Aus meiner Vogelstube

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Karl Ruß
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Aus meiner Vogelstube. 1.
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 391–393
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[391]
Aus meiner Vogelstube.
1.

Sobald der Nordostwind über die Haferstoppeln saust und alles Leben in der freien Natur zum Scheiden und Ersterben sich rüstet –, dann bereitet sich in meinem kleinen Vogelparadiese, welches Bewohner aller Zonen birgt, ein neuer Frühling vor, eine neue Zeit der Liebe und Wonne. Alle diese fremdländischen Vögel halten nämlich auch bei uns an den Jahreszeiten ihrer Heimathsländer treu fest und nisten daher nur in unserm Winter, im Allgemeinen etwa in dem Zeitraum vom September bis gegen den Mai hin.

Darum wird in der Vogelstube alljährlich im Spätsommer eine gründliche Reinigung und zugleich neue Einrichtung von Nistgelegenheiten, namentlich aber auch eine Erneuerung des frischen Grüns, das heißt ausdauernder Topfgewächse, vorgenommen. Und diese große, mehrere Tage in Anspruch nehmende Umwälzung, bei der die Vögel entweder sämmtlich eingefangen oder in ein anderes Zimmer gejagt werden, muß zugleich den vielen Wanderlustigen unter dem beweglichen Völkchen den Zug mindestens annähernd ersetzen. In jeder andern Hinsicht aber bemühe ich mich, [392] so viel als es im beschränkten Raume nur irgend möglich ist, naturgemäße Verhältnisse herzustellen. Dieser ersten Regel danke ich auch zweifellos meine bisherigen Erfolge in der Zucht dieser Vögel.

Mit Einschluß der schon selbstgezüchteten Jungen ist meine befiederte Gesellschaft bereits bis auf einige neunzig Köpfe angewachsen. Unter ihnen sind einerseits Bewohner aller Welttheile vertreten und andererseits besitze ich mindestens je ein Paar sämmtlicher bei den Vogelhändlern von Berlin, Hamburg, Antwerpen und Paris gangbaren Finkenarten, namentlich der durchgängig allerliebsten Prachtfinken oder Amadinen, und sodann eine Anzahl der kleinsten Papageien. Von deutschen Vögeln habe ich nur zwei sehr schöne Bartmeisen.

Wenn wir Hineintreten, schwirrt alles kleine Volk scheu auseinander und flüchtet schleunigst in die Dickichte oder andere Verstecke. Denn zur durchaus naturgemäßen Behandlung gehört auch der Ausschluß jeder Zähmung, mit alleiniger Ausnahme der ganz freiwilligen Annäherung. Letztere ist denn auch bei manchen bereits in hohem Grade vorhanden, jedoch nur gegen mich selbst und meine Frau; sie zeigt sich aber niemals in Gegenwart Fremder. Dennoch, sobald wir auf dem zur Beobachtung bequem eingerichteten Sopha Platz genommen und uns durchaus regungslos verhalten (gesprochen darf werden), entfaltet sich bald ein gar buntes, lustiges Leben rings um uns her.

