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BLKÖ:Richter, Anton (Industrieller)

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 26 (1874), ab Seite: 28. (Quelle)
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3. Richter, Anton (Industrieller, geb. zu Böhmisch-Leipa 4. November 1782, gest. zu Königsaal 13. December 1846). R.’s Vater war ursprünglich Schönfärber bei dem Grafen Waldstein in Oberleutensdorf, starb jedoch frühzeitig, dem Kinde nichts als den Keim der Vorliebe für Chemie hinterlassend; seine Mutter, zum zweiten Male verehelicht, betrieb später mit gutem Erfolge ein Geschäft in Baumwollgeweben. Als Kaiser Joseph II., starb, war Richter erst schulfähig; allein das von diesem Monarchen mittelst des Normalschulfonds so sehr gehobene Unterrichtswesen war in den Landstädten Böhmens noch nicht gehörig entwickelt. Blos im Leitmeritzer Kreise, wo Kindermann von Schulstein [Bd. XI, S. 269],[WS 1] das oberste geistliche Amt bekleidete, stand es seit Anbeginn besser um Bildung und Unterricht. Auch in Richter’s Vaterstadt war der Unterricht ziemlich gut bestellt, und daselbst erhielten die glücklichen Geistesanlagen des Knaben die erste wohlthätige Richtung und die Eignung für einen immer ausgedehnteren Selbstunterricht. Der strebsame junge Mann entschied sich nach zurückgelegten Schuljahren für den Industriestand. In Böhmisch-Leipa, schon damals eine der bedeutendsten Manufactur- und Handelsorte Böhmens, lernte R. die Vorkenntnisse zur Handlung, in Prag bei dem Großhändler Anton Brosche aber legte er die eigentliche kaufmännische Schule zurück. Im baldigen Besitze des vollen Vertrauens seines Chefs, hatte R. während der häufigen längeren Abwesenheit desselben Gelegenheit, sein ausgedehntes Geschäft allein zu verwalten. Als Richter gelegenheitlich zur Vertretung wichtiger Interessen nach Triest beordert wurde, ahnte er zum ersten Male die großartige, weltumfassende Bedeutung des Handels, und er äußerte späterhin selbst, es habe erst jene Hafenstadt einen höheren commerciellen Sinn in ihm geweckt. Bereits im Jahre 1803 etablirte R. in Prag eine Großhandlung in Colonial- und Baumwollwaaren. Der letztere Geschäftszweig bot von selbst die ersten Berührungspuncte mit Joseph Leitenberger in Wernstadtel dar. Etwa vier Stunden westlich von Böhmisch-Leipa blühte schon seit den Jahren 1775–1786 und besonders seit 1797 die von dem weitberühmten Nestor der böhmischen Spinnerei, Weberei, Druck- und Färbekunst – Joseph Leitenberger – gegründete Baumwollwaaren-Manufactur zu Wernstadtel. Ein Mann wie Leitenberger übte mächtigen Einfluß auf Richter’s Kopf und [29] Herz. Mit wahrer Pietät schloß sich R. an ihn an, erkor ihn ganz zu seinem Vorbilde und verband sich endlich am 3. November 1803 mit dessen Tochter Johanna. Durch Richter’s Verbindung mit der Familie Leitenberger erwuchsen ihm auch namhafter Credit und materielle Mittel, mit denen er, wohl vorbereitet, thatkräftig und besonnen den Grundstein zu seiner höheren Selbstständigkeit und Zukunft legte. Die vermittelnde und gleichsam nur passive Thätigkeit des Kaufmannes mit der selbsterzeugenden, also activen des Producenten zu vertauschen: das wurde für Richter Bedürfniß für jetzt, Endziel für die Zukunft. Wie es kam, daß R. bei seiner ursprünglichen Neigung für die chemischen Zweige der Fabrication sich zuvörderst auf die Zuckerfabrication verlegte, ist nicht bekannt; so viel nur weiß man, daß ihn sein gelehrter Landsmann Mikan, Professor der Chemie in Prag, schon 1810 mit seinem Rathe unterstützt, zu chemischen Untersuchungen beigezogen und 1812 an Richter’s ersten Versuchen in der Ahorn-, dann