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Benutzer:Sinuhe20/Illustrirte Zeitung (1843)/Heft 1

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Textdaten
Autor: Verschiedene
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Titel: Illustrirte Zeitung
Untertitel: Nr. 1 vom 8. Juli 1843
aus: Vorlage:none
Herausgeber: Johann Jacob Weber
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Entstehungsdatum: 1843
Erscheinungsdatum: 1843
Verlag: J. J. Weber
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: MDZ München und Commons
Kurzbeschreibung:
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[1]


Nr. 1.] Leipzig, Sonnabend den 1. Juli. [1843.

Jeden Sonnabend 1 Nummer von 48 Foliospalten. – Vierteljährlicher Pränumerationspreis 12/3 Thlr. oder wöchentlich 4 Ngr. – Einzelne Nummern 5 Ngr.

Inhalt.

Was wir wollen. – Helene, Herzogin von Orleans. – Die Bergung des Télémaque. – Die Eröffnung des Themsetunnels in London. – Der Komet.

Longchamp. – Der Zwerg-Pisang. – Das Hoftheater in Dresden. – Ein Reisemärchen, erzählt von Plinius dem Jüngsten. – Modebericht. – Literarische Anzeigen.



Was wir wollen

ist in der That beinahe leichter in Ausführung zu bringen, als in klarer und anschaulicher Weise mit Worten darzulegen, und dies nicht zuletzt aus dem Grunde, weil eine vollständige Entwickelung unserer Aufgabe nur zu leicht den Verdacht erregen könnte, als ob wir mehr versprächen, als wir zu halten beabsichtigen und im Stande sein werden. Inzwischen ist weder das Eine noch das Andere der Fall; um aber auch den Schein der Ruhmredigkeit von uns entfernt zu halten, wollen wir ganz einfach die Hauptgesichtspunkte angeben, von welchen wir bei Gründung dieses Unternehmens ausgegangen sind und hernach uns eine Probezeit von einigen Monaten erbitten, weil es unmöglich ist, unsern Plan binnen wenigen Wochen nach allen Seiten hin zu entwickeln.

Es ist für Niemanden mehr ein Geheimniß, daß die Holzschneidekunst, schon vor Jahrhunderten der beliebteste Schmuck der Bücher und vor wenigen Jahren zu gleichem Zwecke von der Typographie wieder aufgenommen, eine Stufe der Vollendung erreicht hat, welche auch den höchsten Ansprüchen eines ausgebildeten Kunstsinnes entspricht. Es liegen in England und Frankreich unzählige mit Holzschnitten verzierte Werke vor, welche die Wahrheit dieser Angabe verbürgen, und Deutschland ist in keiner Beziehung hinter seinen Vorgängern zurückgeblieben. Keine von allen zeichnenden Künsten ist der Typographie so nahe verwandt, keine übertrifft den gelungenen Holzschnitt an Ausdruck und vielseitiger Anwendbarkeit. Sie ist von kleinen Anfängen zu hoher Vollendung fortgeschritten. Zuerst wagte sich dieselbe nur an einige vereinzelte Werke, beschritt hierauf das Feld der Naturgeschichte und der Technik, stahl sich dann mehr und mehr in die gesammte Literatur ein und ergriff Besitz von den Werken für Schule und Haus. Plötzlich warf sie sich auf die Erzeugnisse der Poesie und rang an Tiefe der Erfindung und an Kühnheit der Ausführung mit den erhabensten Genien um den Preis; die Dichter schienen uns neu zu sein, als sie im Gewande dieser Kunst vor uns traten. Von der Muse wendete sie sich den ärmsten Hütten zu und war bemüht, nützlichen Kenntnissen, wenn auch in rohen Formen, Eingang zu verschaffen; dies erste Erscheinen der Pfennig-, Sonntags- und National-Magazine ist noch in frischer Erinnerung. Zuletzt vermählte sie sich dem Witze und der Satyre, nur noch darauf bedacht, sich Beifall zu erwerben.

Diese Bewährung einer guten Sache nun gibt uns den Muth, die innige Verbindung des Holzschnittes mit der Druckpresse zu benutzen, um die Tagesgeschichte selbst mit bildlichen Erläuterungen zu begleiten und durch eine Verschmelzung von Bild und Wort eine Anschaulichkeit der Gegenwart hervorzurufen, von der wir hoffen, daß sie das Interesse an derselben erhöhen, das Verständniß erleichtern und die Rückerinnerung um vieles reicher und angenehmer machen wird.

Was immer sich in der ganzen bekannten Welt ereignet, von den Großthaten der Fürsten an bis zu dem Ergebniß verborgenster Forschung, wenn es nur ein allgemeines Interesse darbietet, gedenken wir unsern Lesern in wöchentlichen Berichten vorzulegen, und was von diesen Mittheilungen der bildlichen Darstellung zu genauerem Verständniß oder lebendigerem Eindruck bedarf, in möglichst treuen und sorgsam ausgeführten Holzschnitten ihnen vor Augen zu bringen. Während wir aber dort uns vorzugsweise an Thatsachen und an die wirklichen Fortschritte der Menschheit halten und in ihnen gewissermaßen den nährenden Kern der Tagesgeschichte in gedrängtester Darstellung zu geben gedenken, sollen hier Kunst und Wissenschaft aufgeboten werden, um den Gehalt des Kernes nach allen Seitenästen zu, offen zu legen.

Niemand stellt in Abrede, wie oft die klarste Beschreibung von Oertlichkeiten ein Dunkel läßt, welches ein Blick auf Grundriß oder Karte verscheucht, so daß mit dieser Hülfe zehn Worte nicht selten größeres Licht geben, als sonst zehn Seiten. Wer hat wol ohne theure und seltne Karten die Schlangenwindungen des Cantonflusses, die verschiedenen Befestigungen an demselben, die Lage von Tschinkiang und Nanking so deutlich vor Augen gehabt, um von den höchst interessanten Begebenheiten des letzten chinesischen Kriegs sich ein vollkommen klares Bild machen zu können? Wie Wenigen sind Karten von Afghanistan zugänglich gewesen, wie selten sind dieselben vom Kaukasus und wer hat sich vom Englisch-Amerikanischen Grenzstreit eine richtige Vorstellung machen können, der nicht zufällig einen Blick auf die Franklin’sche Karte geworfen hat? Und gleiche Vortheile überall bietet den Lesern unserer Zeitung für die Zukunft die eine Art von Illustrationen durch Karten, Pläne und Ansichten dar. Eine nicht geringere Ausbeute versprechen aber die Portraits der auf der Schaubühne der Welt mithandelnden Personen, von deren Stirnen oft die wahre Herzensmeinung weit sichrer als von dem einschmeichelnden Worte gelesen wird. Was thut nicht bei Begebenheiten von tragischem Charakter die bildliche Darstellung, und wen sollte es nicht interessiren, wenn er von dem Morde des Sirey und von dem Proceß von Caumartin liest, den Ort des Verbrechens und selbst den Grundriß der Wohnung, in welcher sich das Entsetzliche zutrug, vor Augen zu haben? Wer nimmt jetzt nicht Theil an der Oeffentlichkeit und Mündlichkeit des Strafverfahrens und wie Wenige sind doch verhältnißmäßig in der Lage gewesen, solchen Verhandlungen an Ort und Stelle beiwohnen zu können; wie viel muß es daher zur Verständigung beitragen, ein öffentliches Gericht in voller Sitzung, und den Angeklagten mit seinen Richtern im Bilde vor sich zu haben? Und in ähnlicher Weise erstreckt sich der Werth der bildlichen Darstellung auf alle Lebenskreise, auf Menschen und Thiere, auf Stadt und Land, auf Berg und Thal, auf Künste und Wissenschaften. Die Länder- und Völkerkunde, die Sittenschilderungen, für das Verständniß des Lebens von höchster Bedeutung, entbehren ohne Bilder der Hälfte ihres Reizes, und Städte, Bauwerke und Denkmale, die schon längst die öffentliche Aufmerksamkeit in ungewöhnlichen Anspruch nahmen, erhalten nur durch bildliche Darstellung die volle Bedeutung in der Gegenwart des Bewußtseins, die ihnen gebührt. Oder wird es nicht Hunderte und Tausende geben, die Lessing’s Huß, die Biefve’s Carl V. nicht haben sehen können, und die es uns nun Dank wissen werden, wenn wir ihnen von dem, was das Tagesgespräch bildet, an dem sie nicht Theil nehmen können, weil sie die Originale nicht gesehen haben, durch einen tüchtigen Holzschnitt mindestens einen bleibenden Eindruck verschaffen; entbehren sie auch die Pracht der Farben, der Geist des Bildes wird ihnen doch näher gebracht, sie erhalten die Seele desselben und die unbestimmten Ideen nehmen die Gestalt der Wahrheit an; sie mögen es kennen und lieben lernen.

Was aber von Gemälden, gilt in noch weit höherem Grade von öffentlichen Festen und Aufzügen, von Theaterscenen, von Trachten und Decorationen, die dem Verstande nie durch Beschreibung, wol aber auf den ersten Blick durch ein treues Bild nahe gebracht werden; und wenn es vielleicht noch vor einem Jahrzehend ein thörichtes Unterfangen gewesen sein würde, ein Unternehmen, wie das unsrige, fußend auf die Theilnahme Deutschlands an den Zuständen in England, Frankreich und Amerika zu begründen, so hat der inmittelst in nicht zu berechnendem Maße gestiegene persönliche Verkehr sowol, als die politische Nothwendigkeit, unsere Blicke vom Inlande ab in das Ausland zu richten, verbunden mit den Segnungen eines langen Friedens so vielfache und innige Beziehungen hervorgerufen, daß wir überzeugt sind, daß unsere Mittheilungen von dort in Deutschland eben so willkommen sein werden, wie unsere Mittheilungen von hier dort, als die Veranlassung zu einem neuen und innigern Austausch der geistigen Lebenserrungenschaft der drei eng verbundenen Völker, in der That willkommen geheißen worden sind.

Allein wir beabsichtigen, nicht blos für Belehrung, sondern auch für eine angenehme Unterhaltung unserer Leser

[2] in gleich umfassender Weise Sorge zu tragen und außer dem, was Theater und Malerei darbietet, geben wir namentlich auch Compositionen, vorzugsweise von Volksliedern und solchen Tonwerken, deren allgemeines Ansprechen mit einiger Sicherheit wir hoffen. Es darf aber auch in einem Blatte, welches für die Bedürfnisse der großen Mehrzahl der Gebildeten berechnet ist, die Berücksichtigung derer nicht fehlen, welche in ihren Ansprüchen wie in ihrem Sein das Schöne vertreten: der Frauen, und wir werden für sie sorgen durch eine Auswahl der besten illustrirten Romane und Erzählungen aus der Heimath und der Fremde, sowie durch einen Modebericht, dem die neuesten und elegantesten Zeichnungen beigegeben sind, die sinnvollen Frauen um so mehr zu Statten kommen werden, da sie nur Schnitt und Form geben, die Wahl der Farben, die höchste Aufgabe des wahren Geschmackes, dem eignen Schönheitssinn überlassend.

Aber auch die fröhliche Jugend, die, noch im Vollgefühle der Kraft und von keinem Vorurtheil befangen, im unbestrittenen Besitze des Ideals, das offenste Auge und die unbefangenste Stimmung für die Schwächen der menschlichen Gesellschaft hat, soll nicht leer ausgehen und wir werden durch eine reichliche Auswahl treffender Caricaturen, Wortspiele, Räthsel, Charaden, Spiele und Schachaufgaben für ihre Unterhaltung in einer Weise besorgt sein, die den Geist anregt und fördert und nicht wie so viele Gegenstände der Unterhaltung, die derselben hier und dort geboten werden, Herz und Kopf vergiftet. Die Jugend soll vor allen Dingen unbefangen, lebensmuthig und fröhlich sein; wir hassen diese jungen Greise, die jetzt in den Straßen herumschleichen und was wir dazu beitragen können, sie wieder lachen zu machen und wäre es über sich selbst, das soll redlich geschehen.

So wollen wir versuchen, dem ernsten Manne, der sinnigen Frau und der kräftig aufwachsenden Jugend in unsern Spalten gleiche Genüge zu thun und Niemand glaube, daß wir die Wichtigkeit unserer Aufgabe verkennen, oder die Schwierigkeit derselben zu gering anschlagen.

Je mehr wir uns zu bescheiden haben, daß wir allen übrigen Zeitungen in Bezug auf die Neuheit unserer politischen Mittheilungen nachstehen müssen, desto aufrichtiger werden wir uns bestreben, unsern Lesern einen eben so vollständigen als treuen Ueberblick der Tagesereignisse zu gewähren und die Politik selbst von dem höchsten menschlichen Standpunkte aus aufzufassen und zu behandeln. Frei von jedem selbstsüchtigen Zweck werden wir sorgsam bemüht sein, jede einseitige Darstellung zu vermeiden, an Alles, was geschieht, den alleinigen Maßstab des Rechtes und der Wahrheit zu legen und, soviel an uns ist, dafür zu thun, daß dieselben in jedem Staate und in jedem Verhältniß zur endlichen unbestrittenen Herrschaft gelangen. Wir werden mit den Maßregeln, nicht mit den Menschen zu thun haben, es wäre denn, daß tüchtige Männer die Vertreter tüchtiger Maßregeln sind, und wir werden dann wieder nicht fragen, welchem Range und welchem Stande der Mann angehört, wir werden dem Manne aus dem Volk, wie dem Manne auf dem Throne, dem Organe der Regierung, wie dem Erwählten der Nation gleiche Gerechtigkeit widerfahren lassen. Und wie wir es für unsere Pflicht halten werden, dem Armen gegen den Reichen, dem Unterdrückten gegen den Zwingherrn unsern schwachen Beistand zu gewähren, so werden wir auch kein Bedenken tragen, das Gute, das von oben gewollt wird, gegen Vorurtheile und Abneigungen in Schutz zu nehmen und richtige Ansichten bis in die untersten Classen des Volkes zu verbreiten, eine Mühe, auf welche wir um so größeres Gewicht legen, da wir hoffen dürfen, Eintritt in den Palast zu finden und doch gleichzeitig die Thür der ärmsten Hüttenbewohner uns geöffnet zu sehen.