Die Dreistesten oder Zutraulichsten umschwirren uns in größter Nähe. Goldbrüstchen (vom Senegal), ein zierliches, goldgelbes Vögelchen, mit seitwärts reizend gebändertem Gefieder, hat eine große Feder gefunden und sucht den Schaft derselben weichzuknabbern. Das kann aber der Amaranth (wissenschaftlich Carmin-Astrild, aus Senegambien), ein ganz dunkelrother, in den Sonnenstrahlen förmlich erfunkelnder Vogel, nicht leiden, denn er braucht die Feder zum Auspolstern seines Nestes ja ebenfalls. So beginnt nun ein gar hitziger, im Grunde jedoch sehr harmloser Kampf, an dem sich auch ein wunderniedlicher, blutrother und weißgepunkteter Tigerfink (aus Ostindien), von den Händlern „Kleiner Senegali“ genannt, ferner ein zartgrauer, rosenroth überhauchter Astrild (aus Abessinien, Kordofan, Guinea etc.) und das noch viel schönere, ebenfalls graue, jedoch dunkelroth überhauchte und zierlich dunkelgewellte Fasänchen (aus Süd- und Mittelafrika) betheiligen. Nicht lange aber, denn der Streit wird schnell entschieden, indem Elsterchen (aus Westafrika) mit schwarzem, metallgrünglänzendem Kopf, reinweißer Brust und dunkelm Oberkörper, welches kaum größer, jedoch das keckste und muthigste von allen ist, herbeistürzt und mit Hülfe einiger nach allen Seiten ausgetheilten Schnabelhiebe sich des Zankapfels bemächtigt. Doch Elsterchen kann die Feder nicht brauchen; es baut nur aus Halmen und Fäden sein Nest und wirft daher die nur zum Zeitvertreib aufgegriffene bald wieder fort. Sowie sie aber kreiselnd hinabfällt, geht die Jagd der genannten kleinen Helden in eifrigster Weise wieder an und wird meistens erst dadurch entschieden, daß einer der gewandtesten, das schön hellaschgraue Orangebäckchen (vom Senegal), mit hübschen gelben Wangen, oder der graue Schönbürzel (bei den Händlern Gris-bleu, aus Westafrika), mit duftig, gleichsam bereift blaugrauem Gefieder und dunkelblutrothem Schwanze, oder der außerordentlich zarte Schmetterlingsfink (bei den Händlern Cordon-bleu oder „Benguelift“, ebenfalls aus Westafrika), welcher an der Unterseite glänzend lichtblau, oberhalb bräunlichgrau ist und lebhaft rothe Bäckchen hat, die Feder hurtig auffängt und damit in’s Nest schlüpft.

Die bis hierher genannten Vögel, welche kaum über die Größe unseres deutschen Zaunkönigs hinausgehen, haben mit Ausnahme des Elsterchens sämmtlich schönrothe Schnäbel und der des Fasänchens ist sogar wundervoll glänzend korallenroth. Einige von ihnen: Goldbrüstchen, Astrild und Fasänchen haben auch hübsch rothe Augenbrauen, das heißt einen rothen Strich vom Schnabel über dem Auge bis zum Ohr. Sie alle gehören zu den von Brehm so treffend benannten Prachtfinken, deren Zucht und Lebensbeobachtung ich mir vorzugsweise zur Aufgabe gemacht habe und für die ich auch die Theilnahme der Leser erwecken und möglichst in Anspruch nehmen möchte. Bevor ich jedoch in näheren Mittheilungen über sie mich ergehe, müssen wir uns noch weiter in der Vogelstube umsehen.

Auf dem Futterplatze tummelt sich eine andere Gesellschaft.

Ein Stahlfink, seines herrlich blauschwarzen Gefieders mit weißem Schnäbelchen und rosenrothen Füßen wegen, von den Händlern „Atlasvogel“ genannt (aus Abessinien, Nubien oder vom Senegal), sucht mit sonderbarem Geschrei die andern zu verscheuchen. Ihm hält jedoch ein Silberfasänchen (aus Nubien, Sennaar, Sudan oder Kordofan), mit schlicht weißlich-grauem, sein gewelltem Gefieder, tapfer Stand. Ringsherum hüpfen ziemlich friedlich untereinander die Weibchen der schon genannten, ferner ein Paar noch andere Silberfasänchen (aus Indien und Bengalen), dem vorigen sehr ähnlich, nur ein wenig dunkler; dann ein Paar Muskatvögel (aus Ostindien, besonders von Java), welche oberhalb dunkelbraun und unterhalb weiß, überall sehr hübsch braun gepunktet sind; auch bräunlich-graue Bandvögel (aus Kordofan und Dongola), von denen das Männchen einen breiten, sammetrothen Streifen um die Kehle und eine rothbraune Rebhuhnszeichnung auf der Brust trägt.