Runkelrübenzucker-Erzeugung Theil genommen hat. Seit dem Jahre 1787 hatte eine Actiengesellschaft in dem aufgehobenen und damals leerstehenden Cistercienserkloster zu Königsaal eine Zuckerraffinerie unter der Direction eines Herrn von Sauvaigne gegründet. Diese Anstalt fristete sich mehrere Jahre bis 1803 fort. Es war im Jahre 1812, als Richter dieselben Localitäten, in welchen die verschollene böhmische Actiengesellschaft einst Zucker raffinirt hatte, von der k. k. Staatsguter-Administration käuflich an sich brachte. Schon unter dem 20. August 1812 war ihm das k. k. ausschl. Landesprivilegum auf die Zuckerfabrication, d. h. auf die Verarbeitung des fremden Rohzuckers, verliehen worden. R.’s Raffinerie war eine der ersten dieser Art im Innern der Monarchie. Bei der günstigen örtlichen Lage seiner Fabriksanstalt setzte Richter seine ganze erste Begeisterung, seine Energie, sein Vermögen auf’s Spiel. Er hatte gerade einen Industriezweig ergriffen, welcher wegen der Zollverhältnisse nach Aufhebung der Continentalsperre bis zum Jahre 1819 nicht zu betreiben war. Ein bedeutendes Anlagecapital war somit verloren, die Fabrication hörte auf, und erst in späteren Jahren hatte Richter die Genugthuung, seine dießfälligen Verbindlichkeiten erfüllen zu können. Diese Schule des Unglücks bewog Richter, sich auf ein anderes Geschäft zu verlegen. R. erkannte, wie Sachsens Baumwollspinner eben durch die Continentalsperre sich bereichert und ihrem Geschäfte einen blühenden Fortbestand gesichert hatten. Dieß reizte R. zur Nachahmung. Er etablirte eine Baumwollenspinnerei nebst Nanking-Fabrik, hatte aber dieselbe, noch ehe sie gänzlich vollendet dastand, an Ulbrich in Reichenberg verkauft. Nun warf sich Richter auf die Leinengarnspinnerei. Damals wurde das Garn nur von Menschenhänden, zumeist durch die Flachs- und Hanfspinner des Riesengebirges, besorgt; es war also Richter’s Unternehmen eine Art Factorei. R. sah sich auf bloßen Handel eingeschränkt, was aber seinem productiven Streben unmöglich lange behagen konnte. So führte ihn sein rastloser Thätigkeitstrieb im Jahre 1817 mit seiner Familie nach Wien, wo er sich in der Kattundruckerei versuchte, einer Branche, die ihn auch in der Ferne mit den dießfälligen großen Anstalten seiner Heimat in Zusammenhang erhielt; das Glück war ihm jedoch in Wien ebenso wenig hold, und 1818 zurückkehrend, [30] cultivirte Richter von Neuem die Idee der Zuckerfabrication, nachdem er in Erfahrung gebracht, daß endlich von Seite der Regierung die Einführung des Rohzuckers begünstigt werden solle. Die Wiederaufnahme des Raffineriewerkes zu Königsaal fällt in das Jahr 1819. Bevor indeß die Zuckererzeugung in Gang kam, etablirte Richte, im Besitze einer bei uns noch nicht versuchten Methode, eine Bleizuckerfabrik. Er war auch längere Jahre der Einzige, welcher den für den Zeugdruck und andere technischen Zwecke unentbehrlichen Bleizucker mit Anwendung des Holzessigs im Großen erzeugte. Zum Behufe noch umfassenderer Unternehmungen, namentlich der Zuckerraffinerie, suchte Richter einen bemittelten Gesellschafter, den er auch in der Person des Herrn H. E. Herz fand. Das Geschäft war im Grunde ein versuchsweises, wobei Richter, auf die eigenen Fähigkeiten angewiesen, ungeheuere Anstrengungen aufbot und drei volle Jahre für sich ganz verlor. Hingegen hatte sich die Fabrication des Bleizuckers einer ungemein guten Aufnahme zu erfreuen. In specieller Beziehung auf die Bleizuckererzeugung hatte Richter’s Scharfblick wahrgenommen, daß der für die Kattunfabriken und Färbereien Böhmens jährlich gegen eine Million Gulden betragende Bleizuckerbedarf, anstatt des kostspieligen