Aus dem Leben deutscher Schauspieler (3)

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Autor: Franz Wallner
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Titel: Aus dem Leben deutscher Schauspieler - Ein ernster Komiker
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aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Aus dem Leben deutscher Schauspieler.
Ein ernster Komiker.
Von Franz Wallner.

Am 13. Mai 1820 waren die Räume des alten Leopoldstädter-Theaters Zeugen eines damals unerhörten Theaterscandals. Ferdinand Raimund, der verwöhnteste Liebling des Publicums, der originelle Schöpfer der Bäuerlichen Possenfiguren, wurde bei seinem Erscheinen an jenem Abend ausgepfiffen, daß die Wände zitterten! Der Grund, warum das vielköpfige Ungeheuer Publicum die Schale seines entfesselten Grimmes über das Haupt des gefeierten Komikers ausgoß, war wohl der seltsamste, aus welchem je ein Schauspieler sich das Mißfallen des Auditoriums zuzog. Raimund hatte nicht heirathen wollen! Darum wurde er ausgepfiffen. So seltsam das klingen mag, so buchstäblich wahr ist das ganze Ereigniß.

Als Bräutigam einer blendend schönen Schauspielerin, Louise Gleich, der Tochter eines beliebten Localschriftstellers, erfuhr Raimund kurz vor der Hochzeit Dinge aus dem Vorleben seiner Braut, es wurden ihm Beweise über Thatsachen vorgelegt, die auch eine kaltblütigere Natur als die Raimunds erschüttert hätten. Und doch war der folgende Morgen zur Trauung bestimmt; nach derselben aber sollte eine zahllose Festversammlung das frohe Ereigniß der Vermählung zweier Lieblingsschauspieler der Residenz in dem prachtvollen Saale des k. k. Augartens mitfeiern helfen. Die einflußreiche Familie und die noch weit einflußreicheren hohen Gönner der Braut hatten ihre gewichtigen Gründe, dieselbe baldmöglichst unter der Haube zu wissen – und wie der arme, rathlose

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Ferdinand Raimund als Aschenmann.

Künstler auch seinen Verstand zermarterte – kein Ausweg aus dem Netze, welches er sich selbst gestellt! und doch einer, wenn auch originell und bizarr, wie das ganze Treiben des Sonderlings!

Eine schaulustige Menge drängte sich in der Kirche, dessen Altar festlich geschmückt des Brautzuges harrte. Aber nur der eine Theil hatte sich eingefunden. Der Bräutigam erschien nicht, ohne ein Wort der Entschuldigung war er ganz einfach ausgeblieben, alles Suchen nach ihm vergebens; nachdem stundenlang die Geduld der Anwesenden auf die härteste Probe gesetzt worden, kehrte die Braut in ihre Wohnung zurück, wo ein lakonischer Zettel meldete: „er habe sich die Sache anders überlegt, und wolle nun gar nicht heirathen.“

Mit Windeseile durchlief diese Nachricht mit monströsen Zusätzen und Verunzierungen die Stadt, deren entrüstete Bewohner sich um die gekränkte Künstlerin schaarten und in oben geschilderter Weise derselben Satisfaction zu schaffen suchten.

Ein gellendes Pfeifen, Toben und Scharren empfing den sonst so beliebten Komiker, der leichenblaß, mit finsterer Stirne die Lynchjustiz über sich ergehen ließ. Auf den Ruf: „Abbitten! Fräulein Gleich Satisfaction geben!“ etc. trat Raimund vor die ergrimmten Zuhörer, im Galgenhumor versichernd, daß es ihm während seiner theatralischen Laufbahn oft vorgekommen sei, daß ein Schauspieler „auf allgemeines Verlangen“ eine Rolle spielen müsse, aber daß ein Künstler auf allgemeines Verlangen heirathen solle, das sei gewiß neu.

Man kann sich keinen Begriff von der Wirkung machen, mit welcher diese kecke Anrede in das Publicum einschlug. Während ein Theil vor Lachen über die sonderbare Vertheidigung in tollen [502] Jubel ausbrach, pfiff und tobte der andere fort, indeß die Verehrer Raimund’s eben so wüthend applaudirten.

