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BLKÖ:Wanhal, Johann Baptist

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Wanieck und Wanjeck
Band: 53 (1886), ab Seite: 60. (Quelle)
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Wanhal, Johann Baptist (Componist, geb. zu Neu-Nechanitz am 10., nach Anderen am 12. Mai 1739, gest. in Wien am 20., nach Anderen am 26. August 1813). Er entstammt einer holländischen nach Böhmen eingewanderten Familie, worauf auch die hie und da vorkommende Schreibung seines durchaus nicht čechisch klingenden Namens: van Hall und Vanhal hindeutet Riemann nennt ihn geradezu einen Bauernsohn, was mit der Angabe stimmt, die wir bei Dlabacz finden, daß er Leibeigener gewesen und sich erst freikaufen mußte. Gerber dagegen nennt ihn den Sohn eines wohlhabenden Bürgers in Neu-Nechanitz. Doch muß die Familie schon völlig čechisirt gewesen sein, da der Vater den Sohn zur Erlernung der deutschen Sprache nach Marscherdorf schickte, wo derselbe bei einem gewissen Kozák sowohl in der Musik als in den übrigen Gegenständen Unterricht erhielt. Uebrigens spielte der Knabe, der ein ausgesprochenes Musiktalent besaß, bereits fast alle gangbaren Instrumente bis auf einen gewissen Grad von Fertigkeit. Von Marscherdorf kehrte er nach Neu-Nechanitz zurück, wo er unter der Leitung Anton Erban’s, eines daselbst ansässigen ganz tüchtigen Musikers, nach seinem eigenen Geständnisse es namentlich im Orgelspiele so weit brachte, daß er, ein achtzehnjähriger Jüngling, als welcher er sich als Sopran-, wie später als Altsänger, auszeichnete, die Organistenstelle zu Opočno erhielt. Bald darauf kam er als Chordirector nach Němčowěs. Da er im Orte öfter Violin- und auch Orgelconcerte, mitunter eigener Composition, spielte, erregte er die Aufmerksamkeit des Dechanten Matthias Nowák, der selbst ein trefflicher Violinconcertmeister war, und dieser ermunterte ihn zu fleißigem Studium der Musik und eiferte ihn besonders an, das Violinspiel zu üben. Mit diesen täglichen Uebungen erwachte in Wanhal der Drang, mehrere Concerte und Solos für sein Instrument zu componiren. Der Ruf seiner Geschicklichkeit gelangte zur Kenntniß seiner Grundobrigkeit, und um ihn weiter ausbilden zu lassen, schickte ihn die Gräfin Schaffgotsche 1760 nach Wien. Nach Anderen wieder hätte er durch sein schönes Spiel auf der Viola d’Amour die Aufmerksamkeit einer Gräfin Colloredo auf sich gezogen, die ihn nach Wien mitgenommen und bei ihrer Abreise von dort in einer ihr verwandten adeligen Familie in vortheilhafter Weise untergebracht habe. In Wien genoß er zunächst Unterricht bei einem zu jener Zeit geschätzten Meister Namens Schleyer, der bei der kaiserlichen Capelle angestellt gewesen sein soll, den wir aber in Köchel’s Monographie über dieselbe nicht angeführt finden. Wanhal, dem Schleyer’s Unterricht nicht zusagte, gab denselben bald auf und schlug den richtigen Weg ein: die Partituren der größten Meister zu studiren, worin er es auch bald so weit brachte, daß seine Werke immer gediegener und beliebter wurden. Nach Anderen wäre er auch ein Schüler Dietersdorf’s gewesen. Im Alter von 26 Jahren erfreute er sich schon in [61] Wiener, namentlich vornehmen Kreisen eines ausgezeichneten Rufes als Compositeur, wurde, da er überdies von angenehmer Gestalt und in seinem Benehmen ebenso fein als anständig war, in Häusern der vornehmen Wiener Familien als Musiklehrer sehr gesucht, gewann dadurch Vermögen, welches ihn in den Stand setzte, sich, wie wir oben bemerkten, von der damals noch herrschenden Leibeigenschaft bei seiner Grundobrigkeit loszukaufen. Theils eigenem Verlangen folgend, theils aufgemuntert von Anderen, wendete er sich nun dem Studium der italienischen Meister zu und nahm, als ihm von einem seiner vorzüglichsten Gönner, dem Freiherrn von Riesch, der Antrag gestellt wurde, ihn kostenfrei nach Italien reisen zu lassen, denselben freudigst an. So begab er sich mit hinlänglichen Geldmitteln und Empfehlungsbriefen seines Gönners und eines anderen Musikfreundes, des Grafen Erdődy, auf die Reise. Er besuchte nun Venedig, wo er längere Zeit verweilte, mit Gluck in Verbindung kam und mit großem Eifer die Erlernung der französischen und italienischen Sprache betrieb. Von Venedig ging er nach