Bezuges aus dem Auslande, durch einheimische Arbeit gedeckt werden könne. Hiezu aber waren als Vorbedingung eigene Verkohlungsöfen, welche Holzsäure und aus dieser den Holzessig liefern, nothwendig. R. stellte dieselben zu Rožmital auf eigene Kosten her. R. legte selbst einigen Werth darauf, daß es ihm – dem Ersten in der Monarchie – gelungen sei, den inländischen Kattunfabriken eine um zwei Drittel billigere Waare liefern zu können. Allmälig wurde in Königsaal (was bisher in der Monarchie noch nicht geschehen war) Bleizucker aus Fruchtessig erzeugt und überhaupt die ausgedehnteste Fabrication hierin auf jede Art gesichert. Richter’s Etablissement war, wenngleich noch immer nicht in der Zuckerraffinerie, so doch in mehreren chemischen Hauptzweigen derart consolidirt, daß er das Jahr 1821 zu besonderen technischen und commerciellen Forschungen im Auslande, namentlich in Norddeutschland, verwenden konnte. Die Orientirung auf dem Felde der während fünf Friedensjahren überraschend aufgeblühten deutschen Industrie wirkte anspornend auf R.’s nie ruhenden Unternehmungsgeist. Kaum heimgekehrt, ließ sich Richter – der erst in der Fremde die Vorzüge seines erfinderischen Geistes würdigen gelernt – mehrere landesfürstliche Privilegien[WS 2] nach einander ertheilen. Das erste auf eine neue Erzeugungsart des Bleizuckers, das zweite Privilegium auf eine eigenthümliche Fabrication des Bleiweißes und das dritte auf einen verbesserten Bau der Verkohlungsöfen. Inwieweit diese und andere Erfindungen R.’s auf die chemische Fabrication überhaupt eingewirkt, hierüber herrscht nur eine Stimme der Anerkennung unter den Fachgenossen. Im Jahre 1823 hatte Richter sich von Herz getrennt und mit F. J. Kolb in Prag verbunden; auf diesen routinirten Geschäftsmann konnte er den mercantilischen Theil seiner Unternehmungen übertragen. Und jetzt, wo das Geschäft unter günstigeren commerciellen Auspicien als früher, nicht blos als Fabrication, sondern auch echt kaufmännisch betrieben zu werden anfing, setzte R. alles Studium und alle Kraft daran, Böhmen und ganz Oesterreich durch Einführung bis dahin nicht betriebener Fabricationen immer [31] mehr unabhängig von fremder Arbeit zu machen. Er suchte dieß z. B. gleich 1823 durch die Schrottfabrication anzubahnen, welche die Einfuhr des englischen, sogenannten Patenthagels entbehrlich machen sollte, indem er selbst an 20 Sorten Schrötte nach englischer Art massenweise (jährlich über 2500 Centner) zu erzeugen anfing. Seine, gleichfalls zu Königsaal etablirte Schrottgießerei blieb die einzige in Böhmen und R. gab dieselbe nach Verlauf von etwa zehn Jahren wieder auf, nachdem er inzwischen auch Zündhütchen nach einer verbesserten Methode fabricirt hatte. Einen glänzenden Erfolg hatte die von Richter fast gleichzeitig begonnene Seifenerzeugung nach Marseiller Art – ein Fabricat, welches zumeist für den Bedarf der Kattun-Druckereien und Türkischroth-Färbereien berechnet, bis dahin nur im Zollausschlußgebiete von Triest, im Inneren der Monarchie aber gar nicht vorhanden war und aus weiter Ferne (Toulon, Genua, Alicante – nachher freilich auch aus Ungarn) bezogen werden mußte. Die Seifenfabrik Richter’s lieferte allmälig nicht nur die den Kattun- und Rothgarn-Manufacturisten früher unentbehrlich gewesene weiße, sondern auch die in letzter Zeit in den Bleichereien verwendete Harzseife, ferner für die feinsten Farben eine neutrale Seife, endlich für die Tuchfabriken weiche und harte Walkerseife und für den Hausgebrauch alle Gattungen marmorirter und gelber Seife, im Ganzen über 2000–3000 Centner jährlich. Im folgenden Jahre (1824) fing Richter an, sein Raffineriegeschäft