Der Vorhang fiel, die Vorstellung nahm ein verfrühtes Ende. Als Nachspiel heirathete der Komiker doch noch „auf allgemeines Verlangen“ die Schauspielerin Louise Gleich, aber nur, um in kurzer Zeit darauf eine rechtskräftige Scheidung einzuleiten und durchzuführen. Diese Scheidnug „von Tisch und Bett“, nach welcher er als Katholik nicht wieder sich vermählen durfte, war der schwarze Schatten, der das heitere Leben des Künstlers für immer verdunkeln sollte. Ein wackeres Mädchen, Fräulein A. W., schenkte dem Manne, der nur sein Herz, aber keine Hand mit diesem zu vergeben hatte, ihre erste Jugendliebe und blieb dieser treu bis übers Grab hinaus. Daß er seine „Toni“ nicht heimführen dürfte an den häuslichen Heerd, war für den redlichen Raimund eine fortwährende geistige Marter; die Demüthigungen, welche das arme Mädchen zu erdulden hatte, die Opfer, welche sie ihrer Liebe brachte, erkannte der Künstler dadurch an, daß er seine Geliebte zur Universalerbin seines beträchtlichen Vermögens einsetzte.

Im Juni 1790 wurde Raimund in Wien geboren. Leider reichten die Mittel seines Vaters, eines armen Drechslermeisters, nicht aus, um dem heißen Wunsche des Knaben, zu studiren und etwas Tüchtiges zu werden, Genüge leisten zu können. Nun, der Junge ist doch etwas Tüchtiges geworden, wenn gleich in anderer Sphäre, als er damals ahnen mochte. Zu einem Zuckerbäcker in die Lehre gebracht, übte er sich mit poetischen Erstlingsversuchen, als Bonbondevisen, welche letztere viel besser ausgefallen sein sollen, als der von ihm gefertigte süße Inhalt derselben.

Der Schauspieler Landner, ein früherer Schulcamerad und späterer College Raimund’s, mit dem er bis zu seinem Tode innig befreundet blieb, hatte einige Federproben aus jener Zeit aufbewahrt; so zum Beispiel eine burleske Grabschrift, die er bei irgend einer Gelegenheit für seinen eigenen Leichenstein pränumerando anfertigte:

Wandrer, steh’ still oder setze Dich nieder.
Hier ruhen eines Mannes Glieder,
Der Ferdinand Raimund hat geheißen,
Ganz jung mußt er ins Gras schon beißen;
Im rühmlichen Beruf hat er den Tod gefunden:
O Wandrer – ihm wär’s lieb, lägst Du statt ihm da unten!

Nach vielen gescheiterten Versuchen, in Wien oder wenigstens in der Umgebung der Residenz auf einem Sommertheater unterzukommen, begann er seine theatralische Laufbahn in Preßburg; diese Versuche fielen aber kläglich aus, und er mißfiel dem dortigen Publicum total. Nun begann für den Armen ein Wanderleben der entmuthigendsten und mühseligsten Art, auf’s Grellste contrastirend mit dem hohen Ideal, welches der unerfahrene begeisterte Bürgerssohn von der „hehren Kunst“ im Busen trug.

Es fehlt uns der Raum, um dem fahrenden Komödianten auf seinen Kreuz- und Querzügen zu folgen, und die Entwicklung seiner Fähigkeiten stufenweise zu beobachten. Im Jahre 1813 finden wir ihn schon als Gast mit großem Beifall in Wien auftretend, und 1817 gehörte er schon als überaus beliebtes Mitglied dem damals unübertrefflichen Komikerverein des Leopoldstädtertheaters an, für welches die Schriftsteller Meisl, Bäuerle und Gleich ihre hoch beliebten Zauberpossen schrieben. Der Zufall und die eiserne Nothwendigkeit drängten Raimund selbst auf die Bahn des Volksdichters, auf welcher er so reiche Lorbeeren zu ernten und alle seine Nebenbuhler zu überflügeln bestimmt war.

Er hatte Meisl die Idee zu einem Zaubermärchen mitgetheilt, welches zu seinem Benefize im Winter 1823 in Scene gehen sollte. Vergebens war alles Drängen und Mahnen des geängstigten Schauspielers, der Tag des Benefizes rückte näher und näher, ohne daß Meisl, schreibefaul wie immer, mehr als die Einleitungsscenen zu Papier gebracht hatte.

