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Bilder heimischer Meisen. 1. Nestbaukünstler

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Textdaten
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Autor: Adolf Müller und Karl Müller
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Titel: Bilder heimischer Meisen. 1. Nestbaukünstler
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 18, S. 292–295
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Bilder heimischer Meisen. 2. Das Leben der Meisen im Nadelwalde
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[292]
Bilder heimischer Meisen.
Von Gebrüder Adolf und Karl Müller.
1. Nestbaukünstler.

Wenn der Winter allzu streng und lang ist, hören wir oft ein auffälliges, munteres Gezwitscher in unseren Hausgärten. Die Schwanzmeisen sind es, welche sich also verkünden, und ungeachtet ihrer zarten Gestalt unserem Winter trotzen. Sie sind sogenannte Standvögel, das heißt, sie verlassen ihre Heimath nicht, sondern streifen höchstens kurze Strecken familienweise umher.

Ihr emsiges Durchflattern der Bäume und des Gesträuchs, an deren Gezweig sie, nach Insecten und deren Larven suchend,

[293]

Bilder heimischer Meisen: 1. Die Schwanzmeisen.
Originalzeichnung von Adolf Müller.

[294] in allen möglichen Stellungen bald klettern, bald flattern, bald schweben, zeugt ebenso sehr von ihrer Behendigkeit, wie von ihrem großen ökonomischen Nutzen. Es giebt kaum eine heimische Vogelart, die sich mit unserem Meisenvölkchen in der nutzenbringenden Ernährungsweise messen kann. Man beobachte nur eingehend diese kleinen Wesen, wie sie durchschnittlich drei bis vier Mal des Tages ansehnliche Garten-, Hain- und Waldbezirke gewissermaßen systematisch durchziehen, so daß kein Baum, kein Gebüsch ununtersucht bleibt!

Aber unter dem niedlichen, ewig beweglichen Völkchen unserer Meisen gebührt wohl mit Recht den Schwanzmeisen doppelte Beachtung. Denn diese Meisensippe – in der Kunstsprache Orites genannt – vereinigt nicht allein alle Reize der Anmuth, Schönheit und Munterkeit, theilt nicht nur die ausgesprochene Nützlichkeit ihrer Verwandten überhaupt, sondern sie zeichnet sich auch vor allen unseren heimischen Meisen noch ganz besonders durch ihre Kunstfertigkeit im Nestbau aus. Ehe wir aber mit dieser äußerst interessanten Thätigkeit der rührigen Baumvögelchen unsere Leser vertraut machen, sei uns ein Blick auf das äußere Aussehen derselben gestattet!

Man denke sich diese Thierchen etwa um ein Drittel größer als deren Zeichnungen auf dem beigegebenen Bilde – und man hat eine Anschauung von ihrer natürlichen Größe. Ihr charakteristischer Körpertheil, der schlanke Schwanz, ist gut um 3,5 Centimeter länger als das Körperchen, das nur 6 Centimeter Länge mißt. Die Färbung beider Geschlechter stimmt sehr überein; nur ist die des Männchens schärfer und lebhafter. Aus der Zeichnung der alten Vögel auf dem Bilde geht schon hervor, daß der ganze Kopf, sowie Kehle und Brust mehr oder weniger entschieden weiß sind; an dem Kopfe des Weibchens (auf der Illustration der obere alte Vogel) zeigen sich hingegen über den Augen her, nach den beiden schwarzen Rückenpartien verlaufend, bald mehr, bald minder ausgeprägte mattgrauschwärzliche Streifchen, die beim ausgefärbten, alten Männchen nicht bemerkt werden. Die Bauchseiten und die Aftergegend haben einen braunrothen Anhauch, welche Färbung zwischen den schwarzen Rückenbändern und den Oberflügeln stärker hervortritt. Die Schwingen sind mattschwarz, die kürzeren (Unterarmschwingen oder die Schwingen zweiter Ordnung) weißgerandet; der Schwanz, beim männlichen Vogel sichtlich länger, ist sammetschwarz, staffelförmig gebildet und bis auf die vier längsten Federn derartig weiß gekantet, daß jede Feder bis zur Mitte mit weißem Rande und dann in der ganzen Spitze weiß ausgeschweift erscheint, was dem Schwanze auf der unteren Seite eine regelmäßige Zeichnung verleiht. In diesem freundlichen Kleide präsentirt sich der reizendste Vogel, dessen kurzes, halb in den Bartfedern verstecktes Schnäbelchen und die kleinen glänzend-schwarzen Augen den rundlichen Kopf noch zierlicher erscheinen lassen, während die Niedlichkeit des kurzen Körpers durch den schlanken, langen Schwanz noch erhöht wird. So sind denn auch die Thierchen, wenn sie unsere Gärten, die Haage, Haine und Laubwälder durchstreifen, kleinen buntweißen Federbällen oder Federbolzen ähnlich. Ihr schnurrender Flug und die Schnellkraft, mit der sie sich im rastlosen Fluge von Zweig zu Zweig werfen, rechtfertigen vollkommen unseren Vergleich.