innerhalb der unentbehrlichsten Räumlichkeiten abzugrenzen, alles Uebrige jedoch zu einer vollkommenen chemischen Fabrik umzugestalten. Er errichtete eine große Bleikammer für die Erzeugung der concentrirten (sogenannten englischen) Schwefelsäure, worin jährlich an 300 Centner Schwefel verbrannt und gegen 2000 Centner Schwefelsäure – mithin zwei Fünfttheile der Gesammtproduction Böhmens – erzeugt wurden. Nach und nach erstreckte sich das Königsaaler Etablissement auch noch noch auf die Darstellung der Salz- und Salpetersäure, der krystallisirten schwefelsaueren Thonerde, des Alauns, Salmiaks, der Soda, der Zuckersäure, des künstlichen Gypses (aus den Abfällen der Bleizuckerfabrik) und zahlreicher pharmaceutischer Präparate[WS 3], darunter besonders große Mengen Salicins (als Ersatzmittel der Chinin-Präparate), sowie des damals eben erfundenen Creosots, welch’ Letzteres wohl nirgends zu so billigen Preisen erzeugt zu werden vermochte. Durch die wohlfeilere Bereitung z. B. der Salzsäure, wodurch zugleich die Salmiak- und Chlorfabrication eine wesentliche Erleichterung gewann, hat Richter sich von der Fikentscher’schen Fabrik zu Redwitz (in Bayern) immer unabhängiger gemacht; er setzte durch andere Artikel große Capitalssummen in Umlauf und schwang seine eigene Firma bereits 1827 zu einem ehrenvollen Range und dauerndem Ansehen empor. Mittlerweile betrieb doch Richter die Zuckerfabrication immer fort. Er kaufte eine Dampfmaschine von 14 Pferdekraft und stellte sie in Königsaal zum Betriebe von vier Luftpumpen auf. Hiedurch und durch die später erfolgte Aufstellung einer zweiten Dampfmaschine von 12 Pferdekraft wurde seinem Etablissement, das sich immer mehr zur ausschließlichen oder doch vorzugsweisen Zuckerfabrication hinneigte, eine wesentliche Stütze zu Theil. Obwohl Fürst Oettingen-Wallerstein, der die Staatsdomäne Königsaal gekauft und daselbst auch eine Rübenzuckerfabrik [32] errichtet hatte, also sein unmittelbarer Concurrent war, so erlitt er dadurch dennoch keine Störung, sondern betrieb nur seine eigene Fabrication um so schwungreicher. Er kam um das Jahr 1838 zu dem Entschlusse, die meisten anderen Zweige seiner Fabrication aufzugeben und sich mit aller Kraft und Vorliebe der Zuckerfabrication, insbesondere jener aus Runkelrüben zu widmen. Auf diesem Gebiete hat denn auch R. wirklich Glanzendes, ja Unglaubliches geleistet, und Richter’s Name zählt in dieser Richtung zu den ausgezeichnetsten industriellen Patrioten Oesterreichs. Er machte die nationalökonomische Bedeutung der „Zuckerfrage“ zu seinem eingehendsten Studium. Als Chemiker, Kaufmann, Landwirth und Statistiker in einer Person verkannte er keinen Augenblick die eventuelle Wichtigkeit dieser Fabrication für Land und Volk von Böhmen und der ganzen Monarchie. In Sachsen und in ganz Süddeutschland wollten die Rübenzuckerfabriken durchaus nicht gedeihen, und in den österreichischen Provinzen (mit Ausschluß Ungarns, welches abgesperrt blieb, und Böhmens) gab es in der Zeit, wo Richter seine Rübenzuckerfabrik zu einer Art National-Institut erhob, kaum 52 taugliche Etablissements, welche die jährliche Zucker-Consumtion von 500.000 Centnern, davon ein Drittel Rübenzucker ist, nur zum geringsten Theile decken konnten. Im Jahre 1836 hatten sich in Böhmen die 9 einheimischen, von einigen größeren Grundbesitzern angelegten Rübenzuckerfabriken auf 17 vermehrt. Allein Richter erklärte die von ihnen erzielten Resultate als bei weitem unverhältnißmäßig auf das dem Rübenbaue so günstige Böhmenland, von dessen landwirthschaftlich[WS 4] benützter Bodenfläche (861,2 österr. Quadratmeilen oder 8,612.201 Joch, 