In seiner Desperation beschloß Raimund, selbst den kühnen Versuch zu wagen und das angefangene Opus, „der Barometermacher auf der Zauberinsel“, fertig zu schreiben, ein Versuch, der so glücklich ausfiel und seine hoffnungsreichsten Erwartungen so hoch überflügelte, daß er schon im nächsten Jahre mit einer neuen Zauberposse, „der Diamant des Geisterkönigs,“ vor das Publicum trat, deren Grundidee einem Märchen aus Tausend und einer Nacht entnommen war. In rascher Reihenfolge erschienen nun die Originalwerke: „der Bauer als Millionär“, „Monsasur’s Zauberfluch“, „die gefesselte Phantasie“, „der Alpenkönig und der Menschenfeind“, „die unheilbringende Zauberkrone“ und endlich „der Verschwender“.

Es ist hier nicht die Stelle, um auf Raimund’s unbestrittene Verdienste um die deutsche Volksbühne, seine reiche Erfindungsgabe, seine naive, nie verletzende Witzader als Schriftsteller näher einzugehen; als Schauspieler war derselbe eine Erscheinung, die kaum in der Geschichte des deutschen Theaters wiederkehren dürfte. Von glühender Begeisterung für seine Kunst erfüllt, trugen seine Bühnengestalten stets den Stempel des reifsten, charakteristischsten Studiums. Sein haßerfüllter Rappelkopf und die wehmuthsvoll weiche Erscheinung des Aschenmannes, welch’ ein Contrast!

Unser Bild bringt die Figur des letzteren, nach einem Original des genialen Kriehuber in Wien, in sprechender Aehnlichkeit in Haltung und Zügen, zur Anschauung.

Die Erkennungsscene im „Verschwender“, wo der arme treue Valentin seinen ehemaligen Herrn im Elend findet, gehörte in Raimund’s Darstellungsweise mit zu dem Vollendetsten, was die deutsche Schauspielkunst je aufzuweisen hatte. Und mit wie einfachen Mitteln erreichte der geniale Künstler die erschütterndste Wirkung! Valentin findet an der Schwelle des Palastes seines früheren Gebieters einen Bettler, der Arme will mit dem Aermeren theilen, er nimmt ein Geldstück, um es ihm zu schenken, die Züge des Bettlers scheinen ihm bekannt, er starrt ihm ins Gesicht, die ausgestreckte Hand bleibt unbeweglich, er wagt es nicht, dem Bittenden den bereit gehaltenen Groschen anzubieten. Der ehemalige Millionär fragt den fremden Mann erstaunt, was er von ihm wolle; dieser erkennt die Stimme seines geliebten Herrn, ein unarticulirter Schrei entringt sich der vollen Brust, ein Schrei, in dem sich der tollste Jubel und die innigste Wehmuth mischt; ein greller Ausruf: „Mein gnädiger Herr!“ Er überfliegt noch einmal die verfallene Gestalt des einst so hochgestellten Mannes, und leise stammeln die bebenden Lippen, welche die Hände des früheren Gebieters mit Küssen bedecken, unter einer Fluth von Thränen der Freude und des Schmerzes: „Mein gnädiger Herr!“ Wie Viele, auch Schreiber dieser Zeilen, haben es versucht, dieses zweimalige „Mein gnädiger Herr“ in ähnlicher Weise nachzusprechen, nachdem der Mund des Schöpfers für immer stumm geworden! keinem ist dies nur annähernd gelungen. Diese Töne einer aufjauchzenden und schmerzerfüllten Menschenbrust waren eben nur dem Dichter des „Verschwenders“ eigen.