Und von gleich ernstem Standpunkte fassen wir unsere Aufgabe in Beziehung auf die unterhaltenden Gaben dieser Blätter. Wenn wir vorhin die Frauen die Hüterinnen der Sitte und die Pflegerinnen des Schönen nannten, so wollen wir gewiß nichts dazu beitragen, die edle Röthe der Schaam von ihren Wangen zu vertreiben und sie einzuweihen in die Mysterien eines verworfenen Lebens, wie wenig wir uns auch verbergen, daß für ihre Entartung nur zu viel bereits geschehen ist und daß es nicht an unsern Dichtern liegt, wenn wir noch keine neue Messaline die letzten Schleier weiblicher Zurückhaltung haben zerreißen sehen. Wir wollen unsere Frauen unterrichtet, aber nicht gelehrt; tief fühlend, aber nicht empfindsam; ihrer Würde bewußt, aber nicht sich ihrer Stellung überhebend; und vor allen Dingen wollen wir dieselben keusch und züchtig und es wird unsere angelegentlichste Sorge sein, von unsern Spalten Alles fern zu halten, was auch nur der Kleinsten Einer zum Aergerniß gereichen könnte.

Und haben wir schon oben ausgesprochen, was wir unserer Jugend wünschen, so haben wir auch bereits dargelegt, was wir derselben bieten: eine unverdorbene, kräftige und gesunde Nahrung für Geist und Herz; Erweiterung des Blickes über die engen Grenzen des Vaterlandes und dabei ein helles Licht für die heimathlichen Zustände; Ermunterung zur fröhlichen Thatenlust und dabei Festhaltung des rechten Zieles; einen Tummelplatz für die volle Jugendkraft und dabei die sichere Wahrung des rechten Maßes. Das jugendliche Deutschland soll unser Streitgenoß sein für Alles, was gut und rein und menschlich und weise und gerecht ist; es soll mit uns kämpfen für den Frieden im Lande, für eine gerechte Regierung und für eine menschliche Rücksichtnahme auf die gedrückten Classen des Volkes, und es soll von uns lernen, wie das Streben nach Freiheit und Gleichheit sich vereinigen läßt mit der Achtung gegen die Regeln des Anstandes und der Sitte und mit den Ansprüchen, welche die Gesellschaft an uns zu machen berechtigt ist, und wie die öffentliche Wohlfahrt an Ordnung und Recht die sichersten Grundlagen hat.

Fassen wir daher das Gesagte noch einmal zusammen, so wollen wir den Männern die gründlichste Belehrung, den Frauen die angenehmste Unterhaltung und der Jugend die kräftigste Anregung zu einem reichen und thatkräftigen Leben bieten; wir möchten ein Buch sein, welches in keiner Familie fehlt und welches jedem Gliede die willkommensten Mittheilungen bringt; welches in der größten Stadt und in dem abgelegensten Dorfe seine Freunde hat, und welches Niemand aus der Hand legt, ohne etwas darin gefunden zu haben, was ihm neu oder nützlich oder angenehm war. Und so segne Gott unser Vorhaben, welches nur dann vollständig gelingen kann, wenn es den allgemeinsten Anklang findet.


Illustrirte Nachrichten.


Helene, Prinzessin von Mecklenburg, verwittwete Herzogin von Orleans.

An der Straße von Berlin nach Hamburg, nahe beim Eintritt in das reiche und fruchtbare Großherzogthum Mecklenburg, erhebt sich ein Städtchen, das dem Reisenden einen ebenso überraschenden als erfreulichen Anblick gewährt; es ist dies Ludwigslust, eine der lieblichsten und anziehendsten Städte Deutschlands. Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts war Ludwigslust nur ein Jagdschloß, allein im Jahre 1756 verlegte der Großherzog Friedrich seinen Hof dahin, erbaute ein Schloß, eine Kirche, Häuser für seine Offiziere und legte mehre breite und elegante Straßen an.

Der Großherzog Friedrich Franz setzte das Werk seines Vorgängers fort; er verschönerte das Schloß und umgab es mit einem Park. Sein Geschmack an schönen Künsten und Naturwissenschaften bestimmte ihn eine Gemäldegallerie, ein mineralogisches und ein Muschelkabinet anzulegen, welche gesehen zu werden verdienen. Ludwigslust erwuchs durch die Gunst zweier Fürsten in kurzer Zeit zu einer ausgezeichneten Stadt. Es gibt nichts Gemüthlicheres, als die Ansicht der nach holländischer Art gebauten Häuser und seiner durch Trottoirs gezierten Straßen, die von einer doppelten Reihe von Linden beschattet werden. Nichts ist anziehender als die Ansicht des Schlosses mit der klaren Cascade unter den Fenstern und den grünen, von einer Reihe Wohnungen umschlossenen und von der Kirche begrenzten Plätzen.

In dieser heitern Hauptstadt der Fürsten und des Adels von Mecklenburg wurde die Prinzessin Helene, Herzogin von Orleans, geboren. Ihr Vater war der Erbgroßherzog Friedrich Ludwig, ein Fürst so sanft als edelmüthig, so geradsinnig als hochherzig; ihre Mutter war die junge Herzogin Caroline von Sachsen-Weimar; auf dem Erbschlosse ihrer Ahnen zeigte man mir jüngst ihr Bild, das von rührender Schönheit und bewunderungswürdigem Geiste spricht. Erzogen zu Weimar in jenem großen literarischen Zeitabschnitt, der diese Stadt berühmt gemacht, inmitten eines poetischen Hofes, dem die Namen eines Schiller und Goethe Unsterblichkeit gesichert haben, inmitten der ausgezeichnetsten Männer Deutschlands und fremder Lande, die sich mit Stolz unter den liebreichen Schutz der weimarischen Fürsten begaben, zeichnete sich Caroline bald durch die seltensten Tugenden des Geistes und Herzens aus. Weimars Einwohner nannten sie nur ihren Schutzengel, und Goethe, der sie seit ihrer Geburt aufwachsen sah, sagte von ihr: „es war ein himmlisches Gemüth!“

Durch Vater und Mutter wurde die Herzogin von Orleans mit allem ausgestattet, was den Namen der Fürsten in die Herzen der Völker gräbt, mit allem, was ihr Gedächtniß in den Augen der Künstler und Dichter veredelt, während sie durch ihre Abkunft mit den ältesten und mächtigsten Familien des östlichen Europas verwandt ist. Ein Prinz von Mecklenburg regierte über Schweden; ein andrer, der tapfre Rurik, eroberte und unterwarf einen Theil jenes unermeßlichen Reiches, das noch heutigen Tages unter der Selbstherrschaft des Hauses Romanow steht. Die Genealogen führen die Geschichte der mecklenburgischen Fürsten bis in das graue Alterthum zurück und lassen die Verzweigungen dieses Geschlechts über den ganzen Norden sich ausbreiten. Ganz neuerlich noch hat der gelehrte Finn Magnussen ihre Verwandtschaft mit Regnar Lodbrok, dem berühmten Helden der scandinavischen Sagen, nachgewiesen. –

Ueber die von so reichem Tugendglanze umgebene Wiege stieg indessen ein Unglücksstern auf. In ihrem zweiten Lebensjahre verlor die Herzogin von Orleans ihre Mutter. Von neuem vermählte sich ihr Vater am 3. April 1818 mit der Prinzessin Auguste von Hessen-Homburg; allein nach anderthalb Jahren entriß der Tod diesen Fürsten seinem Volke und der Liebe seiner Kinder. Schon hatte die Herzogin von Orleans einen jüngern Bruder verloren und so blieb ihr nur noch ein einziger, den sie zärtlich liebte; allein auch ihn sah sie in dem Alter erbleichen, wo er seiner Familie und seinem Lande die schönsten Hoffnungen versprach, in dem Alter, wo er sich vorbereitete, seinen väterlichen Vorfahren würdig folgen zu können; im Jahr 1834 vernahm sie seinen letzten Athemzug.

Im Parke des Schlosses Ludwigslust, mitten in einem Buchenwäldchen, bemerkt man eine in einfachem aber großartigem Style erbaute Kapelle. Hier ruhen unter einem geisterartig erhellten Gewölbe die zarten Opfer eines frühen Todes. Beim Anblicke dieses Grabmals mischt sich der Gedanke gläubiger Hoffnung mit den Gefühlen der Trauer und des Schmerzes. Das Gewölbe, welches dasselbe bedeckt, ist blau, mit Sternen besäet, wie der Himmel einer schönen Sommernacht und die Ueberschrift der Pforte spricht von dem Glücke derjenigen, die, nachdem sie aus diesem Leben geschieden, sich jenseits wiederfinden. Diese Kapelle ist für die treuen Mecklenburger eine Art Wallfahrtsort. An dem Tage, als ich sie besuchte, trat eine alte Bäuerin aus der Umgegend von Schwerin hinein, die Hände gefaltet, das Gesicht betrübt. Sie betete und in ihr Gebet schloß sie gewiß Vergangenheit und Zukunft ein, und die Namen Derjenigen, die nicht mehr waren, wie der noch Lebenden.

Obgleich die Vorsehung der Herzogin von Orleans die süßesten und heiligsten Familienbande zerriß, so gab sie ihr doch in der zweiten Gemahlin ihres Vaters eine mitfühlende Stütze, eine Mutter voll inniger Zärtlichkeit und unermüdlicher Ergebenheit, ein edles Herz, verklärt durch Widerwärtigkeiten, eigenen und fremden Leiden geöffnet, erhaben und gestählt durch Liebe zum Guten und durch

[3] Pflichtgefühl; eine treffliche Frau, bestimmt in ihren schönsten Tagen sich in den Witwenschleier zu hüllen, frühzeitig gewöhnt in religiösem Glauben einen Widerhalt gegen Unglücksfälle dieser Welt, so wie in dem Schatze der Wissenschaften wahre Ruhe zu suchen, die ausdauernder als die ist, welche Macht und Vermögen gewähren. So war die, welche die Herzogin von Orleans mit Zuziehung gewählter Lehrer und einer trefflichen Erzieherin gebildet hat; sie war es, die durch unermüdliche Sorgfalt, durch grenzenlose Liebe, durch geistreichen Unterricht die herrlichen Gaben entwickelte, die der Himmel der Prinzessin verliehen; sie war es, die sie Schritt für Schritt ins Leben eingeführt, die ihre erste Lektüre und ihre ersten Gedanken überwacht hat, wobei sie alle Umstände benutzte, um dem Geist der Prinzessin die richtige Stimmung, und ihrer Seele eine fromme Erhebung zu verleihen; sie war es, welche sie einst nach Frankreich zur königlichen Hochzeit geleitete, die so glänzend begangen und ach! so bald in tiefe Trauer gehüllt wurde und sie ist, die bei der Kunde des schrecklichen Unglückfalls vom Ende Deutschlands herbeieilte, um ihr fromme Tröstungen und neue Beweise ihrer Zärtlichkeit zu bringen.

Die Erbgroßherzogin-Witwe verbrachte zu Ludwigslust verbrachte zu Ludwigslust mit ihrer Adoptivtochter zwanzig Jahre, die nur der Einsammlung von Erfahrung, dem Unterrichte, guten Werken und erhebenden Gedanken gewidmet waren. Sie bewohnte eins der Häuser, welches Friedrich an den grünen Plätzen erbauen ließ, die sich bis zur Kirche erstrecken. Die Mehrzahl der Einwohner in der großherzoglichen Residenz, Arme wie Reiche, war von ihr gekannt und gern widmete sie sich ihren Interessen, kam sie ihren Wünschen entgegen. Oft war sie ihnen Beschützerin, Beratherin und Unterstützerin und lehrte dadurch ihre Tochter die Süßigkeiten des Wohlthuns und des Mitgefühls kennen. Ein Theil des Tages ward darauf verwendet, über das Wohlbefinden ihrer Umgebung zu wachen, der übrige Theil war gewählten Gesellschaften, der Lektüre, dem Studium der Künste, der Literatur, der Geschichte, belehrenden Spaziergängen im botanischen Garten, den die Großherzogin selbst hatte anlegen und mit den neuesten und seltensten Pflanzen versehen lassen, gewidmet.

Gewöhnlich verließen beide Fürstinnen beim Beginn des Sommers ihren stillen Aufenthalt und besuchten einige der schönsten Gegenden und der merkwürdigsten Städte Deutschlands. Sie hielten sich in Jena, Berlin, Leipzig und Weimar auf, betrachteten die Denkwürdigkeiten und Monumente und unterhielten sich mit den berühmtesten Männern der Städte, wo sie sich eben befanden. Wer wollte wol die Vortheile einer solchen Erziehung verkennen? Und hat nicht die, welche sie mit so viel Geist unternommen und mit so viel Liebe fortgesetzt hat, ihre Hoffnungen herrlich erfüllt gesehen und den Lohn ihres zärtlichen Unterrichts in den glücklich erzielten Erfolgen empfangen?

Man muß in Deutschland und namentlich in Mecklenburg gewesen sein, um zu wissen, welch hohe Achtung und Liebe die Herzogin von Orleans bei Allen zurückließ, die sie näher kannten. Seitdem sie Ludwigslust verlassen, haben sich die Blicke der ganzen Bevölkerung dieser Stadt nach Frankreich gewendet. Man hat auf französische Blätter abonnirt und erwartet ungeduldig die Nachrichten aus Paris. Sobald das Blatt durch den Postboten ankommt, schlägt man die erste Seite auf und sucht nur die Zeile, in welcher, wie man hofft, der Name der jungen Herzogin steht. Jedermann folgte ihr mit zärtlicher Sorge bei ihrer Abreise nach Frankreich, und jede Familie spricht noch jetzt von ihr wie von einem geliebten abwesenden Kinde, das man sich wiederzusehen freut. In Folge dieser Liebe, die weder die Zeit schwächt, noch die Abwesenheit vermindert hat, liebt man auch das Land, das die Herzogin aufgenommen, und wünscht es mächtig, friedsam und glücklich zu sehen; denn in den Gedanken der guten Bewohner von Ludwigslust verknüpft sich das Schicksal von Frankreich mit dem der jungen Prinzessin. Nirgends hegt man heißere Wünsche für den Ruhm und die Wohlfahrt Frankreichs und Keinem wird mehr Aufmerksamkeit erwiesen, als der nach Frankreich geht oder von dort zurückkehrt.