Bologna, daselbst erwarb er mit seinen Compositionen großen Beifall und die Ehre, dem damals dort anwesenden Kaiser Joseph vorgestellt zu werden. Nun setzte er seine Reise über Florenz nach Rom fort, wo er fünf Monate verweilte. In der ewigen Stadt schrieb er auch die zwei Opern „Il trionfo di Clelio“ und „Demofonte“ nach Texten von Metastasio und erfreute sich bei dieser Arbeit der Rathschläge des berühmten Componisten Florian Leopold Gaßmann [Bd. V, S. 96], der sich zu jener Zeit in Rom aufhielt, mit der Composition einer größeren Oper beschäftigt, für welche ihm Wanhal auch einige Arien schrieb. Nach zweijährigem Aufenthalte in Italien kehrte Letzterer nach Wien zurück, um eine sehr vortheilhafte Stelle bei Freiherrn Riesch anzutreten. Diese Absicht wurde vereitelt, da er mit einem Male in eine schwere Gemüthskrankheit verfiel. Merkwürdiger Weise aber machte ihn diese nicht ganz unfähig zum Arbeiten, wie wir dies aus folgender Stelle in Karl Burney’s Tagebuch seiner musicalischen Reisen erfahren: „Der zweite Theil des Concertes (es ist das zu Dresden bei Osborn unter der Direction von Bezozzi gespielte gemeint) fing mit einer unvergleichlichen Symphonie von Wanhal an, die sein entflammter Geist in den glücklichen Augenblicken geboren hatte, da seine Vernunft weniger vermochte als sein Gefühl“. Nach mehrmonatlichem Leiden wieder genesen, fand er in der gräflichen Familie Erdődy die wohlwollendste Theilnahme und Unterstützung. Mit ihr reiste er auch zu wiederholten Malen auf ihre Güter in Ungarn und Croatien. Dieses freundliche Verhältniß war dem Künstler um so nöthiger, als sein geistiger Zustand doch noch immer möglichster Schonung bedurfte und ihn für längere Zeit an gewohnheitsmäßiger Arbeit hinderte. So hatte Wanhal noch von Zeit zu Zeit Visionen, in denen er himmlische Erscheinungen sah, deren Mahnungen er strenge befolgen zu müssen glaubte. Als er in einer solchen Vision von dem Geiste, der ihn besuchte, den Befehl erhielt, seine Compositionen, als Erzeugnisse sinnlicher Gelüste, den Flammen zu übergeben, erfaßte er eine große Anzahl seiner Quartette und verbrannte sie alle. Allmälig aber kam sein Gemüth völlig zur Ruhe, nur eine gesteigerte Frömmigkeit und [62] Vorliebe für kirchliche Composition blieben ihm noch als Spur seines Leidens, er lebte nach wie vor ganz seinem musicalischen Berufe, componirte, da seine dem damaligen Geschmacke huldigenden Weisen sich großer Beliebtheit erfreuten und die Bestellungen der Musikverleger sich immer mehrten, mit großem Fleiße darauf los und schrieb vielleicht in dieser Hast mehr als gut war. Er hatte sich indessen auch verheiratet und eine glückliche Häuslichkeit begründet. Als er älter geworden und die schaffende Kraft nachzulassen begann, widmete er sich vorzugsweise dem Unterrichte, den er vornehmlich in höheren Kreisen, in denen er gesucht war, ertheilte. Ueber ein halbes Jahrhundert hatte er in der Kaiserstadt gelebt und den Ruhm eines großen Musikers genossen. Seine Compositionen, deren Zahl sich über mehrere Hundert Nummern erstreckte und so groß ist, daß er sie selbst nicht anzugeben vermochte, umfaßten alle Gebiete der Tonkunst, von der Tanzmusik bis zur großen Symphonie und zur Oper. Vieles davon ist im Stich erschienen, doch mußte ich in Ermangelung eines guten Musikverzeichnisses auf die Zusammenstellung der gedruckten Compositionen verzichten. Ungleich größer mag die Menge seiner ungedruckten Arbeiten sein, um so mehr, als er in gereifteren Jahren ganz besonders auf Bestellung größere und kleinere Arbeiten für die Kirche lieferte, welche sich nun wohl in den Archiven der verschiedenen Kirchenchöre Nieder-Oesterreichs vorfinden mögen. Doch lasse ich hier eine summarische Uebersicht seiner Werke, so weit solche bekannt geworden, und einzelne seiner wichtigeren Compositionen folgen. Man zählt außer den 2 bereits genannten Opern 100 Symphonien, ebenso viele Quartette, 26 große und kleinere Messen, 2 Requiem für seine Eltern, 30 Salve Regina, 36 Offertorien, 1 Stabat mater, als eines seiner schönsten Werke bezeichnet, 1 Oratorium für die Warasdiner Ursulinerinen, dessen Aufführung er selbst dirigirte; über 30 Divertissements, „Trauergesang bei dem Tode Josephs II. für eine Singstimme mit Begleitung des Claviers; eine grosse