Wer sollte nicht meinen, daß Raimund jetzt auf dem Höhenpunkte des Glückes angelangt sei? Getragen von der vollen Gunst der Elite des Publicums und der Achtung seiner Mitbürger, in glücklichen Vermögensverhältnissen, Besitzer eines reizenden Tusculums in dem schönsten Gebirgsthale der Monarchie, in Guttenstein, umgeben von der zärtlichsten Sorgfalt eines liebenden und geliebten Wesens, was konnte dem Beneidenswerthen noch fehlen? – Und doch wurde der überall Gefeierte seines Lebens und Wirkens nicht froh; weder die Anerkennung in der Heimath, noch die Erprobung seiner Verdienste auf weiten Gastspielreisen an den größten Bühnen Deutschlands, die sich durch die glänzendsten Erfolge zu wahren Triumphzügen gestalteten, vermochten die schwarzen Schatten der Hypochondrie zu verscheuchen, die sich um das Haupt des Musengünstlings gelagert hatten. Gerade bei seiner genialen Begabung lastete der Mangel an eigentlicher wissenschaftlicher Bildung doppelt schwer auf ihm; bei einem Herzen voll warmer Menschenliebe, unermüdlich im Wohlthun, mit stets offener Hand gegen ärmere Collegen, konnte er doch nie ein scheues Mißtrauen gegen alle Welt überwinden. Wie unglücklich sich der Mann fühlte, dem alle Herzen entgegen schlugen, der Alles erreicht hatte, was in seiner Sphäre zu erreichen möglich war, mögen die folgenden Blätter beweisen. Raimund liebte es, in losen Heften seine Empfindungen in Tagebuchform niederzulegen. Einige dieser Ergüsse hat sein Freund und College, der Schauspieler Landner in Wien, der Vergessenheit entrissen. Sie mögen hier eine Stelle finden.

Lose Blätter aus dem Tagebuche eines ernsten Komikers.
Wien 18–

Es ist seltsam! Je höher die Wogen des Beifalls mich umrauschen, je stürmischer mich die Gunst des Publicums erhebt, desto unzufriedener werde ich mit mir selber. Ich fühle in meiner tiefsten Brust, was ich mir kaum selbst zu gestehen wage, wie unzulänglich mein Genre ist, wie es in demselben so ganz und gar unmöglich ist, Großes zu leisten. Es ist recht traurig! Ein ganzes volles Menschenalter hindurch habe ich vergebens gestrebt und gerungen; [503] mit der letzten Scholle, die man einst meinem Sarge nachwerfen wird, ist auch mein Name der Vergessenheit anheim gefallen. Ihr Glücklichen, denen Mutter Natur ein Organ in die Brust gelegt, volltönend und kräftig genug, um Shakespeare’s, Schiller’s und Goethe’s herrliche Worte auf der Bühne erklingen zu lassen, jedes warme Zuschauerherz erhebend und begeisternd!

Warum mir gerade dieses schnarrende, mißlautige Instrument, zu meiner glühenden Seele passend, wie die Straßenorgel zum Kirchengesang! Warum mir gerade dieses tonlose Organ, eben gut genug, den Possenreißer zu spielen, um der johlenden Menge ein paar müßige Stunden zu verkürzen; ohne tieferen Eindruck, ohne bleibende Nachempfindung! Und an diese fluchbeladene Existenz gefesselt zu sein, wie der Galeerensklave an die Kette!


München.

Heute habe ich einen furchtbaren Abend erlebt. Der berühmte Eßlair spielte am Hoftheater den Tell, eine seiner Forcerollen. Ich fliege in’s Schauspielhaus, um die Künstlergröße anzustaunen, von welcher der Ruf so viel Günstiges erzählt. Was finde ich? Eine Ruine! Eine Ruine, zerfallen und ohne Spur ehemaliger Herrlichkeit. Ein alter Mann, zahnlos, kaum noch verständlich seine Aufgabe handwerksmäßig herablallend und das Publicum, das den einst Gefeierten in anerkennungswerther Pietät mit einem Sturm von Applaus empfing, im Verlaufe der Darstellung eisig kalt lassend. Ich kann nicht beschreiben, wie schneidend wehe mir der Anblick that. Die Erscheinung berührte mich um so schmerzlicher, als ich erfuhr, daß nur Geldnoth den Greis dazu trieb, seine früher errungenen Lorbeeren selber in den Staub zu treten. Ach, welch’ ein widerlicher Anblick ist doch ein alter Komödiant! Wird es mir einst auch so gehen? Von jetzt an will ich sparen, die Sorge für die Zukunft soll in Folge mein Cassenverwalter sein, und der heutige Tell möge ein warnend Schreckbild als Titelbild meines Aufgabebuches stehen. Ob es nicht besser wäre, mit einem raschen Pistolenschuß diesen Sorgen zuvorzukommen, während man noch auf dem Zenith des Ruhmes steht?


