedrach!
Du bist ja recht gekommen.
Was willst du denn mit Gott, mit deinem Schöpfer, rechten?
Du sprachst:
„Ich wollte mündlich nur mit Gott verkehren“?
Darf, bitte, Herr, ein Sohn den Vater fragen?
Warum, mein Herr, schufst du die Erde?
Des Menschen wegen.
Weshalb schufst du das Meer?
Weswegen streutest du so vieles Gute auf die Erde?
Des Menschen wegen.
Weswegen überließest du ihn dann dem Untergang?
Es ist der Mensch mein Werk
und das Gebilde meiner Hände
und ich erziehe ihn,
wie ich’s mir denke.
In Feuer und in Pein bestehet deine Zucht.
Mein Herr! Sie sind gar bitter.
erblickt’ er nicht das Licht der Welt.
Was schufest du so schnell, mein Herr?
und bildetest den Menschen,
willst du dich seiner nicht erbarmen?
Ich bildete den erstgeschaffenen Adam
und setzte ihn ins Paradies
zum Lebensbaume in der Mitte
und sprach zu ihm:
meid nur den Lebensbaum!
Denn issest du davon,
so wirst du sicher sterben.
und, von dem Teufel hintergangen,
aß er vom Baum.
Mein Herr!
Es täuscht sich über deinen Willen Adam,
jedoch der Engel Erster hörte nicht auf dein Gebot
und huldigte ihm nicht.
er achtete nicht dein Gebot
und ging nicht zum Gebilde deiner Hände.
warum hast du den Meister aller Missetat, den Teufel, nicht getötet?
Er dringt wie Rauch in Menschenherzen ein
und lehrt sie alle Schlechtigkeit.
mit dem Unsterblichen.
Was kann der Mensch, der elende, ihm anhaben?
Tilg aus die Strafen!
Wenn nicht,
dann nehme mich auch zu den Sündern!
wo bleibt alsdann dein Mitgefühl?
Wo deine Milde, Herr?
Du sollst es wissen:
Nur Leichtes hab ich ihm befohlen.
zu einem Erben Himmels und der Erde
und übergab ihm alles.
vor seinem Angesicht.
und ward mir fremd,
ein Ehebrecher und ein Frevler.
Was für ein Vater gibt dem Sohn das Erbe
und dieser nimmt sein Eigentum
und läßt den Vater stehen, geht davon
und wird ein Fremder
und eines Fremden Knecht?
daß ihn der Sohn im Stiche läßt,
dann wird sein Zorn entflammt.
und nimmt ihm seine Habe
und jagt ihn fort aus seiner Herrlichkeit;
denn er verließ den eigenen Vater.
ich, der erhabene und eifersüchtige Gott?
Ich gab ihm alles;
er nahm es auch
und ward ein Ehebrecher,
ein Sünder.
Du hast den Menschen, Herr, gebildet.
Du weißt, woher sein Wille stammt
und welcherlei Erkenntnis wir besitzen.
Du wirst ja für den Menschen Grund zur Strafe haben.
Müßt ich dann aber nicht allein das Himmlische beklagen?
dann rette, Herr, den Menschen!
An deinem Willen, Herr, hat er sich ja versündigt,
der Mensch, der klägliche. –
Weshalb verschwendest du an mich, o Sedrach, deine Worte?
Ich bildete den Adam und sein Weib,
dazu die Sonne;
ich sprach:
Beschaut euch gegenseitig!
Was gleicht dem Licht?
und teilt mit ihm sein Leben.
Was nützt die Schönheit,
wenn sie auf Erden welkt?
„Du sollst für Böses Böses nicht vergelten“?
Es trügt ja niemals deiner Gottheit Wort.
Weshalb vergiltst du dann dem Menschen?
Der Maulesel ist bei den Vierfüßlern
das unvernünftigste, boshafteste Geschöpf;
es gibt kein zweites mehr.
wenn wir es wollen.
Send sie zu ihrem Schutz!
So oft ein Mensch zur Sünde sich begibt,
pack ihn am Fuß!