Das eigentliche Volk hegt für die Prinzessin, die unter seinen Augen aufgewachsen ist, dieselbe Achtung und Ergebenheit. Die niederen Klassen können, in ihrer Unwissenheit, den Lebensverhältnissen der Herzogin nicht so folgen, wie die, welche die auswärtigen Angelegenheiten kennen und Zeitungen lesen; und so sehen sie sie heutiges Tages noch, wie sie in glücklicher Jugendlust die Straßen und den Park der Residenz, wohlwollende Blicke und freundliche Worte spendend, durchwandelte. Eines Tags nahm ich einen Lohnwagen, der mich von Ludwigslust nach Schwerin bringen sollte. Unterwegs unterhielt ich mich mit dem Kutscher, einem biederen Greise, der mich durch seine lebhafte Physiognomie und seine naiven Erzählungen ergötzte. Nachdem ich mich mit ihm über das Volksthümliche seines Landes, über das Schloß zu Schwerin und die Dämme von Doberan unterhalten, fragte ich ihn, ob er die Herzogin von Orleans gekannt habe? Bei dieser Frage neigte er den Kopf und beobachtete ein Stillschweigen wie ein Mensch, der über einen nicht üblichen Namen nachdenkt und in seinem Kopfe eine etwas verworrene Idee aufzuklären sucht, dann rief er plötzlich, indem er mich lächelnd betrachtete: „Ach! unsre Helene! ja wohl, kenne ich sie! das glaub’ ich, wie oft hab’ ich sie vor unserem hause vorbeigehen sehen; und meine Frau und meine Kinder kennen sie auch recht gut und können ihnen sagen, wie lieb wir sie haben in unserm Lande. Aber, sehen Sie, der neue Titel, den Sie ihr geben, macht mich ganz verdreht. Wir wissen, daß sie jetzt eine französische Herzogin ist, und doch können wir ihr keinen andern Namen geben, als den sie bei uns führte. Das ist unsere Helene von Mecklenburg, wo sie auch immer hinkommen mag.“ Und nun erzählte der würdige Greis Alles, was er von der Kindheit der Prinzessin wußte, von ihrer Güte und Wohltätigkeit, die sie der ganzen Gegend werth und theuer gemacht hätte, und diese Erzählung währte bis zu unserer Ankunft an den gothischen Bögen des alten Schlosses von Schwerin.

In Weimar, wo die Herzogin von Orleans zu verschiedenen Malen mehre Monate zubrachte, ist nur Eine Stimme des Lobes und Segens von den Hallen des Schlosses ihres Oheims bis zur geringsten Bürgerwohnung herab. Die Zuneigung, welche die Einwohner dieser Stadt ihrer Mutter widmeten, trugen sie auch auf die edle Tochter über, und wenn ich nur ihren Namen unter ihnen aussprach, so wechte er allerwärts Ausdrücke der Liebe und Dankbarkeit. „Unser Schutzengel hat uns nicht verlassen – sagte mir einmal ein alter Freund Goethe’s – unsre Prinzessin Caroline lebt noch mitten unter uns; sie lebt in ihrer Anmuth und Güte in Helenen, die uns ebenso gut wie Mecklenburg angehört, wieder auf.“

Die Herzogin von Orleans verdient diese ausdauernde Zuneigung durch die Treue, die sie denjenigen bewahrt, die sie einmal kennen und schätzen lernte. Während sie mit Herz und Sinn sich Frankreich geweiht, hat sich doch nie ihr Heimathland vergessen. In der Ferne schwelgt sie in der Erinnerung an ihr theures Deutschland; sie freut sich über dessen Fortschritte und Wohlstand; mit aufmerksamem Blicke verfolgt sie die Lebensschicksale Aller, die sie geliebt. Sie nimmt Theil an ihrem Glücke, so wie sie ihre Leiden bedauert, und, bietet sich eine Veranlassung dar, der Reihe nach schickt sie ihnen mit geflügelter Eile glänzende Beweise der Großmuth, der Theilnahme, der Ermuthigung und des Trostes. Während meines Aufenthaltes in Weimar starb ein ausgezeichneter Künstler, und den ersten Condolenzbrief erhielt die betrübte Witwe von der Herzogin von Orleans. Eine andere Dame reiste nach Italien, um unter einem milderen Himmel ein Mittel gegen ihre langwierigen Leiden ausfindig zu machen, und unterwegs, in jeder Stadt hatte die Herzogin von Orleans Vorsorge für ihre Ankunft treffen lassen, und öffentliche Beamte boten ihr angelegentlichst ihre Dienste an.

Ich habe nicht nöthig, zu bemerken, welche Gefühle diese durchlauchtige Prinzessin ihrem zweiten Vaterlande eingeflößt hat. Das ganze Frankreich weiß es, und ich habe denen nicht von ihren Tugenden zu erzählen, welche sie durch einen Theil der französischen Provinzen reisen sahen, ebenso wenig denen, die Gelegenheit haben, täglich in Paris die edelherzigen Handlungen zu beobachten, welche ihre Bescheidenheit zu verbergen sucht und nur die Dankbarkeit entschleiert.

Seit ihrer Kindheit studirte die Herzogin von Orleans französische Sprache und Literatur, sie erlernte gleichzeitig mit ihrer Muttersprache die französische, und als sie, die Grenzen Deutschlands hinter sich, den Fuß auf französischen Boden setzte, inmitten dieses fröhlichen Volkes, das sie zu sehen sich drängte, war sie schon bei ihrem Eintritte in dieses Land keine Fremde mehr. Seit langer Zeit kannte sie die Tage des Ruhms und des Unglücks, die Reichthümer und die Berühmtheiten desselben. Sie kam in Frankreich wie eine zurückkehrende Tochter an, die lange erwartet wurde; und wie dieses Volk sich ihr ergeben zeigte, so schloß auch sie sich den Wünschen und Interessen desselben an.

Wer erinnert sich nicht an die glänzenden Feste von Fontainebleau, wo sie mit so viel Reiz und Würde geschmückt erschien, wo ein Staatsminister äußerste, als sie majestätischen Schrittes die Stufen des Schlosses hinanstieg: „man erwartete eine Fürstin, aber eine Königin ist angekommen!“ Wer erinnert sich nicht jener Soiréen im Pavillon Marsan, wo die Herzogin von Orleans im Vereine ihres erlauchten Gemahls die durch Geburt, Würden und Talente bedeutendsten Männer bei sich sah, die Großwürdenträger des Königreichs und die Dichter, die Deputirten des Volkes und die Künstler?!

Ach! ein schreckliches Unglück, ein Unglück, das wie ein Donnerschlag durch ganz Europa widerhallte, machte all’ diesen Festen, diesen schönen und geistreichen Zusammenkünften ein Ende. Lebensfröhlich und kriegesmuthig eilte der Herzog von Orleans am letztvergangenen 13. Juli zu seinen Eltern, um sich für eine glänzende Heerschau, die ihn erwartete, auf einige Tage bei ihnen zu beurlauben. Von dort aus wollte er zu seiner Gemahlin reisen, die nach der Rückkehr aus dem Bade in ländlicher Stille auf dem Schlosse zu Plombières verweilte. Da knickte ein unerforschlicher Rathschluß des Himmels die Blüthen der Hoffnung. Ein Scheuwerden der Pferde veranlaßte ein augenblickliches Schnellfahren, wobei der Herzog auf eine noch immer kaum erklärliche Weise kopfüber aus dem Wagen geschleudert wurde und sich an dem Steinpflaster die Hirnschale zerschmetterte, so daß er besinnungslos aufgehoben wurde, und, ohne wieder zu sich zu kommen, umgeben von seiner Familie, aber fern von seiner Gemahlin, in einem ärmlichen Hause an der Straße verschied. Vorsichtige Boten müssen der Herzogin von einer Krankheit des Herzogs berichten. Ahnungsvoll eilt sie nach Paris zurück. Da begegnen ihr unterwegs Bruder und Schwester des Verstorbenen. Ihre stumme Umarmung verkündet die Größe des Unglücks, und das stille Dunkel der heiligen Nacht umhüllt auf einsamer Landstraße den unsäglichen Schmerz.

Aber noch wacht Gott über Die, welche er heimgesucht, und Frankreich blickt mit Zärtlichkeit auf die junge Fürstin, die eine große Pflicht zwischen ewiger Trauer und einer schönen Hoffnung, zwischen dem Schmerz als Gattin und der Freude der Mutter, zwischen den Klagen um die Vergangenheit und den Verheißungen der Zukunft aufrecht erhält. Der Herzog von Orleans hinterließ Frankreich einen Thronerben und dem Thronerben eine Mutter, zu der beide mit Stolz und Vertrauen emporblicken können. Ihr geprüftes Herz, ihr gereiftes Urtheil lenken die ersten Schritte des jetzt bald fünfjährigen Grafen von Paris – geb. am 24. Aug. 1838 –, bis er dereinst nach Zurücklegung des 18. Lebensjahres aus den Händen seines Großvaters oder seines Onkels die Krone empfängt, die jener durch seine Weisheit von neuem und immer heller erglänzen macht, dieser fest und treu als ein anvertrautes Pfand zu hüten berufen ist. In dem Herzog von Chartres – geb. am 9. Nov. 1840 – erwächst eine zweite Burgschaft für Frankreichs Ruhe und Glück. Auch er wird dereinst dazu beitragen, den Namen seiner Mutter, der Prinzessin Helene, noch in fernen Zeiten und bei künftigen Generationen eben so tief in Aller Herzen zu graben, wie ihre Tugenden ihn in Deutschland und in Frankreich den Jetztlebenden unvergeßlich gemacht haben. [4]

Die Herzogin von Orleans und der Graf von Paris.


Die Bergung des Télémaque.

Die Seine fließt, ungefähr 8 Meilen von Havre-de-Grace entfernt, durch einen weiten Meerbusen ins Meer, der sich nach und nach gegen die eigentliche Mündung des Flusses hin in Gestalt eines Trichters verengt. Das Städtchen Quillebeuf (1344 Einwohner), vornehmlich von Lootsen und Fischern bewohnt, liegt dem Dorfe Tancarrille gegenüber und beherrscht auf dem linken Ufer die Mündung des Flusses. Die Fluth bietet hier das gewöhnliche Schauspiel dar. Wenn die Fluth steigt, drückt sie mit ungeheurer Kraft die Gewässer der Seine zurück, welche sich nun nicht mehr ins Meer ergießen, sondern mehre Fuß hoch bis nach Rouen stromaufwärts steigen. Bei eintretender Ebbe hingegen stürzt sich der Strom ungestüm in die See, sodaß, wenn ein Schiff das Unglück hat, auf eine Sandbank aufzustoßen, es unrettbar verloren ist. Schiffbrüche sind daher in dieser gefährlichen und schwierigen Einfahrt sehr häufig, da die von Treibsand gebildeten Dünen bei jeder Fluth ihre Lage verändern. Auch merken sich die auf der Seine schiffenden Reisenden die Entfernungen nach den aus den Fluthen hervorragenden Masten gescheiterter Schiffe.

Am 1. Januar 1790 verließen zwei Schiffe, eine Brigg und eine Goelette, Rouen, um nach Brest zu segeln. Die Brigg sollte dort kalfatert und verlängert und dann ihr früherer Name Télémaque in Quintanadoine umgetauft werden. Kaum hatten aber jene Fahrzeuge den Hafen verlassen, als die Behörden von Rouen den Befehl erließen, sie anzuhalten und zu untersuchen, denn es hatte sich das Gerücht verbreitet, daß sie mit entweder der königlichen Familie oder adligen und geistlichen Emigranten gehörenden Schätzen befrachtet seien. Die Goelette wurde in der Seine genommen und man fand Silberzeug der königl. Familie an Bord, dem Télémaque gelang es anfangs allen Verfolgungen zu entgehen, am 3. Januar strandete er inzwischen auf einer Sandbank in dem Augenblicke, als er die Fluthbarre der Seine passiren wollte, 360 Fuß vom Hafen von Quillebeuf, und wurde bald darauf beinahe ganz von Treibsand bedeckt. Sobald dieser Schiffbruch bekannt wurde, schickte die Regierung 300 Mann von Cherbourg, unter der Anführung eines Oberingenieurs, um das Wrack des Télémaque wieder zu heben, aber nach dreimonatlichen vergeblichen Anstrengungen gab man den Versuch auf. Vom Jahre 1790 bis 1843 wurden von verschiedenen Gesellschaften neue, aber eben so fruchtlose Versuche gemacht; die Unternehmer gingen zu Grunde, ohne irgend ein zufriedenstellendes Resultat zu erzielen. Wir wollen hier nur von zwei der neuesten Unternehmungen sprechen, der von Magny und der von Taylor.

Eine im Jahre 1842 erschienene Flugschrift schlug die in dem Télémaque untergegangenen Werthschaften zu 80 Millionen Franken an, doch beruht diese Schätzung durchaus auf keiner sicheren Grundlage. – Einige noch lebende Personen bezeugen lediglich, wie sie gehört hätten, daß in der Nacht des 1. Januars 1790 an Bord des gescheiterten Schiffes mit einem sehr schweren Metall gefüllte, mit eisernen Reifen beschlagene Kisten eingeschifft worden wären. – Auch hat man, doch nur gerüchteweise, von 2,500,000 Franken in Baarem gesprochen, welche Ludwig XVI. gehört hätten und von Silbergeräthe, das aus den Abteien Jumiège und Saint-George herstammen sollte. Inzwischen ist bis zu diesem Tage keine wirkliche Thatsache ans Licht gekommen, jene Gerüchte, die, wie alle Sagen ähnlicher Art, durch Alter immer schöner werden, zu bestätigen.