Wien, den –.

Heute Abend haben wir einen Theaterscandal zu gewärtigen. Die Krones tritt nach einer mehrmonatlichen Pause wieder auf. Der Leichtsinn dieser allerdings sehr talentvollen Person hat selbe in eine gräßliche Situation verwickelt. Ein reicher polnischer Cavalier sucht ihre Bekanntschaft zu machen, und läßt sich bei der beliebten Schauspielerin einführen. – Es soll dies – wie die böse Welt behauptet – eben nicht mit besonderen Schwierigkeiten verbunden sein. Kurz und gut, in wenig Wochen stehen die Krones und Graf Jaroschinsky auf so vertrautem Fuße, daß Erstere eine Einladung zum Mittagsessen in der Wohnung des Edelmanns annimmt. Es soll dort toll genug zugegangen sein. Während die Orgie im vollen Gange ist, wird der Graf abgerufen. Die Krones setzt sich an’s Clavier und trällert ein Modeliedchen. Plötzlich öffnet sich die Seitenthür, und Graf Jaroschinsky steht umgeben von Polizeidienern und Criminalbeamten, mit schweren Ketten gefeselt und mit todtenbleichem Antlitze, vor den Augen seiner entsetzten Gäste. Die Krones fällt in Ohnmacht, ob in eine wirkliche oder fingirte, will ich dahin gestellt sein lassen, wird aber durch die Hände der rauhen Sicherheitsbeamten in’s Leben zurückgerufen und muß nun über ihr Verhältniß zu dem Grafen – der eines Raubmordes angeklagt ist – genaue Auskunft geben. Es sollen dabei eben nicht die erbaulichsten Details an’s Tageslicht gekommen sein. Jaroschinsky hat wirklich, wie es sich bald ergab, seinen ehemaligen Lehrer, den siebenzigjährigen ehrwürdigen Professor Blank, mit kalter, henkersmäßiger Grausamkeit gemeuchelt und bestohlen und mußte vor wenig Wochen seine fluchbeladene That am Galgen büßen. Die Krones, hieß es damals, werde der Bühne entsagen und sich in ein Kloster zurückziehen. Und jetzt, nachdem kaum mehrere Monate über dies Ereigniß hingegangen, hat die Person die Frechheit, wieder vor die Augen des Publicums zu treten. Alles ist empört, und die Krones wird, trotz ihrer Beliebtheit als Künstlerin, ein gewaltiges Strafgericht zu überstehen haben.

Ich bin gottlob in der heutigen Vorstellung nicht beschäftigt; und geht mich gleich die ganze saubere Geschichte persönlich nichts an, so schäme ich mich doch in tiefster Seele hinein, daß solche Dinge beim Theater vorgehen können. Ich kann es nicht über mich gewinnen, mich unter die Zuschauer zu mengen, sondern ich werde mir irgend einen Winkel auf der Bühne suchen und die Resultate des verhängnißvollen Abends in banger Erwartung vorübergehen lassen.


Den folgenden Tag.

Die Krones ist gestern Abend mit einem Sturm von Applaus, ohne das geringste Zeichen von Mißfallen, empfangen worden! [1]

Ist es denkbar! Wahrlich, so sehr ich gestern fürchtete, unsern Stand beschimpft zu sehen, so empört war ich dennoch über den Ausgang. Ist dies dasselbe Publicum, welches ein Recht zu haben glaubte, sich in meine Privatverhältnisse einzumengen, und mich wüthend auspfiff, weil ich ein Mädchen nicht heirathen wollte, von deren Sittenlosigkeit ich mich leider während des Brautstandes vollständig überzeugt hatte? Ich wurde deshalb mißhandelt, und eine gemeine Buhlerin, deren Verschwendung Mitursache an einem Morde gewesen, wird mit einem Jubel empfangen, als träte sie nach einer großen That vor die Augen der Menge! Ja, um das Maß voll zu machen, wurden einige bezügliche Reden – man gab eine Parodie auf Spontini’s Vestalin – besonders aber die Worte der Krones: „das dumme Volk wird doch nicht im Ernste glauben, daß ich eine Vestalin bin?“ mit einem rasenden Beifallssturm aufgenommen. Die Röthe der Scham brannte mir auf der glühend heißen Wange; und die Menge jauchzte! Und diesem Götzen, charakterlos und launisch, bringt der Schauspieler sein Dasein, der Künstler den „Saft seiner Nerven“ zum Opfer!


