Aus der zoologischen Station in Neapel

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Carl Vogt
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Aus der zoologischen Station in Neapel
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 21, S. 340–344
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[340]
Aus der zoologischen Station in Neapel.
Von Carl Vogt.

„Nun, Antonio, etwas Neues?“ fragt einen wettergebräunten älteren Fischer ein blonder Herr im Arbeitsrocke, der seine Cigarre mit weltmännischem Anstande zwischen den Fingern hält.

„Nicht viel, Doctor Eisig,“ antwortet statt des Fischers, der ein verzweifeltes Gesicht macht und nur mit den Achseln zuckt, ein junger, hochaufgeschossener Mann in hohen Stiefeln, der als Diener eine Schürze vorgebunden hat und mit Pincette und Lupe in dem großen niedrigen Holzbecken herumkramt, in das der Fischer seinen Fang ausgeschüttet hat. „Bei solcher Tramontana wie sie seit einigen Tagen herrscht, ist die Fischerei nicht ergiebig.“

„So gehen Sie einmal nach Amphioxus, Antonio!“ befiehlt Dr. Eisig, „es sind verschiedene Herren da, welche den ‚ehrwürdigen Stammvater‘ haben möchten. Geben Sie ihm sein Geld, Salvatore,“ und Du, wendet er sich zu einem kleine Jungen „rufe Herrn Schmidtlein!“

Der Ort, wo dieses Gespräch stattfindet, ist eine geräumige, durch drei gewaltige Bogenfenster erleuchtete Halle, aus welcher jetzt Fischer und Diener mit Benutzung einer seitlich hinabführenden engen Treppe verschwinden. Die Fenster entlang stehen auf einem breiten Gerüste, das in seinem Innern große, zur Aufbewahrung bestimmte Kisten enthält, die runden, kaum handhohen Becken, in welchen der Fang sortirt wird. An der Hinterwand, dem Sortirungstische gegenüber, befinden sich zwei über einander stehende Reihen von Aquarien, etwa einen Meter hoch und tief, durch welche beständig Ströme von Seewasser hindurchrieseln. Die Thüren an beiden Enden führen in das Arbeitszimmer.

Professor Dohrn, der Gründer und Leiter der Anstalt, hat mir für die kurze Zeit meines Aufenthaltes in zuvorkommendster Weise eines dieser Zimmer, das er selbst zu seinen Arbeiten benutzt, eingeräumt. Ich trete in dem Augenblicke, wo der Fischer abgeht, aus meiner Thür, um zu sehen, was man Neues gebracht haben könne.

Es krabbelt und knistert in dem Sortirbecken. Hunderte von Einsiedlerkrebsen (Pagurus) arbeiten unter einander herum, jeder seine Schneckenschale mit sich schleppend, auf welcher eine schöne, blaßviolette, mit rothen Punkten gezierte Actinie, die Adamsia, sitzt. Ich habe früher in der „Gartenlaube“ (Jahrg. 1876, Nr. 25) von Roscoff her das zarte Freundschaftsverhältniß beschrieben, welches zwischen dem Krebse und der Actinie herrscht – aber während die so gesellten Freunde in Roscoff selten sind, kann man hier täglich Hunderte und aber Hunderte von Exemplaren haben. „Vortreffliches Futter für meine Meeraale, Muränen, Ziegen- und Zahnfische,“ sagt der inzwischen herbeigekommene Herr Schmidtlein, indem er sich über die Paguren beugt. „Michele, mache Dich gleich daran, die Bursche aus den Schale herauszuholen! Sie werden Ihre Freude haben, Professor, zu sehen, wie meine Aale aus ihren Töpfen herausschlüpfen und über die Einsiedler herfallen, sobald man sie in ihr Bassin schüttet. Das knackt förmlich unter ihren Zähnen.“

Die Meeraale (Conger) und die gefleckten Muränen bergen sich in der That in dem großen Aquarium, das dem Publicum geöffnet ist, in Thonurnen und Töpfen, aus denen sie nur die Köpfe hervorstrecken, bis das Futter sie vollständig hervorlockt. Die Töpfe passen so gut zu den Thieren, daß eine das Aquarium besuchende Dame fragte, ob sie von den Fischen selbst gefertigt seien?