Am 1. August 1837 erhielt durch einen Vertrag in 12 Paragraphen, unterzeichnet von sechs Räthen des Verwaltungsraths der Marine, von einem Hafencommissar in Honfleur und vom Viceadmiral Marineminister Rosamel, aus dessen Händen Magny das Recht, drei Jahre lang an der Wiederheraufbringung des Télémaque zu arbeiten. Im Falle des Gelingens erhielt der Unternehmer vier Fünftel der Ladung, das letzte Fünftel wurde der Kasse der Seeinvaliden reservirt. Später wurde das Recht der Bergung noch auf drei weitere Jahre gewährt. – Nachdem aber 65,000 Franken ausgegeben waren, gab Magny seine Hoffnungen auf. Im Jahre 1841 nahm David, früherer Gesellschafter von Magny, die Unternehmung auf seine Kosten wieder auf; man sagt, er habe auch wirklich das Wrack einige Fuß weit von der Stelle gerückt, doch war auch er nicht glücklicher als Magny. Endlich, im Jahre 1842 den 19. Juni, brachte Taylor eine Actiengesellschaft zu 200,000 Franken Capital, das in 2000 Actien à 100 Franken getheilt war, zusammen, und schlug eine neue Methode vor, um den Sand zu entfernen, von dem die angeblichen 80 Millionen des Télémaque bedeckt sind.

Bisher hatte man folgendes Verfahren beobachtet: man ankerte oberhalb des Wracks sogenannte Chalands, große platte Flußschiffe von 600 Tonnen Last, welche zum Transport von Gütern auf der Seine dienen, und befestigte an dem Rumpfe des Wracks und an den Fahrzeugen Ketten, in der Hoffnung, daß sie jenes bei steigender Fluth heben würden. Inzwischen, da den Ketten nicht einerlei Spannung gegeben werden konnte, so rissen sie eine nach der andern, wie die Fluth mehr und mehr stieg. Demzufolge wandte Taylor ein neues Verfahren an, wie es durch nachstehenden Holzschnitt versinnlicht wird.

Rund um das Wrack wurden ungeheure Pfähle eingerammt. Nachdem auf jene Pfähle ein festes Gerüst errichtet worden war, legte man die Ketten um den Rumpf, in den außerdem noch eine große Anzahl eiserner Stangen gebohrt wurden. – Sowohl Ketten als Stangen wurden nun an einer Art beweglicher Brücke festgemacht, die man durch mechanische Mittel emporhob. Durch das Heben der Brücke mußte nothwendigerweise auch das mit ihr verbundene Wrack gehoben werden. Im letzten December war dasselbe auch wirklich fast bis zum Wasserspiegel emporgebracht, die schlechte Witterung aber, die Furcht vor dem Eise, und besonders Mangel an Geld nöthigten Taylor seine interessanten Arbeiten einzustellen. Man ließ den Télémaque wieder auf die Sandbank hinab, wo er seit 50 Jahren geruht hatte, und befreite ihn von allen Banden. Nur allein die Pfähle sind auf dem Flecke geblieben, wo man sie eingerammt hat.

Die Hebung des Télémaque.

Von seinen Gläubigern verfolgt, floh Taylor nach London; dort scheint er Geld gefunden zu haben, denn er will nach Frankreich zurückkehren und kündigt den Wiederanfang der Arbeiten für diesen Sommer an. Es heißt, daß er das Verfahren, dessen er sich seither bediente und von dem wir vorstehend eine Beschreibung gegeben haben, aufgegeben und die neue englische Taucherglocke anwenden wolle, um statt des Wracks selbst dessen Inhalt herauszuschaffen.

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Medaille des Tunnelbauvereins auf Sir I. Brunel, mit einem Tunnelgräber als Schildhalter

Die Eröffnung des Themsetunnels.

Hätte der menschliche Scharfsinn aus den „sieben“ Wundern der Welt nicht längst siebenhundert gemacht, so würde der Themsetunnel jedenfalls für das achte Weltwunder gelten. Dieses kühne Unternehmen, zwischen den Ufern eines breiten und tiefen Flusses, ohne alle Behinderung der Beschiffung, eine Verbindung herzustellen, war und bleibt wahrscheinlich viele Jahrhunderte unvergleichlich. Wann und wo läßt sich wieder ein solches Zusammentreffen erwarten von physischer und commercieller Nothwendigkeit, von Hülfsmitteln an Geld und Wissenschaft, von begründeter Aussicht auf Ertrag und von der nöthigen Kühnheit und Kraft zur Entwerfung und Ausführung eines Werkes der Art? Auch blickte die ganze Welt fortwährend mit ungeschwächter Theilnahme auf den Fortschritt des Tunnelbaues. Als Miß Pardoe 1836 die Türkei bereiste, erkundigte sich ein albanesischer Häuptling danach und in Aegypten, wo sich ein neues Land wie ein Phönix erhebt, gehörte die Erbauung des Themsetunnels zu den Gegenständen der volksthümlichen Erzählung. Das Riesenwerk ist jetzt vollendet; am 25. März 1843 wohnten Tausende von staunenden Zuschauern seiner Eröffnung bei.

Treppe zum Tunneleingang

Ein in den Hauptzügen ähnlicher Bau, von Gravesend nach Tilbury, ward schon 1799 von Dodd vorgeschlagen, ja sogar begonnen, aber bald als unausführbar wieder aufgegeben. Zwei bis drei Jahre später unternahm ein geschickter Bergmann aus Cornwallis, Namens Besey, den Versuch, eine englische Meile stromabwärts von dem jetzigen Tunnel Rotherhithe und Limehouse durch einen Bogengang unter der Themse zu verbinden. Er begann mit der Ausgrabung eines Schachtes von 11 Fuß Durchmesser, vermochte aber nicht tiefer, als 42 Fuß zu kommen. Ein anderer Baumeister führte den Schacht mit einem Durchmesser von 8 Fuß bis in eine Tiefe von 76 Fuß, und hier begann 1807 ein dritter Baumeister einen Stollen, der eine Breite von drei Fuß erhielt und mit Bohlen ausgefüttert wurde. Diese Stollen hatte schon eine Länge von 952 Fuß erreicht und war nur noch 150 Fuß vom andern Ufer entfernt, als das Wasser durch die 30 Fuß dicke Decke einbrach und zwar bewältigt wurde, aber die Arbeiter in dem jetzt nur noch 3 Fuß hohen Stollen wiederholt dergestalt störte, daß man an der Ausführung eines benutzbaren Weges verzweifelte. Nachdem sich 1809 noch ein neuer Baumeister vergeblich bemüht, wurde der ganze Plan aufgegeben.

Erst 1823 wurde die Sache wieder angeregt. Der französische Ingenieur Brunel war beim Anblick eines von lauter einzelnen, dicht aneinander liegenden Gängen des Bohrwurms ausgehöhlten Schiffskiels auf den Gedanken gekommen, daß man durch gleichzeitige Ausführung einer Anzahl solcher einzelnen kleinen Stollen dicht neben einander einen großen Tunnel herstellen könne. Demgemäß ließ er zwölf Kasten ohne Boden anfertigen, wie man sie bei Wasserbauten ins Wasser legt. Diese Rahmen stellte er auf eine Seite aufrecht neben einander und theilte jeden durch Querwände in drei Theile, so daß alle zusammen 36 Fächer bildeten, die als Ausgangspunkte für eben so viele einzelne Gänge dienten. Jedes Fach war für einen Arbeiter bestimmt und rückwärts offen, vorn aber mit einem beweglichen Brete verschlossen. Alle Rahmen zusammen hießen der Schild. Diesen Schild stellte man an die auszugrabende Erde. Der Arbeiter nahm das vordere bewegliche Bret weg, grub eine Strecke aus, stellte das Bret gegen die bloß gewordene Erdfläche und befestigte es durch Stützen in dieser Lage. Sobald von allen drei Fächern eines Rahmens aus auf gleiche Weise verfahren worden, wurde der ganze Rahmen durch zwei Schrauben, von denen die eine oben, die andere unten wirkte, vorwärts in den ausgehöhlten Raum hineingeschoben. In derselben Art bewegten sich auch die übrigen Rahmen fort, und während ein Theil der Arbeiter vor den Fächern die Erde wegnahm, mauerte ein anderer Theil hinter denselben den Tunnel aus. Der Schild stützte die Erde, bis das Gewölbe fertig war und das Mauerwerk diente wieder den Schrauben zum Stützpunkt, durch welche die einzelnen Rahmen des Schildes vorgeschoben wurden. Der Anwendung dieses Mittels verdankt man die glückliche Vollendung des Werkes. Es ist ganz Brunel’s Erfindung und wird seinen Namen unsterblich machen. Die Eigenthümer des Tunnels beabsichtigen, den Schild ihm zu Ehren aufzustellen und als ein Nationaldenkmal zu erhalten. Eine Denkmünze, welche sie haben prägen lassen, mit seinem Brustbilde auf dem Avers und der Inschrift „Thames Tunnel, opened 25 March 1843“ auf dem Revers, wie die Illustration es darstellt, hält ein Tunnelgräber im Arbeitsanzuge. Die lange Kappe, welche ihm auf dem Rücken herabhängt, hatte die Bestimmung, ihn gegen das herabträufelnde Wasser zu schützen.

Zur Anlegung des Tunnels wurde ein Punkt ausgewählt zwischen Rotherhithe und Wapping: fast die einzige

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Eröffnungsfestzug durch den Tunnel.

Stelle von der Londoner Brücke bis Greenwich, wo ein solcher Bau unternommen werden konnte, ohne eins der großen Verkehrsmittel, die beide Ufer der Themse einnehmen, wesentlich zu beeinträchtigen. Wer London kennt, sieht die Wichtigkeit eines neuen Verbindungsweges an dieser Stelle auf den ersten Blick. Die beiden Ufer liegen blos 1200 Fuß aus einander und doch mußte man einen Umweg von vier engl. Meilen über die Londoner Brücke machen, um zu Lande von einem Punkte zum andern zu kommen. Dies wurde um so lästiger, da beide Ufer in einem wichtigen Verkehr mit einander stehen. Eine ungeheure Masse von den ausländischen Waaren, die nach den westind. Docks (Lagern), den Londoner Lagern und den Katharinalagern an der Nordseite der Themse gebracht werden, verbraucht der Küstenhandel an der Südseite dieses Flusses, und die Zusendung geschieht fast ausschließlich durch Landfuhrwerk. Wie groß die Bequemlichkeit des Tunnels für den Personenverkehr ist, zeigt die Thatsache, daß die Fähren in der Nähe täglich gegen 3700 Personen übersetzten.

Die Actiengesellschaft, welche den Tunnel erbaut hat, bildete sich 1824, und der Bau selbst begann 1825 mit der Aufmauerung eines Kreises aus Ziegelsteinen auf der Seite von Rotherhithe, 150 Fuß vom Wasser. Diese Kreismauer ist 42 Fuß hoch, 3 Fuß dick und hat 50 Fuß im Durchmesser. Ueber ihr brachte Brunel eine Dampfmaschine an, die mit 30 Pferdekraft Erde und Wasser aus der Mitte heraushob, bis die Kreismauer 65 Fuß tief in den Boden eingesenkt war. Dann errichtete Brunel innerhalb der ersten Kreismauer eine zweite, die aber nur 25 Fuß im Durchmesser hatte, und versenkte dieselbe auf gleiche Weise 80 Fuß tief. Sie diente als Senkgrube zur Aufnahme des Wassers, welches mittels der Dampfmaschine aus ihr emporgepumpt wurde.

Tunneleingang an der Flußseite von Rotherhithe.

Der Tunnel selbst beginnt von der ersten Kreismauer aus in einer Tiefe von 63 Fuß. Er erhielt eine Breite von 38 Fuß und eine Höhe von 221/2 Fuß, da er stark ausgemauert werden und den erforderlichen Raum für einen doppelten Bogengang darbieten sollte, von denen jeder 15 Fuß hoch und für einen Fahrweg neben einem Fußpfad breit genug ist. Neujahr 1826 begann die Ausgrabung des Tunnels. Die ersten 9 Fuß gingen durch einen festen Lehmboden; dann kam loser, nasser Sand; am 14. März erreichte man wieder festen Boden und der Bau schritt hierauf jede 24 Stunden ungefähr 2 Fuß vorwärts, wobei 90–100 Tonnen Erde weggeschafft und von der Dampfmaschine über der Kreismauer herausgehoben werden mußten. Für jeden Fuß der Länge waren 5500 Ziegelsteine zum Ausmauern nöthig. Am 30. Juni erreichte der Bau das Flußbett und im September waren 260 Fuß vollendet. Am 2. Januar 1827 waren 350 Fuß fertig, am 2. März war er bis auf 470 Fuß oder fast ein Drittel der ganzen Länge vorgerückt. Obwol der Tunnel sich auf jede 100 Fuß ungefähr 3 Fuß senkt, kam seine Höhlung doch an einer Stelle gegen die Mitte des Flusses dem Grunde des Wassers bis auf 10 Fuß nahe. Bis zum 18. Mai 1827 ging Alles gut, dann aber drang auf einer Entfernung von 544 Fuß von der Kreismauer das Wasser an einer Stelle, wo die Erde locker, mit solcher Schnelligkeit und in solcher Menge durch den Schild in den Tunnel ein, daß dieser sammt der

Sir I. Brunel, wie er bei der Eröffnungsfeier den Tunnel durchschritt.

Kreismauer binnen einer Viertelstunde mit Wasser und etwa 1000 Tonnen Sand und Schutt angefüllt war. Obwol alle Arbeiter auf ihrem Posten gewesen, ging doch kein Leben verloren. Der Riß wurde mittels einer Taucherglocke untersucht und es fand sich, daß das Gewölbe nicht gelitten habe, auch der Schild noch an seinem Platze stehe. Das 38 Fuß tiefe Loch stopfte man durch etwa 3000 mit dünnen Haselruthen umwundene Erdsäcke, pumpte das Wasser aus und begann im September wieder den Fortbau. Den gewaltigen Einbruch frisch im Gedächtniß, wurden die Arbeiter jetzt beständig beunruhigt. Bald vernahm man ein Krachen in den Rahmen, gleich einem Kanonenschuß, weil plötzlich etwas gebrochen war; bald erscholl Lärmruf, weil ein Stück Erde oder Wasser hereinstürzte und Massen von brennbaren Gasarten hervordrangen, sich mit einer Explosion entzündeten und in seltsamer Vermischung mit dem Wasser den ganzen Raum mit Flammen anfüllten. Die Luft wurde dadurch so verdorben, daß die Arbeiter es nicht aushalten konnten und auch die stärksten sehr häufig ohnmächtig herausgetragen werden mußten. Kopfweh, Fieber und Hautausschläge waren allgemein.