Wir haben mit wahrer Freudigkeit und erhebender Genugthuung die Lebensweise dieser kleinen Ueberall und Nirgends in so manchem Jahre beobachtet und theilen die Resultate unserer Beobachtungen in Nachstehendem mit.

Der April ist oft kaum angebrochen, so beginnt auch schon unsere rührige Schwanzmeise ihren Nestbau. Aufgelöst sind die kleinen Gesellschaften, die zur Herbst- und Winterszeit so emsig unsere Gefilde und Wälder durchzogen; paarweise haben sie sich abgeschieden, heimlich und vorsichtiger als sonst zurückgezogen zum Nisten, da- und dorthin. Wir finden sie überall, hier in einem Haine inmitten eines Wachholderstrauches, eines Weißdornbusches oder anderen nicht über Manneshöhe hinausreichenden Gebüsches, dort im Walde auf Nadel- und Laubholzbäumen, auch wohl in unseren Gärten zwischen dem ersten Astquirl eines jungen Birnbäumchens oder in dem Geäst eines rothblühenden Weißdornes, wie auf unserer Illustration.

Wie in ihrem ganzen Wesen und Betragen entfaltet die Schwanzmeise vorzugsweise beim Nisten und Familienleben ein anziehendes interessantes Bild von lieblichem Naturleben. Ich habe seit Jahrzehnten einen geheimen Zug nach dem anderen diesen Naturkindern abgelauscht und freue mich hier, gleichsam zwischen Katheder und Publicum, die Ergebnisse meiner langjährigen Beobachtungen vortragen zu können.

Zur Anlage des Nestes sucht sich das Schwanzmeisenpaar eine Stelle auf einem Baume aus, wo sich der Stamm in mehrere Aeste theilt, oder es wählt sich eine Gabelverzweigung an einem Gebüsche. Sein erstes Bestreben ist, am Grunde der Ast- oder Zweigvertheilung eine rostartige Grundlage anzubringen. Die Thierchen tragen zu dem Ende Spinnengewebe und Thierwolle herzu und setzen diese Roste zwischen den Moos- und Flechtenüberzug der Niststelle verfilzend an. Je mehr derartiger rauher Ueberzug an denn Aesten oder Zweigen der Baustelle vorhanden, desto leichtere Arbeit finden die Baumeister. Bietet das Plätzchen jedoch wenig oder gar keinen Ueberzug – wie das meist in dem glatten Gezweige der Gebüsche der Fall ist – so sieht man die Vögel gewöhnlich ohne Unterlage die Wände des Nestes durch Spinnengewebe, Wolle, Bastschnürchen und feine Halme mit den benachbarten Gabelzweigen verflechten, hin und wieder sogar förmlich ankitten, wozu sie ihren Speichel benutzen.

Ist der ziemlich lockere Rost gelegt, so beginnt der Aufbau der Außenwandung des Nestes. Männchen oder Weibchen, eines um das andere, setzt sich inmitten der Unterlage und filzt und kittet unter Verwendung von Moos, Flechten, Puppengehäusen, Insectengespinnsten, Thier- und Pflanzenwolle nach und nach im Kreise um sich herum eine sehr zierliche Wand. Der Vogel gebraucht bei der Zubereitung der Baustoffe seinen eigenen Körper als Richtschnur und Maß, indem er sich auf seinen Fersen um sich selbst dreht, sodaß die Füße den Stütz- und Mittelpunkt oder den einen Schenkel, der Schnabel mit dem Vordertheile des Körpers den andern Schenkel eines Cirkels darstellen. So thürmt sich allmählich um den Baukünstler herum die runde Wand auf. Da aber das Nest der Schwanzmeise eiförmig und viel höher, als der Vogel selbst ist, gebaut wird, so ist derselbe genöthigt, seinen Standpunkt in der Mitte beim Höherwerden der Nestwand zu verlassen und von außen zu bauen und nachzuhelfen.