Unterdessen sind ein zweiter und dritter Fischer, jeder mit seinem Gehülfen eingetreten. Der Eine hat mit dem feinen Netze an der Oberfläche den pelagischen, schwimmenden Thieren nachgestellt, der Andere auf einer Untiefe (secca) mit dem Schleppnetze den Boden abgekratzt. Salvatore schließt einen Behälter [341] auf und nimmt verschiedene große und kleinere Glasgefäße heraus. „Früher ließen wir unsere Glasgefäße frei stehen,“ sagt Dr. Eisig, „sie verschwanden wie durch Zauberei trotz aller Beaufsichtigung! Intelligent, aber diebisch – ist die Signatur dieses Volkes.“

„Wollen Sie Auftrieb?“ fragt Salvatore, indem er das Wort ausspricht, als werde es mit einem aspirirten H geschrieben. „Oceania in Menge!“ Die kleinen, hutförmigen Quallen mit ihren durchsichtigen Schirmen, ihren weißen Mägen, die in der Mitte des Schirmes aufgehängt sind, und den feinen, langen, zartgefärbten Fühlfäden tummeln sich in dem Glase umher. „Wenn nicht, so erhält sie Professor Metschnikoff.“

„Ach ja,“ sagt dieser, der eben in der Thür erscheint, „ich hoffe, sie führen sich besser auf, als die letzten, welche ich bekam.“

„Wie so, College?“

„Nun ja,“ sagt Metschnikoff, „ich will ja die Entwickelung der Eier studiren, und die letzten legten auch viele – aber sie waren alle nicht befruchtet. Ich glaube, die Kälte –“

„Na ob!“ seufzt Schmidtlein. „Haben Sie gesehen, welche Verheerungen die Kälte unter meinen Ziegenfischen (Balistes capriscus) angerichtet hat? Als Sie kamen, Professor Vogt, hatte ich noch einen ganzen Schwarm, und Sie freuten sich an ihrem lebhaften Wesen. Jetzt sterben sie wie die Fliegen, und in ein paar Tagen werden wir keinen einzigen mehr haben.“

Der Leiter des Aquariums schreitet gebeugten Hauptes der Treppe zu, um sich zu seinen Pfleglingen zu begeben. Er darf sich derselben rühmen. Ich habe die meisten See-Aquarien des Binnenlandes gesehen – keines kann sich, was Reichthum der Formen, Pracht der Farben, Auswahl der Exemplare betrifft, auch nur entfernt mit demjenigen der Station in Neapel messen. Die eigenthümlichen Lebensbedingungen sind einer jeden Art so gut abgelauscht und angepaßt, daß die meisten nicht nur ausdauern, sondern sich auch fortpflanzen und vervielfältigen. Die zartesten Thiere, welche bei der geringsten Berührung leiden und niemals transportirt werden können, sieht man hier fast alltäglich – wenn sie auch nur einige Tage in dem Aquarium leben, so ersetzt der nächste Fang den Verlust. Man kann Stunden und Tage in diesen Räumen verbringen und wird stets etwas Neues sehen und beobachten können. An der Farbenpracht der Becken aber, welche die lebenden Korallen oder Röhrenwürmer beherbergen, würde selbst die Palette eines Makart scheitern.

„Nichts für mich?“ ruft ein magerer, schwarzhaariger Mann, der aus einer Thür neben der meinigen in die Halle tritt. „Doch! Da sind ja einige Feuerwalzen (Pyrosoma)!“

„Geduld, lieber Müller,“ sagt Eisig, „erst wollen wir sie in unsere Gläser übergießen, und dann wollen wir doch sehen, ob nicht Professor Götte von Straßburg welche braucht, um Infusorien darauf zu suchen.“

„Er wird doch nicht gleich ein ganzes Dutzend nöthig haben?“ antwortet Müller, „und die Infusorien werden ebenso gut auf den weniger schönen Exemplaren zu finden sein. Ich annectire also die schönsten Zapfen – es werden immer welche verlangt, von allen Museen; sie leuchten freilich nicht in den Gläsern wie im Meere, aber zeigen muß man sie können, wenn von Leuchtthieren die Rede ist. Da sehe ich auch Phronima.“