1169 Quadrat-Kilometer) sich wenigstens 165.788 Joch als Rübenland darstellen, ohne daß damals mehr als 1/36 davon wirklich für den Rübenbau verwendet wurde. Der jährliche Runkelrüben-Ertrag betrug nach statistischen Angaben nie über 500.000 Metzen- und es haben sich noch im Jahre 1846 33 einheimische Rübenzucker, oder vielmehr Rübensaft-Fabriken in diesen Vorrath getheilt. Die Erfahrungen, welche die böhmischen Rübenzucker-Raffineure bis 1836 vor sich hatten, waren nichts weniger als ermunternd; bloß Richter’s Unternehmung hielt sich unter allen Wechselfällen aufrecht. Indeß war R. weder mit seinen eigenen, noch mit den dießfälligen Erfolgen des ganzen Landes zufrieden; denn er hatte sich für diesen Productionszweig sein eigenes Ideal gebildet. Da gerieth der Meister in der Kunst des Raffinirens auf die Idee, die Producte Anderer zu veredeln. Letzteres war im Kleinen bereits vor dem Jahre 1836 geschehen. Jetzt lieferten, mit Ausnahme von zwei Fabriken alle Fabriken Böhmens, ihren Syrup und Rohzucker der Anstalt Richter’s zur Veredlung ab, und bald leuchtete die Zweckmäßigkeit einer solchen Theilung der Arbeit in’s Auge. Königsaal war der Bienenstock, wo das Rohmaterial zugetragen wurde wie Honig und Wachs, respective Zucker und Melasse geschieden und veredelt wurde. Gern zogen es die Fabrikanten vor, ihre beigeschafften Raffinerie-Apparate ruhen und dieß Geschäft mit mehr Sicherheit und Vortheil von dem unermüdlichen Königsaaler Raffineur verrichten zu lassen, welchem Rübensaft oder Rohzucker für bestimmte Preise überlassen wurden. R.’s Monopol trat hiedurch in ein Stadium neuer Selbstständigkeit und neuen Glanzes. Dieß war für den Leiter [33] desselben Aufforderung genug, es auf neue oder doch vervollkommnete Grundlagen zu basiren. Richter hatte sich längst mit allen mechanischen Constructionen und Apparaten bekannt gemacht und in Königsaal stand schon 1830 der ganz von einheimischen Mechanikern erbaute Raffinerie-Apparat nach dem Howard’schen Principe in Betrieb – ein Werk, das wegen der durch Richter’s Genie daran angebrachten wesentlichen Vorzüge schon 1836 als eines der besten in der Welt gerühmt werden konnte. War solch’ ein Apparat, auf welchen Richter bereits seit 1825 ein Privilegium besaß, der erste in Böhmen, so war auch Richter’s Idee: (neben der Raffinirung des Colonial-Rohzuckers) nicht nur den Rübenzucker anderer Producenten zur Raffinirung, sondern auch den von ihnen erzeugten Rübensaft zur weiteren Verarbeitung zu übernehmen, ihrer Durchführung nach die erste in der Monarchie. Es ist dieß ein wesentliches Verdienst, welches er sich in jenem industriellen Gebaren erworben. Der Umfang der Richter’schen Fabriksanstalt, die sich eigentlich als eine Mehrheit von Anstalten kundgab, erweiterte sich in dem Maße, als andere Zuckerraffineurs (und später auch bloße Rübenlieferanten) Böhmens sich ihm anschlossen. Bereits war die Raffinerie für 30.000 Centner Rohzucker, somit auf ein ansehnliches Percent des hierländigen Gesammtverbrauches, eingerichtet; wenn auch vorderhand dieses Quantum nicht erzielt wurde. Von dem überseeischen Rohzucker hatte Richter jährlich über 140.000 Gulden Zoll bezahlt und der jährliche Umsatz betrug, nach seiner eigenen Angabe, mehr als 750.000 fl. C. M. Schon damals war die Celebrität des Königsaaler Etablissements und die persönliche seines Urhebers bedeutend. Zu der Anerkennung des Auslandes gesellte sich bei Richter die (in der Regel seltenere) seiner Heimat. Im Jahre 1837 hatte seine Raffinerie eine höhere national-ökonomische Stufe im Vaterlande einzunehmen begonnen, da nichts Geringeres als die Gründung einer Central-Gesellschaft