Cantate“ (Wien, Artaria); – „Acht deutsche Bruderlieder für das Clavier“; – „Die Bedrohung und Befreiung der Residenzstadt Wien. Cantate“; – „Marsch der Wiener akademischen Künstler“; – „Marsch des Corps der Wiener Universitäts-Studenten“; – „Die Schlacht bei Würzburg, den 3. September 1796, militärisch-heroisches Musikstück für das Clavier“; – „Die Seeschlacht bei Trafalgar und Tod des Admirals Nelson. Für das Pianoforte“ – und dann eine große Menge Duette, Sonaten, Sonatinen, Symphonien, Variationen, Concerte für verschiedene Instrumente, englische, deutsche Tänze, Ländler, Menuette, Märsche, im Ganzen mehrere Hundert Nummern. Es ist eine eigenthümliche Erscheinung, daß dieser Musiker, der bei aller seiner Fruchtbarkeit in seinen Compositionen nie abgetretene Wege ging und die Gesetze der Compositionen nie breit schlug, sondern den Contrapunkt mit einer großen Gewissenhaftigkeit beobachtete – er selbst hatte „Anfangsgründe des Generalbasses“ geschrieben – und einer Beliebtheit sich erfreute, wie wenige seiner musiktreibenden Zeitgenossen, daß dieser von Kennern als bedeutend angesehene Künstler so völlig vergessen ist, daß man heute in Musikkreisen kaum mehr seinen Namen, geschweige ein und das andere seiner zahlreichen Werke kennt. Dlabacz, selbst Musikkenner, der ihn während seiner Anwesenheit in Wien im Jahre 1795 besuchte, schreibt über ihn: „Ich selbst überzeugte mich von seinem [63] Werthe und fand an ihm einen großen Tonkünstler, eifrigen Christen, wahren Patrioten, edlen und wahren Freund und einen zärtlichen Vater der leidenden Menschheit. Das edle Wiener Publicum wird wohl manche schöne Züge, die mir seine außerordentliche Bescheidenheit bekannt zu machen verbot, mit der Zeit der Nachwelt überliefern“. Wenn im Vorstehenden Dlabacz, mehr den edlen Menschen rühmt, so berichtet Hofrath Rochlitz, ein großer Musikkenner seiner Zeit, nachdem er ein paar Messen Wanhal’s gehört, über den Musiker, daß in den Ideen desselben ein eigenthümlicher Geist, Sinn und Geschmack sich zeigen, und daß auch in Absicht auf Contrapunkt und Fuge sich in den gehörten Arbeiten Gründlichkeit nicht vermissen lasse. Riemann meint, daß Wanhal trotz seiner Fruchtbarkeit und wie sehr gefeiert er auch seinerzeit gewesen sei, durch hellere Sterne, wie Haydn, Mozart, Beethoven, verdunkelt wurde. Unbestritten bleibt unserem Componisten das Doppelverdienst, das musicalische Leben in der Donaustadt zu seiner Zeit in nicht geringem Maße gefördert und für eine gute Methode im Unterricht wesentlich gewirkt zu haben, denn er schrieb zahlreiche Uebungsstücke nicht blos für das Clavier, sondern auch für andere Instrumente, welche durch lange Zeit beim Unterrichte ausschließlich verwendet wurden.

Neues Universal-Lexikon der Tonkunst. Angefangen von Dr. Julius Schladebach, fortgesetzt von Eduard Bernsdorf (Dresden 1857, Robert Schäfer, gr. 8°.) Bd. III, S. 846 [nach diesem geb. 12. Mai 1739, gest. 26. August 1813]. – Dlabacz (Gottfried Johann). Allgemeines historisches Künstler-Lexikon für Böhmen und zum Theile auch für Mähren und Schlesien (Prag 1815, Haase, 4°.) Bd. III, Sp. 324–331 [mit dem ausführlichsten Verzeichniß seiner Compositionen]. – Gaßner (F. S. Dr.). Universal-Lexikon der Tonkunst. Neue Handausgabe in einem Bande (Stuttgart 1849, Fr. Köhler, Lex. 8°.) S. 879. – Gerber (Ernst Ludwig). Historisch-biographisches Lexikon der Tonkünstler u. s. w. (Leipzig 1792, Breitkopf, gr. 8°.) Bd. II, Sp. 767. – Derselbe. Neues historisch-biographisches Lexikon der Tonkünstler (Leipzig 1812, gr. 8°.) Bd. IV, Sp. 508 und Sp. 836 [nach diesem gest. 26. August 1813]. – Oesterreichische National-Encyklopädie von Gräffer und Czikann (Wien 1837, 8°.) Bd. VI, S. 32 [nach dieser geb. am 10. Mai 1739, gest. am 20. August 1813]. – Riemann (Hugo Dr.). Musik-Lexikon (Leipzig 1882, bibliogr. Institut, br. 8°.) S. 908 [nach diesem geb. 12. Mai 1739, gest. 26. August 1813]. – Vaterländische Blätter für den österreichischen Kaiserstaat (Wien, 4°.) Jahrg. 1813, Bd. II, S. 476.
Porträt. Es ist nur ein in Oel gemaltes Bildniß Wanhal’s bekannt, welches sich 1792 im herzoglichen Concertsaale zu Ludwigslust befand. Ob dasselbe noch dort befindlich, wissen wir nicht. Ern Bildniß Wanhal’s im Stich ist unseres Wissens nicht vorhanden.