„Paul Meyer wollte Junge haben. Sehen wir zu, ob welche in ihrem Tönnchen sind.“

Das so benannte Krebschen könnte auch der Turnerkrebs genannt werden. „Es ist,“ sagt Schmidtlein in seinem trefflichen „Leitfaden für das Aquarium der zoologischen Station in Neapel“, „ein kleines pelagisches Krebschen von glasartiger Durchsichtigkeit, das merkwürdiger Weise in jungen Pyrosomen lebt, welche es zu einer kleinen Tonne ausfrißt und sodann als ambulante Wohnung in Besitz nimmt. Indem es sich mit den vorderen Beinpaaren in der Tonne festklammert, steckt es den Hinterleib aus derselben hervor und schwimmt durch lebhafte Ruderschläge der Schwanzanhänge munter mit seinem Fäßchen umher. Auch als Kinderstube benutzt der kleine Diogenes seine Gallerttonne, indem nicht nur die Eier an der Innenwand derselben befestigt werden, sondern auch die schon ausgeschlüpften Jungen noch geraume Zeit ihren Aufenthalt darin nehmen.“ Das turnt in der That in und mit der Tonne, wie am Reck und Barren – und die Heiterkeit des Vorganges wird noch erhöht durch die überaus seltsame Gestalt des Krebschens mit seinen riesigen Augen, dem pferdeähnlichen Kopfe, den langen Klammerarmen und dem spindeldürren Leibe.

Müller verschwindet mit seiner Beute in sein Zimmer, dessen kleinstes Plätzchen mit Gläsern und Gefäßen aller Art überfüllt ist. Er besorgt die Conservirung der Thiere, welche theils zur Bildung einer typischen Localfauna, theils zum Verkauf an Museen und öffentliche oder Privatsammlungen bestimmt sind. Man staunt über die Fortschritte, welche diese Kunst in den letzten Jahren gemacht hat, wie man allmählich gelernt hat, die glasartige Durchsichtigkeit der pelagischen schwimmenden Seethiere ebenso zu erhalten, wie ihre zarte Farbentöne und die Umrisse ihres ganzen, vom Wasser aufgeschwemmten Körpers. Die zoologische Station wollte die Ausstellung von Fischereigegenständen beschicken, welche soeben in Berlin eröffnet worden ist; ich bin überzeugt, daß neben dem Modell der ganzen Anstalt, den Geräthen und Apparaten, welche der wissenschaftlichen Fischerei dienen, die Sammlung conservirter Seethiere, welche man für die Ausstellung vorbereitete, die Aufmerksamkeit aller Kenner im höchsten Grade fesseln wird.

Die Nachricht, daß manches Brauchbare gefischt worden sei, hat sich wellenartig weiter verbreitet. Dr. Berthold, der Botaniker der Station, sucht in den Kübeln nach Algen und Tangen im Zustande der Fructification; er versichert uns, daß das Mittelmeer, und speciell der Golf von Neapel, weit reicher an interessanten Formen sei, als man nach den bisherigen Forschungen hätte glauben können, und daß namentlich die Taucherei mit dem Scaphander (einer besondern Art von Schwimmkleid) für die Botaniker von unschätzbarem Werthe sei. So viel wir wissen, arbeiten gegenwärtig drei Algologen in der Station; sie erhalten ihr Material und theilen sich brüderlich darein.

„Achtung! Die Meyerei rückt an!“

Die so angekündigte Truppe besteht aus zwei Norddeutschen, die auf dem nördlichen Flügel des Gebäudes ihre Laboratorien haben. Dr. Paul Meyer nimmt die Tönnchen mit Phronima-Eiern in Empfang, die er mit Hülfe eines sinnreichen Apparates ausbrüten will, der die Eier beständig hin- und herschleudern soll, wie dies im Leben von den Krebsmüttern geschieht; er forscht außerdem nach kleinen Ziegenkrebsen (Caprelliden), über welche er eine Monographie ausarbeitet.

Fritz Meyer geht direct auf Professor Metschnikoff los, mit einigen Präparaten bewaffnet.

„Sie erinnern sich des Haliphysema, Herr Professor?“

„Ach ja!“ antwortet Metschnikoff, „es ist ja wohl sehr schwierig.“

„Ich habe die Kieselnadeln mit Flußsäure aufgelöst und nachher den Körper mit Carmin gefärbt; es geht recht gut; wollen Sie die Präparate sehen? Die Kerne sind deutlich. Vorher möchte ich aber noch einige zusammengesetzte Seescheiden (Ascidien) nehmen, vielleicht auch ein kleines Pyrosoma.“

Wir folgen Fritz Meyer in sein Zimmer, wo einige junge Gehülfen an der Arbeit sitzen. Er zeigt uns die mikroskopischen Präparate, mit deren Herstellung er betraut ist und die bald serienweise in den Handel kommen sollen. Die Anfragen um solche Präparate, von denen viele nur am Meeresstrande gefertigt werden können, häuften sich so, daß die Station einen besondern Betriebszweig dafür einrichten mußte.