zur Erzeugung der Rübensafte für gemeinschaftliche Rechnung im Werke war, und gerade auch hatten sich die europäischen (und einige transatlantische) Naturforscher und Landwirthe, unter denen Richter zahlreiche Freunde und Fachgenossen zählte, zu ihrer (fünfzehnten) Versammlung in der Hauptstadt Prag angekündigt und am 18. September 1837 ihre Sitzungen wirklich eröffnet. R. hatte die ehrende Genugthuung, mit Männern in nähere Beziehungen zu treten, die – wie ein Schweigger aus Halle, Rose aus Berlin, Löwig aus Zürich, Brandes aus Leipzig, Zenneck aus Tübingen, Frankheim aus Breslau, Buchner aus München, von Bonsdorf aus Helsingsfors u. A. – der gesammten chemischen Wissenschaft unseres Jahrhunderts jenen weltwichtigen praktischen Einfluß verliehen und gesichert haben, der sich schon jetzt in der Industrie, Agricultur und anderwärts durch segensvolle Früchte offenbart, und dem auch Richter sein Wissen, seinen Ruf, sein Vermögen zu danken hatte. Es wurde bei den Sitzungen der Naturforscher über alle Objecte des Richter’schen Fabricationsbereiches berufsmäßig verhandelt. Er selbst hatte sich für die Section der Chemie in das Album der Versammlung eigenhändig eingezeichnet; allein der vielbeschäftigte Mann, dem sonst eine fließende und prägnante Beredsamkeit zu Gebote stand, gönnte sich zu Vorträgen keine Zeit. Die Zuckerfabrication kam schon deßwegen [34] an die Tagesordnung, weil damals die europäischen Landwirthe noch keine selbstständigen, sondern mit den Naturforschern und Aerzten gemeinschaftliche Versammlungen hatten. Auch waren Druckschriften über diesen Gegenstand an die Sections-Versammlungen eingegangen, welche besprochen werden mußten. Und am 21. September sollte Richter alle die erschienenen Berühmtheiten bei sich empfangen und seine Einrichtungen sehen lassen. Ueber diese merkwürdige Episode aus Richter’s Leben gibt der officielle Bericht über die Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Prag im September 1837 (vom Grafen Kaspar Sternberg und Prof. J. V. Edler von Krombholz, gr. 4°., S. 123 bis 124, 209–210) eine ausführliche Darstellung. Also hatte Richter’s Etablissement in allen seinen Zweigen die Kritik der competentesten Männer ruhmvoll bestanden; die heimkehrenden Chemiker und Technologen haben den Leistungen Richter’s in halb Europa Anerkennung verschafft. Er selbst trat von nun an nach allen Richtungen der Windrose hin in eine Art wissenschaftlichen Verkehrs und dieß äußerte zugleich eine unfehlbar günstige Rückwirkung auf sein Geschäft. Denn Letzteres war, wie Richter mit sicherem Tact calculirte, noch immer der Vergrößerung fähig und zum Heile des Landes auch bedürftig. Hatte sich nämlich Richter bisher schon der Weiterverarbeitung, nicht allein des Rüben-Rohzuckers, sondern auch jener der ihm von anderen Fabrikanten gelieferten Säfte unterzogen; so organisirte er jetzt (1838) eine förmliche Gesellschaft von Güterbesitzern, welche Rübensafte für gemeinschaftliche Rechnung erzeugten, und schuf so sein Königsaaler Etablissement zu einer Central-Zuckerfabrik für Böhmen um. Aehnliches hatte man bis dahin noch in keinem Staate versucht. Und daß die Resultate dieser Geschäftsverbindung für die Betheiligten wirklich vortheilbringend, für die Consolidirung eines der bedeutendsten Zweige der Industrie entscheidend und endlich für des Landes Wohl unberechenbar förderlich und heilsam gewesen sind, das bedarf keiner näheren Auseinandersetzung. Tausende von Arbeiterfamilien segnen noch heute Richter’s Andenken. Denn, wie kein anderes Product, so ist die Rübenzucker-Erzeugung die Frucht ausschließlicher einheimischer Arbeit, deren Ertrag in