Dann kann er nicht mehr gehen,
wohin er will.
Wenn ich den Fuß ihm hielte,
dann spräche er:
„Du tust mir nichts zulieb in dieser Welt“.
So überließ ich ihn nun seinem Willen;
ich lieb ihn ja.
bei Tag und Nacht ihn zu bewachen.
Ich weiß es, Herr:
Du liebst an erster Statt von den Geschöpfen dein
den Menschen
und von den Vierfüßlern das Schaf,
den Ölbaum von den Bäumen,
die Rebe von den Pflanzen,
die Biene von den Flügeltieren,
den Jordan von den Flüssen
Jerusalem von Städten.
Ich frage, Sedrach, dich ein Wort.
Und sagst du’s mir,
dann helf ich dir,
stellst irgendwie du deinen Schöpfer auf die Probe.
Sprich!
Der Herr Gott spricht:
seit ich das All geschaffen?
Wie viele starben?
Wie viele wollten gerne sterben?
Wie viele Haare haben sie?
Wie viele Bäume gab es in der Welt,
seitdem der Himmel und die Erde ward gegründet?
Wie viele fielen?
Wie viele wollten gerne fallen?
Wie viele wollten gern entstehen?
Wie viele Blätter haben sie?
Wie viele Wogen hoben sich,
seit ich das Meer gemacht?
Wie viele senkten sich?
Wie viele werden sich erheben?
Wie viele Winde wehen auf der Meeresfläche?
Wie viele Tropfen fielen auf die Erde,
seitdem die Luft seit Welterschaffung Regen spendet?
Wie viele werden fallen?
Herr! Du allein weißt alles das.
Nur du allein verstehst dies alles.
Befrei den Menschen von der Strafe!
Ich trenn mich nicht von unserem Geschlecht. –
Komm!
Nimm die Seele meines lieben Sedrach!
Bring sie ins Paradies!
Gib mir das Pfand,
das unser Vater einst in deiner Mutter Leib gelegt,
in deinem heiligen Zelt von Kindheit an!
Ich geb dir meine Seele nicht.
Deswegen ward ich abgesandt
und kam hieher.
Machst du bei mir nur Ausflüchte?
nicht unverschämt die Seele dir zu nehmen.
Wenn nicht,
dann gib mir deine hehre Seele!
Woraus willst du denn meine Seele nehmen,
aus welchem Glied?
Weißt du denn nicht,
daß sie inmitten deiner Lungen und des Herzens wirkt,
daß sie in alle deine Glieder ist verteilt.
und in der Stunde ihres Abscheidens
wird sie dann von den Nagelspitzen,
sowie von allen Gliedern her zusammengezogen und gesammelt.
wenn sie vom Körper und vom Herz sich trennen soll.
da fiel ihm ein Gedanke ein,
und ihm entschwand darüber die Erinnerung an den Tod.
Herr! Laß ein wenig ab von mir,
damit ich weinen kann!
Ich hörte ja, daß Tränen viel vermögen,
und daß sie viel Erleichterung
dem armen Leibe des Geschöpfes bringen.
O wunderbares Haupt!
Du himmlischer Gebieter!
Du Sonnenhellster an dem Himmel und auf Erden!
und deine Augen Traubenbeeren;
dein Rufen gleicht dem Donner
und deine Zunge der Trompete.
das Haupt bewegt den ganzen Körper.
Du Schönster, Allbeliebter!
Doch kaum erscheint er in der Welt,
so wird er unverständlich.
und leicht belehrbar,
die ihr euch abgemüht,
um euren Körper zu ernähren!
die ihr von allem sammelt
und Häuser bauet!
mit Gold- und Silberringen!
Und von den Fingern wird ja Großes ausgeführt.
die Hände frei beweglich
und häufen prächtige Arbeit an.
Und doch seid ihr auf dieser Welt bloß Gäste.
von selber geht,
so schnell und unbesiegbar!
daß ohne euch der Leib sich nicht bewegt!
bei Tag und Nacht
und holen alles sich zusammen,
die Speisen und Getränke,
und nähren so den Körper.
So prächtig laufend!