Wir kehren in die Halle zurück und finden dort unsern Freund, Professor Dohrn, der aufmerksam einen kleinen Wurm betrachtet, welchen ihm Salvatore in einem Uhrglase überreicht hat.

„Ich habe solch Thier noch niemals gesehen,“ sagt Salvatore.

„Ich auch nicht,“ sagt Dohrn. „Was meine Sie, Doctor Lang?“ indem er sich an einen jungen, stämmigen Mann wendet, dessen ganze Figur den Schweizer erkennen läßt; „gehört die Bestie in Ihr Bereich?“

„Hm!“ antwortet dieser, „das Ding scheint einen Rüssel zu haben; sollte es eine Nemertine sein?“

„Woher dann die franzenartigen Falten am Hintertheile?“

„Aber ein Wurm ist es doch.“

„Wurm sagt gar nichts. Ein Ringelwurm? Was halten Sie davon, Eisig? Dann hätten Sie ein Recht darauf.“

„Danke! Ich bearbeite die Borstenwürmer. Das Ding hat keine Borsten.“

„Aber Etwas muß es doch sein.“

[342] Es wird hin und her gerathen und discutirt; fünf Professoren, Dohrn von Neapel, Metschnikoff von Odessa, Götte von Straßburg, Duplessis von Lausanne und Vogt von Genf, lassen das Uhrglas von Hand zu Hand gehen, betrachten das Ding mit der Lupe, schütteln den Kopf; so und so viel Doctoren thun dasselbe. Jeder hat eine andere Meinung; endlich sagt Dohrn:

„Nehmen Sie den Teufelswurm, Lang, zeichnen Sie ihn genau, so lange er lebt, und dann härten und färben Sie ihn und machen Sie Schnitte! Da muß es sich ja wohl zeigen, weß Geistes Kind er ist.“

Aber es zeigte sich nicht, oder vielmehr, es kam schließlich heraus, daß wir Alle durch ein abgerissenes Stück eines Tentakels von irgend einem Wurme gefoppt worden waren, das sich in sich selbst eingestülpt hatte und nun aussah wie ein Wurm, der einen langen Rüssel einziehen und ausstrecken konnte. Die kleine Geschichte giebt uns auf's Neue den Beweis, daß all unser Wissen Stückwerk ist und daß noch für lange Zeiten Stoff genug für Untersuchungen am Meere sich findet, wenngleich einige Weisheitskrämer die Meinung geäußert hatten, die Errichtung einer Station sei schon deshalb unzweckmäßig, weil die Bucht von Neapel in wenig Jahren durch die Menge der dort sich einfindenden Naturforscher so gründlich durchstudirt sein müsse, daß gar nichts mehr für die Nachfolger übrig bleiben werde. Du lieber Himmel! Jede Forschung erzeugt neue Probleme, neue Forschung.

„Na, Petersen, was ist denn schon wieder los?“ fragt Dohrn einen jungen Mann, der eine Nebentreppe herunter eilt.

„Was los ist, Herr Dohrn?“ antwortet dieser in kurzen über einander purzelnden Sätzen; „was los ist? Mit Ihrer Erlaubniß, die Bacterien sind los; die Vibrionen kommen uns über den Hals. Alles stirbt.“

„Nanu! So arg wird es doch nicht sein?“

„Aber doch, Herr Dohrn! Das Wasser wird schon trübe im großen Arbeitssaal, und wenn wir nicht Einhalt thun, kommen die Vibrionen hinunter in das Aquarium.“

„Das wäre doch zu toll. Da müssen Sie sich mit aller Macht entgegenstemmen.“

„Wir werden Alles ausputzen und gleich den Strom absperren. Aber ich muß Hülfe haben.“

„Alle Hände auf Deck, Petersen! Schade um die schönen Colonien von Hydroïd-Polypen und die lustige Gesellschaft von kleinen Mysis-Krebschen, die sich in dem Aquarium des großen Arbeitssaales festgesetzt hatten! Aber, à propos, Petersen, können wir morgen fahren?“

„Mit dem Dampfer? Nein Herr Dohrn, ich brauche die Leute morgen noch zum Putzen und Reinigen. Wir müssen finden, wo sich die Vibrionen entwickeln.“

„Der Professor Vogt möchte gern dabei sein, wenn wir mit dem Scaphander tauchen.“

„Versteht sich! Uebermorgen wird Alles in Ordnung sein. He! Aniello! Michele! Francesco! Wir wollen nach oben gehen.“

Nach kurzer Zeit erscheint Petersen, der Obermaschinist, wieder auf der Bildfläche, freundlich lächelnd.