Bezug auf die Landescultur, in Bezug auf die Arbeiterlöhne und in Bezug auf den Baargewinn des sonst den Colonialgegenden heimfallenden Ausfuhrcapitals, mithin in allen Stadien dem Vaterlande selbst zugute kommt. Als Anhänger der Lehre vom Industrieschutze durch entsprechende Eingangs- und Differentialzölle erstattete er zwei motivirte Vorstellungen an den damaligen Landeschef, Grafen Karl Chotek, die erste im eigenen, die andere im Namen des Gewerbevereines über die einheimische Zuckerfrage, welche hohen Ortes nicht ohne Wirkung geblieben zu sein scheinen. Schon als im März 1833 der böhmische Gewerbeverein in’s Leben trat, wurde R. zum Directionsmitgliede erwählt und ihm dann im Jahre 1836 die höchst seltene Auszeichnung, zum wirklichen Vereinsmitgliede ernannt zu werden, erwiesen. Es geschah nun hauptsächlich über Andringen Richter’s und seiner Meinungsgenossen im Gewerbevereine, daß derselbe Verein, nachdem er sein erstes achtjähriges Wirken unbefangen erforscht, einen neuen Aufruf zur Theilnahme erlassen, sich erweiterte Ziele gesteckt und neue Statuten gegeben hat. Der neuorganisirte [35] Verein (wie er sich jetzt selbst nannte), hatte R. längst unter seine bedeutendsten Capacitäten gezählt. Als nun nach den Vereinsstatuten, sowohl eigene Repräsentation der industriellen Beschäftigungen, als auch besondere Ausschüsse für industrielle Aufklärung creirt werden sollten, konnte Richter, wenngleich durch sein – eine Welt im Kleinen bildendes – Geschäft über die Gebühr in Anspruch genommen, keineswegs übergangen werden. In solcher Eigenschaft sind von ihm in den Jahren 1843 und 1844 mehrere Gelegenheitsvorträge gehalten und verschiedene schriftliche Gutachten an die General-Direction abgegeben worden, die man einmüthig als eine wahre Fundgrube von praktischen Ansichten, Erfahrungen und Reformvorschlägen, bezeichnete. In der Jahres-Versammlung des Gewerbevereines, welche am 16. Mai 1844 stattgefunden hat, war Richter nicht anwesend, bekam jedoch bei der Wahl des Verwaltungsrathes 41 Stimmen und hatte folglich die Majorität. Allein er war zur Annahme dieses Amtes nicht zu bewegen; nachdem er diesen Wirkungskreis nur provisorisch bis zur ersten Monats-Versammlung übernommen, erklärte er, daß dieß Geschäft nur von einem Gelehrten und Professor zweckmäßig besorgt werden könne, dagegen er lieber dem Gewerbevereine in einer anderen Sphäre nützlich wäre. Und somit wurde dießfalls eine neue Wahl eingeleitet. Am 23. Juli desselben Jahres fungirte Richter mit 32 Stimmen zum Repräsentanten des Fabrikswesens erwählt, als Vorsitzender bei der Commission über die Arbeiterfrage. Die Angelegenheiten des Gewerbevereines beschäftigten jedoch R. nicht allein; er war auch Mitglied der k. k. patriotisch-ökonomischen Gesellschaft in Böhmen und des Vereines der Kunstfreunde daselbst, deren Zwecke er ebenfalls durch geistige und materielle Mittel rühmlich zu fördern suchte. Die soeben berührte „Arbeiterfrage“ war damals besonders im Böhmerlande an der Tagesordnung. Die mehrjährige schlechte Kartoffelernte, der Nothstand im Erz- und Riesengebirge, die Stockung des Fabrikswesens hatte allenthalben Maßnahmen gegen die um sich greifenden Arbeiterbewegungen nöthig gemacht. Die große Thaufluth vom 29. März 1845 vermehrte noch den Pauperismus. Und durch dieses letztere Elementarereigniß, welches besonders die Niederungen am Zusammenflusse der Beraun und Moldau heimsuchte, kam auch Richter in große Gefahr. Königsaal und Groß- und Klein-Lahowitz, endlich Lippan, haben mehr oder weniger gelitten, und das ganze Jahr noch fühlte Richter die Nachwehen davon. In seinen beiden letzten Lebensjahren war