Plötzlich prallt die ganze Gesellschaft auseinander, denn ein Tropfenfink (bei den Händlern „Diamantvogel“, aus Südaustralien), welcher größer als alle andern, mit Ausnahme des Bandvogels, ist, kommt herbei. Dieser „Diamant“ ist hinsichtlich des bunten und zugleich geschmackvollen Gefieders wirklich ein selten schöner Vogel; oberseits aschgrau, Kehle, Brust und Bauch reinweiß, an der Brust und dem Bauchrande tief sammetschwarz, mit mehreren Reihen weißer, knopfähnlicher Punkte an beiden Seiten unterhalb der Flügel, mit prachtvoll scharlachrothem Bürzel, dunkelrothem Schnabel und Rändern um die Augen. Fast noch farbenprächtiger ist sein Landsmann, der braunwandige Bänderschwanzfink (bei den Händlern „Zebradiamant“, aus dem Innern Australiens), mit oberhalb braungrauem, unterhalb hellerem, sehr bunt und geschmackvoll gewelltem oder seingebändertem Gefieder, an dem namentlich die lebhaft kastanienbraunen Backen angenehm in’s Auge fallen.

Eine wahrhaft bewundernswerthe Erscheinung gewähren aber jene sonderbaren Vögel, etwa von der Größe des deutschen Edelfinken, deren Schweif ihre eigene Länge wohl um das Doppelte und Dreifache übertrifft und im Fluge gar malerisch durch die Luft wallt, während er beim Sitzen oder Gehen ebenfalls sehr zierlich getragen wird. Dies sind die sogenannten Wittwen, ganz besondere Mitglieder der zahlreichen Finkenfamilie. In meiner Vogelstube giebt es ihrer zwei: die Paradieswittwe (aus Angola), welche in Frankreich, ihres ansprechend rothgelben Halses und Nackens wegen, „Wittwe mit dem goldenen Halsband“ genannt wird, und die etwas kleinere, lieblich weißbunte und sehr lebhafte Dominicanerwittwe (aus Südafrika), mit hübsch rothem Schnäbelchen.

Diese Wittwen, der vorhin genannte Stahlfink, eine Anzahl sehr farbenreicher Weber und noch einige andere haben eine ganz eigenthümliche, sehr auffallende Eigenschaft. Sie erscheinen nämlich den größten Theil des Jahres hindurch, zwischen sieben bis neun Monaten, in schlichtgrauem, meistens sehr unansehnlichem Gefieder und nur zur Zeit ihrer Liebe verfärben sich die Federn, jedoch ohne auszufallen, allmählich zu glänzendster Farbenpracht. Der Stahlfink wird schwarz, die Weber werden feuerfarben und schwarz, „Orangevögel“, richtiger Feuerfinken (aus Nubien, Abessinien und vom Senegal); oder prächtig gelb und schwarz, „Napoleonsvögel“, richtig ebenfalls Feuerfinken (aus Südnubien), und die Wittwen erhalten, außer dem bunten Gefieder, auch jetzt erst die langen Schwänze, während diese bis daher nur denen aller übrigen Vögel gleichen.

Als die Perle meiner Vogelgesellschaft betrachte ich jedoch einen ganz einfach lichtgrauen Finken, der oberhalb dunkler, unten heller, fast weißlich ist, mit ganz weißem Bürzel, und der sich zunächst nur durch seine Haltung und sein edles Wesen kenntlich macht. Doch nicht lange, da beginnt er seinen herrlichen Gesang, der schmetternd, aber keineswegs gellend, nach Brehm’s Urtheil zwischen dem der Haidelerche und des Canarienvogels in der Mitte steht. Der Vogel, Fringilla leucopygos, aus dem Innern Afrikas, heißt in Paris, von wo ich mir das erste Pärchen mitbrachte, „Chanteur d´Afrique“ und hat bis jetzt noch keinen deutschen Namen. Daher darf ich es mir wohl herausnehmen, ihn hiermit „grauer Edelfink“ zu taufen, indem ich ihn zugleich als einen sehr liebenswürdigen und leicht zu züchtenden Vogel den Lesern angelegentlichst empfehle.