Am Abend desselben Tages.

Heute zum ersten Male während einer zwanzigjährigen Künstlerlaufbahn drängt sich mir der Gedanke durch den Kopf, ob ich nicht besser gethan hätte, nach den Willen meines alten braven Vaters ein friedlicher Handwerker zu werden. Ich sehe ihn vor mir, den gutmüthigen Greis mit den Silberlocken, wie er mit rastlosem Fleiße schafft und sich müht um die Existenz seiner Familie.

An einem Sonntag, das einfache Mahl war verzehrt, das Tischgebet gesprochen, frug er mich mit herzlichen Worten: welchen Stand ich mir zu wählen gedenke? Und als ich hierauf mit scheuer Stimme antwortete, ich wolle Schauspieler werden: da wurde der alte Mann bleich wie der Tod, die gutmüthigen Augen umzogen sich mit einem hervorquellenden Thränenflor, nach langer Pause entrangen sich den bebenden Lippen meines armen Vaters die beinahe unhörbaren Worte: „Ferdinand, das kann dein Ernst nicht sein. Du wirst deine unglücklichen Eltern nicht vor der Zeit ins Grab bringen wollen!“ Da trat auch die Mutter an mich heran, und beschwor mich mit heißen Thränen, von meinem Vorsatze abzustehen, und meine liebliche Schwester Gertrude ergriff meine Hand und vereinigte ihre Bitte mit denen meiner theuren Erzeuger. Erschüttert gab ich den Meinen das Wort, nie mehr an die vorübergehende Idee zu denken, Schauspieler zu werden. Dankbar drückte mich der Alte ans treue Herz, Jubel scholl durch die Räume unserer sonst stillen Wohnung, ein Fest wurde improvisirt, es war, als sei ich meiner Familie zum zweiten Mal geboren worden. Nochmals mußte ich meinem Vater das feierliche Wort geben, dem unseligen Vorsatze „Komödiant“ zu werden zu entsagen.

Ich habe mein Wort nicht gehalten.

Zürnst Du mir deshalb noch, verklärter Dulder dort oben? Sieh, Du bist gerächt! Vollwichtig gerächt! Trotz allem, was man im gewöhnlichen Leben Glück nennt, habe ich während der langen, langen Zeit, daß ich der Bühne angehöre, mich nicht eines wahrhaft glücklichen Augenblicks zu erfreuen gehabt. „Du sollst Vater und Mutter ehren.“ – Ich habe die letzten Wünsche der Meinen außer Acht gelassen, dafür stehe ich jetzt allein und freundlos in der Welt. Niemand, der mir angehört, alle meine Lieben ruhen im Schooße der Erde. In den bereits erbleichenden Locken wühlt kein liebes Kind, kein theurer Sprößling schaukelt auf meinem Kniee, welches die Hand stützt, in der das sorgenschwere Haupt ruht.

Du sollst Vater und Mutter ehren.

Und doch – war es denn meine Schuld? Konnte ich dem Drange widerstehen, welcher mich unaufhaltsam den verhängnißvollen Bretern entgegenriß? Konnte ich ankämpfen gegen die glühende Neigung zur Kunst, welche mir von meinem unausweichbaren Geschicke gleichsam als Pathengeschenk in die Wiege gelegt zu sein schien? Von dem Tage an, als sich mit dem Auschauen des ersten Bühnenwerkes eine nie geahnte Wunderwelt vor meinen erstaunten Blicken erschloß, konnte ich die fieberhafte Pein, die heiße Sehnsucht nach der Priesterschaft in dem für mich heiligen Tempel der Kunst nicht eine Minute los werden.