„Ich glaube, wir haben's. Das Zuflußrohr oben ist zu weit. Es darf keine Luft hineinkommen. Wir machen es enger.“

„Also können wir morgen fahren?“

„Nein, wir müssen morgen Kohlen im Arsenal fassen. Auch geht der Hamburger Dampfer ab –“

Vielleicht hat der Leser durch das Gesagte einen, wenn auch nur schwachen Einblick in das vielfach bewegte Leben gewonnen, das in der Dohrn’schen Station sich entfaltet, und dem trotz der scheinbaren Ungebundenheit eine festgefügte Organisation zu Grunde liegt. Jeder der immerhin zahlreiche Beamten hat sein specielles Departement, seine bestimmte Aufgabe und Verantwortlichkeit; abwechselnd von Woche zu Woche ist Reih’ um einer du jour, der das Kommen und Gehen der Diener und Angestellten zu überwachen und zu controlliren hat und Morgens der Erste, Abends der Letzte auf dem Platze sein muß. Jeder hat Rechnungsbücher zu führen, Beobachtungstabellen zu bearbeiten, bestimmte wissenschaftliche Aufgaben durchzuführen, je nach specifischen Talenten und Neigungen. Es herrscht ein angenehmer Ton freier, aber gebildeter Sitte unter diesem aus allen Ländern deutscher Zunge zusammengewürfelten Generalstab der Station; ich bin während vierzehn Tagen beim einfachen Frühstück ihr Tafelgenosse gewesen und habe nur die angenehmsten Erinnerungen davon nach Hause gebracht.

Gar Mancher, der keinen Begriff von den Aufgaben hat, welche die wissenschaftliche Forschung sich heute stellen muß, mag über diesen Generalstab von acht Beamten, denen noch eine doppelt so große Anzahl von untergeordneten Bediensteten zur Seite steht, bedenklich den Kopf geschüttelt haben, und manche Forscher der alten Schule, an Geringfügigkeit der Aushülfe und Mittel gewöhnt, haben ihre Zweifel laut werden lassen. Ich muß offen gestehen, daß ich zum Theil derselben Ansicht war, bis ich mich durch längeres, eingehendes Studium der Verhältnisse vielmehr zu der Ueberzeugung bekehrte, daß das Personal der Anstalt nur mit äußerster Anspannung der Kräfte den Aufgaben genügen kann und weit eher eine Vermehrung, als eine Verminderung des Personals in Aussicht zu nehmen ist.

Es ist leicht, diese Behauptung zu begründen.

Regierungen und Institute haben über zwanzig Arbeitstische gemiethet, zu deren Benutzung sie berechtigte Forscher nach der Anstalt senden. Anfangs April arbeiteten dort, wie mir mein Assistent berichtet, welcher den Schweizer-Tisch einnimmt, 26 Personen. Diesen muß beständig das Material an Thieren und Pflanzen geliefert werden, dessen sie zu ihren Untersuchungen bedürfen. Zwei Segelboote und zwei Ruderboote sind fortwährend mit dieser wissenschaftlichen Fischerei beschäftigt – bald mit dem feinen Netze an der Oberfläche, um pelagische Thiere zu haschen, bald mit Schleppkratzen, Reusen, Netzen und Angelschnüren auf den Untiefen.

Es zeigte sich bald, daß die Kräfte, welche man auf diesen Fahrzeugen entwickeln konnte, zu der so unendlich wichtigen Tieffischerei nicht ausreichten; die Akademie der Wissenschaften in Berlin schenkte einen kleine Dampfer, zu welchem das preußische Unterrichtsministerium einen Beitrag gab – die ganze Flottille, so klein sie ist, bedarf Mannschaft, der Dampfer einen Maschinisten, Leute zur Handhabung der schwere Schleppnetze, der Luftpumpen des Tauchapparates. Außerdem haben sich die Fischer des Golfs daran gewöhnt, in die Station zu bringen, was sie auf dem Markte nicht verwerthen können, und so sind schon die seltensten und schönsten Stücke zur Beobachtung gekommen.