[7] Die gefährliche Strecke war jedoch schon zurückgelegt und wieder 52 Fuß fertig geworden, als der Fluß am 12. Januar 1828 zum zweiten Mal durch den Schild brach. Binnen 10 Minuten war der Tunnel voll Wasser, und dieses verursachte eine Luftströmung, die alle Lichter auslöschte, so daß sechs Arbeiter sich nicht herauszufinden vermochten und ihren Tod fanden. Brunel’s Sohn half sich eine Strecke in völliger Finsterniß fort, dann ergriff ihn der Wasserstrom und führte ihn glücklich in die Kreismauer empor. Der Einbruch geschah 600 Fuß vom Eingange und durch eine Erdschicht von 25 Fuß. Es waren noch 700 Fuß zu vollenden.

Das Hinderniß ward wieder auf dieselbe Weise aus dem Wege geräumt, wie das vorige Mal. Zur Ausfüllung des Risses waren nicht weniger als 4000 Tonnen Erde erforderlich, meistens Thon in Säcken. Der Tunnel ward ausgepumpt und das Gewölbe zeigte sich abermals unverletzt. Der Wunsch, das Werk zu vollenden, war so allgemein, daß Hunderte von Plänen zu diesem Zwecke eingesandt wurden. Allein die Geldmittel der Gesellschaft waren erschöpft. Das Parlament genehmigte zwar den Abschluß einer Anleihe von 200,000 Pf. St.; es wurden auch wirklich durch freiwillige Beiträge über 5000 Pf. St. zusammengebracht; allein die Arbeiten mußten dennoch eingestellt werden.

Sieben Jahre blieb der Bau unterbrochen, bis am Ende die Regierung einwilligte, die erforderlichen Vorschüsse zu leisten, und die Arbeiten wieder begonnen werden konnten. Im Januar 1835 wurden die Bogengänge von Neuem eröffnet, allein der Fortschritt ging sehr langsam, weil der Boden des Flusses fast ganz aufgeweicht war, weil ein ganz neues, künstliches Flußbett über dem Tunnel gebildet werden mußte und weil dieser gleichsam eine Senkgrube zur Ableitung und Aufnahme alles Wassers in der Nähe bildete. Diesem Uebelstande half man am Ende durch Grabung des Eingangsschachtes auf der Flußseite von Wapping ab. Auch ward der alte Schild weggenommen und durch einen neuen ersetzt. Am 23. April 1837 fand ein dritter Flußeinbruch statt; ein vierter kam am 2. November 1837 vor und verursachte den Verlust eines Menschenlebens; am 6. März 1838 geschah der fünfte und letzte. Vollendet wurden 1836: 117; 1837: 28, 1838: 80, 1839: 194 und in den beiden ersten Monaten 1840: 76 Fuß, so daß nur noch 60 Fuß übrig waren. Im Januar 1841 ward der Tunnel unter dem Fluß in einer Länge von 1140 Fuß fertig und am 13. August desselben Jahres schritt Sir Isambert Brunel mittels eines Ganges, der den Tunnel mit dem auf der Flußseite von Wapping 75 Fuß tief abgeteuften Schacht verband, zum ersten Mal von einem Ufer zum andern. Der westliche Bogengang selbst ward am 1. August 1842 auf der Flußseite von Wapping eröffnet.

Mit dem Fortschreiten des Baues wuchs auch die allgemeine Neugierde und der Besuch des Riesenwerks. Im Jahr 1838 zählte man 23,000, im Jahr 1839 schon 34,000 Besucher, und in dem im März 1841 endenden Jahre hatte die Einnahme für diesen Besuch 1705 Pf. St. betragen, was 34,100 Besucher ergibt.

Die großen Kreismauern, welche auf beiden Seiten des Flusses den zum Eingang hinabführenden Schacht bilden, sind jetzt mit bequemen Treppen für Fußgänger versehen. Die Illustration zeigt den Schacht auf der Flußseite von Rotherhithe. Die Fahrbahnen sind noch nicht fertig. Sie werden auf beiden Ufern aus 40 Fuß breiten, in einer Schneckenlinie von 200 Fuß Durchmesser, die sich zweimal um eine kreisförmige Ausgrabung herumwindet, 57 Fuß tief hinabführenden Wegen bestehen, so daß die Steile sehr gering ist. Die Bogengänge sind fortwährend mit Gasflammen beleuchtet und die Temperatur in ihnen unterscheidet sich wenig von der freien Luft.

Sir I. Brunel verläßt den Tunnel unter dem Beifallsrufe der Anwesenden.

Zur Eröffnungsfeierlichkeit waren am Schacht auf der Flußseite von Rotherhithe zwei Zelte errichtet: eins für die Directoren, die Actionaire und deren Freunde, eins für das übrige Publikum. Flaggen wehten, Glocken läuteten, Alles war voll Siegesjubel. Um 4 Uhr Nachmittags ward ein Signalschuß abgefeuert, worauf der Festzug vom Zelt des Directoriums aus auf der Treppe hinabstieg, wie die Illustration es darstellt. Er schlug den Weg durch den westlichen Bogengang ein, stieg bei der Ankunft auf der Flußseite von Rotherhithe heraus, ging quer über den Zugang und kehrte dann durch den östlichen Bogengang wieder nach der Flußseite von Rotherhithe zurück. Sir Isambert Brunel ward auf dem Wege durch den Tunnel mit begeistertem Zuruf begrüßt und dankte sehr artig. Später fand im Zelte eine Art Cour statt, wobei die Anwesenden Sir Isambert Brunel ihre Glückwünsche darbrachten. Es war eine freudige Huldigung des Genies. Unter den Anwesenden befanden sich Graf Lincoln, Lord Dudley-Stuart, Sir Robert Inglis, Sir Edward Codrington, Sir W. Clay, der Lordmayor, die Parlamentsmitglieder Hume, Rocbuck, Hawes und Warburton, Hr. Rennie, Hr. Babbage, Dr. Faraday und viele andere berühmte Gelehrte. Am Abend gaben die Directoren etwa 100 Gästen ein Festmahl.

Beglückwünschung des Erbauers.

Die Kosten des Tunnels haben den ersten Voranschlag der auf 160,000 Pf. St. lautete, bedeutend überstiegen. Er wird nach vollständiger Herstellung der Einfahrten etwas mehr als 600,000 Pf. St. kosten. Zu den frühesten und eifrigsten Beförderern des Werks gehört der Herzog von Wellington. Die Königin belohnte den Baumeister durch den Ritterschlag. „Betrachte ich,“ sprach Sir Isambert Brunel in der letzten Generalversammlung der Actionaire, „daß so große Gefahren überwunden wurden; daß bei Erbauung des Tunnels unter der Themse blos 6 Menschen umkamen, während bei der Erbauung der Londoner Brücke gegen 10 Menschen ihren Tod fanden; daß furchtbare Gasexplosionen statthatten, wodurch die Arbeiter oft der Besinnung beraubt wurden: so ist es allerdings erfreulich für mich, ein solches Werk vollendet zu haben.“

Seit der Eröffnung des Tunnels steht der Durchgang für Fußgänger gegen Bezahlung eines Wegegeldes von einem Penny Jedem frei. Tausende und aber Tausende drängten sich in den ersten Tagen zum Genuß dieses Schauspiels.

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Der Komet.

Der Sternenhimmel zeigt uns unzählbare Sonnensysteme und nur von einem derselben bildet unsere Sonne den Mittelpunkt. Zu unserm Sonnensystem gehören nicht blos die bekannten 11 Planeten mit ihren 18 Monden, sondern wahrscheinlich kommen auch noch mehre Millionen Kometen in dasselbe, von fast einer halben Million ist dies berechnet, über das Erscheinen von ungefähr 400 berichtet die Geschichte und von etwa 130 kennt man die Bahn genauer. Aber bei einer solchen Menge – warum sieht man da nur so selten einen Kometen? Weil blos diejenigen sichtbar werden können, die in den wenigen Nachtstunden aufgehen, weil ihr Licht so schwach ist, daß sie der Erde ziemlich nahe kommen müssen, um bemerkt zu werden, und weil sie gewöhnlich nur kurze Zeit in unserer Nähe sind, sich dann aber wieder, zuweilen Jahrhunderte lang, auf ihren weiten Bahnen bis in die fernsten Räume des Himmels verlieren. Indeß vergeht jetzt doch auch beinahe kein Jahr, ohne daß die Astronomen einen Kometen entdecken. Dem bloßen Auge werden freilich diese Haarsterne – dies ist die eigentliche Bedeutung des ihre Gestaltung bezeichnenden Namens Komet – weit seltener sichtbar, und zeigt sich dann dabei ein bedeutender Schweif, so ist das allgemeine Aufsehen, das eine solche ungewöhnliche Erscheinung erregt, sehr erklärlich.

In dieser Beziehung bildet der vor Kurzem sichtbar gewesene Komet eine große Seltenheit. Als er zuerst bemerkt wurde, erschien sein Schweif in der Länge von etwa 43° und war also fast einem Viertel des 180° zählenden Halbkreises gleich, den man sich am Himmelsgewölbe von einem Punkt des Horizonts durch den Zenith bis nach dem entgegengesetzten Punkt des Horizonts gezogen denken kann.

In Europa wurde dieser Komet nach den Berichten der Journale am 5. März in Athen sichtbar, einige Tage später in Madrid bemerkt, am 12. März in Nizza gesehen, am 14. März in Auxonne wahrgenommen, nach einem mehrtägigen trüben Wetter am 17. März in Wien, München, Paris, London etc. fast gleichzeitig entdeckt, am 18. in Leipzig, am 19. in Berlin beobachtet etc. Er kam von der Sonne her, in deren größter Nähe auf seiner Bahn er sich, nach einer Mittheilung von Encke in Berlin, am 28. Febr. befunden hat. „Er stand damals, sagt dieser Astronom, der Sonne so nahe, wie bisher noch kein bekannter Komet, etwa den von 1680 ausgenommen.“ Die Illustration zeigt, wie er sich am 17. März um 71/2 Uhr Abends in London darstellte. Der Kopf des Kometen befindet sich neben dem Stern η des Sternbildes Eridan; sein Schweif endet in der Nähe des Sterns η im Sternbilde des Hasen. Links oben zeigt sich der Sirius, des Himmels glänzendster Stern. Oberhalb des Schweifs sieht man das herrliche Sternbild Orion, von dem der „Riegel“ den untern und die „drei Könige“ den mittlern Theil bilden. Rechts oben befinden sich „Aldebaran“ und das „Auge des Stiers“ etc.

Der Komet vom Jahre 1843.

Ein Komet besteht aus drei wahrscheinlich ganz verschiedenen Theilen: dem Kern, der diesen umgebenden, kugelförmigen Dunsthülle und dem Schweif. Der Kern ist zuweilen ein fester, planetenartiger Körper, zuweilen eine bloße Anhäufung von Dünsten. Der jetzige Komet scheint nach einer Angabe von Gruithuisen in München einen von mehren Monden umgebenen Planeten zum Kern zu haben, wie in unserm Sonnensysteme der Uranus ist. Die kugelförmige Dunsthülle, welche den Kern umgibt, ist im Vergleich mit diesem sehr groß und wird mit zunehmender Entfernung von ihrem Mittelpunkte immer lockerer. So lange ein Komet sich der Erde nähert, erscheint dieser Kopf immer größer, so lange er sich der Sonne nähert, immer heller und umgekehrt. Man hat Kometen beobachtet ohne Schweif, mit Einem Schweif und mit mehren Schweifen. In der Regel haben sie nur einen Schweif, der von der Sonne abgewendet ist und an den beiden Rändern heller, in der Mitte dunkler erscheint, als ob es ein hohler, leuchtender Dunstkegel sei. Die Länge des Schweifs ist sehr verschieden und beträgt zuweilen 20,000,000 Meilen. Im Jahr 1618 zeigte sich ein Komet, dessen Schweif, bei einer Breite von 3°, eine Länge von 104° hatte und sich also über die Hälfte des Himmelsgewölbes erstreckte. Der Schweif des jetzigen Kometen hat, nach einer Mittheilung von Arago in Paris, die Eigenthümlichkeit, daß er gerade in der Mitte am hellsten, an den beiden Rändern dagegen weniger hell ist. Er krümmt sich ein Wenig aufwärts und zeigt, bei einer Länge von 43°, eine Breite von kaum 2°. „Dieser Komet, sagt Bessel in Königsberg, gibt vielleicht das erste Beispiel eines langen und lebhaften Schweifes, der von einem schwachen Kern ausgeht. Er scheint alle Kraft auf den Haarwuchs verwendet zu haben und dadurch abgezehrt zu sein.“ „Er bestätigt, sagt Encke in Berlin, durch seinen großen Schweif die Vermuthung von Newton, daß die Schweifentwickelung bei großer Annäherung an die Sonne am stärksten ist.“

Ende März ging der Komet etwa dritthalb Stunden nach Sonnenuntergang ebenfalls unter. Diese an sich kurze Zeit des Verweilens über dem Horizont nach Sonnenuntergang nahm während des April so ab, daß er Ende April schon etwa fünf Viertelstunden nach Sonnenuntergang ebenfalls unterging, und bei beständig abnehmender Helligkeit und Größe für das bloße Auge sein Schweif gar nicht mehr bemerkbar blieb oder doch nur bei sehr großer Aufmerksamkeit noch unterschieden werden konnte. Die Erscheinung wurde, so lange sie überhaupt sichtbar war, immer im Südwesten gesehen, da der Komet bis Ende April südlich vom Aequator blieb, und die Nähe am Horizont, so wie die zunehmende Dämmerung denselben immer mehr und mehr schwächte.

