BLKÖ:Stolz, Joseph
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich | |||
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Band: 39 (1879), ab Seite: 170. (Quelle) | |||
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Michael S. [s. den Folgenden S. 174]. Wie mehrere Mitglieder der Familie, zeigte auch Joseph Talent zur Kunst und sollte, da sein jüngerer Bruder Michael sich der Bildhauerei gewidmet hatte, die Malerei zu seinem Lebensberufe wählen. Er kam daher in seinem 14. Jahre zu dem in weiten Kreisen bekannten tüchtigen Maler Kirchebner [Band XI, S. 307, in der Quellen] zu Götzens bei Innsbruck, um seinen ersten Unterricht zu erhalten. Doch schon nach Ablauf eines Jahres verließ er denselben und erklärte, „studiren zu wollen“. Diesem Wunsche gemäß wurde er 1826 an das k. k. akademische Gymnasium zu Innsbruck gebracht, welches er sechs Jahre hindurch besuchte. Sein vorzüglicher Fortgang an dieser Lehranstalt berechtigte zu den besten Hoffnungen. Nach Beendigung der zweijährigen philosophischen Studien an der Universität zu Innsbruck entschloß er sich zum Studium der Medicin. Im Herbste 1833 bezog er die Universität in Wien, wo sich die medicinische Schule bereits zu jener Blüthe zu entwickeln begann, die ihr später den noch bestehenden Weltruf verschaffte. Im nächsten Studienjahre 1834/35 begab er sich auf die Universität zu Padua, kehrte aber nach Ablauf desselben wieder nach Wien zurück, wo er nun durch beinahe sechs Jahre mit dem größten Eifer seinem Fachstudium oblag. Schon am 8. Februar 1839 wurde er als erster tirolisch-ständischer Zögling in das k. k. chirurgische Operationsinstitut in Wien aufgenommen. Innerhalb des zweijährigen Curses, den er an diesem Institute bestand, bildete er sich unter v. Wattmann’s Anleitung zu einem geschickten Operateur heran. Nachdem er bereits am 10. December 1839 die Doctorwürde der Medicin und Geburtshilfe erlangt hatte, wurde er nunmehr noch Doctor der Chirurgie und Magister der Augenheilkunde. Mit seiner theoretischen Ausbildung hielt die praktische gleichen Schritt. So besuchte er 1839/40 die chirurgische Abtheilung des Professors Schuh [Bd. XXXII, Seite 137][WS 1], genoß den Unterricht Rosas’ [Band XXVI, S. 343] über Augenoperationen und wohnte im Jahre 1840 den täglichen Ordinationen an der k. k. Irrenanstalt in Wien bei. Aus dieser Zeit regen Strebens stammt auch seine freundschaftliche Verbindung mit mehreren Studiencollegen, darunter mit Professor Sigmund von Ilanor [Bd. XXXIV, S. 272] in Wien. Als er 1842 nach seiner Heimat zurückkehrte, war er nach allen Richtungen für den ärztlichen Beruf umfassend vorbereitet. Insbesondere brachte er eine Eigenschaft mit, die in Tirol zu den größten Seltenheiten gehörte, nämlich seine wissenschaftliche Ausbildung und Geschicklichkeit in der operativen Chirurgie. Derselben verdankte er auch die [171] Ernennung zum Hauswundarzte an der k. k. Irrenanstalt zu Hall. Er begab sich an den Ort seiner neuen Wirksamkeit Ende April 1841. Sofort entwickelte er als praktischer Arzt, namentlich als Operateur, eine ausgebreitete Thätigkeit, wovon mehrere Artikel in der „Oesterreichischen medicinischen Wochenschrift“ Zeugniß ablegen. Insbesondere möge erwähnt sein, daß er zuerst in Tirol die Narkose durch Schwefeläther bei seinen chirurgischen Operationen anwandte. Im October 1842 bewarb er sich um die erledigte Lehrkanzel der Anatomie an der medicinisch-chirurgischen Lehranstalt zu Innsbruck, ohne jedoch dieselbe zu erhalten. Um diese Zeit scheint er den Entschluß gefaßt zu haben, seine Thätigkeit in erster Linie der Psychiatrie zu widmen, der er seinen bleibenden Ruf verdankt. Er unternahm im J. 1844 auf eigene Kosten eine Reise nach Deutschland, Belgien und Frankreich, um die Irrenanstalten dieser Länder eingehend zu studiren. Der Bericht über die französischen Irrenanstalten (die Irrenabtheilung in der Salpetrière, die Privat-Irrenanstalt bei Ivry und Venres und die Nouvelle Sûreté in Bicêtre) sollte in den „Medicinischen Jahrbüchern des k. k. österreichischen Staates“ erscheinen, jedoch gelangte nur ein Theil des Manuscriptes in den letzten Bänden dieser Zeitschrift zum Abdrucke, der Rest ging während der Wirren des Jahres 1849 verloren. Von 1844 an trat Doctor Stolz mit Erfolg als psychiatrischer Schriftsteller auf. Seine wissenschaftliche Thätigkeit, welche wir zum Schlusse verzeichnen, fand Anerkennung bei der k. k. Gesellschaft der Aerzte und bei dem Vereine für Psychiatrie zu Wien, welche ihn, die erstere am 26. März 1855, der letztere am 30. Mai 1869, zum correspondirenden Mitgliede ernannten. Beinahe neun Jahre verflossen nach seiner Rückkehr von der oben erwähnten Reise, und noch immer wollte es ihm nicht gelingen, eine seinen Kenntnissen und daran gewendeten eigenen Opfern entsprechende Lebensstellung zu erlangen. Seine Bewerbung um die im J. 1850 errichtete Kreis-Sanitätsrathsstelle in Innsbruck war auch erfolglos geblieben. Als aber 1854 der Director der Landes-Irrenanstalt zu Hall Doctor Tschallener aus dem Amte trat, wurde Doctor Stolz mit 1. Juni 1854 an dessen Stelle berufen. Die Reformen, welche er in demselben einführte, hat er selbst geschildert in der Abhandlung: „Mechanischer Zwang bei der Behandlung der Geisteskranken und die allmälige Beseitigung desselben in der Irrenanstalt zu Hall in Tirol“, welche im XXVI. Bde. der „Zeitschrift für Psychiatrie“ abgedruckt ist. Daraus lassen wir hier jene Stelle folgen, die zugleich eine kurze Darstellung des Entwicklungsganges seiner psychiatrischen Thätigkeit gibt: „Ich betrat, schreibt Dr. Stolz, die Anstalt in Hall als Hauswundarzt im Jahre 1841. Wer damals die oft peinliche Procedur des „Kopfbrechens“ mit ansah, mußte von Mitleid gegen die armen Kranken ergriffen werden. Kein Wunder also, wenn wir Aerzte und Anstaltspriester die Ausbreitung des „non restraint“[WS 2] in England mit Freuden begrüßten, und von dieser Zeit her schreibt sich meine Vorliebe zu dieser Behandlungsweise. Der damalige Gubernialrath und Landesprotomedicus Dr. Joh. von Ehrhart [Bd. XI, S. 399], bekannt als Herausgeber der „Salzburger medicinisch-chirurgischen Zeitschrift“, sprach sich ebenfalls für die milde Behandlung der Geisteskranken [172] aus. Ich suchte daher schon damals durch oftmalige und genaue Beobachtung der Geisteskranken Mittel und Verfahrungsweisen aufzufinden, um sie entweder ohne Beschränkung und Zwang oder wenigstens durch Milderung derselben unschädlich zu machen, und war so glücklich, selbst noch während der Amtsführung Tschallener’s und sogar mit dessen Beistimmung manche Zwangsanwendung zu verhindern oder zu mildern. Ein geschickter Wärter der Tob-Abtheilung ging auf meine Ansichten ein und war mir zur Erreichung meines Zieles sehr behilflich. Am 1. Juni 1854 wurde mir nach der Jubilirung des Directors Tschallener die Direction der Anstalt hohen Ortes übertragen. Ich setzte mein Bestreben, körperlichen Zwang und Beschränkung in der Behandlung Geisteskranker möglichst zu vermindern, gewissenhaft und beharrlich fort. Die Umstände waren für mein Unternehmen damals nicht die günstigsten u. s. w. Zu diesem Allem kam noch der Umstand, daß ich außer durch den Anstaltscaplan Sebastian Ruf [Band XXVII, S. 240], in der Anstalt selbst anfänglich keine moralische Unterstützung fand. Als später auch in der deutschen Journalistik das Bedürfniß der wirklichen Verminderung der Zwangs- und Beschränkungsmittel stärker betont worden war, wurde auch meine Stellung eine freiere.“ – Aus dem Angeführten ergibt sich, daß Dr. Stolz in Deutschland und Oesterreich jedenfalls einer der Ersten war, die sich mit Entschiedenheit dem Systeme des „non restraint“ zuwandten. Ganz von demselben humanen Geiste getragen war eine andere Neuerung, die beim Publicum von Innsbruck und Hall anfangs Aufsehen erregte. Es ist die im Jahre 1856 eingeführte jährliche Fastnachts-Unterhaltung der Irren gemeint, die nicht blos den Zweck hat, auf die Kranken aufheiternd zu wirken, sondern auch die Anstalt der Gesellschaft zu nähern, deren Sympathien für Irre schwer zu gewinnen sind. Im J. 1868 erfuhr Stolz’s psychiatrische Wirksamkeit eine neue Erweiterung. Bereits 1866 wurde durch Landtagsbeschluß die Vergrößerung der Irrenanstalt zu Hall zum Behufe der dauernden Unterbringung unheilbarer gefährlicher Irren bewilligt. Dr. Stolz unternahm im Herbste 1867 eine zweite Reise nach Deutschland, um die neueren Verbesserungen in der Einrichtung der dortigen Irrenanstalten kennen zu lernen. Größtentheils nach seinen Angaben wurde dann der Plan für das neue Gebäude entworfen. Dasselbe ging so schnell seiner Herstellung entgegen, daß es bereits im Jahre 1868 bezogen werden konnte. Doch bald erwies sich die erweiterte Irrenanstalt für den neuen Zweck als zu klein. Der Landtag beschloß daher, für die Irren italienischer Zunge eine eigene Anstalt zu gründen. Dr. Stolz, von der k. k. Statthalterei der Commission, welche zu diesem Zwecke die nöthigen Erhebungen zu pflegen hatte, im Einvernehmen mit dem Landesausschusse als Mitglied zugetheilt, unternahm als solches in jenen Jahren mehrere Reisen. 1870 wurde er von dem Landesausschusse in den neu errichteten Landes-Sanitätsrath gesandt und in dieser Eigenschaft noch zweimal bestätigt. Aber auch sonst wirkte er ganz im Geiste der Humanität. Viele Jahre hindurch behandelte er die kranken Zöglinge des vaterländischen Taubstummen-Institutes, ohne irgend einen Anspruch auf Vergütung zu erheben. Ebenso widmete er den zahlreichen Armen der [173] Stadt Hall unentgeltlich seine Thätigkeit und war bei epidemischen Krankheiten stets unverdrossen mit seiner allenthalben gesuchten Hilfe gegenwärtig. An ehrenvollen Zeugnissen der betreffenden Corporationen, Aemter und Gemeinden fehlt es nach dieser Richtung nicht. Seine Verdienste um die Behandlung kranker und verwundeter Krieger im Jahre 1859 wurden in einem Erlasse Seiner kaiserlichen Hoheit des Erzherzogs Karl Victor[WS 3], vom 14. April 1860, in ehrenvollster Weise anerkannt. Sein langjähriger Wunsch, eine Verwendung im Lehramte zu finden, ging 1873 in Erfüllung, indem er zum Supplenten für Psychiatrie an der Universität zu Innsbruck bestellt wurde. Seitdem hielt er jeden Sommersemester Vorträge über diesen Gegenstand, verbunden mit klinischen Demonstrationen in der Anstalt selbst. Auch als Lehrer machte er sich bald sehr beliebt und seine Vorlesungen fanden zahlreichen Besuch. Später wurde er zum Examinator der Psychiatrie bei den Physikatsprüfungen ernannt. So erweiterte sich fortwährend der Kreis seines für das Land, die Wissenschaft und die seiner Obhut übergebenen Kranken gleich verdienstvollen Wirkens. Da erlag er mitten unter seinen Arbeiten einem Schlagflusse. Noch wenige Tage vor seinem Tode, am 8. Februar 1877, hatte er ein umfangreiches Werk über die Epidemien für den Sanitätsrath vollendet. Dasselbe ist hinsichtlich seiner Beobachtungen über die sanitären Verhältnisse der verschiedenen Bevölkerungsclassen Tirols von nicht geringem Interesse, und einige Zeit hieß es, daß es durch den Druck veröffentlicht werden solle. Von seinen übrigen theils im Buchhandel erschienenen, theils in Fachblättern abgedruckten Abhandlungen, verzeichnen wir: „Dissertatio inauguralis: De praestantia sectionis venae jugularis externae“ (Viennae 1839); – „Bemerkungen über die tirolische Landes-Irrenanstalt in Hall“ (Innsbruck 1869, Wagner). – In den „Medicinischen Jahrbüchern des österreichischen Kaiserstaates“ 1844: „Ueber Irrsinn bei Kindern mit Rücksicht auf einen besonderen Fall“ [XLVI. Band]; – 1848: „Bericht über die Irrenabtheilung in der Salpetrière, über die Privat-Irrenanstalten bei Ivry und Venres und über die Nouvelle Sûreté in Bicêtre“ [Bd. LXIV–LXVI]; – in der „Zeitschrift für Psychiatrie“ Bd. IV (1847): „Fall von dreimal versuchtem und endlich vollzogenem Selbstmord“; – Bd. VIII (1851): „Zur fortschreitenden und allgemeinen Porose“; – Band XXV (1868): „Mechanischer Zwang (körperliche Beschränkung) bei der Behandlung der Geisteskranken und die allmälige Beseitigung desselben in der Irrenanstalt zu Hall in Tirol“; – Bd. XXVIII (1871): „Der erste Fall von politisch-religiösem Wahnsinn aus der neuesten Zeitperiode in der Tiroler Landes-Irrenanstalt“; – Bd. XXXIII (1876): „Gedanken über moralisches Irresein (moral insanity)“; – in der „Zeitschrift der Gesellschaft der Aerzte in Wien IX. Jahrg. (1853): „Neuer Versuch zur Radicaloperation der Leistenbrüche“ [Bd. II]; – in der „Wiener medicinischen Wochenschrift“ Jahrg. 1870: „Chloroform und Schwefeläther als Hilfsmittel zur Erkenntniß psychischer Zustände“ (Nr. 25); – im „Boten für Tirol und Vorarlberg“ 1863: „Die Versorgung unheilbarer gefährlicher Irren, eine brennende Landesfrage“ (Nr. 9–12 und 17–24). Der Mathematiker Otto Stolz, [174] dessen Lebensskizze [siehe die S. 177] folgt, dürfte wohl sein Sohn sein.
Stolz, Joseph (Arzt und Director der Landes-Irrenanstalt zu Hall in Tirol, geb. zu Matrei in Tirol 4. December 1811, gest. zu Hall 8. Februar 1877). Stolz ist der Sohn des Pfarrmeßners zu Matrei Franz Stolz, und Bruder des Bildhauers- Dr. Joseph Stolz, Director der Landes-Irrenanstalt zu Hall in Tirol. Nekrolog (Innsbruck 1878, Wagner, kl. 8°.); – Bote für Tirol und Vorarlberg, 1878, Nr. 32. „Nekrolog“.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: [Bd. XXXII, Seite –7].
- ↑ No restraint (Wikipedia).
- ↑ 1821–1849.