Kaum hatten wir den braven Vater hinaus getragen auf den [504] beschneiten Kirchhof, so waren die feierlichen Gelöbnisse vergessen, die ich in die jetzt erkalteten Hände gelegt. Treulos den Ladentisch verlassend, der mir zur Galeere geworden war, begann ich bei wandernden Truppen ein mühseliges, abenteuerliches Nomadenleben.

Damals war ich glücklich! – Die rasche Jugend half mir mit leichtem Sinne über Nahrungssorgen hinweg, dafür durfte ich die Kunstkenner in Stein am Anger und Oedenburg[2] entzücken, und beschwichtigte den knurrenden Magen, indem ich ihm eine neue Rolle vorlas und ihn mit meinen großartigen Hoffnungen und Plänen für die Zukunft tröstete. Alle diese Hoffnungen sind mehr als wahr geworden, alle meine Pläne habe ich realisirt, und dennoch – bin ich jetzt zufriedener als damals? – Du sollst Vater und Mutter ehren!




Leider reichen die uns zugekommenen Blätter nicht weiter, doch geben sie ein klares Bild von dem Seelenzustande des edlen und genialen Selbstquälers. Wenn auch die stets steigenden glücklichen Erfolge in seiner Doppeleigenschaft als ruhmgekrönter Dichter und Darsteller von Zeit zu Zeit die „Saulslaune“, die sich seiner bemächtigt hatte, nicht zum vollen Ausbruch kommen ließen, so stellte sie sich doch periodenweise um so gewaltiger ein. So auch am 26. August 1836, wo der Dichter sich auf seinen reizenden Landsitz zu Pernitz bei Guttenstein zurückgezogen hatte. Ein kaum nennenswerthes Ereigniß führte die verhängnißvolle Katastrophe herbei, welche dem Leben Raimund’s ein vorschnelles Ende machte.

Ein bissiger Haushund verletzte ihn leicht an der Hand, die Wunde war so unbedeutend, daß sie in ein paar Tagen bis auf die letzte Spur geheilt worden wäre. Da bemächtigte sich mit unabweisbarer Gewalt des armen Hypochonders der furchtbare Gedanke, „der Hund sei toll gewesen.“

Um sich zu zerstreuen und den Folterqualen seiner immer fester wurzelnden Ideen zu entgehen, unternahm er eine Reise zu dem wunderthätigen Madonnenbilde in Mariazell, welches bei allen Katholiken in hohem Ansehen steht, und wohin tausend und Tausende Belasteter wallfahrten, um ihr schweres Herz auszuschütten. Dort mag auch der geängstigte Poet seine Hände im Gebet gerungen und die gnadenreiche Heilige mit heißer Bitte angefleht haben, die furchtbare Todesart von ihm abzuwenden. Nach Hause zurückgekehrt, wurde sein unseliger Wahn noch bestärkt, als er erfuhr, daß der Hund in der Zwischenzeit erschossen worden sei, da er noch eine Person gebissen, und sich überhaupt „wie toll“ gebehrdet habe.

Der verwüstete Hofraum, die ringsum weit aufgewühlte Erde, die zerrissenen Trümmer der Einfriedigung des Grundstückes legten ein furchtbares Zeugniß ab für die Wuth des bösen Hundes. Vergebens alles Zureden seiner besorgten Umgebung, seiner treuen Toni. Endlich brachte ihn die Letztere zu dem Entschluß, mit ihr nach Wien zu fahren, und dort Rath und Hülfe eines berühmten Arztes in Anspruch zu nehmen.