Die Hauptfrage, ob und wann der Komet schon früher beobachtet worden, ist noch nicht erledigt. Encke in Berlin erklärt: „Unter den bisher berechneten Kometen ist keiner, dessen Bahn eine solche Aehnlichkeit hätte, daß man eine Identität vermuthen könnte.“ Gruithuisen in München versichert dagegen: „Je mehr ich den Gedanken untersuche, daß der große Komet von 1618 identisch sei mit dem von 1843, desto mehr Aehnlichkeiten finden sich, sodaß ich nun nicht mehr den geringsten Zweifel an ihrer Identität hege. Der Schweif des Kometen konnte uns seit seiner Sichtbarkeit nur verkürzt erscheinen. Dieser Umstand und seine große Entfernung, die ich auf mehr als 20 Mill. Meilen schätze, machen, daß sein Schweif nicht so groß erschien, wie der des Kometen von 1618. Würde diesmal die Erde ihm so nahe gekommen sein, wie damals, bis auf weniger als 8 Mill. Meilen, so würde bei seiner anfangs entwickelten Helligkeit derselbe jetzt seine damalige scheinbare Länge, jene 100 , weit übertroffen haben.“ Ueber den Kometen von 1618 sagt derselbe Astronom, daß er eine sehr lang gestreckte Bahn habe und diese in 225 Jahren nur einmal durchlaufe. Im Jahr 1618 habe er sich der Sonne bis auf 8 Mill. Meilen genähert; im J. 1730 sei er 1517 Mill. Meilen von ihr entfernt gewesen. Der Durchmesser seines Kopfes betrage 4461 Meilen etc.

Hr. Arago versichert, der Komet sei am 27. Febr. der Sonne bis auf fünf Tausendtheile von der Entfernung der Erde nahe gewesen, habe sich jedoch mit solcher Schnelligkeit bewegt, daß es ihm dadurch möglich geworden sei, der gewaltigen Anziehungskraft der Sonne zu entgehen und jene gefährliche Stelle seiner Bahn zu durchlaufen, ohne sich in dieselbe zu verlieren und mit ihr zu verschmelzen. Seine Geschwindigkeit habe 104 Stunden in der Secunde betragen und sei also sieben Mal größer gewesen, als die Geschwindigkeit, mit welcher die Erde sich fortbewege. Von der Erde blieb der Komet 32 Mill. Meilen entfernt und dennoch hätte sein Schweif uns berührt, wenn er entweder die doppelte Länge gehabt oder nicht schräg neben der Erde weggegangen wäre, wie es der Fall gewesen ist.

Bei Vergleichung der verschiedenen Ansichten, welche allmälig von den Astronomen in fast allen Ländern Europa’s über die Identitätsfrage ausgesprochen worden sind, scheint sich herauszustellen, daß der Komet von 1843 derselbe war, welcher 1618 und 1730 die Welt in Staunen und Schrecken versetzte. Bedeutende Störungen, denen sein leichtes Wesen ihn bei dem Annähern an schwerere Weltkörper auf seiner ungeheuren Bahn wiederholt ausgesetzt haben mögen, liegen anscheinend den Abweichungen zum Grunde, die einer sofortigen Wiedererkennung im Wege gestanden.

Neben den gründlichen Forschungen der Wissenschaft ist auch noch der blinden Vorurtheile des Aberglaubens zu erwähnen. In Europa können diese nirgends größer sein, als in der Türkei. In Konstantinopel hat denn auch dieses Zeichen am Himmel, welches sich drohend über das Minaret und den Halbmond der Sophienkirche hinzog, nicht wenig erschreckt. Dies und der ungewöhnliche, schneefreie und frostlose Winter, deuten, so glaubt man, auf höchst wichtige Ereignisse: Krieg, Pest und Umsturz von großen Reichen hin. Man erinnert sich dabei einer alten türkischen Prophezeihung, daß zwischen den Jahren 40 und 50 die Osmanen Europa verlassen und nach ihrer frühern Heimath in Kleinasien zurückkehren würden. Bei den Griechen, die noch weit abergläubischer sind, als die Türken, hat dieses Phänomen eben so große Hoffnungen, wie bei jenen Besorgnisse erregt, und selbst auf den Inseln des Südmeers, wo derselbe im hellsten Glanze strahlte, knüpfte sich an sein Erscheinen die Erwartung etwas Ungewöhnlichen und Besondern. [9]


Leipzig, den 1. Juli 1843.


Longchamp.

Wem wäre nicht, dem Namen nach wenigstens, Longchamp bekannt – dieser Sammelpunkt der vornehmen Welt in Paris, wo es zum guten Tone gehört, sich am Mittwoch, am Donnerstag und am Freitag in der Osterwoche dort zu zeigen, und dabei den Luxus so weit zu treiben, wie Mittel und Kräfte nur irgend gestatten. Weniger bekannt ist die Geschichte dieser jährlichen Promenade und doch liefert die wechselnde Gestaltung der einzigen Mode ein Bild von den Phasen der neueren Sittengeschichte Frankreichs, dessen Hauptzüge hervorgehoben zu werden verdienen.

Beim Boulognergehölz unterhalb von Paris, am rechten Ufer der Seine liegt in einem Winkel, den der Fluß dort bildet, eine schmale Ebene, die von ihrer Gestalt den Namen Longchamp (longus campus) erhielt, weshalb dieser auch nicht Longchamps geschrieben werden darf, wie es der Syntax und der Etymologie zum Trotz in der Regel geschieht. Hier errichtete die Prinzessin Isabelle von Frankreich im Jahre 1250 der Humilité de Notre-Dame ein Nonnenkloster. „Ich will durch eine fromme Stiftung mein Seelenheil sichern,“ schrieb sie dem Kanzler der Universität. „Mein Bruder, König Ludwig IX., gewährt mir 30,000 Livres. Soll ich ein Kloster oder ein Hospital errichten?“ Der Kanzler entschied für ein Clarissinnenkloster. Die Revolution gab ihm Unrecht. Ein Hospital hätte sie bestehen lassen, das Kloster hob sie auf.

Der Obelisk von Luxor am Wege nach Longchamp.

Der königliche Ursprung des Klosters von Longchamp sicherte ihm die Gunst der Monarchen. „Der heilige Ludwig“ besuchte es oft; Isabelle selbst beschloß ihr Leben in

[10] demselben; Margarethe und Johanne von Brabant, Blanka von Frankreich, Johanna von Navarra und noch 12 andere Prinzessinnen nahmen dort den Schleier; König Philipp der Lange starb 1321 in seinen Mauern. Solche fürstliche Frömmigkeit und die wunderbaren Heilkräfte, welche man den Gebeinen der daselbst ruhenden Isabelle beimaß, die Papst Leo X. deshalb 1521 selig sprach, machten Longchamp in der ersten Periode seines Modebesuchs zu einem Wallfahrtsort für fromme Büßer und gläubige Kranke aus den höhern Ständen.

Von anderer Art war der Besuch in Longchamp unter Heinrich IV. Dieser Enkel „des heiligen Ludwig“ wählte eine zweiundzwanzigjährige Nonne, Catharine von Verdun, zu seiner Geliebten und machte ihren Bruder zum ersten Präsidenten des Parlaments von Paris. Welchen Einfluß dies auf die Moral des Klosters hatte, zeigt ein Schreiben des heiligen Vincent de Paula an den Kardinal Mazarin, worin der fromme Stifter der Lazaristen unterm 25. Oct. 1652 sagt: „Seit 200 Jahren ist dieses Kloster auf dem Wege zum gänzlichen Untergang aller Zucht und zur vollständigen Verderbniß aller Sitten. Die Sprachzimmer stehen Jedem offen, selbst jungen Männern ohne Begleitung ihrer Eltern. Die Nonnen tragen unbescheidene Kleider, goldene Uhren. Als der Krieg sie zwang, in die Stadt zu flüchten, überließen sie sich Aergernissen aller Art, gingen allein und insgeheim zu Denen, die sie zu sehen wünschten, in Haus.....“

Unter Ludwig XV. nahm der Besuch von Longchamp seine jetzige Gestalt ein. Eine berühmte Sängerin, Demoiselle Le Maure, verließ im Jahre 1727 zum großen Bedauern des Publikums die Bühne und ging dort ins Kloster. Allein sie konnte das Singen nicht lassen. Bald perlten ihre Silbertöne in der Kirche von Longchamp; die Nonnen nahmen Unterricht im Gesang bei ihr; man rief Opernsängerinnen zur Hülfe, und es dauerte nicht lange, so strömte ganz Paris in der Charwoche wie zum Concert nach Longchamp hinaus. Auf solche Weise gewöhnte das Publikum sich mehre Jahre hindurch an diese Besuche und als endlich der Zudrang zu groß und das Aergerniß, welches die frivolen Weltkinder dabei gaben, so arg wurde, daß der Erzbischof von Paris diese Musikfeste verbot, setzte man dennoch die einmal liebgewordene Promenade in der Charwoche fort, und feierte gleichsam ein Frühlingsfest zu Ehres des wärmeren Sonnenscheins und der leichteren Toilette, des jungen Grüns und der neuesten Mode.

In den Jahren 1750 – 1760 erreichte Longchamp seinen Glanzpunkt. Die Tage der Promenaden dort waren die Hauptfeste der Pariser. In Neapel oder Madrid stieg der König aus frommer Demuth während der Osterwoche in keinen Wagen; in Paris dagegen fuhr man gerade dann in den glänzendsten und kostbarsten Equipagen. Da die Schauspielerinnen an diesen Tagen nicht auf der Bühne glänzen konnten, so stellten sie ihre Netze auf der Promenade von Longchamp aus. Jede Ausschweifung des Luxus und der Sittenverderbniß trug sich dort zur Schau. Vergebens suchte der Erzbischof von Paris im Jahre 1776 dem Aergerniß Einhalt zu thun; kein Minister hatte mehr den Muth oder die Kraft, gegen eine Mode einzuschreiten, die damals den Hof wie den Herrscher beherrschte.

Die Revolution stürtze auch den Thron dieser Göttin. Wie konnte man Longchamp besuchen? Die Pferde waren ja für die Armeen requirirt und den Wagen wären die Karren mit Guillotinenopfern begegnet! Erst als im Jahre 1797 das Directorium am Ruder war, fing man wieder an, die Lehre zu predigen, daß der Luxus der Reichen eine Wohlthat für die Armen sei. Am „ci-devant“ Gründonnerstag erschienen die „Bürgerinnen“ Tallien, Recamier u.A. in Longchamp, und am Stillfreitag fanden sich schon 2000 Wagen ein. Seitdem hat diese Mode keine Unterbrechung mehr erlitten. Selbst als die Pferde der Kosaken die Bäume der Champs Elysées benagten, und das Beil feindlicher Sappeure das Gehölz von Boulogne lichtete, fuhr, ritt und ging man in gewohnter Weise nach Longchamp.

Wie immer beschäftigte man sich auch in diesem Jahre schon mehre Monate vorher mit Zurüstungen für die drei Tage von Longchamp. Fashionable Adlige und fashionable Börsenmänner ließen sich neue Wagen erbauen; Elegants sorgten für englische Reitpferde; Modehändler boten ihre ganze Erfindungskraft auf und lieferten Stoffe und Kleider mit orientalischen, spanischen, chinesischen, burggrafischen und andern Tagesnamen. Leider verdarb das kalte Wetter am Mittwoch manche Freude, allein am Donnerstag war der Zudrang bedeutend, und am Freitag erschien bei hellem Sonnenschein das Fest in vollem Glanz. Zwei Wagenreihen reichten vom Place de la Concorde bis

Longchamp.

zur Porte Maillot. Mitten auf der Chaussee sah man wappengeschmückte Kutschen, reiche Equipagen der Chaussée d’Antin und einige Theaterdamen, hübsch genug, um einen Wagen und 2000 Franken Nadelgeld zu besitzen. Um sie herum courbettirten „Sportsmen“ in Röcken von „Londoner Rauchtuch“; Commis hatten zu thun, den Uebermuth ihrer Miethpferde zu zügeln; niedliche Comptoirdamen erschienen als Amazonen in Kasimir mit Goldknöpfen; Müssige und Neugierige füllten die Nebenwege und vervollständigten das Schauspiel.

So ist Longchamp, so war es und so wird es bleiben. Wie könnte eine solche Mode abkommen? Die Coketterie der Frauen, der Stolz der Reichen, das Interesse der Gewerbetreibenden: das sind die Säulen, auf denen sie ruht. Sie ist dauernd wie diese.


Gartenkunde.

Der Zwerg-Pisang.
Musa Cavendishii. (Paxton) (M. chinensis Sweet.)

Dieses, durch den Herzog von Devonshire in England eingeführte prächtige Bananengewächs hat jetzt bei dem Kunst- u. Handelsgärtner Jessop zu Cheltenham in England die ersten Früchte getrieben. Sein krautartiger Stamm trägt jene 2 Fuß breiten, 6 Fuß langen, mit einer faserigen Mittelrippe und vielen transversalen Venen geschmückten, glänzend grünen Blätter, von welchen, wie die Legende sagt, Adam und Eva im Paradiese sich die ersten Kleider gemacht haben sollen. Das eben bis zur Frucht gediehene Exemplar dieser Pflanze ist unglaublich schnell gewachsen und hat dabei die ungewöhnliche Höhe von 10 Fuß erreicht. Vor 9 Monaten erst ward es dem Treibhause

Der Zwerg-Pisang.

als junger Sprößling anvertraut, und in drei Monaten dürften die Früchte ihre vollkommene Reife erhalten haben. Die Blüthenbüschel kamen aus dem Schooße der Blätterkrone an einer 3 Fuß langen Aehre hervor. Jeder Blüthenbüschel umhüllte eine von innen purpurgefärbte Scheide, die in der botanischen Kunstsprache Spatha genannt wird, und abfällt, wenn die Blüthen sich öffnen. Die Früchte, jetzt noch grün, sollen später eine gelbliche Farbe annehmen und sich mit einem Fleische von ungemein süßem Geschmack füllen. Mehrere hundert Früchte wachsen an der Aehre, die, wenn sie völlig ausgebildet ist, oft mehr als einen halben Centner schwer wird. Rechnet man aber das Gewicht jeder Traube nur auf 40 Pfd. und

[13] auf einen Raum von etwa 1000 Quadratfuß 30 bis 40 Pflanzen. So würde eine solche Plantage mehr als 4000 Pfd. nahrhafte Substanz liefern. Wenn nun 33 Pfd. Weizen und 99 Pfd. Kartoffeln den nämlichen Raum einnehmen, welchen man nöthig hat um 4000 Pfd. Pisangfrüchte zu gewinnen, so verhält sich das Product des Pisangs zu dem des Weizens wie 133 zu 1; und zu dem der Kartoffel wie 41 zu 1.