Namentlich geschieht dies bei der Fertigung des Ueberbaues und des kreisrunden Flugloches oder Fensterchens. Auch die Glättung und Ueberkittung der Außenseite der Wand, sowie des Flugloches bewerkstelligen unsere geschickten Baumeister hauptsächlich von außen und durch ihren Speichel. Flechten, selbst Fichtennadeln und Blättchen filzen sie mittelst Puppengehäusen, Gespinnsten und Wolle auf, und durch den Speichel befestigen sie dieselben noch mehr; sie ziehen die Stoffe durch ihr Schnäbelchen, um sie biegsamer und geschmeidiger zu machen, befeuchten sie und bewirken auf solche Weise das Verkitten und Glätten. Nach dem Aufbau der Außenwand geht es an die Fertigung der feineren Zwischenwandung, welche so geschickt mit den Außengerüste verflochten und verfilzt wird, daß man keine Scheidung außer etwa in dem verschiedenen Materiale der Schichten gewahrt. Nunmehr erst erfolgt die feinere Auskleidung und Glättung des vorher erst roh zubereiteten Flugloches und Gewölbes, und am schönsten und geschicktesten polstert endlich das Paar das Innere aus. Vom Grunde bis zum Dache werden die Wände dicht mit Federn bekleidet, deren meist nach unten oder seitwärts gekehrte Kiele in die mittlere Mooslage eingestülpt oder geheftet werden. Es bekundet sich eine sichtliche Vorliebe des Paares, vornehmlich des Männchens, zu Federn, wie denn eine fröhliche Betriebsamkeit, ein Wohlbehagen am ganzen Baugeschäfte bei den kleinen gefiederten Wesen in die Augen fällt. Alles geschieht mit Leichtigkeit und ungemeiner Grazie. Vorherrschend bethätigt sich die weibliche Schwanzmeise beim Nestbau, zeitweilig lösen sich beide Gatten aber auch ab oder unterstützen sich gegenseitig, und lieblich sieht es dann aus, wenn das Männchen in die schon zugewölbte Wohnung Bündel Baustoffe trägt oder Federn zum Fensterchen hineinreicht, was es selbst noch während des Brütens der Gattin thut.

Das vollendete Nest mißt in der Höhe 12 bis 15 und mehr Centimeter, in der Breite 8,5 bis 10 Centimeter, und das Flugloch hat nur 2 Centimeter Durchmesser. Die ganze Wohnung nähert sich, wie gesagt, der Eiform, aber die obere Wölbung hat eine Neigung nach vorn, sodaß das Flugloch etwas überbaut erscheint. Der untere Umfang des Nestes ist stets breiter, sodaß dasselbe sich nach oben mehr und mehr verjüngt, und da wo es an Aesten oder Zweigen lehnt oder haftet, sind seine Wände merklich dünner und haben Eindrücke, ein Zeichen, daß die Thierchen die harte Umgebung als haltbare Außenwand benutzen. Eine merkwürdige Elasticität macht sich an den Nestern bemerkbar, und auch neben ihrer schönen Ebenmäßigkeit haben sie eine harmonische, aus grünem, schwarzem, grauem, gelbem und weißlichen Flechtenkittwerk bestehende, der jeweiligen [295] Umgebung angepaßte Farbenmischung. Die hauptsächlich beim Stande des Nestes auf starken Astgabeln vorhandene rostartige Unterlage fand ich öfters nach dem Regen feucht. Sie scheint sonach zur Ableitung der Nässe zu dienen und ist auch viel lockerer als das Filzwerk des eigentlichen Nestes.