Auch ein anderer, erst seit Kurzem häufig nach Deutschland gekommener Fink, Euethia cauora aus Cuba, wird im Handel [393] bis jetzt nur französisch „Chanteur de Cuba“ genannt. Da er ein liebliches, olivengrünes Vögelchen, mit sehr breitem, lebhaft gelbem Halsband und von sehr anmuthigem Benehmen ist, so möchte ich ihn unter dem Namen „Shakespeare-Kragen“ ebenfalls empfehlend einführen.

Eine große Anzahl noch anderer, mit denen ich im Laufe der Zeit gewechselt und zu denen wir gelegentlich noch ebenfalls gelangen, machen den Beschluß meiner finkenartigen Vögel. Der Besucher ist unterdessen aber bereits davon belehrt, daß es hier auch noch andere Bewohner giebt. Auf der Tanne vor uns wiegt sich eine ganze Familie der allerliebsten kleinen Sperlingspapageien aus Brasilien, von denen die Weibchen ganz einfach schön grün, die Männchen ebenso gefärbt sind, aber wundervoll blaue Unterflügel haben. Ich halte diese Zwergpapageien für die lieblichsten fast aller Stubenvögel. Gegen die Zärtlichkeit der Gatten untereinander oder der Eltern zu den Kindern ist die sprüchwörtliche der Turteltauben gar nichts; damit vereinigt sich ein außerordentlich intelligentes und geistig begabtes Wesen und noch viele andere ruhmenswerthe Eigenschaften. Um so mehr erfreut bin ich deshalb darüber, daß ich die Gelegenheit fand, diese lieben Vögel in ihrem Familienleben genau zu beobachten, indem sie – zweifellos in Europa zum ersten Male – in meiner Vogelstube bereits drei Bruten erzogen haben und die zuerst flügge gewordenen Jungen ebenfalls schon nisten.

Auch noch andere Zwergpapageien, sowie Wellensittiche, Korellas und andere sind in meiner Gesellschaft, jedoch getrennt in einzelnen Käfigen, zu finden. Da ich aber mit ihnen allen bisher noch keine Erfolge gehabt, so übergehe ich sie vorläufig.

Es ist meine Absicht, in diesen Mittheilungen aus meiner Vogelstube den Lesern zugleich thatsächlichen und möglichst reichen Nutzen zu bringen. Um das aber befriedigend zu ermöglichen, muß ich auf die Absichten und Gesichtspunkte, die bei der Einrichtung maßgebend waren, kurz eingehen.

Alle einsichtigen Natur- und Menschenfreunde stimmen darin überein, daß der Fang und bezüglich das Gefangenhalten unserer einheimischen Singvögel ein Ende nehmen müssen, wenn nicht das Aussterben der meisten Arten unvermeidlich und damit zugleich der Ertrag der Felder, Gärten und Wälder, durch immer mehr überhand nehmende Insectenplagen, auf das Ernstlichste gefährdet werden soll. Längst schon ist auf diese die Menschenwohlfahrt bedrohende Wahrheit von Männern wie Roßmäßler, beide Brehm[WS 1], Karl Vogt und Andere mit immer größeren: Nachdruck hingewiesen worden. Dies „Schutz den Vögeln!“ habe auch ich seit einer Reihe von Jahren als einen ernsten Theil meiner Lebensaufgabe erachtet, indem ich in zahlreichen Zeitschriften und in meinen Büchern unablässig nicht allein daran gemahnt, sondern die Leser auch über die Wichtigkeit und Unentbehrlichkeit der Singvögel aufzuklären gesucht habe.

Im Gegensatz zu diesen: Streben stehen nun aber meine eigene und die Vogelliebhaberei vieler anderer Leute. Immerhin wird man zugeben müssen, daß eine Liebhaberei, die in edlen Motiven – entweder in der Sehnsucht nach einem lebendigen Wesen in der Nähe oder in der Freude und dem Genuß, welche der Vogelfang bietet, oder auch in der Beobachtung und dem Studium des Vogellebens – fußt, doch zweifellos billige Berücksichtigung, ja, noch viel mehr, eine volle Berechtigung beanspruchen darf. Hier würden also die Rücksichten auf das Allgemeinwohl mit denen einzelner Interessen in gar argen Widerspruch gerathen, wenn nicht zufällige Verhältnisse einen guten Ausweg bieten könnten. Und diese möglichst auszunützen, ist der erste Zweck meiner Vogelstube.