Wie bei der Jagd, spielt bei der Fischerei der Zufall eine bedeutende Rolle. Um ein bestimmtes Thier beschaffen zu können, muß man oft Haufen anderer Thiere in den Kauf nehmen. Ein Beispiel! Dr. Lang, der Bibliothekar der Station, bearbeitet nebenbei für die Fauna des Golfes die Plattwürmer und speciell die Gruppe der Planarien. Diese äußerst delicaten, oft mit den schönsten Farben gezierten Strudelwürmer verkriechen sich so zwischen Algen, in Löchern und Ritzen der Felsen, daß man sie kaum erblicken und auch dann meistens nicht haschen kann, ohne sie zu zerreißen. Man muß die mit hundert und aber hundert Thier- und Pflanzengebilden bewachsenen Grundproben ruhig im Wasser stehen lassen – nach einigen Stunden oder selbst erst nach Tagen kommen die blattartigen Thiere hervor, kriechen oder schwimmen umher. Man hat jetzt Planarien, aber nebenher die schönsten Grundthiere, Korallen, Seesterne, See-Igel, Moosthiere etc. eingefangen. Die letzteren passen nun zwar vielfach für das große, dem Publicum geöffnete Aquarium, das einestheils durch die Besucher eine Einnahmequelle ist, anderntheils einen unversiechbaren Reservefonds für die Forscher bildet, aber dieses Aquarium bedarf eines umsichtigen, kenntnißreichen Leiters, der seinen Pfleglingen mit liebevoller Aufmerksamkeit folgt; es bedarf weiterer Beamten an der Casse, Diener für die Besorgung.

Nicht Alles paßt für das Aquarium. Aber Museen, Unterrichtsanstalten und Private schreien nach wohl conservirten Seethieren, und je eifriger man sich bemüht, diesen Forderungen gerecht zu werden, desto stürmischer wird die Nachfrage. Der Export solcher conservirten Thiere verlangt eine bedeutende Correspondenz und genaue Buchführung – der Leiter dieses Geschäftszweiges, dessen stets fortschreitende Entwickelung gezeigt hat, daß er einem wesentlichen Bedürfnisse entspricht, muß zugleich ein wissenschaftlich gebildeter Mann sein – er hat mit seinen Gehülfen vollauf zu thun.

Die Herstellung mikroskopischer Präparate ist ein ganz bedeutender Industriezweig geworden. Es giebt kaum eine Secundärschule, welche nicht eine Sammlung mikroskopischer Präparate besäße; die Universitäten bedürfen derselben massenhaft. Viele dieser Präparate können nur am Meeresstrande hergestellt oder vorbereitet werden. Man verlangt sie von allen Seiten. Der [343] dafür angestellte Beamte arbeitet in angestrengtester Weise mit mehreren Gehülfen, um den ersten Anforderungen zu genügen.

Der Forscher, welcher in der Station arbeitet, soll dort Alles vorfinden, was ihm zu seiner Arbeit nöthig ist. In keinem andern Laboratorium, so weit ich sie kenne, findet sich eine Bibliothek, welche sich nur im Entferntesten mit derjenigen der Station in Neapel vergleichen ließe. Ein Bibliothekar ist nöthig, sie in Ordnung zu halten. Wenn derselbe heute noch nebenbei zeichnet und wissenschaftlich forscht, so wird dies bald, bei fortschreitender Vermehrung der Bibliothek, kaum mehr möglich sein. –

„Ist das Thier, welches ich eben untersuche, auch wirklich die Art, für die ich es halte?“ Eine oft ungemein schwer zu beantwortende Frage, die sich aber leichter lösen läßt, wenn eine typische Sammlung sämmtlicher im Golfe gefundener Arten existirt, mit welcher ich meinen Fund vergleichen kann. Aber es giebt tausend und abertausend Arten, und der Beamte, der dieselben sammeln und bestimmen soll, schwitzt manchmal Tage lang über Texten und Zeichnungen, bis er die richtige Lösung findet.

„Ich komme, um die Entwickelung des Amphioxus zu studiren,“ sagt ein in den Osterferien eintretender Forscher.

„Thut uns leid, das Thierchen laicht erst im Hochsommer – haben Sie den Katalog der Erscheinungs- und Laichzeiten nicht nachgesehen, den wir veröffentlicht haben und alljährlich vervollständigen? Wenden Sie sich an Herrn Doctor Eisig – er wird Ihnen sagen können, was jetzt vorkommt, laicht, sich fortpflanzt und entwickelt!“

„Kann ich Bonellia bekommen?“ fragt ein Anderer. „Ich möchte gern diesen merkwürdigen Wurm studiren, dessen winzige Männchen als Schmarotzer in den Organen des riesigen Weibchens leben.“

„Sie sollen welche haben bei dem nächsten Ausfluge des Dampfers nach Gaëta, wo das Thier in Menge in Löchern des Uferkalkes lebt; hier in der Nähe ist es zu selten, als daß wir eine bestimmte Zusage machen könnten.“

Es ist klar, daß die Station eine ebenso vollständige Kenntniß der Erscheinungszeiten, der Entwickelungsperioden der Thiere und Pflanzen besitzen muß, wie sie andererseits wissen muß, an welchen Orten, in welcher Tiefenzone dieses oder jenes Wesen zu haben und wie ihm am leichtesten beizukommen ist. Sie muß nach und nach den Golf und seine Bewohner, deren Wechsel und Standorte ebenso genau kennen, wie ein Forstmann sein Revier, um den wissensdurstigen Jägern ihre tägliche Beute zuführen zu können.