Zur Vollendung dieses Kunstbaues gebraucht das Schwanzmeisenpaar gewöhnlich drei Wochen, ja es ordnet und bessert noch in der Brutzeit öfters nach, sowohl am Aeußeren wie im Inneren. Unglaublich weit holen die Meischen bisweilen die Federn zum Auspolstern in die Waldungen; denn man bemerkt bei den Thierchen eine Vorliebe besonders zu Federn des Hausgeflügels. Am emsigsten bauen sie in den Morgenstunden bis zehn und elf Uhr, und in der Regel sah ich die Gatten in Zwischenräumen von sechs zu sechs Minuten abwechselnd mit Baumaterial zum Nistplatze zurückkehren.

Meistens entfernt sich das Paar nicht über zweihundert Schritte von seinem Stande, ausgenommen in den eben hervorgehobenen Fällen des Herbeiholens von Federn aus Dörfern oder Gehöften in ferne Waldungen. Die Mittagszeit wird gewöhnlich zur Ruhe und Erholung benutzt. Da sitzt das Pärchen, ein allerliebstes Vogelminiaturbild, und ordnet sich das Gefieder oder geht still der Nahrung nach.

Das Weibchen brütet allein, während es der Gatte alle zehn bis fünfzehn Minuten mit Futter versorgt, das er der Brütenden zum Fensterchen hereinreicht. Morgens um zehn Uhr und Nachmittags gegen zwei, manchmal auch gegen fünf Uhr bemerkte ich, daß das Weibchen das Nest verließ, um sich auszuspannen und vom Brüten zu erholen. Schon an dem verbogenen, äußerst weichbefiederten und deshalb sehr leicht Eindrücke empfangenden Schwanze kenntlich, der durch das Sitzen in der elliptischen Wohnung ebenwohl zeitweilig eine seitliche Krümmung erhält, macht es Toilette oder fängt sich an Blättern und Blüthen oder in der Luft in Begleitung des Männchens Insecten, bei welchem Fange die artigsten Purzelbäumchen geschlagen, sonstige überraschende Wendungen ausgeführt werden und die langen Schwänze als Balancirstäbchen fungiren. In dreizehn Tagen ist die Brut vollendet, deren Resultat zwischen neun bis zwölf, ja manchmal fünfzehn Jungen schwankt. Nun verdoppelt sich die Emsigkeit der Thierchen, und ihre Nutzen bringende Bethätigung springt jetzt noch mehr in die Augen. Mittelst des Fernrohrs gewahrte ich durchschnittlich auf je anderthalb bis zwei Minuten ein Zufliegen der Schwanzmeisen mit Futter. Nach meinen eingehenden Beobachtungen an Nistplätzen jagen die Alten hauptsächlich nach Kleininsecten, namentlich nach deren Puppen, und in kränkelnden Beständen der Lärche sind es die eingesponnenen Puppen der Lärchenmotte (Tinea s. Coleophora laricinella), welche die Schwanzmeisen ihren zarten Jungen bringen. Das Auslesen der winzigen Puppen geschieht mit unglaublicher Behendigkeit mittelst des Schnabels, in welchem die Vögelchen dicke Bündel zur einmaligen „Atzung“ der Jungen zu sammeln verstehen.

Nach vier bis sechs Atzungstouren (also durchschnittlich alle neun Minuten) erwärmt in der ersten Zeit das Weibchen die zarten Jungen etwa zehn Minuten lang; später wird das Füttern nur um die Mittagszeit durch die Ruhe der Alten unterbrochen. Welch eine ungeheuere Consumtion nur durch ein Nestpaar Schwanzmeisen den Tag über! Es wachsen bei solcher Pflege aber auch die Jungen sehr rasch heran. Schon in der zweiten Woche drückt sich die zahlreiche Schaar gegen die inneren Nestwände an, um Raum in der engen Wohnung zu gewinnen. Hierdurch wird die regelmäßige Form des Nestes verschoben, und nicht selten geschieht es, daß die unruhigen Thierchen Löcher in den Boden und die Seiten brechen, so daß ihre Schwänzchen hervorsehen.

