BLKÖ:Grisi, Julia

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Grisi, Judith
Band: 5 (1859), ab Seite: 358. (Quelle)
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Grisi, Julia (Sängerin, geb. zu Mailand 28. Juli 1811). Schwester der Vorigen und Nichte der berühmten Grassini (s. d. S. 317 d. Bds.). Die eigentlich große Sängerin dieses Namens. Im Alter von 12 Jahren machte sie sich schon durch ihr Talent zum Gesang und den Schmelz ihrer Stimme bemerkbar. Anfänglich zu Hause und in einem Mailänder Pensionate gebildet, vollendete sie ihre Ausbildung im Kloster Mantelleto zu Florenz. 14 Jahre alt, kam sie nach Bologna zu ihrem Onkel, und erhielt von Giacomo Guglielmi, dem Sohne des bekannten Componisten, Gesangsunterricht. Drei Jahre lang währte derselbe und 1829 debutirte sie zu Bologna zum ersten Male in der kleinen Parthie der Emma in Rossini’s „Zelmire“. Der [359] Erfolg war so glänzend, daß sie sogleich als Prima donna für den nächsten Carneval engagirt wurde. Nun sang sie in den Opern: „Barbiere di Seviglia“; – „Lo sposo di Provincia“; – „Thorwaldo e Dorliska“. Der Unternehmer des Theaters la Pergola in Florenz wußte diese Perle des Gesangs für sich zu gewinnen, und sie erntete nun in Florenz in den genannten Opern und in „Giuletta e Romeo“ von Vaccai; – „Ezia“ von Maestro Celli, neue Triumphe. Aber Julia war noch zu jung, um mit ihren Kräften das zu leisten, was Gewinnsucht von ihr verlangte. Sie war bereits so über alle Gebühr beschäftigt worden, daß sie sich bei ihrem Oheim einige Zeit erholen mußte. Jedoch schon im Carneval 1830 sang sie wieder im Theater Pergola zu Florenz im „Tankred“, in der „Vestalin“ von Paccini und im „Ricardo e Zoraide“ an der Seite des berühmten Tenoristen David. Als im nämlichen Jahre zu Pisa das berühmte Volksfest Luminara, welches nur alle fünf Jahre gefeiert wird, Statt fand, an welchem des Tages zweimal Theater ist, wurde auch Julia zur Verherrlichung der Feste eingeladen, und damals sang sie an einem Tage Vormittags die Desdemona, Abends die Semiramis. Ihr Ruf war nun befestigt und das Theater a la Scala in Mailand öffnete ihr die Pforten. Paccini schrieb für sie den „Corsaro“. In der Scala machte Julia mit der berühmten Pasta Bekanntschaft, welche der Wohlthaten, die sie von der Grassini erfahren, eingedenk, sich liebevoll der Nichte näherte und ihr bei den ferneren Erfolgen mit Rath und That an die Hand ging. 1832 kam sie nach Paris und sang in der italienischen Oper. Ihr erstes Auftreten war von einem beispiellosen Erfolge begleitet und seit dieser Zeit verlebte sie abwechselnd 6 Monate in Paris, 6 Monate in London, mit ihrer Stimme Einnahmen der höchsten Summen erzielend. Dabei entwickelte sie eine Kraft, welche man ihrer seinen äußeren Erscheinung kaum zugetraut hätte. So sang sie in London an einem Tage in 7 Concerten, bei dem großen Musikfeste zu York 14 Piecen, darunter 4 in lateinischer, 4 in englischer Sprache. Mit der Malibran, welche sie 1833 kennen gelernt, trat sie in einer Oper nie auf, wohl aber sang sie mit ihr in Privatconcerten, u. a. bei der Herzogin von Kent das Duett aus der „Semiramis“. Im Jahre 1847 sang sie mit der Alboni zusammen und überreichte mit der einer großen Künstlerin würdigen Bescheidenheit, ihrer Nebenbuhlerin die Kränze, die ihr zugeworfen wurden. Seit der Februar-Revolution verließ sie das französische Theater und sang in London, in St. Petersburg, und hielt in ersterer Stadt die italienische Oper aufrecht. Im J. 1854 unternahm sie mit Mario zugleich eine Kunstreise in die Vereinigten Staaten. Nach ihrer Rückkehr aus der neuen Welt sang sie wieder im Théâtre italien zu Paris (1856 und 1857); doch war ihre Stimme bereits verloren. Zur Zeit ihrer höchsten Blüte schrieb ein französischer Kritiker: „Die Grisi mit ihrem majestätischen und stolzen Haupt, mit ihrer königlichen Stirn, mit ihrer wunderbaren Büste, geschnitten aus dem schönsten Marmor von Paros, hat in den großen Rollen der lyrischen Tragödie Niemand zu fürchten.