Ihr eilet auf der Erde hin,
versorget die Familien mit jedem Gut.
Ihr gehet in die Tempel,
tut Buße
und ruft die Heiligen an.
Dann bleibt ihr unbeweglich.
ihr Hände und ihr Füße!
Bis jetzt rett ich das Deinige.
Was brachte dich doch in den niedrigen und armen Leib?
dann heißt der Herr dich hieher kommen.
Dein armer Leib kommt aber ins Gericht.
Ihr Haare, sternengleich!
du himmlischer Gebieter, wohl bekränzt!
Du Antlitz, schön gesalbt!
Ihr Augen, Feuer sprühend!
Du Zunge, leicht versöhnlich!
Du schön geziertes Kinn!
Ihr sternengleichen Haare!
Du Haupt, das bis zum Himmel reicht!
Du wohlgezierter Körper,
du lichter, zarter, allbekannter!
verschwindet von der Erde deine Schönheit.
Hör, Sedrach, auf!
Wie lange weinst du noch und seufzest du?
Das Paradies ward dir geöffnet,
und nach dem Tode wirst du leben.
Ich möcht noch einmal mit dir reden, Herr.
Wie lange leb ich noch,
bevor ich sterbe?
Ach, überhör doch meine Bitte nicht!
Sprich, Sedrach!
Lebt je ein Mensch so achtzig oder neunzig
oder hundert Jahre,
und bringt er sie in Sünden zu,
bekehrt er sich dann aber
und lebt der Mensch in Reue weiter,
für wieviel Tage läßt du ihm die Sünden nach?
Lebt er nach seiner Buße hundert oder achtzig Jahre
und übt er sie drei Jahre aus
und bringt er Früchte der Gerechtigkeit
und trifft ihn dann der Tod,
denk ich an keine seiner Sünden mehr.
Drei Jahr sind lang, mein Herr.
Möcht ihn der Tod nicht treffen!
Sonst kann er seine Buße nicht erfüllen.
Sei gnädig!
Drei Jahre sind so lang.
Lebt über hundert Jahr ein Mensch
und denkt an seinen Tod
und beichtet vor den Menschen
und, finde ich ihn so,
dann laß ich alle seine Sünden nach.
Ich rufe deine Güte nochmals an für dein Gebilde.
Der Tod mög ihn nicht treffen,
nicht rasch hinwegraffen!
Ich frag dich, lieber Sedrach, noch einmal.
Dann frag du mich!
Bereut ein Sünder es in vierzig Tagen,
dann kenn ich keine seiner Sünden,
die er getan. –
Erhör mich, starker Fürst!
Hilf mir!
Leg Fürsprach ein,
auf daß sich Gott der Welt erbarme!
und riefen laut zu Gott und sprachen:
„Herr, lehr uns, was zu tun!
Durch welche Reue nur der Mensch gerettet wird
oder durch welche andre Anstrengung?“
Durch Reue, durch Gebete,
durch Gottesdienste, Tränen
und heiße Seufzer.
daß David, mein Prophet, in Tränen ausgebrochen?
Und daß die anderen in einem Augenblick gerettet wurden?
daß Heiden sind, die kein Gebot befolgen,
und daß es solche gibt, die diese halten.
und kommt mein Gottesgeist auf sie
und kommen sie zu meiner Taufe,
dann nahm ich sie mit meinen Frommen auf
in Abrahams Schoß.
die meine Tauf empfingen
und die mein göttlich Teil erhielten;
sie aber überlassen endgültig sich der Verzweiflung
und wollen nicht bereuen.
mit vielem reichlichen Erbarmen,
ob sie nicht Buße täten;
sie aber tun, was meine Gottheit haßt,
und hören nicht den Weisen, wie er bittend sagt:
„Wir können nie den Sünder für gerecht erklären.“
„Die Reuevollen werden keine Strafe kosten?“ –
und nicht auf meine Worte in den Evangelien,
und sie betrüben meine Engel.
beachten sie nicht meinen Engel
und treten nicht in meine heilige Kirche ein.
und beten nicht in Furcht und Zittern an;
sie machen große Sprüche,
die weder ich noch meine Engel annehmen.