Reizende Scenen gewährt das Füttern. Mit einem elastischen Schwunge nähern die Alten sich dem Neste, und unter anmuthigem Emporschnellen des Schwanzes wird den Kleinen die Atzung gereicht. Diese drängen sich meist – wie auf dem getreu aus der Natur von mir entnommenen Bilde – dicht auf einem Zweige zusammen und empfangen das Futter unter lebhaftem Sperren und den bald leiseren, bald lauteren Tönen „Si–Zi“. Bisweilen rücken die Geschwister dicht an einander, und dann vernimmt man ein leises, außerordentlich melodisches Gezwitscher. Auch die Alten nahen sich stets mit Lockrufen dem Neste, und naht sich eine Gefahr, namentlich ein Raubvogel, so fahren Alt und Jung messerspitz zusammen unter dem feinen, durchdringenden Warnrufe „Sisi“ und verharren längere Zeit unbeweglich in der geraden, aufrechten Stellung.

Bald sind die Jungen so flügge, daß sie von Zweig zu Zweig den Alten nachfolgen, und nun entsteht das beweglichste, munterste Treiben in der Familie. Die Eltern sind rastlos bemüht, die anfänglich nur auf kleine Umkreise sich erstreckenden Excursionen der Kinder zu erweitern, und erreichen ihren Zweck durch wiederholtes Voranziehen mit Atzung, wobei ihnen die Kleinen emsig folgen. Einen höchst unterhaltenden Anblick gewährt eine solche ziehende Schwanzmeisenfamilie. Der sich still und gedeckt haltende Beobachter sieht sich plötzlich von einem Dutzend kleiner beweglicher Wesen umgeben, deren Anwesenheit sich ebenso sehr durch Unruhe und Behendigkeit in allen möglichen Stellungen und Bewegungen, wie in den verschiedensten Tönen bekundet. Jeder Zweig belebt sich sozusagen in buntem Gewimmel und flüchtigem Dahinziehen, und kaum gedacht, ist das gaukelnde Völkchen wie Feengestalten eines Schattenspieles an uns vorüber, mit leisverhallenden Locktönen im Gezweige verschwindend.

Im Herbste begegnen wir den lieben Vögelchen wieder, zuweilen in ihrer Zahl verstärkt durch sich anschließende andere Schwanzmeisenfamilien, oder auch durch Gesellschaften verwandter Meisen, wie Kohl-, Blau- und Sumpfmeisen, sowie der Goldhähnchen. Schon von Weitem zeigen die Munteren und ewig Geschwätzigen den Zug an; sie erscheinen wie vom Windstoße hergetragene Federbällchen mit schnurrenden Flügelschlägen und schwungreichem Bogenfluge vor unseren Blicken, um in demselben Allegro ihres beweglichen Wesens zu verschwinden. Aber bei aller Raschheit des Ziehens durchsuchen die Thierchen fleißig das Baumwachsthum. Zwar entwickeln sie nicht das beharrliche, gründliche Beklettern der einzelnen Zweige, wie die Blaumeise, allein ihre viel größere Beweglichkeit gestattet ihnen in jedem Augenblicke ein anderes Plätzchen – hier den Zweig, dort Blatt und Blüthen – zu durchforschen. So treiben sich die Schwanzmeisengesellschaften vom Herbste durch den Winter bis zum Frühjahre emsig umher und entwickeln eine erstaunliche, von den nützlichsten Folgen für den Garten-, Feld- und Waldbau begleitete Thätigkeit, die, wie wir gesehen haben, sich beim Nisten noch erhöht.

Abweichend von unseren anderen Meisenarten sind die Schwanzmeisen sanfter, friedlicher Natur, und ihre Zähmung gelingt deshalb unter sorglicher, geeigneter Pflege leicht. Sie ergötzen dann durch ihr allerliebstes zutrauliches Wesen. Die Paare sind auch in der Gefangenschaft sehr zärtlich gegen einander, und das Männchen füttert das Weibchen öfters in höchst anmuthender origineller Weise, indem sich beide Vögel von den Zweigen oder Sitzstangen in den Volièren herabbiegen, um sich unterhalb ihrer Sitze mit den Schnäbelchen zu begegnen. Auch unterhält die männliche Schwanzmeise durch angenehmes Gezwitscher und sehr melodischen leisen Gesang, welchen sie besonders zur Paarungszeit hören läßt.

Adolf Müller.