Richter mit besonderer Vorliebe in die Schriften und das sogenannte „internationale System“ Friedrich List’s eingedrungen. Er hatte sich zu solchen Studien durch eine gründliche staats- und finanz-wissenschaftliche Lectüre vor vielen Anderen befähigt, und seine Freunde erzählen, wie tief R. der tragische Tod jenes großen National-Oekonomen auf seinem letzten Krankenlager erschüttert habe. Der mehr universelle und literarische Geist, welcher in neuerer Zeit den böhmischen Gewerbeverein auszeichnet, ist größtentheils eine Frucht der Anregungen Richter’s, der da immerwährend auf mündlichen und höheren Unterricht in den verschiedenen Zweigen der technischen Wissenschaft drang. Dem (im Jahre 1844) im Schooße des Gewerbevereins ausgebrochenen[WS 5] und heutzutage auf die Spitze getriebenen Nationalitätsstreite blieb R. [36] gänzlich fremd. So hat Richter bis an sein Lebensende theils schöpferisch, theils anregend, im Ganzen aber in einer Weise fördernd gewirkt, wie Wenige in seiner Sphäre. Ausgezeichnet aber wie auf dem Gebiete der Industrie war Richter auch in seinem sonstigen Verhalten als Bürger. Alle gemeinnützigen Anstalten für Humanität und Bildung fanden in ihm einen eifrigen Förderer, und namentlich waren es die Armen und Dürftigen, denen seine Hand immer geöffnet war. Die zusagendste geistige Erholung von den Anstrengungen seiner Studien und Arbeiten fand er in der Musik und, als fertiger Violinspieler im Quartette, wo er die Meisterwerke Haydn’s, Mozart’s und Beethoven’s mit besonderer Vorliebe executirte. Bei einer vorherrschenden Neigung zur Heiterkeit war er gleichwohl nie ein Freund von rauschenden Vergnügen, und nur im Schoße seiner Familie oder im Cirkel gleichgesinnter Freunde, denen, wie allen Bekannten und Fremden, sein gastliches Haus stets offen stand, suchte er Erheiterung, wo er dann die Schwächen der Zeit mit ebenso glücklichem Humor zu geißeln wußte, als er der Dummheit und Schlechtigkeit mit aller Energie eines heftig aufbrausenden Charakters entgegen trat, stets jedoch bald wieder zum Versöhnen und Vergessen geneigt. Diese Mischung seines Wesens, in dem sich Ernst und Milde paarten, erwarb und erhielt ihm auch außerhalb des großen Kreises der Verehrer seines Wirkens zahlreiche innige Freunde seines persönlichen Wesens, das durch uneigennützige Aufopferungsfähigkeit, Gefälligkeit und zuvorkommende Güte bleibend alle Jene fesselte, zu denen er sich hingezogen fühlte. Richter starb im Alter von 62 Jahren, nachdem ihm seine Gattin ein Jahrzehend früher durch den Tod war entrissen worden. Aus seiner Ehe hinterließ er zwei Töchter und einen Sohn, welch’ letzterer vereint mit seinem Schwager die großen und vielartigen Geschäfte seines Vaters unter der Firma „Anton Richter’s Erben“ fortführt. Außer den in der Lebensskizze angeführten Auszeichnungen besaß R. keine. Er lebte eben noch nicht in der Aera der Orden- und Adelsverleihungen.

Libussa, Jahrbuch, herausgegeben von Klar (Prag, 4°.) Jahrgang 1851, S. 351–396: „Anton Richter. Ein Charakterbild aus dem Industrieleben Böhmens“, von P. A. Labsky. – Adressen- und Jahrbuch der Rübenzucker-Fabriken und Raffinerien Oesterreich-Ungarns. Von A. Achleitner (Wien 1872, 12°.) S. 37–64: „Anton Richter“. – Porträt. Unterschrift: Facsimile des Namenszuges Anton Richter, darunter: geb. zu Böhmisch-Leipa am 4. Novemb. 1782; gest. am 13. Dezemb. 1846 zu Königssaal. T. Mayer del., W. C. Wrankmore sc. (Stahlstich, 1851, 4°., auch 12°.).

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: S. 269], S. 269].
  2. Vorlage: Prilegien.
  3. Vorlage: Präpaparate.
  4. Vorlage: landwirthlich.
  5. Vorlage: ausgebrobrochenen.