Scheu in eine Ecke des Wagens gedrückt, stumm und regungslos saß der Märtyrer seiner Einbildung in furchtbaren Qualen, unzugänglich den Trostesworten und Bitten der sanften Freundin. Da brach ein so furchtbares Unwetter los, wie man sich eines ähnlichen seit Jahren nicht erinnerte. Der Donner rollte mit dröhnenden Schlägen, in dem Gebirgsthal ein hundertfaches Echo weckend, Regengüsse, gleich Strömen niederrauschend, machten die Wege unfahrbar und zwangen unsere Reisenden in einem kleinen Gasthof in Pottenstein zu übernachten. Man weiß, wie selbst die heiterste Stimmung durch einen unfreiwilligen Aufenthalt an einem langweiligen Orte bei schlechtem Wetter niedergedrückt wird. Und nun denke man sich Raimund, mit bitterer Verzweiflung im Herzen, Nacht, düstere Nacht um und in ihm, im unbehaglichen, düsteren Dorfwirthshause, und umtobt von dem Wüthen der Elemente! Immer finsterer, immer drohender umgaben die Schreckgestalten eines gräßlichen Todes den armen Künstler, mit leiser Stimme bat er seine Toni, ihm ein Glas Wasser zu besorgen. Diese hatte sich kaum entfernt, als ein dumpfer Knall sie zurückschreckte; mit düsterer Ahnung öffnet sie die Thüre – da liegt der Unglückselige; mit einem Taschenpistol, welches er stets geladen bei sich trug, hatte er sich in den Mund geschossen!

Wie ein Lauffeuer drang der Ruf der vorschnellen Schreckensthat nach Wien. Aerzte und Freunde des armen Mimen eilten nach Pottenstein, nur Trost, nicht Hülfe konnten sie an das Schmerzenslager bringen. Die Kugel des schwach geladenen Terzerols war im Gaumen stecken geblieben, noch acht qualvolle Tage mußte er seine Leiden, seine Reue tragen, ehe der Tod als Erlöser aus schwerer Pein an sein Sterbebette trat.

Als ihn sein vieljähriger Freund, der Schriftsteller Weidmann, besuchte, zeigte er diesem, während ihm heiße Thränen über die abgemagerten Wangen rollten, mit dem Finger in den Mund und wimmerte zu wiederholten Malen: „die Kugel! die Kugel!“

Und schließt mich einst die Kunst aus ihrem Tempel aus,
Verbirg mein graues Haupt in Deinem grünen Haus;
Dann mag sich meine Lebenssonne neigen,
Dann will ich in Dein kühles Brautbett steigen,
In Deinem Schooß ruh’ mein Gebein,
Mein Grabmal sei im Guttenstein!

 (An Guttenstein.)

Nach diesem seinem Wunsch, den er oftmals in seinen Poesien ausgesprochen hatte, wurden seine sterblichen Reste der Erde seines vielgeliebten Guttensteins anvertraut.

Am 8. September 1836 bewegte sich der endlos lange Zug der Leidtragenden – Leidtragende im strengsten Sinne des Wortes – in dem reizenden Gebirgsthale entlang, dem entschlafenen Freund und Kunstgenossen die letzte Ehre zu erweisen. Die Landleute der Umgegend, denen er stets Freund, Berather, Helfer in allen Nöthen war, die den „guten Stadtherrn“ alle innig liebten, hatten sich in reicher Zahl, angethan im Festschmucke, eingefunden, den „braven Herrn“ zur Gruft zu geleiten. Größere, festlichere Leichenbegängnisse mögen schon vorgekommen sein, ein ergreifenderes, schmerzlicheres wohl nie. Die Klänge des schönen Liedes: „So leb denn wohl, Du stilles Haus“, aus seiner besten Dichtung „der Alpenkönig und der Menschenfeind“, wirkten erschütternd auf die Menge, die mit heißen Thränen dem Sarge folgte. Sein ebenbürtiger College Ludwig Löwe, der den Lorbeer auf sein Grab gelegt, war vor schmerzlicher Aufregung nicht im Stande, die Worte der Liebe und Achtung, die dem Hingeschiedenen folgen sollte, zu vollenden. Schmerzlich weinend sank er mit gefalteten Händen am Sarge nieder, während die bebenden Lippen nicht einen armen Laut mehr hervorbringen konnten.

Und so möge denn auch meine Feder verstummen; vielleicht finde ich später Platz, auf einzelne Charakterzüge, so wie auf einen fast tragikomischen Streit um den gestohlenen Schädel des Todten, in diesen Blättern zurückzukommen. Jetzt mag die ernste Stimmung bei der Erinnerung an einen edlen Menschen, an ein großes, vor der Zeit untergegangenes Genie, an einen unvergessenen Darsteller den Schlußstein meiner Federzeichnung bilden.


  1. Factisch!
  2. Zwei kleinere Provinzstädte Ungarns, in denen Raimund seine Laufbahn begann.