Du bist allein ganz ohne Sünde, Herr,
und gar so gütig.
Du bist es,
der der Sünder sich erbarmt und sie bemitleidet.
„Ich kam, nicht die Gerechten zu berufen,
vielmehr zur Buß die Sünder.“
Weißt du es, Sedrach, nicht?
In einem Augenblick
erhielt der Räuber Rettung durch die Reue.
daß mein Apostel und Evangelist
einen Augenblick gerettet ward?
denn ihre Herzen sind wie morscher Stein.
Die sind’s, die auf den schlechten Wegen wandeln
und durch den Antichrist verlorengehen.
Mein Herr!
Du sagtest:
„Dein Gottesgeist ging in die Heiden ein,
die das Gesetz nicht haben
und doch nach diesem handeln.“
und der Apostel und Evangelist,
sowie die anderen, mein Herr.
die in der letzten Zeit sich gegen dich verfehlen!
Das Leben ist ja mühevoll und unbußfertig.
Ich schuf den Menschen in drei Stellungen.
da überseh ich seine Fehltritte.
Wird er ein Mann,
dann geb ich ihm Vernunft,
und wird er alt,
gewähr ich ihm die Reue.
Du, Herr, weißt alles das,
und du verstehst es.
Hab einzig mit den Sündern Mitleid!
Mein lieber Sedrach!
Ich gebe das Versprechen,
auch unter vierzig Tagen bis zu zwanzig
schon mitleidsvoll zu sein.
wird keine Strafe leiden.
Er kommt vielmehr mit den Gerechten
an eine Stätte der Erfrischung und der Ruhe.
dann wird ihm seine Sünde bis in alle Ewigkeiten
nicht angerechnet.
Herr! Erleuchtet jemand deinen Diener,
alsdann erlös ihn, Herr, von allem Übel!
Herr! Nimm jetzt meine Seele hin!
und brachte sie ins Paradies mit allen Heiligen.
Erläuterungen
Dieses Werk lehnt sich inhaltlich an das Buch Iob, das vierte Esdrasbuch und die Baruchapokalypse an. Es enthält eine Art Theodizee. Besonders nahe berührt sich das Werk mit der Esdrasapokalypse. Das Buch ist später christlich überarbeitet worden. Die Entstehungszeit ist völlig unbekannt. Übrigens liegen Anzeichen vor, als ob der griechische Text auf eine hebräische Vorlage zurück ginge (s. Texts and studies II 2, 3 M. Rh. James. On the Apocalypse of Sedrach 1893, 127 ff).
Das erste Kapitel samt der Überschrift entstammt einer Homilie über die Liebe; es ist christlichen Ursprungs.
- 2: 1 Hier beginnt die Apokalypse.
- 4: 2 „so schnell“ im Sinn von übereilt.
- 6: 3 s. Gen 9, 2. 5 „einem Fremden“ d. i. einem Götzen.
- 7: 2 „Das Himmlische“ die himmlischen Beschlüsse und Gewalten. 4 Ergänze: „Gott sprach“. 5 Anspielung auf die Regeln?
- 8: 1 Liebe setzt Freiheit voraus.
- 9: 1 Hier vertritt der Gottessohn die Stelle des Michael in dem Testament des Abraham. 9–13 christlich. 2 „Pfand“ die Seele.
- 11: 2 wörtlich „dein Haar gleicht Theman, dritte Augen Bosor“. Theman dürfte mit timma „Vogel“, Bosor mit boser verwechselt sein. 4 als stammelndes Kind. 14 unklarer Text. 16 „hieher“ in den Himmel. 17 „sternengleich“ erinnert an den Kometen, den Haarstern.
- 14: 6 Essenische Taufe (s. Jos. B. J. II 8, 7. 1) 10 Christliches Stück. 16 „Erleuchten“ in himmlischen Dingen unterrichten.
Anmerkungen (Wikisource)
Siehe auch folgende Artikel aus Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft zu dem hier dargebotenen Text: