BLKÖ:Sucher, Joseph

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
korrigiert
<<<Vorheriger
Suchecki, Miroslaw
Band: 40 (1880), ab Seite: 266. (Quelle)
[[| bei Wikisource]]
Joseph Sucher in der Wikipedia
Joseph Sucher in Wikidata
GND-Eintrag: 117365386, SeeAlso
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Linkvorlage für Wikipedia 
* {{BLKÖ|Sucher, Joseph|40|266|}}

Sucher, Joseph (Componist, geb. zu Doniber im Eisenburger Comitate [267] Ungarns im Jahre 1845). Die Eltern waren als Wirthschaftsbesitzer so verarmt, daß sich der Sohn sein Brod als Hirtenknabe verdienen mußte. Im Alter von sechs Jahren lernte er seinen Oheim Anton Hirsch, einen Beamten im k. k. allgemeinen Krankenhause zu Wien, kennen. Obwohl dieser selbst Familie besaß, nahm er den Neffen, von dessen Wesen und Wißbegierde er sich angezogen fühlte, in sein Haus auf. Ein großer Freund der Musik und Dilettant in dieser Kunst, begann er, als er das musikalische Talent seines Pfleglings erkannte, demselben zuerst im Gesang, dann im Violinspiel Unterricht zu ertheilen. Eben damals machte die kaum ins Leben gerufene Akademie der Tonkunst viel von sich reden, und so richtete denn auch Hirsch sein Augenmerk auf diese Anstalt. Nachdem der Knabe daselbst einer Prüfung unterzogen und seine schöne Sopranstimme allseitig gewürdigt worden, fand er als Zögling in der Gesangschule Aufnahme. In derselben machte er treffliche Fortschritte; nicht minder aber unter der unmittelbaren Leitung des Professors Benesch in dessen Violinschule; auch ertheilte ihm dieser, von dem Talente des Schülers angezogen, noch unentgeltlichen Unterricht außer der Schulstunde. Schon bei der ersten Jahresprüfung konnte der neunjährige Zögling unter Anderem das 7. Concert von Bèriot spielen. Als im Herbst 1854 ein Concurs zur Aufnahme von Sängerknaben für die k. k. Hofcapelle ausgeschrieben wurde, erhielt er unter 48 Mitbewerbern eine Stelle als Hofcapellsänger und wurde nun als solcher in das k. k. Löwenburg’sche Convict unentgeltlich aufgenommen. Daselbst zählte er bald zu den besten Zöglingen, und um diese Zeit schon versuchte sich der erst eilfjährige Knabe auf Anregung seines Oheims im Componiren. So entstand denn zum Namensfeste desselben im Jahre 1856 ein Streichquartett, Sucher’s erste Composition, welche so sehr den Beifall des Oheims fand, daß dieser seinem Neffen – doch wohl mehr im Scherze – zurief: „Nun componir’ mir eine Messe, hier hast du Papier“. Der Knabe ließ sich dies nicht zweimal sagen; in einer halben Stunde war das Kyrie componirt, das er nun selbst dem Oheim vorsang, der von der frommen Weise des Tonstückes tief ergriffen, den Jungen im Ernst aufforderte, die Messe zu Ende zu componiren. Zu dieser Aufforderung gesellte sich noch eine zweite. Der Oheim war nämlich mit seinem Neffen eines Tages in Geschäftsangelegenheiten nach Heiligenkreuz gefahren. Im Stifte stellte er seinen kleinen Tonkünstler dem Prälaten vor, der, selbst ein großer Verehrer guter Musik, das Kyrie, von welchem ihm Hirsch berichtet hatte, auch zu hören wünschte. Der Prälat wurde von dem Vortrage des Tonstückes so gerührt, daß auch er den Knaben zur Vollendung der Messe aufforderte, welche er dann am Kreuzerhöhungsfeste in seiner Stiftskirche aufführen und wozu er den jungen Componisten im Wagen abholen lassen wollte. Tief war der Eindruck solchen Erfolges auf Sucher, und zur rechten Zeit brachte er die Messe zu Ende. Nachdem sein Meister in der Harmonielehre, Simon Sechter [Bd. XXXIII, S. 250] das Werk durchgesehen und noch einige unerläßliche Correcturen und Kürzungen daran vorgenommen hatte, gelangte dasselbe am 14. September 1856, von dem eilfjährigen Knaben persönlich dirigirt, in der Heiligenkreuzer Stiftskirche zur Aufführung. Dieselbe [268] ging tadellos von Statten, und das Staunen über den jungen Componisten war kein geringes. Der Prager Domcustos Dr. Wenzel Pessina [Bd. XXII, S. 54], welcher das Hochamt celebrirt hatte, war von der Weihe der Composition so ergriffen, daß er den Knaben bat, auch zu der bevorstehenden Secundizfeier in Prag eine neue Messe zu componiren. So entwickelte sich der Knabe allmälig zum Jüngling und machte in der Tonkunst immer glänzendere Fortschritte. Im Jahre 1868 trat er mit Compositionen einiger Lieder von Heinrich Heine und Hoffmann von Fallersleben (sie folgen weiter unten) zum ersten Male vor das Publicum. Nachdem er den Curs im Löwenburg’schen Convicte beendet hatte, wurde er zunächst Mitglied des akademischen Gesangvereins, später dessen Vice-Chormeister, nahm darauf die Stelle eines Gesanglehrers in Teschen an, kehrte aber bald wieder nach Wien zurück, wo er dann als Solo-Correpetitor im k. k. Hofoperntheater Anstellung fand. Mitte Jänner 1873 trat er im Riesensaale des neuen Musikvereines als Dirigent seiner eigenen Compositionen auf, welche wir, da sie unseren Tonkünstler schon in den Titeln charakterisiren, nach denselben hier anführen. Es waren die Ouverture zu einer großen Oper, Namens „Ilse“, ein dreistimmiger Frauenchor mit Orchester, „Aus alten Märchen“, „Waldfräulein“ von Zedlitz, dramatische Scene für Solo, Chor und Orchester, und ein Chorwerk: „Die Seeschlacht von Lepanto“, Gedicht von Hermann Lingg. Zwischen diesen großen Nummern trug der Sänger Kraus kleine Lieder von Sucher vor. Im Jahre 1874 finden wir den jungen Componisten als Orchester-Director, und zwar als den ersten der unter Hasemann’s Leitung neueröffneten Komischen Oper in Wien. Im Druck sind von dem jungen Componisten bisher nur Lieder erschienen, von denen hier eine Uebersicht folgt: „Leid und Liebe. Liedercyclus für eine Singstimme“ (Wien 1868, Wessely); Nr. 1: „Nachts“ (Heine); – Nr. 2: „Du liebst mich nicht“; – Nr. 3: „Am Glanze deines Angesichtes“; – Nr. 4: „Die blaue unendliche See“ (Nr. 2, 3, 4) von Hoffmann von Fallersleben; – „Lieder und Gesänge. Für eine Singstimme mit Pianoforte (Wien 1876, Buchholz und Diebel); Nr. 5: „Die blauen Räthsel“ („Deine weißen Lilienfinger“); – Nr. 6: „Liebessehnen“ („Wie die Welten nach der Sonne“); – Nr. 7: „Im Rosenbusch die Liebe schlief“; – Nr. 8: „Liebesfrühling“ („Ich hab den Lenz einmal erwacht“); – Nr. 9: „Am leuchtenden Sommermorgen“; – Nr. 10: „Ich hab’ dich geliebet“; – Nr. 11: „Erwachen“ („Und als ich aufstand früh am Tag“); – Nr. 12: „Du Tropfen Thau, seh ich dich an“; – Nr. 13: „Schilflied“ („Auf geheimem Waldespfade“); – Nr. 14: „Einsamkeit“ (Daß ich dein auf ewig bliebe“); – Nr. 15: „Erwartung“ („O schöne bunte Vögel“); – Nr. 16: „Glück“ („Wie jauchzt meine Seele“); – Nr. 17: „Wieder werd’ ich dich erkennen“; – Nr. 18: „Wolle keiner mich fragen“; – Nr. 19: „Ich hör’ ein Vöglein locken“; – Nr. 20: „Die Einsame“ („Wenn Morgens das fröhliche Licht bricht ein“); – Nr. 21: „Wie die jungen Blüthen leise träumen“; – Nr. 21: „Trost“ („Du liebst mich nicht“). Vieles, und zwar, wie aus vorstehender Skizze erhellt, ungleich Größeres bewahrt der junge Componist ungedruckt im Pulte. Das kritische Urtheil über denselben ist noch nicht abgeschlossen [269] und kann es auch nicht sein; aber die ersten Musikkritiker Wiens, der leider zu früh dahingeschiedene Ambros an der Spitze, Ed. Hanslick, Schelle, Speidl haben sich einmüthig über die nicht gewöhnliche Begabung Sucher’s ausgesprochen, aber auch einstimmig bemerkt, es sei gährender Most, der noch der Zeit und Pflege bedürfe, um feuriger Wein zu werden. Am eingehendsten hat sich Ambros mit dem Künstler in einer Beurtheilung des ersten Concertes desselben beschäftigt. Dieser feinfühlige Kritiker war durch die dem plötzlich auftauchenden Componisten von unsichtbaren Händen zugeworfenen Kränze nur mißtrauischer geworden, aber um so freudiger gestimmt, als er, nachdem er mehrere Werke Sucher’s gehört, an das Talent desselben glauben durfte. Aber so groß dieses auch sei, vor Allem räth er ihm künstlerisches Maß, das ihm noch fehle, an. Sucher steuert mit Siebenmeilenstiefeln der Schule des Bayreuthers zu. Dr. Ambros ertheilte ihm den Rath, Wagner’s Partituren für einige Jahre – nicht für immer – bei Seite zu legen und einen anderen, Wagner vielfach verwandten Meister – Gluck zu studiren.

Neue Wiener Musik-Zeitung. Von F. Glöggl (4°.) 1856, Nr. 45 und 46: „Ein echtes musikalisches Wunderkind“ [daselbst heißt er irrig Johann Sucher]. – Neues Wiener Tagblatt, 23. Jänner 1873, Nr. 22, 1. Beilage: „Ein Berufener“. – Wiener Zeitung, 1873, S. 122, im Feuilleton: „Musikalische Revue“. Von A. W. Ambros. – Neue freie Presse, 1873, Nr. 3028, im Feuilleton: „Concerte“. Von Dr. Ed. H.(anslick). – Neues Fremdenblatt (Wien, gr. 4°.) 21. Jänner 1873, Nr. 20, im Feuilleton: „Musik“ (von Helm). – Illustrirtes Wiener Extrablatt, 1874, Nr. 274, im Feuilleton: „Die Wiedergeburt der komischen Oper“.
Porträt. Unterschrift: „Rosa und Joseph Sucher“, Originalzeichnung von Oskar Neumann. Schnitt von H. Käseberg. Auch in Wachenhusen’s „Hausfreund“, Band XXII, S. 9.