Der Pisang ist eins der segensreichsten Geschenke, die der Himmel den Bewohnern heißer Zone verlieh, Aequinoctial-Asien und Amerika, das tropische Afrika und die Inseln der atlantischen und stillen Oceane erfreuen sich seines Genusses. Ueberall, wo die mittlere Temperatur 75 Grad Fahrenheit beträgt, ist der Pisang der wichtigste und interessanteste Gegenstand menschlicher Cultur, seines unendlich reichen Ertrages wegen für einen großen Theil des Menschengeschlechts das, was Korn, Weizen und Gerste für die Bewohner von Europa und Westasien, und was die zahlreichen Varietäten des Reises für die der Länderstriche jenseits des Indus sind. Die Völker beider Indien, unter denen viele Millionen sie als Nahrungsmittel betrachten, lieben die Frucht des Pisangs, ihres Zuckerstoffes wegen, vor allen andern Erzeugnissen ihres Bodens. Drei Dutzend Pisangfrüchte reichen hin, einen Menschen statt des Brodes eine Woche lang zu nähren.

Man pflegt sie, wenn sie reif sind, wie die Feigen an der Sonne zu trocknen. Mehl gewinnt man von ihnen, wenn man sie in Scheiben schneidet und nachdem sie getrocknet, zerstampft.

Der Zwerg-Pisang verdient als Tafelfrucht in unsern Treibhäusern cultivirt zu werden. Er läßt sich am besten durch sorgfältig losgetrennte Schößlinge vermehren. Diese pflanzt man in Töpfe mit guter leichter Erde und stellt sie in ein Lohbeet des warmen Hauses. Sie müssen stark begossen werden, denn die großen Blätter der Pflanzen bedürfen reicher Nahrung. Das fruchttragende Exemplar des Kunstgärtners Jessop bekam täglich zwei Eimer Wasser. Die sicherste Methode sie zur Blüthe und Frucht zu bringen ist, daß man sie nach erhaltener Stärke ins Lohbeet setzt, wo sich ihre Wurzeln nach allen Seiten besser verbreiten können als in Töpfen oder Kübeln. Bei einem Thermometerstand von 75 bis 90 Grad Wärme wird sich Jeder, der den Zwerg-Pisang cultivirt, sicher seiner schönen und nahrhaften Fruchttraube erfreuen können.

G.


Das königliche Hoftheater zu Dresden.

Seit im Jahre 1814 die Administration des königl. sächs. Hoftheaters, dem bis dahin Privatdirectoren – zuletzt nacheinander zwei Italiener, Bondini und Seconda – vorgestanden hatten, zur Zeit des fremden Gouvernements in die Hände des Staats überging, und nach der Rückkehr König Friedrich August’s in demselben Maße beibehalten wurde, mit dem wiederhergestellten Frieden und der nun fortdauernd zunehmenden Bevölkerung Dresdens, sowie sich jährlich vermehrenden Besuch von Fremden, auch die Theilnahme am Theater wuchs, ward der Gedanke der Erbauung eines neuen Schauspielhauses immer lebendiger, und ein solches Unternehmen steigerte sich fast zum Bedürfniß. In der That bot auch schon die äußere Erscheinung des bisherigen sogenannten kleinern Schauspielhauses einen höchst unangenehmen Anblick dar, da es von seinem Ursprung an, in den sechsziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, nur als ein interimistisches Unterkommen erbaut, und später durch vollendete und unvollendete Anbaue aller Art noch mehr verunstaltet worden war. Ebenso war der Zuschauerraum für die vermehrte Zahl der Theaterbesuchenden viel zu klein geworden, und auf der Bühne selbst fehlte es an allen zu entsprechender Aufführung größerer Opern und Schauspiele nöthigen Vorrichtungen und Bequemlichkeiten.

Zwei Ideen kamen in Anbetracht. Entweder ein neues Schauspielhaus zu bauen oder das sogenannte große Opernhaus für diesen Zweck wieder herzustellen. Dieses letztere Gebäude bot allerdings früher, und namentlich unter den sächsischen Königen von Polen, eins der umfangreichsten, prachtvollsten und entsprechendsten Schauspielhäuser dar. Seine Geschichte, sowie die Beschreibung einiger der wahrhaft großartigen Opernvorstellungen, welche bis nach der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts darin gegeben wurden, und wobei Aufzüge mit wilden Thieren aus der königl. Menagerie nichts seltenes waren, würde ein merkwürdiges Blatt für sächs. Zustände in jener Zeit bilden. Hier nur so viel, daß der Schauspielsaal unter der Regierung König Friedrich August’s I. in einen Ballsaal verwandelt und zu großen Hoffesten benutzt, später aber der musikalischen Hofcapelle für die jährlich am Palmensonntage stattfindende Aufführung einer großen geistlichen Musik zum Besten des Pensionsfonds für die Witwen und Waisen derselben eingeräumt ward. Unter den drei General-

Emil Devrient.

directoren, welche seit 1815 dem Hoftheater vorstanden, dem nun verstorbenen Hofmarschall Grafen Vitzthum, dem jetzigen Gesandten in Paris, von Könneritz, und dem noch fungirenden Geh. Rath von Lüttichau, wurden namentlich für den letztern Zweck, da er der mindestkostspielige und am leichtesten auszuführende schien, von fremden und einheimischen Baumeistern, namentlich von Weinbrenner und Ottmer, Thormeier und Thürmer, Risse und Pläne dazu entworfen, die aber alle nicht zur Ausführung gediehen; und in der That kann man sich nur darüber freuen, da ein solcher Umbau der Natur der Sache nach stets nur Unvollkommnes und Vereinzeltes hätte hervorbringen müssen, auch Lage und Umgebungen unübersteigliche Schwierigkeiten darboten. Erst im J. 1838, nachdem indeß das Hoftheater mit auf die Civilliste des Königs übergetragen worden war, faßte der Geh. Rath und Generaldirector v. Lüttichau die erstere Idee fest ins Auge, fand, daß der in jeder Beziehung vorzüglichere Neubau eines Schauspielhauses sich dicht neben dem bisherigen und unter Fortbenutzung des letztern bis zur Vollendung von jenem ohne große Schwierigkeiten ausführen lasse, zog den Director der Bauschule bei der Kunstakademie, Professor Semper, mit zu Rathe, ließ Plane, Risse und Anschläge entwerfen, und erlangte zu Ausführung dieses eben so bedeutenden als für Dresden wahrhaft wichtigen Unternehmens die königliche Genehmigung.

So wurde denn im Jahre 1838 bereits der Grundstein zu dem neuen Hoftheatergebäude gelegt, und die Leitung des artistischen Theils des Baues dem Prof. Semper, die des materiellen aber dem Hofbaumeister von Wolframsdorf übertragen. Mit für ein so großes und schwieriges Unternehmen, bei der musterhaften Solidität und Sorgfalt, womit das Ganze behandelt ward, wahrhaft lobenswerther Schnelligkeit wurde der Bau gefördert, so daß schon im folgenden Jahre der Dachstuhl – auch ein Meisterwerk in seiner Art – darauf gebracht war. Langsamer schritt nun der Natur der Sache nach die innere Ausschmückung bei dem Reichthume und der Eleganz derselben vorwärts, während das Maschinenwesen durch den geschickten Maschinist Mühldorfer aus Mannheim angeordnet und beaufsichtigt ward. Aber auch für das Decorationswesen sollte eine neue Aera beginnen. Zu dem Ende hatte die Generaldirection mit den rühmlich bekannten Theatermalern Sechan, Desplechin, Feuchères und Dieterle in Paris contrahirt und sie zu Fertigung einer Anzahl Decorationen, sowol architektonischer als landschaftlicher, nach Dresden eingeladen, wo sie sich auch für dieses Geschäft während der Jahre 1840 und 1841 aufhielten und in mehreren ihnen eingeräumten Sälen arbeiteten, während die andern noch zahlreich nöthigen Decorationen von dem Dresdener Hoftheatermaler Arrigoni und Inspector Gropius in Berlin gefertigt wurden. Das neue Theater erhielt durch die erstern auch in der That eine Reihe von Decorationen, wie sie deren keine andere deutsche Bühne aufzuzeigen hat, und es ist zu wünschen, daß dadurch ein Vorbild zu fernerer Nacheiferung junger Künstler in diesem Fache gegeben sein möge. So lieferten sie sämmtliche Decorationen zu den Hugenotten, den Park zu Tasso, den freien Platz zur Jüdin und mehrere andere wahre Kunstwerke in diesem Gebiete, wie denn auch ihnen die Ausmalung des Spectatorii, besonders des reichgeschmückten Plafonds, der kleinen Salons an den königl. Logen und des zweiten Vorhangs, eine reiche Draperie darstellend, überlassen ward. Die Ausführung des Hauptvorhangs war dem Professor Hübner übertragen worden. Er wählte dazu eine Idee aus der Einleitung zu Kaiser Octavian von Tieck, deren Hauptgegenstand der Dichter an der Hand der Romanze war, und dessen Andeutung wie einzelne Figuren Th. Hell in dem zur Eröffnung der Bühne gesprochenen Prologe näher erklärt und in lebenden Gestalten vorgeführt hat. Interessant ist dabei auch besonders der untere Streifen, welcher in Gruppen aus Schauspielscenen, gleichsam einen Abriß der dramatischen Dichtkunst der Engländer, Spanier, Franzosen und Deutschen gibt.

Doch auch der Plastik sollte wesentlicher Antheil an der Ausschmückung des neuen Schauspielhauses verstattet werden, und so schuf denn der Prof. Rietschel die Hautreliefs in den beiden Giebelfeldern der westlichen und östlichen Portiken, von denen der eine in der Mythe des von den Furien verfolgten Orest die hohe Tragödie, der andere aber allegorisch die Verklärung der Musik darstellt. Meist en ronde bosse vortretende kolossale Gestalten voll Leben und Charakter, die freilich dem Auge etwas weit entrückt sind, die aber nach des Meisters eigner Zeichnung der Kupferstecher Langer in zwei schönen Platten, die das Vereinsgeschenk des sächs. Kunstvereines für seine Mitglieder auf 1842 bilden, den Blicken der Kenner und Kunstfreunde näher bringen wird. Von demselben trefflichen Plastiker sind auch die kolossalen sitzenden Statuen von Goethe und Schiller, welche rechts und links den Mittel-

Joseph Tichatscheck

eingang des Theaters schmücken, und in denen der objective ruhige Umblick des einen, wie die idealere Gemüthsrichtung des andern im begeistert aufschauenden Auge meisterhaft dargestellt sind. Von dem Bildhauer Hähnel ziert auch ein ungemein geistreich und sorgfältig ausgearbeitetes Basrelief als Fries die hintere Seite des Schauspielhauses, einen

[14]

Madame Schröder–Devrient.

Zug von Centauern und Bachantinnen in Bachus’ Gefolge darstellend, und somit die komische Muse bezeichnend, von dem wol zu wünschen wäre, daß der so ausgezeichnete Künstler uns mindestens durch einen gestochenen oder lithographirten Umriß die halblebensgroßen Gestalten ebenfalls näher brächte. An eben derselben Seite finden wir noch Statuen von Tänzerinnen und Faunen, vom Bildhauer Selig gefertigt, und von allen drei Künstlern sehen wir noch in diesem Jahre der Aufstellung der Statuen von Sophokles, Aristophanes, Shakespeare, Molière, Gluck und Mozart in den dazu bestimmten Nischen entgegen.

So bot denn das neue Schauspielhaus eine anziehende Vereinigung aller bildenden Künste dar, und Dresden durch die Vorsorge und Liberalität seines Königs einen Tempel der Schauspielkunst, wie vielleicht jetzt kein zweiter in Deutschland zu finden sein dürfte. Um so wünschenswerther wäre es daher, wenn namentlich sein genialer Baumeister, Prof. Semper, in einer eignen kleinen Schrift mit Umrissen uns in das nähere Detail dieses in so vieler Hinsicht wichtigen und bemerkenswerthen Bauwerks einführte.

Nachdem nun am 31. März 1841 das alte Schauspielhaus – das alsdann noch in demselben Jahre abgetragen und der daran stoßende östliche Porticus des neuen vollends ausgebaut ward – mit der Darstellung der Lessingschen Minna von Barnhelm, als dem ältesten, noch auf seinem Repertoir gebliebenen Stücke, und einem von Th. Hell gedichteten und vom Hofschauspieler Burmeister, als dem ältesten Mitgliede, gesprochenen Epiloge geschlossen worden war, wurde das neue am 12. April desselben Jahres mit dem obengedachten Prologe und Goethe’s Tasso eröffnet, dem darauf in zweckmäßig geordneter Reihenfolge die ältern und neuern Meisterwerke sowol der Oper – deren erste Euryanthe – als des Schauspiels folgten.

Der Zuschauerraum des neuen Hoftheaters enthält ein Parkett und Parterre, ein Amphitheater nach einer neuern ansprechenden Construction und 5 Reihen Logen, und kann außer den reservirten Räumen für den Hof mehr als

Das königliche Hoftheater zu Dresden.

1600 Personen in sehr bequemen Plätzen fassen. Die Aufgabe der Akustik ist aufs Vollkommenste gelöst, da man überall gleich gut und deutlich hört, ebenso auch hinsichtlich der Perspective es nur wenige Plätze gibt, wo man nicht die ganze Bühne übersähe. Die Räumlichkeit auf der Bühne ist die angemessenste, so wie deren Verhältniß in Breite und Höhe, wobei noch zu bemerken, daß das Podium nicht schief hinaufgeht, sondern ganz eben gelegt ist, was für die Maschinerie von großem Vortheil sich zeigt. Bühne, Zuschauerraum, Corridor, sowie der prachtvolle Foyer werden aufs Glänzendste durch mehr als 800 Gasflammen erleuchtet, und ist die dafür vom Commissionsrath Blochmann getroffene Einrichtung eine in der That bewundernswerthe, indem durch eine ganz einfache, auf den kleinsten Raum beschränkte Vorrichtung auf der Bühne selbst, nicht nur alle Flammen der Rampe und der Coulissen, sondern auch die des prachtvoll decorirten und im reichsten, durch matte Glasglocken gemilderten Lichte strahlenden Kronleuchters, in vielfachen Abstufungen vom hellsten Glanze bis zum fast völligen Verlöschen, von dort aus mit einer leichten Drehung einer Schraube behandelt werden.