Als vor vierzig und mehr Jahren die Forschungen am Meeresufer allgemeiner zu werden begannen und sich von dem elementaren Sammeln und Suchen nach neuen Orten zu tieferen Studien über die Organisation und Entwickelung der Seethiere ausbildeten, da war fast Alles neu, die Mühe geringer, der Erfolg sicherer. Ein Aufenthalt von einigen Wochen während der Ferien gab Ausbeute genug – es bedurfte nur eines Bootes, eines Netzes und eines Mikroskopes, um die kurze Zeit fruchtbringend verwenden zu können. Damals schöpfte man gewissermaßen den Rahm ab. Aber jetzt sind diese von selbst sich bietenden Gegenstände nahezu erschöpft; es bedarf längerer Studien, zeitraubender Präparationen, um die verwickelten Fragen beantworten zu können, welche die Wissenschaft täglich aufwirft. Je mehr die Untersuchung sich vertieft, desto bedeutender werden die Forderungen nach den Hülfsmitteln, deren sie bedarf. Es geht hier so, wie bei allen anderen Forschungszweigen. Das Postament eines einzigen Teleskopes kostet heutzutage mehr, als zu Galilei’s Zeiten sämmtliche Sternwarten der Welt in ihrer Gesammtheit, und zur Beobachtung eines so einfachen Phänomens, wie der Durchgang der Venus vor der Sonne, mußten sich alle civilisirten Nationen der Welt verbinden und förmliche Flottenexpeditionen ausrüsten.

So ist denn auch hier aus den Forderungen der Wissenschaft selbst eine großartige internationale Anstalt erwachsen, die in den wenigen Jahren ihres Bestehens ihre Nothwendigkeit schon dadurch documentirt hat, daß eine Menge kleinerer Anstalten entstanden sind, welche ähnliche Zwecke, wenn auch mit geringeren Mitteln und größerer localer Beschränkung fördern. Man kann dies nur mit Freuden begrüßen – aber wenn diese localen Anstalten nützlich und nothwendig sind, so ist damit nicht gesagt, daß die größere Centralanstalt deshalb unnöthig geworden wäre. Die großen Universitäten haben die kleinen nicht entbehrlich gemacht – im Gegentheile – das rege Leben der Glieder führt dem Mittelpunkte und dieser den kleineren Anstalten größere Kräfte zu.

Die zoologische Station in Neapel ist die Gründung eines jungen, energischen, deutschen Forschers, Dr. Anton Dohrn aus Stettin, der sich nicht gescheut hat, ein bedeutendes eigenes Capital von 100,000 Mark darauf zu verwenden, für eine weitere Summe von etwa 75,000 Mark einzustehen und mit größter Uneigennützigkeit seine ganze, wirklich staunenswerthe Thätigkeit dem Unternehmen zu widmen. Die Anstalt, welche jetzt erst seit sechs Jahren eröffnet ist, kämpft noch immer, trotz bedeutender Zuschüsse von Regierungen Instituten, Gesellschaften und Privaten, mit einem stets zunehmenden Deficit. Als Speculation von Seiten eines Privatmannes betrachtet, wäre sie ein absolut hoffnungsloses Unternehmen, das nothwendig zum Ruin führen müßte.

Gar Mancher hat schon eine unglaubliche Energie und seine ganze Existenz an Unternehmungen geknüpft, welche nicht aufrecht erhalten werden konnten. Hätte die zoologische Station in Neapel nicht ihre innere Berechtigung, wäre sie nicht eine unabweisliche Nothwendigkeit für die Wissenschaft, so könnte man den Gründer bedauern, ohne die Verpflichtung zu fühlen, seine Schöpfung über dem Wasser zu erhalten.

Glücklicher Weise ist dem nicht so. Ich stehe nicht an, zu behaupten, daß die zoologische Station in Neapel gegründet werden müßte, wenn sie nicht schon existirte, und daß sie in diesem Falle immer wieder als internationales Institut in einer ähnlichen oder noch größeren Ausdehnung in's Leben gerufen werden müßte.