Seit vielen Jahren werden nämlich aus Ost- und Westindien, namentlich aber aus Afrika und neuerdings auch aus Australien und Nordamerika zahlreiche Schiffsladungen von allerlei Schmuck- und Ziervögeln auf die europäischen Märkte gebracht, wo sie, trotz der noch recht hohen Preise – welche von zwei, drei, vier bis zehn, zwölf und fünfundzwanzig Thaler für das Pärchen nur der kleineren Arten wechseln – doch stets willige Käufer finden. In diesen Vögeln vermögen wir vollen Ersatz für die einheimischen zu finden. Denn nicht allein hohe Farbenpracht und anmuthiges Benehmen, sondern auch den herrlichsten Gesang bieten sie uns. Es ist ein arges Vorurtheil, daß nur deutsche Vögel schön singen; wir werden in den weiteren Schilderungen exotischer Vögel noch manchen wundervollen Sänger kennen lernen.

Diese fremden Vögel, d. h. vorzugsweise die Prachtfinken und kleinsten Papageiarten, in jahrelang unausgesetzt fortlaufenden Versuchen zu züchten, sie als Stubenvögel in der Weise des Canarienvogels und besonders zum vollen Ersatz für die einheimischen Singvögel – zu acclimatisiren und, wenn irgend möglich, zu verallgemeinern, das war die Veranlassung, welche mich die Vogelstube begründen ließ. Auf dem Wege, den ich, freilich mit außergewöhnlichen, trotz aller Vorsicht keineswegs erwarteten Schwierigkeiten, eingeschlagen, hoffe ich nun Folgendes zu erringen: Zunächst eine genaue Beobachtung der Lebensweise aller dieser Vögel, die zum großen Theile im Freileben bis jetzt noch wenig oder gar nicht beobachtet worden sind. Wenn auch die Gefangenschaft in dieser Hinsicht immerhin Hindernisse birgt, so ist die Freiheit in der Vogelstube doch mindestens eine annähernd entsprechende – namentlich in Anbetracht der langen, martervollen Gefangenschaft, welche alle diese Thierchen durchmachen mußten. Ich hoffe recht beachtenswerthe Ergebnisse zu erlangen – und habe sie bereits erlangt–, deren reinwissenschaftlichen Theil ich in Cabanis’ „Journal für Ornithologie“ zu veröffentlichen gedenke. Sodann werde ich, nach eigenen und auch fremden Erfahrungen, zuverlässig ermitteln, welche dieser Vogelarten sich in der Stube ohne große Schwierigkeiten fortpflanzen und damit also immer billiger anschaffen und auch für minder wohlhabende Leute verallgemeinern lassen. Diesen werde ich schließlich meine ganze Sorgfalt zuwenden, um sie durch populäre Lebensbilder Jedermann bekannt, beliebt und geschätzt zu machen. Vielleicht ist dadurch – selbstverständlich erst im Laufe der Zeit und auch nicht durch die Versuche des Einzelnen, sondern durch die zahlreich erweckte und recht allgemein und eifrig betriebene Zucht vieler Liebhaber – es zu ermöglichen, daß einerseits die einheimischen Singvögel als Stubengenossen wirklich entbehrlich gemacht werden können und daß andererseits zugleich der Einfuhr der fremden, dem massenhaften Hinmorden und der damit ebenfalls drohenden Ausrottung in ihren Heimathsländern endlich ebenfalls ein Ziel gesetzt werde. In dem nächsten Abschnitte theile ich meine bisherigen Erfahrungen und Erfolge mit.

Karl Ruß.



Anmerkungen (Wikisource)