So vereinte sich alles, dieses neue Schauspielhaus in seinen äußern Bedingungen zu einer wahren Zierde der Stadt, wie einem würdigen Tempel der Kunst zu gestalten, und der König belohnte auch für die dabei bewiesene Pflichttreue und bewährte Kenntniß den Generaldirector Geh. Rath von Lüttichau mit dem Großkreuze und den Professor Semper mit dem Ritterkreuze des Civilverdienstordens.

Unsere Illustrationen bieten den geehrten Lesern die sehr gelungenen Portraits der drei Mitglieder der Dresdner Bühne, welche an den beiden ersten Abenden die Hauptrollen spielten; Herrn Emil Devrient, welcher den Tasso, Madame Schröder-Devrient, welche die Euryanthe, und Herrn Joseph Tichatschek, welcher den Adobar gab.

Spätern Mittheilungen behalten wir die Würdigung der innern Verhältnisse der Bühne, des Kunstwerthes der Darstellungen und der dahin gehörenden Beziehungen vor.

I2.



Ein Reisemärchen.
Erzählt von

Plinius dem Jüngsten.
Illustrirt von Tony Johannot.

Der französische Griffel und die deutsche Feder, die übersprudelnde Phantasie eines Johannot und die reiche Erfindung eines Plinius haben sich vereinigt, um unsere Zusage zu lösen und unsern Lesern ein Märchen zu erzählen so duftig und so wunderlich, wie die lichten Träume es bringen, welche in lauen Frühlingsnächten die Seele bewegen, und am Morgen vergessen sind und nichts übrig lassen, als die Sehnsucht nach neuen Träumen. Wir geben heute nur den Anfang, und endet es nicht früher von selbst, so soll nur von Ihrem Gefallen das Ende bedingt sein.

[15]

Introduction.

Wir wollen abreisen.

Allerdings wäre es sehr schön und paßlich, geliebter Leser, wenn ich Dir sagte, warum wir reisen, wohin wir gehen und weshalb es für mich wünschenswerth ist, daß Du die Reise mit mir machst.

Dies ungewöhnliche Vertrauen könnte aber möglicher Weise gefährlich werden.

Warum reist man überhaupt? Wol nicht blos, um sich des unbestreitbaren Vortheils der Luft- und Ortsveränderung zu erfreuen, sondern auch vorzüglich, um Unvorhergesehenes zu erleben und mit dem Zufall, versteht sich in allen Ehren, zu liebäugeln?

Würde Dir also nicht das Wenige, das ich Dir über unsere Reisepläne mittheilen könnte, schon im Voraus den größten Genuß verderben, die Freude überrascht zu werden nämlich? Würde man überhaupt irgendwo hingehen, wenn man ganz genau wüßte, wo man eigentlich hinkommt?

Du siehst es, geliebter Leser! um Deines eigenen Besten willen muß ich schweigen. Auch schweige ich und begnüge mich damit, Dir zu versichern, daß das Reisen in jedem Falle ersprießlicher ist, als das zu Hause-Bleiben.

Glaubst Du, daß eine Reise, die ich in Deiner liebenswürdigen Gesellschaft mache, anders als angenehm sein könne? – Wir werden – ohne die Ehre Deiner Begleitung zu vergessen – den doppelten Gewinnst jeder Reise haben, die Freude der Abfahrt, und die der Heimkehr. Zwei Freuden, die wahrlich nicht freudlos sind und innerhalb dieser beiden noch außerdem alle jene kleinen ergötzlichen Abenteuer, an denen es vernünftigen und verständigen Reisenden gar nicht fehlen kann.

Ich bringe nicht einmal in Anschlag, lesender Freund, daß ich hoffe, Du werdest gut mit mir fahren, ohne Hindernisse, ohne Dich zu ärgern, ohne umzuwerfen, ohne zu viele Worte und zu große Kosten (wenn man davon überhaupt reden darf), ja selbst ohne von der Kälte zu leiden, vorausgesetzt, daß Deine Fenster wohl verwahrt sind und Dein Ofen gut versorgt. – Wir gehen gleich an das Ende der Welt, das versteht sich; ja vielleicht sogar ein Bischen nach einer anderen, wenn es Dir Spaß macht.

Und das Alles – bedenke wohl! ohne daß Du Deine allerliebsten Kinder – wenn Du welche hast – zu verlassen brauchst. Sie sind nirgends zu viel, und hier am Allerwenigsten. Auch von Deinen Freunden, die Dich lieben, und von Deinem Ofen, den Du liebst, kurz von Nichts, was Dir gefällt oder Dich zurückhält, weder von Diesem noch von Jenem, dessen Namen Du besser weißt als ich, bist Du genöthigt, Dich zu trennen.

Abreisen und daheim bleiben; daheim bleiben und fortreisen, das ist die Aufgabe, die wir, so es Dir recht ist, versuchen wollen, mit einander zu lösen.

Wenn man es so haben kann, wer reist da nicht! Es ist so hübsch, zu reisen und kann so neu sein! Und wer bliebe nicht daheim? Es ist so süß, zu Hause zu bleiben – und so leicht.

Aber wozu bei einer so vernünftigen Sache noch Gründe aufsuchen wollen, die vielleicht nicht so vernünftig und dennoch nicht minder gut sein können?

Es handelt sich darum, zu reisen. Reisen wir also, selbst auf die Gefahr hin, nicht zu wissen, ja sogar niemals zu erfahren, warum wir eigentlich uns auf die Reise begeben haben.

Eine bessere Reisegesellschaft, als die Deinige, kann es nicht geben, Freund Leser! Also, in Gottes Namen, vorwärts! – Wir werden ein herrliches Tagebuch führen, und ich sehe schon im Geiste schöne Augen, vielleicht für Dich die schönsten, sich darin vertiefen.

Wie angenehm, wenn diese schönen Augen
Mit Dir, in Dich zugleich sich mild versenken.
Aus Deinen Zeilen Lust und Freude saugen,
Und wo Du an sie dachtest, Dein gedenken.

Du reistest ja mit mir; was ich beschreibe,
Ist’s nicht so gut, als hättest Du’s geschrieben?
Gefällt es nur dem heißgeliebten Weibe,
Wirst Du belohnt, weil Du verstehst zu lieben.

Denn nur für Sie bist Du mit mir gezogen,
Um den Gewinn zu Füßen Ihr zu legen;
Du trotzest mit mir sturmgepeitschten Wogen,
Begleitest mich auf ungebahnten Wegen.

Als Held Ihr fern, als Liebender zur Seite,
Ihr gegenüber und auf fremden Meeren,
So zieht Sie mit Dir ängstlich in die Weite,
Doch fließen dieser Trennung keine Zähren.

Sie wird gar manches Neue Dir erzählen,
Das Du erlebtest und bisher nicht kanntest,
Gar Manches sich zu Schmuck und Freude wählen,
Das fremd Dir blieb und Du Ihr selbst doch sandtest.

Nur diese Blätter brauchst Du Ihr zu bringen,
Um an dies größte Wunder selbst zu glauben. –
Fort! Hörst Du nicht des Posthorns freudig Klingen,
Die Peitschen knallen und die Pferde schnauben?


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Erstes Capitel.
Vom Reisen und von der Liebe. Charakteristik des Helden dieses wahrhaftigen Märchens. Definition von der wahren Freiheit, die jedem Fräulein gefallen wird, die Definition nämlich.

Es war einmal ein vortrefflicher, seelenguter junger Mensch, der Alles konnte, nur nicht lange an einem und demselben Orte aushalten. Das war sein einziger Fehler; aber jeder Fehler, und wäre er noch so gering, wird riesengroß, wenn sich der böse Feind darein mischt, und der ††† mischt sich leider heut zu Tage in Alles und immer.

Unser Held hatte so zu sagen die Natur eines Wetterhahns; seine Launen trieben ihn nach allen zwei und dreißig Winden der Rose, als ob es der Wind selbst gewesen wäre, der ihn trieb.

Die Spanier nennen das, glaube ich, einen andantesken Humor, was Aegidius Albertini seiner Zeit mit landstörzerisch übersetzte.

– „Nur da wo man ist, befindet man sich wohl“ – pflegte er zu sagen. – Und alsbald reiste er ab.

Die Erde war für ihn eine glatte Eisfläche, auf der es ihm nicht gelingen wollte, einen festen Standpunkt zu finden. Kam er auch nicht aus China oder Peru, so kam er doch aus Treuenbrietzen zurück.

Kurz er hatte eine wirkliche Reisewuth, und diese Reisewuth hatte wiederum ihn schon mehr als ein Mal von einem Ende der Welt zum anderen geführt und zurückgebracht. Da die Welt aber, wie weit man auch gehen möge, doch endlich ein Ende nimmt, so muß man immer einmal um- und also zurückkehren. Den Beweis dafür liefert unser Held, der gerade in dem Augenblicke, wo dieses wahrhafteste aller Märchen beginnt, zurückgekehrt war, und zwar mit dem festen Entschlusse, nie wieder fortzureisen.

Er war nämlich verliebt.

Beklage ihn nicht, lieber Leser! Nicht Jeder ist verliebt, der es sein möchte. Auch beweist dies, nach meinem unzielsetzlichen Dafürhalten, daß er weder sein gutes Herz noch seine gesunde Vernunft auf der Heerstraße gelassen hatte.

Was würde aus Einem werden, wenn man nicht liebte?

Im Vorübergehen will ich noch bemerken, daß ihm, wenn er auch, wie jeder Reisende, sein einäugiges Roß gegen ein blindes, sowie sein Gold gegen Silber vertauscht, und zwei Hasen zugleich gehetzt, ohne je einen einzigen zu erwischen, demzufolge aber sein väterlich Erbtheil geschmälert hatte – dennoch genug geblieben war, obwol nicht, um von Neuem zu reisen, doch um anständig und sorgenfrei zu leben. Diese Notiz ist weder unnütz noch überflüssig, mein gnädiges Fräulein, denn ich habe die Ehre, Ihnen bemerken zu müssen, daß unser Held im Begriff steht, sich zu vermählen, und daß er heute Morgen erst das Brautkleid für seine Verlobte gekauft hat.

Dadurch wird die Sache interessant, nicht wahr?

„Ich habe meine letzte Reise gemacht“, sagte er zu mir, als er mir diese gute Nachricht mittheilte. „Wahrlich“ – setzte er hinzu – „die wahre Freiheit ist, an das gefesselt zu sein, was man liebt.“

– „Bester Freund!“ – erwiederte ich – „ich gratulire Dir von Herzen; ich glaube, Du hast Recht.“


Moralische Betrachtung über das erste Capitel.

Bedenkt es wohl, moderne Freiheitsjäger,
Die Ihr so oftmals schosset in die Luft,
Und hastig, weil die Menge desto träger,
Eu’r Bischen Witz und Pulver rasch verpufft.

Ihr habt, was wahre Freiheit sei, vernommen,
Was sucht Ihr sie noch thöricht draußen nun?
Ihr seht, sie muß von selber zu Euch kommen
Und wie ein Glück in Eurem Schooße ruhn.

Liebt nur und laßt Euch von der Liebe binden,
Dann seid Ihr frei, selbst bei der strengsten Pflicht.
In wahrer Liebe ist allein zu finden,
Was uns zum Leben nöthig: Luft und Licht.

Und sprudelte Euch selbst der Freiheit Quelle,
Sie labt Euch nicht, wenn Liebe Euch gebrach;
Kennt Ihr das Wort vom Erz und von der Schelle,
Das einst der reinste Freund der Freiheit sprach?


Zweites Capitel.
Von Franz und Marie, Frau Forster und Major von Horn, nebst einigen Notizen aus der Geschichte der Poesie oder einem Catalogue raisonné poetischer Heldinnen.

Der junge Mann hieß Franz.

Seine Braut hieß? – Ja, das weiß ich wirklich selbst nicht. – Wenn es Dir recht ist, lieber Leser, so wollen wir ihr den Namen Deiner Geliebten geben. – Aber wie? Du hast noch keine oder keine mehr! Nun so wähle unter den folgenden Namen denjenigen, der Dir am Besten gefällt. Soll sie Gretchen oder Laura, Klärchen oder Beatrice, Lotte oder Thekla, Heloïse oder Luise heißen. Wir können sie auch Fanny nennen oder Julia, Lisbeth oder Thyrza, Eleonore, Stella, Eliza ........

Du siehst mich verwundert an und fragst mich, woher ich alle diese Namen gerade geholt habe, die Dir sämmtlich entweder gesucht oder unpassend erscheinen. „Wer wird denn eine Lisbeth lieben und nicht wenigstens Elisa oder Betty daraus machen, wenn er nur ein Bischen zartes Gehör im Herzen hat“ – bemerkst Du. – Lieber! Elisa ist bekanntlich das Weib, wie es sein soll, von C. A. Fischer, der zugleich Gott und dem Teufel diente, und neben solchen, die philisterhafteste Häuslichkeit predigenden, Büchern auch unter dem Namen Althing unsittliche Romane schrieb. Ein Weib, wie es sein soll, wird aber kein vernünftiger Mann lieben, das hält er auf die Länge unmöglich aus, denn ihre übermäßige Tugend ist, wie alles Uebermäßige in der Welt, schlimmer als Sünde, wenigstens langweiliger. Auch klingst Elisa so sentimental, und die Sentimalität haben wir gottlob in Deutschland endlich ein Bischen abgeschüttelt. Gegen Betty habe ich dagegen Nichts weiter einzuwenden, als daß kein großer Poet seine Auserkorene in seinen Poesien je unter diesem Namen verherrlichte, während der Name Lisbeth von einem leider zu früh von der Erde geschiedenen Dichter wahrhaft verherrlicht worden ist. – –

„Also, die oben angeführten Namen gehören sämmtlich Heldinnen der Poesie an?“ unterbrichst Du mich von Neuem.