Die nationale Arbeit wird immer, in jeder Wissenschaft, die Grundlage und Bedingung des Fortschrittes sein, während die internationale Vereinigung die Krönung des Werkes bildet. Wir haben nicht umsonst in allen Wissenszweigen, neben den nationalen Gesellschaften, die internationalen Versammlungen und Congresse; sie sind eine wesentliche Bedingung des auf gegenseitigem Verständniß beruhenden allgemeinen Fortschrittes. Hier ist, in einer Wissenschaft, welche einerseits im höchsten Grade von der Ausbildung der technischen Methoden, andererseits von dem Kampfe der theoretischen Gesichtspunkte abhängt, eine beständige internationale Vereinigung geschaffen, in welcher keine Lehre dominirt, kein Meister Bedingungen vorschreiben kann. Das ist eine unschätzbare Wohlthat für den Arbeitenden, der durch die unmittelbare persönliche Bekanntschaft aus dem engen Kreise angelernter oder angenommener Anschauungen und Vorurtheile heraustritt.

Es wäre meines Erachtens ein großes Unglück für die Wissenschaft selbst, wenn, durch die Verhältnisse gezwungen, die Station diesen internationalen Charakter abstreifte und eine exclusiv deutsche Anstalt würde. Daß das deutsche Reich und dessen Einzelstaaten in der Anstalt eine vorwiegende Rolle spielen, ergiebt sich schon aus der Nationalität des Gründers und aus der Thatsache des überwiegenden Antheils, welchen die deutsche Wissenschaft an den Forschungen dieser Art nimmt; es ist deshalb auch vollkommen gerechtfertigt, wenn Deutschland den größten Theil der Kosten übernimmt und im Interesse seiner nationalen wissenschaftlichen Arbeit von Reichswegen die Station ebenso gut unterstützt, wie das archäologische Institut in Rom; aber es ist zu hoffen, daß diese Unterstützung, für welche der Reichstag seine Geneigtheit in Folge einer von du Bois-Reymond, Helmholtz und Virchow unterzeichneten Person ausgesprochen hat, den deutschen Forschern auch die Gelegenheit erhalte, mit den Forschern anderer Nationen auf dem neutralen Felde der Wissenschaft zusammenzutreffen.

Das jährliche Budget der Station beträgt an Ausgaben etwa 80,000 Mark, an Einnahmen 42,000 Mark. Dem Vernehmen nach hat das deutsche Reich eine Summe von 30,000 Mark auf dem jährlichen Budget bewilligt, welche das Institut wird flott erhalten können, wenn es auf dem bisherigen Stande verharrt.

Es giebt unter den heute lebenden Naturforschern wohl nur wenige, welche so viele und lange Zeit den Seestudien gewidmet haben, wie ich. Es wäre mein höchster Wunsch in jüngeren Jahren gewesen, eine zoologische Station gründen zu können, und ich habe manchen Plan für eine solche ausgearbeitet. Das thut dem Verdienste Dohrn’s, der einen solchen selbstständig verwirklichte, keinen Eintrag. Aber es erlaubt mir doch wohl, als Sachverständiger zu sprechen, und da kann ich sagen, daß ich es für eine kolossale Aufgabe halte, zwanzig bis dreißig Naturforschern, die keine Anfänger, sondern selbstständige Arbeiter sind, [344] ihr tägliches wissenschaftliches Futter zu schaffen, ihnen durch Herstellung einer trefflichen Bibliothek die Möglichkeit zu gewähren, an Ort und Stelle neben der Beobachtung die literarische Arbeit durchzuführen, durch genau bestimmte Sammlungen und Präparate, sowie durch Rath und That sie vor Irrthümern zu wahren und die Materialien zu einer vollständigen Fauna und Flora eines der reichsten Golfe unserer europäischen Meere zu bearbeiten, wie dies eben jetzt in Neapel geschieht.

Unsere Werke müssen für uns zeugen! Während der kurzen Zeit ihres Bestehens von noch nicht sechs Jahren hat die zoologische Station in Neapel das Menschenmögliche geleistet, und diese Leistungen bürgen für die Zukunft. Reiner, selbstloser Drang für die Wissenschaft hat die Anstalt gegründet, und es darf daher wohl der Wunsch ausgesprochen werden, daß ihr auch fernerhin die Mittel zufließen mögen, welche ihr gestatten, zum Besten der Wissenschaft ihre Thätigkeit weiter zu führen.