“ Ihrer äußeren Erscheinung nach war sie ein herrliches, einfaches, italienisch-kräftiges, naturvolles und naives Wesen. Ihre Haltung war wunderbar natürlich, das schöne schwarze Haar schmiegte sich einfach und glatt an den charaktervollen Kopf. Sie trug gewöhnlich ein schwarzes Kleid, das knapp an die Schultern anschloß und den prächtigen Wuchs völlig hervortreten ließ. Kein Schmuck irgend [360] einer Art umgab Hals und Büste. Fern von aller Koketterie sprach etwas Ernstes, zur Schwermuth Geneigtes aus ihrem Wesen; niemals mit dem Publicum durch Mienenspiel verkehrend, verlor sie sich, während sie sang, so sehr in den Ausdruck des Gegenstandes, daß sie auch im Concertgesange die höchste dramatische Wirkung hervorbrachte. Im Jahre 1836 vermälte sich Julia Grisi zu London mit Gerard de Melcy, der zwei Jahre später mit Lord Castlereagh in ein Duell gerieth, in welchem dieser Letztere verwundet wurde. Diese Ehe war nicht glücklich, schon nach wenigen Jahren (1847) wurde sie aufgelöst. Die Klausel im Scheidungsvertrag, wornach sich die Künstlerin verpflichtete, ihrem Gatten nach der Trennung jährlich, so lange sie bei der Bühne blieb, 10,000 Francs zu bezahlen, führte zu einem Proceß, welchen jedoch die Sängerin gegen ihren Mann verlor. Obwohl Frische und Glanz ihrer Stimme gänzlich geschwunden sind, singt sie noch immer in hochtragischen Rollen. Dem Vernehmen nach soll sie (seit 1856) mit dem berühmten Tenoristen Mario vermält sein.

Galerie des Artistes dramatiques de Paris (Artikel von Couailhac). – Fétis, Biographie univers. des Musiciens. – Monde dramatique 28 octobre 1838. – Encyclopedie des Gens de Monde (Artikel von Fayol). – Illustrated London News 1854 Juli [mit Porträt, nach dieser ist sie 1816 geboren]. – Gaßner (F. S. Dr.), Universal-Lexikon der Tonkunst. Neue Handausgabe in einem Bande (Stuttgart 1849, F. Köhler, Lex. 8°.) S. 381 [nennt ihren Gatten irrig Meley statt Melcy]. – Schilling (Gust. Dr.), Das musikalische Europa (Speyer 1842, Neidhard, gr. 8°.) S. 126 [nach diesem geb. 28. Juli 1811]. – Iris (Grazer Muster- und Modeblatt) 1856, S. 92. – Humorist, herausgeg. von M. G. Saphir. 1856, Nr. 71. – Gmundner Wochenblatt 1856, Nr. 5. – Zeitung für die elegante Welt, redigirt von Heinrich Laube. 1844, S. 315: „Der Verliebte“ [eine Episode aus ihrem oder vielmehr aus dem Leben eines Phantasten, der aus Liebe zu ihr den Verstand verlor]. – L’Indépendance belge (Bruxelles, Fol.) 1856, 17 fevrier [in der Pariser Correspondenz von Lecomte]. – Dieselbe 9. März [ebenda; Briefe voll pikanter Einzelheiten über ihren Erfolg und Vergleichen mit anderen berühmten Primadonnen]. – Neues Universal-Lexikon der Tonkunst (begonnen von Dr. Jul. Schladebach, fortgesetzt) von Eduard Bernsdorf (Dresden 1856, Schäfer, gr. 8°.) II. Bd. S. 249. – Porträte. 1) R. Cazes lith. 4°. – 2) Nach Valentini lith. von Vogt (Paris, Bulla & Jouy, gr. Fol.). – 3) Lith. von Stadler (Wien, Neumann, kl. Fol.). – 4) Zugleich mit ihrer Schwester Judith. Deveria lith. (Paris, Goupil & Comp. gr. Fol.).